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Gekapselte follikuläre Variante des papillären Schilddrüsenkarzinoms

«Diese spezielle Unterform sollte nicht mehr Krebs genannt werden»

<p class="article-intro">Eine Form von Schilddrüsenkarzinomen verhält sich weniger gefährlich als vermutet. Die WHO-Klassifikation der Schilddrüsentumoren wird geändert werden, erklärt der Pathologe Prof. Dr. med. Aurel Perren, denn diese Patienten sollten nicht mehr mit der Diagnose Krebs konfrontiert werden. Sie können allein durch eine Operation geheilt werden und brauchen keine postoperative Strahlentherapie mehr.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Mehr als zwei Drittel der Patienten mit Schilddr&uuml;senkrebs haben die papill&auml;re Form. Wird diese fr&uuml;h diagnostiziert und therapiert, ist die Prognose sehr gut. Standardm&auml;ssig wird der Tumor mitsamt Schilddr&uuml;se entfernt und der Patient wird danach mit einer Radiojodtherapie behandelt. So war es zumindest bisher in den meisten Kliniken. Jetzt hat der Pathologe Yuri Nikiforov von der Universit&auml;t Pittsburgh eine Studie ver&ouml;ffentlicht,<sup>1</sup> die ein Umdenken fordert: Ein Subtyp des papill&auml;ren Schilddr&uuml;senkarzinoms ist gar kein Karzinom und muss deshalb nicht so aggressiv behandelt werden. Dieser Subtyp, fordert das &Auml;rzteteam, sollte anders genannt werden, damit Patienten unn&ouml;tige Therapien und die psychologische Belastung erspart blieben, die mit der Diagnose &laquo;Krebs&raquo; einhergehe. Ausserdem w&uuml;rde das Kosten sparen.<br /> Der Subtyp, um den es geht, hiess bisher &laquo;gekapselte follikul&auml;re Variante eines papill&auml;ren Schilddr&uuml;senkarzinoms&raquo; (&laquo;encapsulated follicular variant of papillary thyroid cancer&raquo;, EFVPTC). Die Zellen sehen aus wie Karzinomzellen, aber sie durchbrechen die Kapsel nicht &ndash; sie zeigen also kein b&ouml;sartiges Verhalten. Jetzt schl&auml;gt Nikiforov den Namen NIFTP vor, &laquo;nicht invasiver folllikul&auml;rer Schilddr&uuml;sentumor mit Zellkernen &auml;hnlich jenen eines papill&auml;ren Karzinoms&raquo;, auf Englisch &laquo;noninvasive follicular thyroid neoplasm with papillary-like nuclear features&raquo;. In dem Begriff taucht das Wort Karzinom nicht mehr auf.<br /> In der Studie wurden 109 Patienten mit NIFTP beobachtet. Bei 42 war die gesamte Schilddr&uuml;se entfernt worden, bei 67 nur der Tumor. Kein Patient war nach der Operation mit Radiojod behandelt worden. Nach 10 bis 26 Jahren hatte kein einziger Patient einen R&uuml;ckfall erlitten oder war aufgrund des Schilddr&uuml;sentumors gestorben.<br /> In der Schweiz erkranken pro Jahr rund 480 Personen an einem papill&auml;ren Schilddr&uuml;senkrebs, davon geh&ouml;ren etwa 10 % zum Subtyp NIFTP. Ungef&auml;hr 50 Menschen k&ouml;nnte man eine Radio&shy;jodtherapie ersparen, und man br&auml;uchte bei diesen Patienten m&ouml;glicherweise nur den Tumor entfernen und nicht die gesamte Dr&uuml;se.<br /> Bei der kommenden Neuklassifikation durch die Weltgesundheitsorganisation werde als Neuerung offiziell der Begriff NIFTP oder ein &auml;hnlicher Begriff f&uuml;r diesen Typ verwendet werden, sagt Aurel Perren, Leiter des Instituts f&uuml;r Pathologie am Inselspital in Bern. &laquo;Diese Patienten sollen nicht mehr Krebspatienten genannt werden.&raquo;<br /> Prof. Aurel Perren ist Direktor des Instituts f&uuml;r Pathologie der Universit&auml;t Bern. Sein Spezialgebiet sind endokrine Tumoren. Perren schrieb mit an der WHO-Klassifikation zu Schilddr&uuml;sentumoren 2004 und ist auch an der neuen Klassifikation von 2016 beteiligt. Warum ein Subtyp des Schilddr&uuml;senkarzinoms in Zukunft nicht mehr Karzinom genannt werden sollte und dass die Klassifikation entsprechend ge&auml;ndert werden sollte, erkl&auml;rt der Pathologe im Gespr&auml;ch mit <em>LEADING OPINIONS H&auml;matologie &amp; Onkologie.</em><br /> <br /><strong> Herr Prof. Perren, Ihr Kollege Yuri Nikiforov bezeichnet seine neue Klassifikation als &laquo;Paradigmenwechsel&raquo;. Teilen Sie seine Meinung?</strong><br /><br /> <strong>A. Perren:</strong> Absolut. Nikiforovs Untersuchungen best&auml;tigen das, was wir anhand fr&uuml;herer Studien schon vermutet haben: Die gekapselte follikul&auml;re Variante eines papill&auml;ren Schilddr&uuml;senkarzinoms (EFVPTC), die die Kapsel nicht durchbricht und nicht in Gef&auml;sse einw&auml;chst, verh&auml;lt sich benigne. Die Evidenz ist inzwischen so gross, dass die WHO-Klassifikation umgeschrieben werden wird und wir statt EFVPTC den Begriff NIFTP oder einen &auml;hnlichen f&uuml;r diese Tumoren verwenden.<br /> <br /><strong> Heisst das, diese Form ist gar kein Krebs im eigentlichen Sinne?</strong><br /> <br /> <strong>A. Perren:</strong> Ja, weil dieser Tumor nicht die Eigenschaften hat, die eigentlich definitionsgem&auml;ss bei einem malignen Tumor vorliegen: Ein NIFTP w&auml;chst nicht invasiv wie ein Karzinom und bildet keine Metastasen. Es kann alleine durch eine Operation geheilt werden, und eine Strahlentherapie ist bei Patienten mit dieser Art von Tumor nicht erforderlich.<br /> <br /><strong> Standardm&auml;ssig wird bei Schilddr&uuml;senkarzinomen eine Thyreoidektomie durchgef&uuml;hrt. Ist das beim NIFTP immer noch notwendig?</strong><br /> <br /> <strong>A. Perren:</strong> Ich glaube, bei diesen Patienten w&uuml;rde es reichen, nur die halbe Schilddr&uuml;se mit dem Tumor im Gesunden zu resezieren. In der Studie von Nikiforov wurde bei 67 von 109 Patienten nur der Tumor herausoperiert. Und diese Patienten hatten die gleiche Prognose wie Patienten, die thyreoidektomiert wurden. Wir m&uuml;ssen das in weiteren Studien aber noch best&auml;tigen.<br /> <br /><strong> Ist &uuml;berhaupt noch eine Operation erforderlich? K&ouml;nnte man nicht zuwarten und nur engmaschig kontrollieren, im Sinne einer &laquo;Watch and wait&raquo;-Strategie wie bei einem Prostatakarzinom im Fr&uuml;hstadium?</strong><br /> <br /> <strong>A. Perren:</strong> Das w&auml;re theoretisch m&ouml;glich. Ich kann aber nur anhand des Operationspr&auml;parats definitiv sagen, ob es wirklich ein NIFTP ist oder doch ein papill&auml;res Karzinom mit Metastasierungsrisiko &ndash; das ist &uuml;brigens bei der Unterscheidung zwischen follikul&auml;rem Adenom und follikul&auml;rem Karzinom auch so.<br /> <br /><strong> Anhand welcher histopathologischen Kriterien stellen Sie die Diagnose NIFTP?</strong><br /> <br /> <strong>A. Perren:</strong> Es handelt sich um einen scharf durch eine Kapsel begrenzten Schilddr&uuml;senknoten, die Kapsel ist nicht durchbrochen und es gibt keine Gef&auml;sseinbr&uuml;che. Die Zellen sind in Follikeln aufgebaut und ihre Kerne zeigen die typischen &laquo;papill&auml;ren&raquo; Ver&auml;nderungen, zum Beispiel Kernaufhellungen, Kernkerben, Kerneinschl&uuml;sse und &Uuml;berlappungen (Abb. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Onko_1604_Weblinks_Seite82.jpg" alt="" width="739" height="597" /></p> <p><strong>Wenn Sie die Diagnose NIFTP gestellt haben, was raten Sie dann Ihren Kollegen im Tumorboard?</strong><br /> <br /> <strong>A. Perren:</strong> Wir haben im endokrinen Tumorboard des Inselspitals die Patienten mit NIFTP bereits seit einiger Zeit ohne Radiojodtherapie behandelt, dieser Entscheid wird jeweils interdisziplin&auml;r mit allen involvierten Kliniken inklusive Pathologie gef&auml;llt.<br /> Die Radiojodstrahlentherapie ist eine Erfolgsgeschichte in der Behandlung der Schilddr&uuml;senkarzinompatienten, diese Therapie wollte man niemandem vorenthalten. Inzwischen wurde aber schon bei anderen Schilddr&uuml;senkarzinomformen gezeigt, dass man auf eine Radiojodtherapie verzichten kann, etwa unter gewissen Voraussetzungen beim papill&auml;ren Mikrokarzinom.<br /> <br /><strong> Warum hat man bisher gedacht, die NIFTP seien maligne und man m&uuml;sse sie mit OP und Strahlentherapie behandeln?</strong><br /> <br /> <strong>A. Perren:</strong> Weil man alle papill&auml;ren Karzinome gleich behandelt hat, und zwar mit OP und Strahlentherapie. Erst als Pathologen begannen, die papill&auml;ren Karzinome in Subtypen einzuteilen, erkannten wir, dass sich nicht alle dieser &laquo;Karzinome&raquo; gleich verhalten. Um weitere Subtypen zu erkennen und Patienten m&ouml;glicherweise &uuml;berfl&uuml;ssige Therapien zu ersparen, brauchen wir nat&uuml;rlich Studien an Material vom Patienten. Ohne differenzierte Klassifikation keine differenzierte Therapie! An dieser Stelle m&ouml;chte ich allen Patienten danken, die ihr Einverst&auml;ndnis geben, dass ihre Daten und Proben f&uuml;r Forschung zur Verf&uuml;gung stehen. Vielleicht k&ouml;nnen meine Kollegen das an ihre Patienten weitergeben &ndash; ich sehe als Pathologe ja sehr selten Patienten.<br /> <br /><strong> Vielen Dank f&uuml;r das Gespr&auml;ch!</strong></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Nikiforov YE et al: Nomenclature revision for encapsulated follicular variant of papillary thyroid carcinoma: a paradigm shift to reduce overtreatment of indolent tumors. JAMA Oncol; online 14. 4. 2016</p> </div> </p>
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