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Entwicklung von onkolytischen Influenza-A-Viren

<p class="article-intro">Die Fähigkeit von Viren, Krebszellen zu töten, wurde bereits vor über einem Jahrhundert erstmalig beschrieben. Hingegen wurden therapeutische Effekte beim Menschen im Rahmen klinischer Studien erst in der letzten Dekade gezeigt.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Genetisch modifizierte onkolytische Influenza-A-Viren zeigen selektive Replikation in Tumorzellen.</li> <li>Genetisch modifizierte onkolytische Influenza-A-Viren k&ouml;nnen im Tumorgewebe leichter aktiviert werden.</li> <li>Onkolytische Influenza-A-Viren k&ouml;nnen mit immunstimulierenden Zytokinen &bdquo;bewaffnet&ldquo; werden.</li> <li>Onkolytische Influenza-A-Viren k&ouml;nnen in einem ausreichend hohen Ma&szlig; und stabil f&uuml;r eine gute Herstellungspraxis (GMP) industriell produziert werden.</li> </ul> </div> <h2>Meilenstein in der onkolytischen Virustherapie</h2> <p>Einen Meilenstein bedeutete die Zulassung des ersten onkolytischen Virus durch die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) zur Therapie eines Malignoms im Jahr 2015.<sup>1</sup> Es handelt sich dabei um ein abgeschw&auml;chtes Herpessimplex- Virus 1 (HSV-1), welches den Botenstoff Granulozyten-Monozyten-Kolonie- stimulierender Faktor (GM-CSF) exprimiert. Dieser Botenstoff ist unter anderem f&uuml;r das Wachstum und die Differenzierung von dendritischen Zellen verantwortlich. Die Zulassung dieses &bdquo;Talimogene laherparepvec&ldquo;-Virus (T-VEC) beruhte auf einer signifikanten Verl&auml;ngerung des Gesamt&uuml;berlebens nach intratumoraler Applikation im Melanom-Stadium IIIB und IV.<br /> Seit diesem klinischen Durchbruch erfuhr das Gebiet der onkolytischen Virustherapie einen enormen Aufschwung und erweckte gro&szlig;es Interesse im Bereich der Onkologie. Dieses gro&szlig;e Interesse beruht unter anderem auf der Tatsache, dass die onkolytische Virustherapie dem klinischen Bereich der Immuntherapie zuzuordnen ist, welche seit der Einf&uuml;hrung der sogenannten Immuncheckpoint-Inhibitoren in das Epizentrum der Onkologie vorgedrungen ist.<sup>2</sup> Die Entwicklung von Immuncheckpoint- Inhibitoren beruht auf der Erkenntnis von der Bedeutung des Immunsystems, im Speziellen der T-Lymphozyten und deren Assoziation mit einer besseren Prognose bei verschiedenen Krebserkrankungen. Diesbez&uuml;glich ist als Vorreiter das kolorektale Karzinom zu nennen, bei dem erstmalig gezeigt werden konnte, dass Tumor-infiltrierende T-Zellen ein besserer prognostischer Faktor f&uuml;r das Gesamt&uuml;berleben sind als die konventionelle &bdquo;American Joint Committee on Cancer (AJCC)/Union for International Cancer Control&ldquo;(UICC)-TNM-Klassifikation.<sup>3</sup></p> <h2>Onkolytische Viren induzieren eine lokale und systemische Antitumorimmunit&auml;t</h2> <p>Der therapeutische Effekt einer onkolytischen Virustherapie beruht auf zwei verschiedenen Mechanismen:</p> <ol type="a"> <li>Einerseits verursacht das Virus eine lytische Zerst&ouml;rung der Tumorzellen,</li> <li>andererseits induziert dieser immunogene Zelltod der Tumorzellen eine systemische Immunreaktion des K&ouml;rpers gegen den Tumor (Abb. 1).</li> </ol> <p>Somit entsteht aus einer prim&auml;r lokalen Immuntherapie ein systemisch bleibender und lang anhaltender Antitumoreffekt. Im Jahr 2017 konnte weiters erstmalig gezeigt werden, dass eine Kombinationstherapie mit dem klinisch zugelassenen TVEC- Virus und einem Immuncheckpoint- Inhibitor, einem Antik&ouml;rper gegen das Programmierter-Zelltod-Protein 1 (PD-1), den therapeutischen Effekt der onkolytischen Virustherapie in einer klinischen Studie deutlich verbessern konnte.<sup>4</sup> Unter dieser Kombinationstherapie konnte bei 33 % der Patienten mit einem metastasierten Melanom eine komplette Remission erzielt werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Onko_1804_Weblinks_s62_abb1.jpg" alt="" width="1419" height="806" /></p> <h2>Rationale zur Entwicklung von onkolytischen Influenza-A-Viren</h2> <p>Derzeit befindet sich eine gro&szlig;e Anzahl von verschiedenen onkolytischen Viren in der klinischen Pr&uuml;fung. Diese Liste inkludiert unter anderem Adenoviren, Herpesviren und Vacciniaviren. Erstaunlicherweise beinhaltet diese Liste nicht die Gruppe der Influenza-A-Viren.<sup>5</sup> Das Influenza- A-Virus weist jedoch eine Reihe von Vorteilen gegen&uuml;ber allen anderen derzeit existierenden onkolytischen Viren auf (Abb. 2):</p> <ol> <li>Es besitzt per se eine lytische Eigenschaft;</li> <li>es ist ein kleines RNA-Virus, bei dem das gesamte Genom bekannt ist;</li> <li>es gibt mehrere serologische Subtypen (z.B. H1N1 etc.), ein Umstand, der das Problem einer pr&auml;existierenden Immunit&auml;t des K&ouml;rpers gegen das Virus minimal erscheinen l&auml;sst;</li> <li>es ist ein sehr effektives Immunstimulans;</li> <li>es weist eine hohe Stabilit&auml;t auf und ist somit als Lebendimpfstoff geeignet und</li> <li>es ist sehr einfach genetisch zu manipulieren, um es f&uuml;r eine gute Herstellungspraxis (GMP) zu ver&auml;ndern und in einem ausreichend hohen Ausma&szlig; industriell produzieren zu k&ouml;nnen.</li> </ol> <p>In Zusammenschau all dieser Fakten stellt die Entwicklung eines onkolytischen Influenza-A-Virus eine h&ouml;chst attraktive Alternative zu allen bisher am Markt existierenden Virustherapien dar.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Onko_1804_Weblinks_s62_abb2.jpg" alt="" width="1419" height="717" /></p> <h2>Konzept 1: selektive Virusvermehrung in Tumorzellen</h2> <p>Bezugnehmend auf das Konzept der Entwicklung eines onkolytischen Influenza- A-Virus ist es zun&auml;chst wichtig, sicherzustellen, dass das Virus sich selektiv in Tumorzellen vermehrt und gesunde Zellen weitgehend verschont werden. In diesem Zusammenhang machte man von dem nat&uuml;rlich auftretenden Ph&auml;nomen Gebrauch, dass eine Virusinfektion in einer gesunden Zelle in der Regel eine starke nat&uuml;rliche Immunabwehr erzeugt. Interessanterweise ist dieser antivirale Abwehrmechanismus in Tumorzellen aufgrund ihrer Entartung verloren gegangen.<br /> Unabh&auml;ngig davon kodiert das Influenza- A-Virus Proteine, wie zum Beispiel das nicht strukturelle Protein 1 (NS1), welche das Immunsystem hemmen, sodass eine virale Replikation ungest&ouml;rt stattfinden kann. In Zusammenarbeit mit Prof. Andrej Egorov (Research Institute of Influenza, St. Petersburg, Russland) haben wir durch genetische Manipulation im Virus dieses immunsuppressive NS1-Gen deletiert und somit das erste onkolytische Influenza-AVirus erzeugt (delNS1-Virus).<sup>6&ndash;8</sup> Dieses Virus ist in seiner Pathogenit&auml;t gegen&uuml;ber gesunden Zellen stark abgeschw&auml;cht, da es eine starke antivirale Immunantwort ausl&ouml;st. Auf der anderen Seite kann es jedoch in Tumorzellen sehr gut wachsen, da diese keine ad&auml;quaten antiviralen Abwehrmechanismen mehr besitzen. Dieser Tumor-selektive Effekt konnte in zwei verschiedenen Tumormausmodellen eindrucksvoll gezeigt werden.<sup>9, 10</sup> Konzept 2: Erleichterung der Virusaufnahme in die Tumorzelle Neben einer selektiven Virusvermehrung in Tumorzellen ist es f&uuml;r die onkolytische Virustherapie auch w&uuml;nschenswert, dass die Virusaufnahme in die Tumorzelle erleichtert wird. Das Eindringen des Influenza- A-Virus in eine Zelle erfolgt mittels des viralen Glykoproteins H&auml;magglutinin (HA). Dieses Protein befindet sich an der Oberfl&auml;che des Virus und bindet an Sialins&auml;uren (SA). Das Eindringen des Virus in die Zielzelle erfolgt allerdings nur, wenn das virale HA durch eine Serinprotease (z.B. Trypsin) gespalten wird. Das Vorhandensein von solchen Proteasen bestimmt daher die Gewebespezifit&auml;t des Virus. Diese Abh&auml;ngigkeit von einer Protease kann nun ausgenutzt werden, damit ein onkolytisches Virus noch spezifischer im Tumorgewebe w&auml;chst.<br /> Tumorgewebe besteht nicht nur aus Tumorzellen, sondern auch aus einer Vielzahl von Immunzellen, unter anderem aus neutrophilen Granulozyten. Neutrophile Granulozyten produzieren Proteasen, wie zum Beispiel Elastase. Wir haben nun Influenza- A-Viren konstruiert, bei denen das HA nicht durch Trypsin, sondern durch Elastase gespalten und damit aktiviert wird. Dies gelang durch den Austausch der Trypsin-spezifischen Schnittstelle durch eine Elastase-spezifische Schnittstelle am viralen HA eines onkolytischen Influenza-A-Prototyp-Virus.<sup>11</sup> Dieses onkolytische Virus ist somit nur mehr in der Lage, in der Anwesenheit von Elastase, welche von aktivierten Tumor-infiltrierenden neutrophilen Granulozyten ausgesch&uuml;ttet wird, infekti&ouml;s zu sein. Diesbez&uuml;glich konnte in einem Tumormausmodell ein therapeutischer Vorteil gegen&uuml;ber einem konventionellen onkolytischen Influenza- A-Virus gezeigt werden. Wesentlich ist auch, dass ein Influenza-A-Virus, welches ein HA mit einer Elastase-Schnittstelle kodiert, in normalem Gewebe abgeschw&auml;cht wird. Somit wird durch denselben Mechanismus, der dem Virus einen Vorteil als Antitumortherapeutikum bringt, das Virus in normalem Gewebe abgeschw&auml;cht.</p> <h2>Konzept 3: Erh&ouml;hung der Virusimmunstimulierenden Wirkung</h2> <p>Auf Basis der Erkenntnis, dass das Immunsystem, im Speziellen die T-Zellen, von enormer Bedeutung f&uuml;r den therapeutisch lang anhaltenden Effekt einer onkolytischen Virustherapie ist, kam das Bestreben auf, diese Immunaktivierung zu verst&auml;rken.<br /> Hier sind jene Zytokine, welche T-Zellen effektiv aktivieren, von besonderem Interesse. Eines dieser T-Lymphozytenstimulierenden Zytokine ist Interleukin 15 (IL-15). Die Expression dieses Zytokins ist beim Kolonkarzinom mit einem verl&auml;ngerten krankheitsfreien &Uuml;berleben assoziiert.<sup>12</sup><br /> Wir haben nun durch genetische Manipulation ein onkolytisches Influenza-AVirus konstruiert, welches f&uuml;r IL-15 kodiert.<sup>13</sup> Infiziert ein solches Virus eine Tumorzelle, so wird im Tumorgewebe IL- 15 sezerniert. Wir konnten nun in pr&auml;klinischen Modellen zeigen, dass dieses &bdquo;bewaffnete onkolytische Virus&ldquo; das Immunsystem allgemein, aber auch im Tumor wesentlich besser stimuliert. Dieses IL- 15-produzierende Influenza-A-Virus hatte ebenso einen signifikant gesteigerten therapeutischen Antitumoreffekt.</p> <h2>Konzept 4: Optimierung des Viruswachstums</h2> <p>Aufgrund der Tatsache, dass das onkolytische Influenza-A-Virus (delNS1-Virus) in seiner nat&uuml;rlichen Pathogenit&auml;t sehr stark abgeschw&auml;cht ist, k&ouml;nnen das Viruswachstum und damit dessen industrielle Produktion stark beeintr&auml;chtigt sein. Um ein Virus klinisch einsetzen zu k&ouml;nnen, muss es in einem hohen Titer produziert werden k&ouml;nnen. Weiters muss dieser hohe Titer ebenso noch nach der Virusaufreinigung vorhanden sein. Insbesondere Letzteres stellte bisher ein Problem dar, da notwendige Aufreinigungsschritte h&auml;ufig auch das Virus selbst beeintr&auml;chtigen. Unser Kooperationspartner Prof. Andrej Egorov hat Viren mit Teildeletionen im NS1- Gen konstruiert, welche ein optimales Wachstum in der Produktion aufweisen. Des Weiteren wurden Virusaufreinigungsschritte entwickelt, welche den Virustiter kaum beeintr&auml;chtigen. Somit wurden Produktions- und Aufreinigungs-Protokolle entwickelt, welche nun die Anwendung des onkolytischen Influenza-A-Virus beim Menschen erm&ouml;glichen. Im Rahmen des Start-ups Vacthera GmbH Wien sollen nun onkolytische Influenzaviren f&uuml;r die klinische Anwendung entwickelt und getestet werden. <br /><br /> <strong>Conflicts of interest:</strong> Michael Bergmann und Andrej Egorov sind Gr&uuml;nder der Firma Vacthera GmbH Wien.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Andtbacka R HI et al.: Talimogene laherparepvec improves durable response rate in patients with advanced melanoma. J Clin Oncol 2015; 33: 2780-8 <strong>2</strong> Mahoney KM et al.: Combination cancer immunotherapy and new immunomodulatory targets. Nat Rev Drug Discov 2015; 14: 561-84 <strong>3</strong> Mlecnik B et al.: Histopathologic-based prognostic factors of colorectal cancers are associated with the state of the local immune reaction. J Clin Oncol 2011; 29: 610-8 <strong>4</strong> Ribas A et al.: Oncolytic virotherapy promotes intratumoral T cell infiltration and improves anti-PD-1 immunotherapy. Cell 2017; 170: 1109-9 <strong>5</strong> Kaufman HL et al.: Oncolytic viruses: a new class of immunotherapy drugs. Nat Rev Drug Discov 2015; 14: 642-62 <strong>6</strong> Garc&iacute;a- Sastre A et al.: Influenza A virus lacking the NS1 gene replicates in interferon-deficient systems. Virology 1998; 252: 324-30 <strong>7</strong> Bergmann M et al.: Influenza virus NS1 protein counteracts PKR-mediated inhibition of replication. J Virol 2000; 74: 6203-6 <strong>8</strong> Egorov A et al.: Transfectant influenza A viruses with long deletions in the NS1 protein grow efficiently in Vero cells. J Virol 1998; 72: 6437-41 <strong>9</strong> Muster T et al.: Interferon resistance promotes oncolysis by influenza virus NS1-deletion mutants. Int J Cancer 2004; 110: 15-21 <strong>10</strong> Bergmann M et al.: A genetically engineered influenza A virus with ras-dependent oncolytic properties. Cancer Res 2001; 61: 8188-93 <strong>11</strong> Kuznetsova I et al.: Targeting an oncolytic influenza A virus to tumor tissue by elastase. Mol Ther Oncolytics 2017; 7: 37-44 <strong>12</strong> Mlecnik B et al.: Functional network pipeline reveals genetic determinants associated with in situ lymphocyte proliferation and survival of cancer patients. Sci Transl Med 2014; 6: 228ra37 <strong>13</strong> Hock K et al.: Oncolytic influenza A virus expressing interleukin-15 decreases tumor growth in vivo. Surgery 2017; 161: 735-46</p> </div> </p>
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