
ESMO-Guideline zum Nierenzellkarzinom
Unsere Gesprächspartnerin:
Univ.-Prof. Dr. Manuela Schmidinger
Fachärztin für Innere Medizin, Onkologie und Intensivmedizin, Medizinische Universität Wien, Visiting Professor of the University of Belgrade, E-Mail: manuela.schmidinger@meduniwien.ac.at
Bericht:
Ingeborg Morawetz, MA
In der aktuellen Leitlinie gibt es einige Neuerungen. Bisher wurde im lokalisierten Stadium Pembrolizumab adjuvant mit einer schwächeren Empfehlung versehen, weil nur das Disease-Free Survival signifikant war, aber nicht das Overall Survival. Mittlerweile gibt es jedoch positive Überlebensdaten im adjuvanten Setting, sodass Pembrolizumab nun mit einer 1A-Empfehlung bei Patient:innen versehen ist, die entweder „high-risk“ sind oder sich in einer „M1-No evidence of disease“-Situation (nach Resektion von Metastasen) befinden.
Von-Hippel-Lindau-Syndrom
In den Guidelines werden erstmals Patient:innen mit Von-Hippel-Lindau-Syndrom berücksichtigt. Einerseits werden chirurgische Maßnahmen empfohlen, die ohnehin Standard sind, andererseits die Gabe des HIF-2-alpha-Inhibitors Belzutifan, der am genetischen Ursprung der Erkrankung ansetzt. Er hat in einer Phase-II-Studie gezeigt, dass er zu einer signifikanten Reduktion der Anzahl der notwendigen Operationen führt, nicht nur im Bereich der Nierentumoren, die auftreten können, sondern auch im Bereich sämtlicher anderer, mit der Krankheit assoziierten Läsionen.
Diese Patient:innen bekommen Hämangioblastome in der Wirbelsäule und im Gehirn sowie neuroendokrine Tumoren im Pankreas und in der Netzhaut. Im Lauf ihres Lebens erfahren sie bis zu 30 Operationen und versterben letztendlich oft an einem Nierenzellkarzinom (RCC), das erst spät auftritt. Belzutifan hat in der Zulassungsstudie mit knapp 40 Patient:innen nicht nur Remissionen an sämtlichen, die Erkrankung betreffenden Läsionen gezeigt, sondern auch einen eindrucksvollen Rückgang der Operations-Notwendigkeit. Eine Phase-III-Studie muss hier nicht abgewartet werden, da diese im Fall einer Orphan Disease nur schwer durchführbar wäre.
Klarzelliges RCC
Im Stadium der Metastasierung in der Erstlinie bei Patient:innen mit klarzelligem RCC (ccRCC) ist neu, dass die Kombination Nivolumab+Ipilimumab auch bei günstigem Risiko eine 1C-Empfehlung hat. Früher galt das nur bei intermediärem oder schlechtem Risiko (dafür 1A-Empfehlung). Die Änderung kommt daher, dass Patient:innen mit günstigem Risiko Teil der ITT-Population der CheckMate-214-Studie waren. Das Gesamtüberleben mit Nivolumab+Ipilimumab bei günstigem Risikoscore war 67 Monate. Außerdem kam es zu wesentlich höheren Komplettremissionsraten als im Vergleichsarm mit Sunitinib, auch die Ansprechdauer ist länger.
Zur Erstlinientherapie beim ccRCC wurde in China eine Studie mit Axitinib+Toripalimab durchgeführt. Toripalimab ist die chinesische Variante von Pembrolizumab. Die Studie war angelegt für Patient:innen mit intermediärem und schlechtem Risiko und hat einen signifikanten Benefit in Remissionsraten und progressionsfreiem Überleben gezeigt. Da es noch keine Daten zum Gesamtüberleben gibt, wird nur eine 1B-Empfehlung ausgesprochen. Toripalimab ist billiger als Pembrolizumab und kann somit für manche Länder relevant sein.
In der Zweitlinientherapie beim ccRCC wird ein Tyrosinkinase-Inhibitor empfohlen, der in der ersten Linie noch nicht gegeben wurde; die höchste Empfehlung (2B) hat Cabozantinib.
Nichtklarzelliges RCC
Beim nichtklarzelligen, in diesem Fall papillären, RCC ist die 2B-Empfehlung nach wie vor Cabozantinib, basierend auf einer randomisierten Studie vs. Sunitinib. Es wird angemerkt, dass alternativ eine Immuntherapie-TKI-Kombination verwendet werden kann: Lenvatinib-Pembrolizumab oder Cabozantinib-Nivolumab mit 3B-Empfehlung, da es sich um Phase-II-Studien gehandelt hat.
Bei den anderen nichtklarzelligen RCC gibt es keine konkrete Empfehlung. Es wird dazu geraten, diese Patient:innen in klinische Studien aufzunehmen. Beim chromophoben Typ wird ein TKI wie Sunitinib empfohlen. Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass durch den speziellen genetischen Defekt des chromophoben RCC eventuell mTOR-Inhibitoren eine Rolle spielen können. Bei Sammelrohr- und medullären RCC wird primär Chemotherapie empfohlen, alternativ auch Cabozantinib.
Liegen prädominant sarkomatoide Elemente im nichtklarzelligen RCC vor, wird eine Immuntherapie empfohlen, entweder Nivolumab, Ipilimumab oder ein TKI mit Immuntherapie wie Cabo+Nivo, Axitinib+ Pembro oder Lenvatinib+Pembro.
Girentuximab-Zirconium-PET-CT
Nicht in den Guidelines steht die Möglichkeit, einen neuen, diagnostisch relevanten Tracer einzusetzen: die Girentuximab-Zirconium-PET-CT, die ccRCC relativ verlässlich von Onkozytomen unterscheiden kann. Gerade bei kleinen Nierentumoren ist oft „active surveillance“ die Strategie der Wahl, da nicht sicher ist, ob die Tumoren bösartig sind. Die Girentuximab-PET-CT unterscheidet wesentlich verlässlicher als CT zwischen einem klarzelligen Karzinom und einem nichtklarzelligen Karzinom (Onkozytom oder nichtklarzelliges RCC). So kann aktiv entschieden werden, ob beobachtet oder therapeutisch interveniert wird.
Quelle:
Powles T et al.: Renal cell carcinoma: ESMO Clinical Practice Guideline for diagnosis, treatment and follow-up. Ann Oncol 2024
Das könnte Sie auch interessieren:
Erhaltungstherapie mit Atezolizumab nach adjuvanter Chemotherapie
Die zusätzliche adjuvante Gabe von Atezolizumab nach kompletter Resektion und adjuvanter Chemotherapie führte in der IMpower010-Studie zu einem signifikant verlängerten krankheitsfreien ...
Highlights zu Lymphomen
Assoc.Prof. Dr. Thomas Melchardt, PhD zu diesjährigen Highlights des ASCO und EHA im Bereich der Lymphome, darunter die Ergebnisse der Studien SHINE und ECHELON-1
Aktualisierte Ergebnisse für Blinatumomab bei neu diagnostizierten Patienten
Die Ergebnisse der D-ALBA-Studie bestätigen die Chemotherapie-freie Induktions- und Konsolidierungsstrategie bei erwachsenen Patienten mit Ph+ ALL. Mit einer 3-jährigen ...