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Fertilitätserhaltung bei jungen Krebspatientinnen
Leading Opinions
Autor:
PD Dr. med. Sibil Tschudin
Gynäkologische Sozialmedizin und Psychosomatik<br> Frauenklinik Universitätsspital Basel
Autor:
Dr. phil. Corinne Urech
Gynäkologische Sozialmedizin und Psychosomatik<br> Frauenklinik Universitätsspital Basel
Autor:
M.Sc. Verena Ehrbar
Gynäkologische Sozialmedizin und Psychosomatik<br> Frauenklinik Universitätsspital Basel<br> Korrespondenz: verena.ehrbar@usb.ch
30
Min. Lesezeit
23.02.2017
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<p class="article-intro">Junge Krebspatientinnen sind nicht nur mit einer lebensbedrohlichen Diagnose konfrontiert, sondern möglicherweise auch mit einem aus der Behandlung resultierenden Verlust der Fertilität. Durch die heute zur Verfügung stehenden fertilitätserhaltenden Massnahmen sind die Patientinnen mit einer zusätzlichen Herausforderung konfrontiert. Es bedarf spezifischer Aufklärung sowie Unterstützung im Hinblick auf die Entscheidungsfindung. Dazu haben wir eine Onlineentscheidungshilfe entwickelt, welche aktuell in einer Studie evaluiert wird.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Krebs und Fertilität</h2> <p>Dank Fortschritten in der Krebstherapie liegen die Überlebenschancen nach einer Krebsdiagnose im Kindes- oder jungen Erwachsenenalter bei 80 % oder mehr.<sup>1, 2</sup> Dies hat für die Betroffenen zur Folge, dass sie sich nach der Diagnosestellung nicht nur mit Fragen zur Therapie, sondern auch zur Zeit nach einer erfolgreichen Behandlung auseinandersetzen müssen. Eine davon ist die nach fertilitätserhaltenden Massnahmen. Gerade für junge Patientinnen, bei denen Familienplanung ein Thema für die Zukunft ist, ist dies von höchster Wichtigkeit. <sup>3</sup> Nebst den Fortschritten in der Krebstherapie verzeichnet man gleichzeitig auch grosse Fortschritte in der Entwicklung und Etablierung von fertilitätserhaltenden Massnahmen. So steht Patientinnen mittlerweile eine Reihe verschiedener Optionen zur Verfügung. Allerdings muss die Entscheidung für oder gegen fertilitätserhaltende Massnahmen unter enormem Zeitdruck und in einer psychologisch höchst belastenden Situation getroffen werden. Dies bringt einen signifikanten Entscheidungskonflikt mit sich.<sup>4</sup></p> <h2>Fragestellung und Studiendesign</h2> <p>Um mehr über die Bedürfnisse der Betroffenen im Zusammenhang mit der Entscheidungsfindung für oder gegen fertilitätserhaltende Massnahmen zu erfahren und um herauszufinden, wie wir betroffene junge Patientinnen am besten unterstützen können, sind wir im Rahmen eines mehrjährigen Projektes verschiedenen Fragestellungen nachgegangen. Ziel dieses Forschungsprojektes war es, einen vertieften Einblick in 1. den Stellenwert der Fertilität, 2. die Einstellung gegenüber fertilitätserhaltenden Massnahmen, 3. den Entscheidungskonflikt im Hinblick auf die Durchführung von fertilitätserhaltenden Massnahmen und 4. spezifische Bedürfnisse und Wünsche nach Unterstützungsmöglichkeiten bei jungen Krebspatientinnen zu erhalten. Dazu haben wir 150 junge Krebspatientinnen zwischen 18 und 40 Jahren, bei welchen innerhalb der letzten 10 Jahre eine Krebserkrankung diagnostiziert und behandelt worden war, mittels eines Onlinefragebogens zu den oben genannten Themen befragt. Ergänzend zu diesem quantitativen Ansatz wählten wir anschliessend eine qualitative Herangehensweise und haben 12 Patientinnen im Rahmen von Fokusgruppen (= standardisierte Gruppendiskussionen) die oben genannten Themen diskutieren lassen. Die Teilnehmerinnen der Fokusgruppen waren ebenso Patientinnen mit einer Krebsdiagnose innerhalb der letzten 10 Jahre. Nicht alle Teilnehmerinnen waren zum Zeitpunkt ihrer Diagnose über fertilitätserhaltende Massnahmen aufgeklärt worden.</p> <h2>Ergebnisse</h2> <p>Die Resultate der quantitativen und qualitativen Datenanalyse zeigten deutlich, dass die Fertilität bei diesen jungen von Krebs betroffenen Patientinnen einen sehr hohen Stellenwert hat. Sie wurde nicht nur in Bezug auf zukünftige Erfüllung des Kinderwunsches, sondern auch im Sinne eines Symbols der Weiblichkeit als sehr wichtig eingestuft. Die deutliche Mehrheit der Teilnehmerinnen der Onlinebefragung gab eine positive Einstellung zu fertilitätserhaltenden Massnahmen an. Sie waren der Meinung, dass solche für alle betroffenen Frauen verfügbar sein sollten. Aus den Datenanalysen ging hervor, dass das Wissen über fertilitätserhaltende Massnahmen sehr beschränkt ist. In den meisten Fällen kannten die Patientinnen ein bis zwei der etablierten Methoden, die restlichen waren jedoch nur Einzelnen bekannt (Urech et al, submitted). Der Entscheidungskonflikt erwies sich als hoch, insbesondere gaben die Teilnehmerinnen an, sich zu wenig informiert zu fühlen, um eine zufriedenstellende Entscheidung treffen zu können (Müller et al, in preparation). In der qualitativen Analyse traten gewisse ethische und religiöse Konflikte in Bezug auf diese Entscheidung deutlicher zutage als in der Onlinebefragung. Beide Studien zeigten, dass Krebspatientinnen umfangreichere und standardisierte Unterstützung wünschen. Als hilfreiche Instrumente wurden Checklisten, Guidelines oder Onlineentscheidungshilfen genannt (siehe Zitate von zwei Patientinnen).<sup>5</sup></p> <h2>Entwicklung eines Entscheidungstools zur Unterstützung der Betroffenen</h2> <p>Basierend auf diesen Resultaten und übereinstimmenden Erkenntnissen aus anderen Studien,<sup>4, 6, 7</sup> entstand unser aktuell laufendes Forschungsprojekt «FertiOnco», welches die Entwicklung und Evaluation einer standardisierten Onlineentscheidungshilfe für betroffene Patientinnen zum Ziel hat.<br /> Es ist bekannt, dass sich Krebspatienten im Internet aufhalten und sowohl nach Informationen wie auch Erfahrungsaustausch und Unterstützungen suchen.<sup>8, 9</sup> Dies sowie das junge Alter unserer Zielgruppe haben uns davon überzeugt, die Entscheidungshilfe online anzubieten.<br /> FertiOnco (Abb. 1) soll betroffene Krebspatientinnen umfassend informieren und ihnen anhand des Entscheidungstools eine Unterstützung in ihrem Entscheidungsprozess bieten. Das Onlinetool umfasst einen Informationsteil bestehend aus Fakten zu verschiedenen Krebsarten, den zugehörigen Therapien und deren Einfluss auf die Fertilität. Zudem werden die verschiedenen fertilitätserhaltenden Massnahmen, welche vor der Behandlung der Krebserkrankung vorgenommen werden müssen, vorgestellt und Alternativen, die nach erfolgter Therapie zur Verfügung stehen, erläutert. Alle Texte wurden von Fachpersonen des jeweiligen Gebiets verfasst und sollen den Frauen einen umfassenden und fachlich korrekten Überblick bieten. Im Entscheidungsteil des Onlinetools haben die Patientinnen die Möglichkeit, zu den von ihnen ausgewählten Massnahmen sogenannte «balance sheets» auszufüllen. Das bedeutet, dass sie für jede Massnahme vorgegebene und bei Bedarf zusätzlich eigene hinzugefügte Pro- und Kontraargumente nach ihrer persönlichen Wichtigkeit einschätzen. Ebenso geben sie zu jeder Massnahme auch ihr Bauchgefühl an. Daraus wird eine persönliche Auswertung generiert, welche gespeichert und ausgedruckt und bei Bedarf zum nächsten Arztgespräch mitgenommen oder auch mit den Angehörigen besprochen werden kann. Der Entscheidungsbereich ist interaktiv gestaltet und soll die Nutzerin dazu einladen, sich zu den einzelnen Optionen, die ihr zur Verfügung stehen, vertiefter Gedanken zu machen.<br /> FertiOnco wird nun im Rahmen einer randomisiert kontrollierten Interventionsstudie evaluiert, wobei die Interventionsgruppe (zusätzliche Nutzung des Onlinetools nach Beratungsgespräch bei Reproduktionsmediziner) mit einer Kontrollgruppe (Beratungsgespräch) verglichen wird. Beide Gruppen füllen zu drei verschiedenen Zeitpunkten einen Fragebogen aus, welcher Informationen zum Entscheidungskonflikt, dem Wissen zu fertilitätserhaltenden Massnahmen sowie anderen Fragestellungen geben soll. Die Studie läuft noch bis Sommer 2017, erste Resultate werden Ende des nächsten Jahres erwartet.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Onko_1701_Weblinks_s49_abb1.jpg" alt="" width="1275" height="432" /></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Jemal A et al: Annual report to the nation on the status of cancer, 1975-2001, with a special feature regarding survival. Cancer 2004; 101(1): 3-27 <strong>2</strong> Bouchardy C et al: Situation and development from 1983 up to 2007. 2011, Neuchâtel: Federal Statistical Office (FSO), National Institute for Cancer Epidemiology and Registration (NICER), Swiss Childhood Cancer Registry (SCCR) <strong>3</strong> Tschudin S et al: Correlates of fertility issues in an internet survey of cancer survivors. J Psychosom Obstet Gynaecol 2010; 31(3): 150-7 <strong>4</strong> Peate M et al: It's now or never: fertility-related knowledge, decision-making preferences, and treatment intentions in young women with breast cancer - an Australian fertility decision aid collaborative group study. J Clin Oncol 2011; 29(13): 1670-7 <strong>5</strong> Ehrbar V et al: Decision-making about fertility preservation-qualitative data on young cancer patients' attitudes and needs. Arch Womens Ment Health 2016; 19(4): 695-9 <strong>6</strong> Peate M et al: Making hard choices easier: a prospective, multicentre study to assess the efficacy of a fertility-related decision aid in young women with early-stage breast cancer. Br J Cancer 2012; 106(6): 1053-61 <strong>7</strong> Garvelink MM et al: Women's experiences with information provision and deciding about fertility preservation in the Netherlands: 'satisfaction in general, but unmet needs'. Health Expect 2015; 18(5): 956-68 <strong>8</strong> Koch-Weser S et al: The internet as a health information source: findings from the 2007 Health Information National Trends Survey and implications for health communication. J Health Commun 2010; 15(Suppl 3): 279-93 <strong>9</strong> Ziebland S: The importance of being expert: the quest for cancer information on the Internet. Soc Sci Med 2004; 59(9): 1783-93</p>
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