© Getty Images/iStockphoto

Gedanken zu Palliative Care

Wie auch in den vergangenen Jahren erlebte der virtuelle Teilnehmer den Jahreskongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) 2021 als vorwiegend an Tumortherapie orientiert. Sucht man in den Abstracts mit dem Schlagwort Palliative Medicine, erscheinen lediglich 10 von 5169 Abstracts; unter Palliative Care sind es wenigstens 119 und somit nur 2,3% der angenommenen Abstracts. Dennoch – nach Sichtung der Arbeiten, die sich dem Thema der Palliativversorgung widmen, finden sich insgesamt sechs, die dem Rezensenten erwähnenswert erscheinen.

Keypoints

  • Möglichkeiten der palliativen Versorgung werden nicht ausreichend genutzt.

  • Bluttransfusionen führen insbesondere bei Patienten mit erhaltener Alltagsfunktion zur Symptomverbesserung.

  • Eine Parazentese scheint das Überleben von Patienten mit malignem Aszites nicht negativ zu beeinflussen.

  • Zu einem großen Teil stimmt die Einschätzung von Patienten und Onkologen zur Lebenserwartung nicht überein.

  • Patienten erhalten aggressive Therapien häufig bis zum Lebensende.

  • Advance Care Planning kann sicherstellen, dass die Betreuung am Lebensende dem Patientenwunsch entsprechend erfolgt.

Inanspruchnahme von Palliative Care

Hingewiesen werden sollte zunächst auf die Arbeit von Huffman D et al. aus Pittsburgh,1 die sich dem palliativen Versorgungsbedarf von Patienten mit Pankreaskarzinom zuwandte. Retrospektiv wurden 171 Patienten ausgewertet, von denen 121 im Rahmen des Versorgungsnetzwerkes behandelt wurden. Das mittlere Alter lag bei 63 Jahren; 45% waren männlich. Zum Diagnosezeitpunkt waren 28% metastasiert; 19,8% dieser Patienten erhielten eine Palliativversorgung. Dies erscheint aus mitteleuropäischem Blickwinkel sehr wenig.

Acht Patienten hatten bei Diagnosestellung bereits Schmerzen; sechs erhielten eine Neurolyse des Plexus coeliacus; 31 erhielten eine Strahlentherapie und 43 nahmen ein Opioid. Immerhin klagten vier der neurolysierten Patienten auch nach sechs Monaten noch über Schmerzen. Sechs der 31 bestrahlten Patienten waren ebenso nach sechs Monaten noch nicht schmerzfrei.

Die Autoren fassen zusammen, dass die Möglichkeiten der Palliative Care in ihrer Einrichtung offensichtlich nicht ausreichend genutzt werden. Patienten konnten eine entsprechende Beratung ablehnen, ferner gab es auch Lücken im Zugang zur Palliativversorgung oder zu einer frühen Integration der Palliativteams. Mehrfach sei gezeigt worden, dass eine frühzeitige Integration („early integration“) von Palliativversorgung zur Steigerung der Lebensqualität der betroffenen Patienten führt. Die betreuenden Ärzte sollten im Rahmen der elektronischen Dokumentation erinnert werden, dass Palliative Care angeboten sowie auch in Grand Rounds und Vorträge eingebunden werden sollte.

Bluttransfusionen

Das in der Palliativversorgung immer wieder relevante Thema der Erythrozytentransfusionen wurde vonJoana Catarina Lima Marinho et al., Lissabon, Portugal, untersucht.2 Die Autoren gingen davon aus, dass Anämie bei Patienten mit fortgeschrittenem Tumorleiden eine hohe Prävalenz zeigt und die Lebensqualität beeinträchtigt. In einer retrospektiven Kohortenstudie über drei Jahre bei allen onkologischen Patienten, ambulant und stationär, ohne tumorspezifische Therapien wurden 179 Patienten mit einem mittleren Alter von 68 Jahren identifiziert; die meisten (42%) hatten einen gastrointestinalen Tumor, 35% ein urogenitales Karzinom.

Insgesamt wurden 435 Erythrozytenkonzentrate übertragen, zu 58% im stationären Setting. Hauptindikation für die Transfusion war eine symptomatische Anämie mit 80%, gefolgt von Fatigue zu 68%. 73% hatten vor Transfusion einen ECOG-Score von über 2. 36% der Patienten erreichten eine Verbesserung ihrer Symptome. Ein signifikanter Zusammenhang zwischen ECOG-Score und Symptomlinderung wurde beschrieben (p=0,005). Die Autoren schliessen, dass Transfusionen zu einer Symptomverbesserung führen und insbesondere Patienten mit erhaltenen Alltagsfunktionen angeboten werden sollten.

Parazentese bei malignem Aszites

Die Arbeitsgruppe um Masuda K aus Tokio widmete sich der Behandlung von malignem Aszites.3 Jener sei verbunden mit abnehmender Lebensqualität und schlechter Prognose bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen. Die Parazentese ist eine weitläufig etablierte Behandlungsmethode, auch wenn nur wenige Berichte zu ihrem Nutzen vorliegen. Die Untersuchung sollte klären, ob eine Parazentese die Überlebensdauer dieser Patienten beeinflusst.

Die Autoren führten eine Post-hoc-Analyse von Daten einer prospektiven multizentrischen Studie an 23 Palliative-Care-Einrichtungen in Japan durch. Die Überlebensdauer der Parazentese-Gruppe wurde verglichen mit derjenigen der Nicht-Parazentese-Gruppe. Ausgehend von 1896 Patienten wurden 568 in die Studienkohorte eingeschlossen. 15% erhielten eine Parazentese; am häufigsten waren Tumoren des Gastrointestinaltraktes (51,9%), gefolgt von Pankreaskarzinomen (22,7%). Die mittlere Überlebensdauer in der Parazentese-Gruppe betrug 22 Tage gegenüber 12 Tagen in der Nicht-Parazentese-Gruppe (p=0,003). In der Parazentese-Gruppe wurden keine schwerwiegenden Nebenwirkungen oder Komplikationen berichtet. Die Autoren schlussfolgern, dass die Parazentese bei malignem Aszites das Überleben der Patienten nicht negativ beeinflusst; sie könne hingegen sogar als Standardtherapie in palliativen Betreuungssituationen genutzt werden.

Kommunikation zur Prognose

Zum Thema Kommunikation und Patientencompliance legten Loh KP et al., Rochester,4 eine praxisrelevante Untersuchung vor. Sie gingen davon aus, dass mangelndes Wissen zur Prognose bei Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen zu seltenerer Hospizbetreuung führt. Ferner wisse man wenig, ob dies insbesondere auch für geriatrische Patienten zutrifft. Die Autoren nutzten Daten einer nationalen geriatrischen Assessmentstudie (URCC 13070), die 541 Patienten im Alter >70 Jahre mit inkurablen Tumoren und Lymphomen einschloss. Zu Beginn wurden Patienten und Onkologen zur Prognose und zur erwarteten Überlebenszeit befragt. Zu 60 bzw. 72% stimmten die Einschätzungen der Patienten mit denen ihrer Onkologen nicht überein. Bereits in den ersten 6 Monaten nach Einschluss wurden 24% der Patienten hospitalisiert und 15% wurden in ein Hospiz aufgenommen. Ungenügendes Verständnis der eigenen Prognose führten zu geringerer Nutzung hospizlicher Versorgungsmöglichkeiten, unrealistische Einschätzungen des Überlebens zu häufigeren Klinikeinweisungen.

Aggressive Therapien am Lebensende

Barak R et al., Tel Aviv, Israel,5 berichteten über ihre Untersuchung zur Häufigkeit aggressiver tumorspezifischer Therapien am Lebensende. Insbesondere die Applikation von Chemotherapie führe in der Finalphase zu deutlicher Verschlechterung der Lebensqualität. Die Implementierung ambulanter Palliative-Care-Betreuung gilt auch in Israel als wichtige Errungenschaft der letzten Jahre, gleichsam aber auch die Verfügbarkeit von zielgerichteten Therapien und Immuntherapien bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen. Die Autoren gingen davon aus, dass diese beiden Fortschritte die Anwendung von Chemotherapie am Lebensende beeinflussen.

<< Die betreuenden Ärzte sollten im Rahmen der elektronischen Dokumentation erinnert werden, dass Palliative Care angeboten sowie auch in Grand Rounds und Vorträge eingebunden werden sollte.>>
J. Papke, Neustadt/Sachsen

Zwischen Januar 2019 und August 2020 wurden retrospektiv 294 Patienten zusammengestellt, die in diesem Zeitraum an fortgeschrittenen Tumorerkrankungen verstarben. Das mittlere Lebensalter betrug 67; 147 waren männlich; 64% erhielten eine onkologische Therapie bis in ihren letzten Lebensmonat. Die Therapien setzten sich zu 64% aus Chemotherapie, zu 21% aus Immuntherapien und zu 10% aus zielgerichteten Therapien zusammen; ferner nahmen 5% an einer klinischen Studie teil. Weder das Alter, das Geschlecht, der Performance Status, die Krankheitsdauer noch die bisherigen Therapien hatten einen Einfluss auf die Aggressivität der Therapie am Lebensende. Zusammenfassend wurde bemerkt, dass offensichtlich ohne finanzielle oder regulatorische Limitationen die Mehrheit der inkurabel kranken Patienten eine aggressive Therapie bis zum Lebensende erhält, am häufigsten eine konventionelle Chemotherapie. Diese Befunde machen deutlich, wie wichtig die Implementierung von Edukation, aber auch von Guidelines zum Erhalt und zur Verbesserung von Lebensqualität am Lebensende ist. Lebensqualität müsse eher im Fokus stehen als eine trügerische Möglichkeit zur Lebensverlängerung.

Advance Care Planning

Letztendlich sei der Beitrag der Gruppe um Barnhart et al., Rock Springs, referiert,6 welcher das zunehmend bedeutungsvolle Thema Advance Care Planning (ACP) thematisierte. Die Autoren berichten, dass vier von fünf onkologischen Patienten, die innerhalb von zwei Monaten aufgenommen wurden, innerhalb einer Woche nach Klinikentlassung verstarben. Keiner dieser Patienten hatte Entscheidungen zur eigenen Versorgung getroffen. Kurz vorher wurden alle onkologischen Krankenakten gesichtet und nur 7% hatten Entscheidungen im Sinne einer ACP getroffen. Unzureichende Klärungen der Betreuung am Lebensende können zu Entscheidungen führen, die nicht dem Wunsch des Patienten entsprechen und Systemressourcen unnötig verbrauchen. Eine ACP sichert, dass im Falle von Entscheidungsunfähigkeit des Patienten auch seine Wünsche Berücksichtigung finden. Zudem können durch ACP unnötige Einweisungen vermieden werden, die Versorgung am Lebensende kann verbessert und Versorgungskosten können gespart werden.

1 Huffman D et al.: An internal review of rates of palliative medicine referral for patients with advanced pancreatic cancer. ASCO 2021, Abstr. #e16245 2 Lima Marinho JC et al.: Prognostic role of inflammatory biomarkers from peripheral blood and clinical factors in metastatic castration-resistant prostate cancer (mCRPC) patients (pts) treated with radium-223 (Ra-223) (BIO-Ra-223 study). ASCO 2021; Abstr. #e24090 3 Masuda K et al.: Effect of paracentesis on the survival of patients with terminal cancer and ascites: a propensity score-weighted analysis of the EASED study. ASCO 2021; Abstr. #e24063 4 Loh KP et al.: Prognostic understanding, hospitalization, and hospice use among older patients with advanced cancer. ASCO 2021; Abstr. #12037 5 Barak R et al.: Chemotherapy at the end of life: Do we know when to stop? ASCO 2021; Abstr. #e24005 6 Barnhart J et al.: Improving end of life care with advance care planning in a rural cancer center. ASCO 2021; Abstr. #e18637

Back to top