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Erbliches Brustkrebsrisiko ohne nachweisbare Genmutation

<p class="article-intro">Bei rund einem Drittel der Brustkrebspatientinnen wird eine genetische Veränderung als (mit-)verursachend angesehen. Aber nur in etwa 30 % dieser Fälle kann bislang die entsprechende Genmutation identifiziert werden. Für die restlichen Erkrankungen in belasteten Familien sind die genetischen Faktoren bisher noch unentdeckt („missing heritability“). Für die neu zu entdeckenden Risikogene müssen Daten im Rahmen von prospektiven Studien erst gewonnen werden. Sie können dann von Betroffenen und deren betreuenden Ärzten als Grundlage im präferenzsensitiven Entscheidungsprozess für bzw. gegen die Inanspruchnahme risikoadaptierter präventiver Maßnahmen genutzt werden.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Bislang ist erst 1/3 dieser Risikogene identifiziert, rund 30 % aller Brust- und Eierstockkrebserkrankungen sind durch Risikogene (mit-)verursacht.</li> <li>Mittels Hochdurchsatzanalysen in gro&szlig;en Kollektiven im Rahmen internationaler Studien werden gegenw&auml;rtig neue Risikogene identifiziert.</li> <li>Moderne molekulargenetische Analyseverfahren (&bdquo;Paneldiagnostik&ldquo;) erm&ouml;glichen die Untersuchung einer Vielzahl dieser Risikogene f&uuml;r erblichen Brust- und Eierstockkrebs.</li> <li>In <em>BRCA1/2</em>-negativen Risikofamilien wird eine Kombination von moderat bis niedrig penetranten Genen als (Mit-)Verursacher des erblichen Brust- und Eierstockkrebses vermutet.</li> <li>W&auml;hrend f&uuml;r die hochpenetranten Risikogene <em>BRCA1</em> und <em>BRCA2</em> evidenzbasierte Daten f&uuml;r die nicht direktive Beratung und Pr&auml;vention von Mutationstr&auml;gerinnen vorhanden sind (z.B. altersspezifische Inzidenzen), liegen sie f&uuml;r die moderaten Risikogene noch nicht vor.</li> </ul> </div> <h2>Was wir zu genetischen Faktoren beim Mammakarzinom bereits wissen</h2> <p>Rund 30 % aller Mammakarzinompatientinnen zeigen eine famili&auml;re Belastung nach den Einschlusskriterien des Deutschen Konsortiums Famili&auml;rer Brust- und Eierstockkrebs.<sup>1, 2</sup> Diese Kriterien wurden anhand empirischer Daten zu famili&auml;ren Risikokonstellationen definiert, die mit einer mindestens 10 % igen <em>BRCA1/2</em>-Mutationsnachweisrate einhergehen und bei deren Vorliegen eine erbliche Ursache in Betracht gezogen werden sollte. Zur vereinfachten Identifikation von belasteten Familien wurde eine Checkliste entwickelt, die online abrufbar ist.<sup>3</sup> Die bisher identifizierten Risikogene erkl&auml;ren etwa 30 % der F&auml;lle in den belasteten Familien. Dabei zeigen sich die hochpenetranten Gene <em>BRCA1</em> und <em>BRCA2</em> am h&auml;ufigsten mutiert. Es sind Schl&uuml;sselgene in der DNA-Doppelstrangreparatur, die als mutierte Allele &uuml;ber einen monogenen Erbgang an 50 % der Nachkommen vererbt werden. F&uuml;r die &uuml;brigen genetisch bedingten Erkrankungen sind die verursachenden Gene noch nicht identifiziert (&bdquo;missing heritability&ldquo;) bzw. ausreichend charakterisiert. F&uuml;r diese Gene wird derzeit angenommen, dass neben den Hochrisikogenen (relatives Risiko &gt;5,0, z.B. <em>BRCA1, BRCA2</em>) eine Vielzahl von selten mutierten moderat penetranten Risikogenen (RR 1,5&ndash;5,0, z.B. <em>CHEK2, PALB2</em>) in Kombination mit einer hohen Anzahl h&auml;ufig mutierter Niedrigrisikovarianten (RR &lt;1,5, z.B. <em>FGFR2</em>) f&uuml;r die erblich bedingten Erkrankungen verantwortlich sind. Mittels NGS(&bdquo;next generation sequencing&ldquo;)-Verfahren werden heute neben <em>BRCA1</em> und <em>BRCA2</em> bereits weitere Risikogene f&uuml;r den erblichen Brust- und Eierstockkrebs untersucht (sogenannte &bdquo;Paneldiagnostik&ldquo;), die im Rahmen aktueller wissenschaftlicher Projekte derzeit identifiziert werden. Diese zus&auml;tzlichen Risikogene liegen deutlich seltener mutiert vor als <em>BRCA1</em> und <em>BRCA2</em>. Je nach Studienkollektiv zeigen in Deutschland 4&ndash;8 % der Risikofamilien urs&auml;chliche Ver&auml;nderungen in den weiteren Risikogenen. Das Deutsche Konsortium Famili&auml;rer Brust- und Eierstockkrebs hat f&uuml;r die umfassende molekulargenetische Diagnostik das &bdquo;TruRisk&reg;&ldquo;-Genpanel etabliert, welches s&auml;mtliche Risikogene ber&uuml;cksichtigt und jeweils an den aktuellen Kenntnisstand angepasst wird.</p> <h2>Das genetische Risiko kann als Chance genutzt werden</h2> <p><em>BRCA1</em>- oder <em>BRCA2</em>-Mutationstr&auml;gerinnen tragen ein lebenslang erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r die Entwicklung eines Mamma- bzw. Ovarialkarzinoms. In aktuellen Studien konnte f&uuml;r <em>BRCA1</em>-Mutationstr&auml;gerinnen ein mittleres Erkrankungsrisiko bis zum 70. Lebensjahr von 60 % (95 % CI: 44 % bis 75 % ) f&uuml;r Brustkrebs und 59 % (95 % CI: 43 % bis 76 % ) f&uuml;r Eierstockkrebs gezeigt werden. Die Risiken liegen f&uuml;r <em>BRCA2-</em>Mutationstr&auml;gerinnen bei 55 % (95 % CI: 41 % bis 70 % ) f&uuml;r Brustkrebs und 16,5 % (95 % CI: 7,5 % bis 34 % ) f&uuml;r Eierstockkrebs.<sup>4</sup> Diese lebenslangen Erkrankungsrisiken sind dar&uuml;ber hinaus vom jeweiligen Lebensalter abh&auml;ngig, das hei&szlig;t f&uuml;r <em>BRCA1</em>- und <em>BRCA2</em>-Mutationstr&auml;gerinnen, dass die Erkrankungsrisiken mit zunehmendem Lebensalter abnehmen. Wurde in einer Familie bei der Indexpatientin eine pathogene <em>BRCA1/2</em>-Mutation nachgewiesen, dann ergibt sich f&uuml;r gesunde Angeh&ouml;rige die M&ouml;glichkeit einer pr&auml;diktiven Testung. Aufgrund des autosomal dominanten Erbganges werden die Mutationen nur mit einer 50 % igen Wahrscheinlichkeit an die Nachkommen weitergegeben, womit gesunde Angeh&ouml;rige vielfach die Chance auf eine Entlastung haben. In diesen F&auml;llen sind weder intensivierte Fr&uuml;herkennungsma&szlig;nahmen notwendig noch prophylaktische Operationen indiziert. Wird die familienspezifische <em>BRCA1/2</em>-Mutation bei der Ratsuchenden nachgewiesen, dann kann dies in einer Familie mit vielen Erkrankten die Chance bedeuten, proaktiv nach nicht direktiven Beratungen einen individuellen Weg zu pr&auml;ventiven Ma&szlig;nahmen zu gehen. So kann sie beispielsweise an einem risikoadaptierten intensivierten Brustkrebsfr&uuml;herkennungsprogramm in einem der 17 spezialisierten Zentren f&uuml;r Famili&auml;ren Brust- und Eierstockkrebs teilnehmen. Alternativ stehen risikoreduzierende Operationsverfahren, wie die prophylaktische beidseitige Mastektomie (PBM) bzw. die prophylaktische kontralaterale Mastektomie, f&uuml;r unilateral bereits erkrankte Frauen zur Verf&uuml;gung. Hierbei arbeitet das Konsortium eng mit ausgewiesenen Brustzentren und Krebszentren zusammen. Die kontralaterale prophylaktische Mastektomie kann f&uuml;r einseitig erkrankte <em>BRCA</em>-Mutationstr&auml;gerinnen unter bestimmten Bedingungen einen &Uuml;berlebensvorteil darstellen.<sup>5</sup> Die prophylaktische Entfernung der Eierst&ouml;cke und Eileiter (PBSO) ist derzeit noch alternativlos, da keine effizienten Fr&uuml;herkennungsma&szlig;nahmen f&uuml;r das Ovarialkarzinom bestehen. Die PBM senkt das Risiko f&uuml;r ein Mammakarzinom um mehr als 95 % .<sup>6</sup> Die PBSO vermindert das Ovarialkarzinomrisiko bei gesunden <em>BRCA1/2</em>-Mutationstr&auml;gerinnen um ca. 97 % . Zus&auml;tzlich wird durch die PBSO das Brustkrebsrisiko um 50 % und das Risiko f&uuml;r ein kontralaterales Zweitkarzinom um 30 bis 50 % reduziert.<sup>7</sup> Empfohlen wird die PBSO um das 40. Lebensjahr bzw. nach abgeschlossener Familienplanung. Die Entscheidung f&uuml;r bzw. gegen die Inanspruchnahme einer prophylaktischen Operation sollte auf einer individuellen Risikoeinsch&auml;tzung basieren. Hierbei ist es wichtig, die Patientin &uuml;ber absolute Erkrankungsrisiken f&uuml;r einen &uuml;berschaubaren Zeitraum (z.B. die n&auml;chsten 5 bis 10 Jahre) aufzukl&auml;ren. Gemeinsam mit der Ratsuchenden erfolgt eine individuelle Bewertung inklusive eines Angebotes zur zus&auml;tzlichen psychosozialen Beratung als weitere Basis f&uuml;r eine langfristig tragf&auml;hige Entscheidung der Frau.</p> <h2>K&ouml;nnen Pr&auml;ventionsangebote f&uuml;r <em>BRCA1/2-</em>Mutation auf Menschen mit Mutationen in anderen Genen &uuml;bertragen werden?</h2> <p>F&uuml;r die &bdquo;neuen Risikogene&ldquo;, die aufgrund der sich rasant entwickelnden technischen M&ouml;glichkeiten der molekulargenetischen Diagnostik in K&uuml;rze in einer Vielzahl identifiziert werden, liegen zuvor er&ouml;rterte essenzielle Daten noch nicht vor. Die lebenslangen Erkrankungsrisiken sind im Vergleich zu Frauen mit einer<em> BRCA1</em>- oder <em>BRCA2</em>-Mutation niedriger, allerdings gibt es &uuml;berwiegend keine Angaben zu altersabh&auml;ngigen Erkrankungsrisiken. Diese sind aber Grundlage f&uuml;r eine lebenslang tragf&auml;hige Entscheidung &uuml;ber einen nicht r&uuml;ckg&auml;ngig zu machenden operativen Eingriff. Entscheidet sich eine gesunde Mutationstr&auml;gerin in einem fortgeschrittenen Lebensalter f&uuml;r eine prophylaktische Mastektomie, wenn ihr verbleibendes Lebenszeitrisiko dem Restrisiko nach einer prophylaktischen Brustgewebsentfernung entspricht? Ist die Entscheidung f&uuml;r eine prophylaktische Mastektomie einer gesunden <em>BRCA</em>-Mutationstr&auml;gerin Anfang 20 mit einer ca. 1 % igen Erkrankungswahrscheinlichkeit im kommenden Lebensjahr dringlich oder erm&ouml;glicht ihr diese statistische Wahrscheinlichkeit auf dem Boden ihres Stammbaumes und der Mutation, die Entscheidung zu vertagen und auf ihre aktuelle Lebenssituation abzustimmen? Vermutlich ist doch eine Intervention zum pers&ouml;nlich ung&uuml;nstigen Zeitpunkt sch&auml;dlicher, als keine Intervention vornehmen zu lassen. Die Mitteilung der absoluten Erkrankungsrisiken f&uuml;r den &uuml;berschaubaren Zeitraum kann ihr Zeit f&uuml;r Beratungen und Abw&auml;gung verschaffen. Zu den notwendigen Informationen f&uuml;r einen informierten Entscheidungsprozess geh&ouml;ren auch der Ph&auml;notyp (z.B. TNBC), der Erkrankungsverlauf/die Prognose, die Effizienz von Fr&uuml;herkennungsma&szlig;nahmen und das Ansprechen auf eine Therapie (z.B. PARP-Inhibitoren). Als Beispiel sei hier das moderate Risikogen <em>RAD51C</em> genannt. Seine Identifikation gelang im Jahr 2010 im Deutschen Konsortium.<sup>8</sup> Es liegt vermutlich in &lt;1 % der belasteten Familien mutiert vor. Bislang konnten international ca. 80 Familien mit einer Mutation im <em>RAD51C-</em>Gen ausgewertet werden und es ergab sich &uuml;berwiegend der histologische Ph&auml;notyp eines Luminal-A-Mammakarzinoms.<sup>9</sup> In die Entscheidung f&uuml;r oder gegen eine prophylaktische Operation sollte die Information zum erwarteten Ph&auml;notyp einflie&szlig;en. Eine Entscheidung k&ouml;nnte bei einer zu erwartenden Erkrankung an einem Luminal-A-Mammakarzinom, welches der intensivierten Fr&uuml;herkennung gut zug&auml;nglich ist und eine gute Prognose meist ohne Einsatz einer Chemotherapie bedeutet, anders ausfallen, als wenn ein TNBC auftreten k&ouml;nnte. <br /> Solange solche Daten nicht vorliegen, k&ouml;nnen klinische Empfehlungen nur in begrenztem Umfang diskutiert werden, sicher aber nicht einfach vom &bdquo;Beispiel <em>BRCA1/2</em>&ldquo; &uuml;bertragen werden. Die derzeit 17 spezialisierten Zentren des Deutschen Konsortiums Famili&auml;rer Brust- und Eierstockkrebs bieten seit Mitte der 1990er-Jahre etablierte Strukturen f&uuml;r die Beratung und Betreuung von Betroffenen sowie eine Basis f&uuml;r die Erforschung der neuen Risikogene und die Translation dieser Erkenntnisse in risikoadaptierte Versorgungskonzepte.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Meindl A et al: Hereditary breast and ovarian cancer: new genes, new treatments, new concepts. Dtsch Arztebl Int 2011; 108(19): 323-30<br /><strong>2</strong> Kast K et al: Prevalence of BRCA 1/2 germline mutations in 21401 families with breast and ovarian cancer. J Med Genet 2016; 53(7): 465-71<br /><strong>3</strong> <a href="http:/www.konsortium-familiaerer-brustkrebs.de/" target="_blank">http://www.konsortium-familiaerer-brustkrebs.de/</a><br /><strong>4</strong> Mavaddat N et al: Cancer risks for BRCA1 and BRCA2 mutation carriers: results from prospective analysis of EMBRACE. Journal of the National Cancer Institute 2013; 105(11): 812-22<br /><strong>5</strong> Heemskerk-Gerritsen BA et al: Improved overall survival after contralateral risk-reducing mastectomy in BRCA1/2 mutation carriers with a history of unilateral breast cancer: a prospective analysis. Int J Cancer 2015; 136(3): 668-77<br /><strong>6</strong> Meijers-Heijboer H et al: Breast cancer after prophylactic bilateral mastectomy in women with BRCA1 and BRCA2 mutation. N Engl J Med 2001; 345: 159-64<br /><strong>7</strong> Domchek SM et al: Association of risk-reducing surgery in BRCA1 or BRCA2 mutation carriers with cancer risk and mortality. JAMA 2010; 304: 967-75<br /><strong>8</strong> Meindl A et al: Germline mutations in breast and ovarian cancer pedigrees establish RAD51C as a human cancer susceptibility gene. Nat Genet 2010; 42(5): 410-4<br /><strong>9</strong> Gevensleben H et al: Pathological features of breast and ovarian cancers in RAD51C germline mutation carriers. Virchows Arch 2014; 465(3): 365-9</p> </div> </p>
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