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Entwicklung von onkolytischen Influenza-A-Viren
Jatros
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Michael Bergmann
E-Mail: michael.bergmann@meduniwien.ac.at<br> Klinische Abteilung für Allgemeinchirurgie<br> Universitätsklinik für Chirurgie<br> Comprehensive Cancer Center Wien<br> Medizinische Universität Wien
Autor:
Dr. Johannes Längle
E-Mail: johannes.laengle@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
12.07.2018
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<p class="article-intro">Die Fähigkeit von Viren, Krebszellen zu töten, wurde bereits vor über einem Jahrhundert erstmalig beschrieben. Hingegen wurden therapeutische Effekte beim Menschen im Rahmen klinischer Studien erst in der letzten Dekade gezeigt.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Genetisch modifizierte onkolytische Influenza-A-Viren zeigen selektive Replikation in Tumorzellen.</li> <li>Genetisch modifizierte onkolytische Influenza-A-Viren können im Tumorgewebe leichter aktiviert werden.</li> <li>Onkolytische Influenza-A-Viren können mit immunstimulierenden Zytokinen „bewaffnet“ werden.</li> <li>Onkolytische Influenza-A-Viren können in einem ausreichend hohen Maß und stabil für eine gute Herstellungspraxis (GMP) industriell produziert werden.</li> </ul> </div> <h2>Meilenstein in der onkolytischen Virustherapie</h2> <p>Einen Meilenstein bedeutete die Zulassung des ersten onkolytischen Virus durch die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) zur Therapie eines Malignoms im Jahr 2015.<sup>1</sup> Es handelt sich dabei um ein abgeschwächtes Herpessimplex- Virus 1 (HSV-1), welches den Botenstoff Granulozyten-Monozyten-Kolonie- stimulierender Faktor (GM-CSF) exprimiert. Dieser Botenstoff ist unter anderem für das Wachstum und die Differenzierung von dendritischen Zellen verantwortlich. Die Zulassung dieses „Talimogene laherparepvec“-Virus (T-VEC) beruhte auf einer signifikanten Verlängerung des Gesamtüberlebens nach intratumoraler Applikation im Melanom-Stadium IIIB und IV.<br /> Seit diesem klinischen Durchbruch erfuhr das Gebiet der onkolytischen Virustherapie einen enormen Aufschwung und erweckte großes Interesse im Bereich der Onkologie. Dieses große Interesse beruht unter anderem auf der Tatsache, dass die onkolytische Virustherapie dem klinischen Bereich der Immuntherapie zuzuordnen ist, welche seit der Einführung der sogenannten Immuncheckpoint-Inhibitoren in das Epizentrum der Onkologie vorgedrungen ist.<sup>2</sup> Die Entwicklung von Immuncheckpoint- Inhibitoren beruht auf der Erkenntnis von der Bedeutung des Immunsystems, im Speziellen der T-Lymphozyten und deren Assoziation mit einer besseren Prognose bei verschiedenen Krebserkrankungen. Diesbezüglich ist als Vorreiter das kolorektale Karzinom zu nennen, bei dem erstmalig gezeigt werden konnte, dass Tumor-infiltrierende T-Zellen ein besserer prognostischer Faktor für das Gesamtüberleben sind als die konventionelle „American Joint Committee on Cancer (AJCC)/Union for International Cancer Control“(UICC)-TNM-Klassifikation.<sup>3</sup></p> <h2>Onkolytische Viren induzieren eine lokale und systemische Antitumorimmunität</h2> <p>Der therapeutische Effekt einer onkolytischen Virustherapie beruht auf zwei verschiedenen Mechanismen:</p> <ol type="a"> <li>Einerseits verursacht das Virus eine lytische Zerstörung der Tumorzellen,</li> <li>andererseits induziert dieser immunogene Zelltod der Tumorzellen eine systemische Immunreaktion des Körpers gegen den Tumor (Abb. 1).</li> </ol> <p>Somit entsteht aus einer primär lokalen Immuntherapie ein systemisch bleibender und lang anhaltender Antitumoreffekt. Im Jahr 2017 konnte weiters erstmalig gezeigt werden, dass eine Kombinationstherapie mit dem klinisch zugelassenen TVEC- Virus und einem Immuncheckpoint- Inhibitor, einem Antikörper gegen das Programmierter-Zelltod-Protein 1 (PD-1), den therapeutischen Effekt der onkolytischen Virustherapie in einer klinischen Studie deutlich verbessern konnte.<sup>4</sup> Unter dieser Kombinationstherapie konnte bei 33 % der Patienten mit einem metastasierten Melanom eine komplette Remission erzielt werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Onko_1804_Weblinks_s62_abb1.jpg" alt="" width="1419" height="806" /></p> <h2>Rationale zur Entwicklung von onkolytischen Influenza-A-Viren</h2> <p>Derzeit befindet sich eine große Anzahl von verschiedenen onkolytischen Viren in der klinischen Prüfung. Diese Liste inkludiert unter anderem Adenoviren, Herpesviren und Vacciniaviren. Erstaunlicherweise beinhaltet diese Liste nicht die Gruppe der Influenza-A-Viren.<sup>5</sup> Das Influenza- A-Virus weist jedoch eine Reihe von Vorteilen gegenüber allen anderen derzeit existierenden onkolytischen Viren auf (Abb. 2):</p> <ol> <li>Es besitzt per se eine lytische Eigenschaft;</li> <li>es ist ein kleines RNA-Virus, bei dem das gesamte Genom bekannt ist;</li> <li>es gibt mehrere serologische Subtypen (z.B. H1N1 etc.), ein Umstand, der das Problem einer präexistierenden Immunität des Körpers gegen das Virus minimal erscheinen lässt;</li> <li>es ist ein sehr effektives Immunstimulans;</li> <li>es weist eine hohe Stabilität auf und ist somit als Lebendimpfstoff geeignet und</li> <li>es ist sehr einfach genetisch zu manipulieren, um es für eine gute Herstellungspraxis (GMP) zu verändern und in einem ausreichend hohen Ausmaß industriell produzieren zu können.</li> </ol> <p>In Zusammenschau all dieser Fakten stellt die Entwicklung eines onkolytischen Influenza-A-Virus eine höchst attraktive Alternative zu allen bisher am Markt existierenden Virustherapien dar.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Onko_1804_Weblinks_s62_abb2.jpg" alt="" width="1419" height="717" /></p> <h2>Konzept 1: selektive Virusvermehrung in Tumorzellen</h2> <p>Bezugnehmend auf das Konzept der Entwicklung eines onkolytischen Influenza- A-Virus ist es zunächst wichtig, sicherzustellen, dass das Virus sich selektiv in Tumorzellen vermehrt und gesunde Zellen weitgehend verschont werden. In diesem Zusammenhang machte man von dem natürlich auftretenden Phänomen Gebrauch, dass eine Virusinfektion in einer gesunden Zelle in der Regel eine starke natürliche Immunabwehr erzeugt. Interessanterweise ist dieser antivirale Abwehrmechanismus in Tumorzellen aufgrund ihrer Entartung verloren gegangen.<br /> Unabhängig davon kodiert das Influenza- A-Virus Proteine, wie zum Beispiel das nicht strukturelle Protein 1 (NS1), welche das Immunsystem hemmen, sodass eine virale Replikation ungestört stattfinden kann. In Zusammenarbeit mit Prof. Andrej Egorov (Research Institute of Influenza, St. Petersburg, Russland) haben wir durch genetische Manipulation im Virus dieses immunsuppressive NS1-Gen deletiert und somit das erste onkolytische Influenza-AVirus erzeugt (delNS1-Virus).<sup>6–8</sup> Dieses Virus ist in seiner Pathogenität gegenüber gesunden Zellen stark abgeschwächt, da es eine starke antivirale Immunantwort auslöst. Auf der anderen Seite kann es jedoch in Tumorzellen sehr gut wachsen, da diese keine adäquaten antiviralen Abwehrmechanismen mehr besitzen. Dieser Tumor-selektive Effekt konnte in zwei verschiedenen Tumormausmodellen eindrucksvoll gezeigt werden.<sup>9, 10</sup> Konzept 2: Erleichterung der Virusaufnahme in die Tumorzelle Neben einer selektiven Virusvermehrung in Tumorzellen ist es für die onkolytische Virustherapie auch wünschenswert, dass die Virusaufnahme in die Tumorzelle erleichtert wird. Das Eindringen des Influenza- A-Virus in eine Zelle erfolgt mittels des viralen Glykoproteins Hämagglutinin (HA). Dieses Protein befindet sich an der Oberfläche des Virus und bindet an Sialinsäuren (SA). Das Eindringen des Virus in die Zielzelle erfolgt allerdings nur, wenn das virale HA durch eine Serinprotease (z.B. Trypsin) gespalten wird. Das Vorhandensein von solchen Proteasen bestimmt daher die Gewebespezifität des Virus. Diese Abhängigkeit von einer Protease kann nun ausgenutzt werden, damit ein onkolytisches Virus noch spezifischer im Tumorgewebe wächst.<br /> Tumorgewebe besteht nicht nur aus Tumorzellen, sondern auch aus einer Vielzahl von Immunzellen, unter anderem aus neutrophilen Granulozyten. Neutrophile Granulozyten produzieren Proteasen, wie zum Beispiel Elastase. Wir haben nun Influenza- A-Viren konstruiert, bei denen das HA nicht durch Trypsin, sondern durch Elastase gespalten und damit aktiviert wird. Dies gelang durch den Austausch der Trypsin-spezifischen Schnittstelle durch eine Elastase-spezifische Schnittstelle am viralen HA eines onkolytischen Influenza-A-Prototyp-Virus.<sup>11</sup> Dieses onkolytische Virus ist somit nur mehr in der Lage, in der Anwesenheit von Elastase, welche von aktivierten Tumor-infiltrierenden neutrophilen Granulozyten ausgeschüttet wird, infektiös zu sein. Diesbezüglich konnte in einem Tumormausmodell ein therapeutischer Vorteil gegenüber einem konventionellen onkolytischen Influenza- A-Virus gezeigt werden. Wesentlich ist auch, dass ein Influenza-A-Virus, welches ein HA mit einer Elastase-Schnittstelle kodiert, in normalem Gewebe abgeschwächt wird. Somit wird durch denselben Mechanismus, der dem Virus einen Vorteil als Antitumortherapeutikum bringt, das Virus in normalem Gewebe abgeschwächt.</p> <h2>Konzept 3: Erhöhung der Virusimmunstimulierenden Wirkung</h2> <p>Auf Basis der Erkenntnis, dass das Immunsystem, im Speziellen die T-Zellen, von enormer Bedeutung für den therapeutisch lang anhaltenden Effekt einer onkolytischen Virustherapie ist, kam das Bestreben auf, diese Immunaktivierung zu verstärken.<br /> Hier sind jene Zytokine, welche T-Zellen effektiv aktivieren, von besonderem Interesse. Eines dieser T-Lymphozytenstimulierenden Zytokine ist Interleukin 15 (IL-15). Die Expression dieses Zytokins ist beim Kolonkarzinom mit einem verlängerten krankheitsfreien Überleben assoziiert.<sup>12</sup><br /> Wir haben nun durch genetische Manipulation ein onkolytisches Influenza-AVirus konstruiert, welches für IL-15 kodiert.<sup>13</sup> Infiziert ein solches Virus eine Tumorzelle, so wird im Tumorgewebe IL- 15 sezerniert. Wir konnten nun in präklinischen Modellen zeigen, dass dieses „bewaffnete onkolytische Virus“ das Immunsystem allgemein, aber auch im Tumor wesentlich besser stimuliert. Dieses IL- 15-produzierende Influenza-A-Virus hatte ebenso einen signifikant gesteigerten therapeutischen Antitumoreffekt.</p> <h2>Konzept 4: Optimierung des Viruswachstums</h2> <p>Aufgrund der Tatsache, dass das onkolytische Influenza-A-Virus (delNS1-Virus) in seiner natürlichen Pathogenität sehr stark abgeschwächt ist, können das Viruswachstum und damit dessen industrielle Produktion stark beeinträchtigt sein. Um ein Virus klinisch einsetzen zu können, muss es in einem hohen Titer produziert werden können. Weiters muss dieser hohe Titer ebenso noch nach der Virusaufreinigung vorhanden sein. Insbesondere Letzteres stellte bisher ein Problem dar, da notwendige Aufreinigungsschritte häufig auch das Virus selbst beeinträchtigen. Unser Kooperationspartner Prof. Andrej Egorov hat Viren mit Teildeletionen im NS1- Gen konstruiert, welche ein optimales Wachstum in der Produktion aufweisen. Des Weiteren wurden Virusaufreinigungsschritte entwickelt, welche den Virustiter kaum beeinträchtigen. Somit wurden Produktions- und Aufreinigungs-Protokolle entwickelt, welche nun die Anwendung des onkolytischen Influenza-A-Virus beim Menschen ermöglichen. Im Rahmen des Start-ups Vacthera GmbH Wien sollen nun onkolytische Influenzaviren für die klinische Anwendung entwickelt und getestet werden. <br /><br /> <strong>Conflicts of interest:</strong> Michael Bergmann und Andrej Egorov sind Gründer der Firma Vacthera GmbH Wien.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Andtbacka R HI et al.: Talimogene laherparepvec improves durable response rate in patients with advanced melanoma. J Clin Oncol 2015; 33: 2780-8 <strong>2</strong> Mahoney KM et al.: Combination cancer immunotherapy and new immunomodulatory targets. Nat Rev Drug Discov 2015; 14: 561-84 <strong>3</strong> Mlecnik B et al.: Histopathologic-based prognostic factors of colorectal cancers are associated with the state of the local immune reaction. J Clin Oncol 2011; 29: 610-8 <strong>4</strong> Ribas A et al.: Oncolytic virotherapy promotes intratumoral T cell infiltration and improves anti-PD-1 immunotherapy. Cell 2017; 170: 1109-9 <strong>5</strong> Kaufman HL et al.: Oncolytic viruses: a new class of immunotherapy drugs. Nat Rev Drug Discov 2015; 14: 642-62 <strong>6</strong> García- Sastre A et al.: Influenza A virus lacking the NS1 gene replicates in interferon-deficient systems. Virology 1998; 252: 324-30 <strong>7</strong> Bergmann M et al.: Influenza virus NS1 protein counteracts PKR-mediated inhibition of replication. J Virol 2000; 74: 6203-6 <strong>8</strong> Egorov A et al.: Transfectant influenza A viruses with long deletions in the NS1 protein grow efficiently in Vero cells. J Virol 1998; 72: 6437-41 <strong>9</strong> Muster T et al.: Interferon resistance promotes oncolysis by influenza virus NS1-deletion mutants. Int J Cancer 2004; 110: 15-21 <strong>10</strong> Bergmann M et al.: A genetically engineered influenza A virus with ras-dependent oncolytic properties. Cancer Res 2001; 61: 8188-93 <strong>11</strong> Kuznetsova I et al.: Targeting an oncolytic influenza A virus to tumor tissue by elastase. Mol Ther Oncolytics 2017; 7: 37-44 <strong>12</strong> Mlecnik B et al.: Functional network pipeline reveals genetic determinants associated with in situ lymphocyte proliferation and survival of cancer patients. Sci Transl Med 2014; 6: 228ra37 <strong>13</strong> Hock K et al.: Oncolytic influenza A virus expressing interleukin-15 decreases tumor growth in vivo. Surgery 2017; 161: 735-46</p>
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</p>