
©
Getty Images/iStockphoto
Fällt die Chemotherapie bald völlig weg?
Jatros
30
Min. Lesezeit
14.07.2016
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">In der Behandlung des nicht kleinzelligen Bronchialkarzinoms (NSCLC) wird Docetaxel von den Immuntherapeutika aus der zweiten Linie verdrängt. Mit den neuen gezielten Therapien gewinnt die Frage der richtigen Sequenzierung und Kombination immer mehr an Bedeutung. Die „liquid biopsy“ wird dabei sicherlich eine wichtige Rolle spielen und die Technik der Zukunft sein. Dies sind einige Schlüsse, die aus einem Expertengespräch anlässlich der European Lung Cancer Conference mit Dr. Solange Peters aus Lausanne und Dr. Wilfried Eberhardt aus Essen gezogen werden können.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die Behandlungssequenz ist laut Solange Peters vom Departement für Onkologie des Centre Hospitalier Universitaire Vaudois, Lausanne, ein wichtiges Thema, beispielsweise bei nicht selektierten Patienten für die Immuntherapie sowie bei den komplexeren Fällen von Patienten, die sich für eine gezielte („targeted“) Behandlung qualifizieren. Für die letzten zwei Jahre wurde laut Peters im Bereich der Immuntherapie der Ersatz von Docetaxel als Zweitlinientherapie beim NSCLC („non small cell lung cancer“) diskutiert. „Nun können wir in Europa bei Patienten mit oder ohne Plattenepithelkarzinom Nivolumab verschreiben, in den USA kann auch Pembrolizumab verschrieben werden, allerdings mit der Beschränkung auf Patienten mit einem hohen PD-L1. Dies hat sich zu einem Therapiestandard in den „National Comprehensive Cancer Network“(NCCN)-Guidelines entwickelt und wird auch in die ESMO-Guidelines einfließen, die derzeit gerade in Bearbeitung sind“, so Peters. „Docetaxel ist keine Zweitlinientherapie mehr, außer bei Patienten, bei denen die Immuntherapie kontraindiziert ist.“<sup>1</sup></p> <h2>NSCLC – Chemotherapie bald obsolet?</h2> <p>Die Hauptfrage in Bezug auf die Behandlungssequenz ist für Peters, ob wir in der Lage sind, die Chemotherapie „up-front“ vollständig zu verdrängen, um sie allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt noch anzuwenden. Derzeit laufen über 15 Studien mit mehr als 15.000 Patienten. Darin wird üblicherweise eine platinbasierte Chemotherapie „front-line“ gegeben und mit einer Immuntherapie im experimentellen Arm verglichen. Es stellt sich hierbei die sehr interessante Frage, ob besser behandelt werden kann und ob es bald möglich sein wird, dem Patienten über eine gewisse Zeit – vielleicht ein oder zwei Jahre – die Chemotherapie ganz zu ersparen.<br /> Die Erfahrungen beim Melanom zeigen, dass es dank der Immuntherapie zu einer Plateaubildung bei den Kaplan-Meier-Kurven kommt, und es wird sich herausstellen, ob dies auch beim NSCLC der Fall sein wird. Das würde laut Peters für das palliative Setting bedeuten, dass bestimmte Patienten von der Immuntherapie profitieren würden, was aufgrund potenziell sehr viel längerer Überlebenszeiten weit über das palliative Moment hinausführen würde. Dieses Gefühl spornt die Forschenden an, Zugang zu den Immuntherapien zu bekommen und möglichst jeden Patienten, der sich dafür qualifiziert, in eine entsprechende Studie zu bringen. Bei „Langzeitkontrolle“ stellt sich auch die Frage, ob mit einer Langzeittoxizität der Immuntherapien gerechnet werden muss, wenn das Immunsystem angeregt wird. „Die Antwort ist Nein, denn wir haben keine Gründe, anzunehmen, dass die Toxizität dieser Substanzen größer ist als bei kurzzeitigem Einsatz“, so Peters abschließend zur Immuntherapie.</p> <div id="rot"> <p>„Wenn eine extrem wirksame Therapie, wie beispielsweise Osimertinib, verfügbar ist, sollten wir konventionell behandeln und bis zur Resistenzentwicklung zuwarten oder gleich die neue Substanz einsetzen?“ - S. Peters, Lausanne</p> </div> <h2>„Liquid biopsy“ – Technik der Zukunft</h2> <p>Ein weiteres wichtiges Thema ist nach Dr. Wilfried Eberhardt vom Lungenkrebszentrum am Westdeutschen Tumorzentrum, Universitätsklinikum Essen, die „real biopsy“. Sie ist heute der Goldstandard, um Behandlungsresistenzen bei Patienten zu erfassen und zu umgehen. Doch beim Lungenkrebs haben viele Patienten Komorbiditäten, wie beispielsweise COPD oder kardiovaskuläre Erkrankungen. Es ist nicht so unkompliziert wie beim Brustkrebs, bei dem eine Metastase oft lediglich mit einer Nadelbiopsie erreicht werden kann. Das Problem beim Lungenkarzinom sind die Hirnmetastasen, die bei einer beträchtlichen Patientenzahl auftreten und chirurgisch angegangen werden müssen. Und aufgrund von Komorbiditäten sind Biopsien oft schwieriger durchzuführen, selbst mit den heutigen technischen bzw. bildgebenden Mitteln. „Wir müssen feststellen, dass bei gewissen Patienten deshalb eine Biopsie nicht durchführbar ist“, so Eberhardt.<br /> Für diese Patienten gibt es nun mit der „liquid biopsy“ eine neue Diagnosemöglichkeit. So wurden bei der diesjährigen ELCC mindestens drei Abstracts dazu vorgestellt, die laut Eberhardt zu den wichtigsten am Kongress präsentierten Studien zählen.<sup>2–5</sup> Die Methode ist einfach: Es muss nur Blut entnommen werden, das dann mit komplexen DNA- und RNA-Techniken analysiert werden kann. Diese Methode wird bereits bei einer beträchtlichen Anzahl von Patienten eingesetzt und ist bei rund 70–80 % der Betroffenen valide. Doch immer noch gibt es Patienten, bei denen dies nicht der einzige Weg ist, die also – wenn möglich – erneut biopsiert werden müssen. Ob nun mit der einen oder anderen begonnen wird: Die beiden Techniken unterstützen einander mit dem Ziel, mehr Patienten zu finden, bei denen neue Behandlungsmöglichkeiten einsetzbar sind.<br /> Die Flüssigbiopsie hat im Gegensatz zur herkömmlichen Biopsie laut Eberhardt den schönen Effekt, dass sie mehrmals komplikationslos wiederholt werden kann. „Dank dieser faszinierenden Vorzüge wird es die Technik der Zukunft sein“, so Eberhardt. Die Technik wird weiterentwickelt werden und, so vermutet Eberhardt, die Validität wird sich in drei bis fünf Jahren irgendwo bei 90–95 % einpendeln.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Onko_1603_Weblinks_Seite14.jpg" alt="" width="768" height="469" /></p> <h2>Einfach die beste Substanz zuerst geben?</h2> <p>Es stehen immer mehr dieser sehr aktiven Therapeutika für kleine Subgruppen von Patienten zur Verfügung und dies ist für Peters Anlass für Fragen: „Natürlich, je mehr Substanzen zur Verfügung stehen, desto mehr Biopsien stehen an. Bei ALK-positiven NSCLC wurden Fälle vorgestellt, bei denen viermal die Therapie gewechselt werden musste. Und jeder Schritt macht eine erneute Biopsie erforderlich, nicht eine, sondern multiple“, so Peters. Mit der Flüssigbiopsie können diese Fragen nun angegangen werden. Eine andere Frage ist für Peters: „Wenn eine extrem wirksame Therapie, wie beispielsweise Osimertinib, verfügbar ist, sollten wir konventionell behandeln und bis zur Resistenzentwicklung zuwarten oder gleich die neue Substanz einsetzen?“ Die Antwort wird derzeit im Rahmen von klinischen Studien gesucht. „Wenn Patienten mit dieser sehr potenten Substanz ‚front-line‘ behandelt werden, dann wird ein längeres PFS erreicht“, so Peters, und weiter: „Können Sie sich vorstellen, dass wir einfach die beste Substanz zuerst geben? Das soll derzeit prospektiv evaluiert werden.“</p> <h2>Konventionelle Sequenzen oder neue Therapieansätze?</h2> <p>Auch die von Ramalingam präsentierten Daten mit Immuntherapeutika zeigen laut Peters, dass das OS im Vergleich zu alten Behandlungen mit dem Einsatz von Immuntherapeutika verdoppelt wird. Damit stellt sich auch hierbei die Frage, wie mit diesen neuen Behandlungen umgegangen werden soll. Möglicherweise muss ein Konsens zu den Fragen erzielt werden, ob eine konventionelle Sequenz palliativ gegeben werden muss oder ob es vielleicht gar für das Überleben besser ist, die alten Substanzen ganz auszuscheiden und gleich mit einem starken Mittel zu beginnen. Dies wird eine schwierige Entscheidung sein. Es muss mehr Wissen zu den Resistenzmechanismen nach Beginn einer intensiven Behandlung erarbeitet werden. Nach Meinung von Peters wird es in der klinischen Therapie sicherlich die nächste große Debatte sein, wie die Sequenz all dieser neuen Wirkstoffe lauten soll.</p> <h2>Viele neue Wirkstoffe – doch wie kombinieren?</h2> <p>Wie bei HIV wird auch beim Karzinom in Zusammenhang mit der Verfügbarkeit von Therapien, die an verschiedenen Signalwegen zu Blockaden führen können, immer mehr die Frage dominieren, wie diese Substanzen idealerweise kombiniert werden können. Auch bei der ELCC wurde darüber diskutiert, speziell in Bezug auf die Frage nach der Kombination der Immuntherapien sowie der EGFR-Inhibitoren, wie sie für einen nächsten Schritt in der Behandlung für Peters sinnvollerweise vorgesehen sind. Möglicherweise kann damit ein lang anhaltendes Ansprechen erzielt werden. Laut Peters müssen mögliche unerwartete Toxizitäten, die durch die Kombination entstehen, untersucht werden, wie beispielsweise die schwere Pneumonitis, die im Rahmen einer solchen Kombination von Osimertinib mit Durvalumab bei 38 % der Patienten auftrat. In den Monotherapien lag hingegen die Pneumonitisrate bei nur 2,9 % für Osimertinib und bei 2 % für Durvalumab.<sup>6</sup></p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> <a href="http://www.nccn.org/professionals/physician_gls/pdf/nscl.pdf" target="_blank">www.nccn.org/professionals/physician_gls/pdf/nscl.pdf</a><br /><strong>2</strong> Powrózek T et al: Novel plasma circulating microRNA signature for early detection of non-small cell lung cancer in liquid biopsy. Biomarkers – Poster Discussion Session, Abstract #30PD, ELCC 2016<br /><strong>3</strong> Bordi P et al: Monitoring of secondary drug resistance mutations in circulating tumor DNA of patients with advanced ALK-positive NSCLC. Biomarkers – Poster Discussion Session, Abstract #2PD, ELCC 2016<br /><strong>4</strong> Santos ES et al: Liquid biopsy in patients with adenocarcinoma of the lung and its correlation with their tumor tissue molecular profile. Biomarkers - Poster Discussion Session, Abstract #3PD, ELCC 2016<br /><strong>5</strong> Baty F et al: 24h-blood profile gene expression biomarkers of the response to targeted therapy in advanced non-squamous non-small cell lung cancer (NSCLC). Biomarkers - Poster Discussion Session, Abstract #61PD, ELCC 2016<br /><strong>6</strong> Ahn M et al: Osimertinib combined with durvalumab in EGFR-mutant non-small cell lung cancer: results from the TATTON phase Ib trial. Best Abstracts Session, Abstract #1360, ELCC 2016</p>
</div>
</p>
Das könnte Sie auch interessieren:
Erhaltungstherapie mit Atezolizumab nach adjuvanter Chemotherapie
Die zusätzliche adjuvante Gabe von Atezolizumab nach kompletter Resektion und adjuvanter Chemotherapie führte in der IMpower010-Studie zu einem signifikant verlängerten krankheitsfreien ...
Highlights zu Lymphomen
Assoc.Prof. Dr. Thomas Melchardt, PhD zu diesjährigen Highlights des ASCO und EHA im Bereich der Lymphome, darunter die Ergebnisse der Studien SHINE und ECHELON-1
Aktualisierte Ergebnisse für Blinatumomab bei neu diagnostizierten Patienten
Die Ergebnisse der D-ALBA-Studie bestätigen die Chemotherapie-freie Induktions- und Konsolidierungsstrategie bei erwachsenen Patienten mit Ph+ ALL. Mit einer 3-jährigen ...