<p class="article-intro">Nach einer fast schon spektakulären Zeit der Neuzulassungen beim multiplen Myelom – 5 Zulassungen innerhalb von 12 Monaten, ausserdem wurde kurz vor dem ASH Meeting Daratumumab in Kombination mit Lenalidomid/Dexamethason und mit Velcade/ Dexamethason noch von der FDA zugelassen – sollte man meinen, dass jetzt für die Therapie des multiplen Myeloms etwas Ruhe und eine Zeit der Konsolidierung folgen sollten. Aber das Gebiet entwickelt sich in unverändertem Tempo weiter.</p>
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<p class="article-content"><p>Die Behandlung des multiresistenten Myeloms wird immer mehr zu einem Kernproblem für die Myelompatienten, von denen die Mehrzahl heute noch nach der Erstlinientherapie und weiteren Folgetherapien rezidiviert und letztlich an der multiresistenten Erkrankung stirbt.</p> <h2>SAKK-39/13-Studie: Nelfinavir sorgt für internationale Aufmerksamkeit</h2> <p>Ein Highlight aus Schweizer Sicht, aber tatsächlich ein Höhepunkt der Myelom- Sessions am ASH Meeting 2016 auch aus internationaler Perspektive und Gesprächsstoff innerhalb des Expertenfeldes war die Präsentation der SAKK-39/13-Studie als erster Vortrag direkt nach der Eröffnungssitzung in der riesigen «plenary hall». Diese Phase-II-Studie untersuchte eine Behandlung von Bortezomib-refraktären Myelompatienten mit dem HIV-Medikament Nelfinavir in Kombination mit Bortezomib (BTZ)/Dexamethason (NVd). Die 34 Patienten hatten im Median 5 Vortherapien, 75 % waren BTZ/Lenalidomid(LEN)-doppelrefraktär und fast die Hälfte der Patienten war sogar BTZ/LEN/Pomalidomid( POM)-tripelrefraktär. Die Therapie bestand aus maximal 6 Zyklen Standard-Vd mit zusätzlicher oraler Einnahme von Nelfinavir an den Tagen 1–14. Die Ansprechrate (PR oder besser) lag bei 65 % für die gesamte Kohorte und war bei Patienten mit «Poor risk»-Zytogenetik, doppel- oder tripelrefraktärer Erkrankung oder bei >5 Vortherapien nicht niedriger als im Gesamtkollektiv.<br /> Die Toxizität war im Rahmen dessen, was bei diesem stark vorbehandelten Patientenkollektiv mit einer Vd-Therapie erwartet wird, die mediane Zeit bis zur nächsten Therapie für die gesamte Gruppe betrug gut 4 Monate.<br /> Der Abstract wurde von Brian Durie, dem Vorsitzenden der internationalen Myelom- Vereinigung und «Vater» des Salmon- Durie-Staging-Systems, als «most important paper in the myeloma novel therapy field» hervorgehoben und sorgte auch in den ASH-News, bei Patientenorganisationen und in den Social Media sofort für einige Aufmerksamkeit. Die NVd-Therapie ist im Gegensatz zu allen anderen neu vorgestellten Medikamenten bereits heute auf dem USA-Markt als Off-label-Präparat regulär verfügbar und wird ab 2017 komplett generisch sein. Bei monatlichen Therapiekosten für Kombinationstherapien mit neuen Myelommedikamenten zwischen derzeit 15 000 und 35 000 USD pro Patient monatlich und vielen Patienten in den USA, die mindestens einen relevanten Teil der Medikamentenkosten selbst bezahlen müssen, ist es ein grosses Thema, wenn die Kombination NVd bei zwei Dritteln der Patienten eingesetzt wird und für ca. 1000 USD pro Monat auf dem Markt zu haben sein wird.<br /> Es wird deshalb in ähnlichem Design eine grosse Studie für 2017 in den USA geplant, in der die Ergebnisse der SAKK-39/13-Studie unabhängig bestätigt werden sollen. In der Schweiz hat Nelfinavir von der Swissmedic den Status eines «orphan drug» bekommen.</p> <h2>Selinexor – «small molecule» mit Potenzial beim pentarefraktären Myelom</h2> <p>Die zweite neue Substanz für die Myelomtherapie ist Selinexor, ein «small molecule », das den Export von Proteinen wie Transkriptionsfaktoren und Glukokortikoidrezeptoren aus dem Zellkern blockiert und so den Zelltod induziert. Selinexor wird oral eingenommen und hat in Kombination mit Dexamethason eine Ansprechrate von 20 % bei pentarefraktärem Myelom (refraktär gegenüber BTZ-LENPOM- Carfilzomib (CFZ), Daratumumab (DARA), median 6 Vortherapien), was in etwa auf dem Niveau der Aktivität von Daratumumab oder Carfilzomib bei Erstzulassung in diesem Patientenkollektiv liegt. In Kombination mit Carfilzomib wurde eine Ansprechrate von 63 % bei Patienten nach Carfilzomib-Versagen beobachtet. Das Toxizitätsprofil und die Dosierung sind in beiden Studien unterschiedlich, wesentlich scheinen hämatologische Toxizität und Fatigue zu sein, was die Substanz in die Nähe von Panobinostat rückt. Es bleibt hier die weitere Entwicklung abzuwarten, Selinexor hat aber durchaus das Potenzial, ein neuer molekularer Therapieansatz beim Myelom zu werden.</p> <h2>FIRST-Studie: Überlegenheit im PFS, Gleichwertigkeit im OS</h2> <p>Eine Studie mit grosser praktischer Relevanz ist die FIRST-Studie, bei dem randomisiert dreiarmig bei Myelompatienten ohne Option für Hochdosistherapie die optimale IMiDs-basierte Erstlinientherapie untersucht wurde. Verglichen wurde ein Arm mit MPT für 18 Monate mit Rd bis zum Therapieversagen/Abbruch. In einem dritten randomisierten Arm wurde Rd für 18 Monate zusätzlich verglichen. Aus streng wissenschaftlicher Sicht zeigt die Studie die Überlegenheit von Rd (kontinuierlich) gegenüber MPT (18 Monate) hinsichtlich PFS und ist somit positiv.<br /> Interessant ist jedoch vor allem die Tatsache, dass zwar ab dem 18. Monat der Arm mit kontinuierlicher Rd-Gabe einen klaren Vorteil im PFS zeigt, dass aber hinsichtlich OS beide Rd-Arme (18 Monate und kontinuierlich) absolut identisch verlaufen. Letztlich bringt die längere Gabe von Lenalidomid über mehr als 18 Monate hinaus bis zum Progress in der Erstlinie wahrscheinlich keinen definitiven Überlebensvorteil für den Patienten, sodass die Berechtigung einer so langen Therapiedauer hinterfragt werden sollte.<br /> In der Erstlinientherapie der jüngeren Patienten sind die bestehenden Standards weitgehend bestätigt worden. In der randomisierten Phase-III-Studie EMN02, an der von 1500 Patienten insgesamt auch ca. 50 Schweizer Patienten teilgenommen hatten, fand sich nach 3–4 Zyklen VCDInduktion ein signifikanter Vorteil der Hochdosistherapie upfront gegenüber einer Fortführung mit VMP (VISTA-Standard) und späterer Hochdosistherapie im Rezidiv mit einer HR von 0,7. Für Patienten mit Hochrisikozytogenetik war dieser Unterschied noch pointierter, die HR betrug hier 0,5.<br /> Ausserdem wurde die Doppel-Hochdosistherapie mit einer einzelnen Hochdosistherapie verglichen. Bei noch kurzem Follow-up fand sich ein statistisch signifikanter Vorteil im PFS zugunsten der Doppel- Hochdosistherapie (HR: 0,7). Die gleiche Studie hatte beim ASCO-Kongress bereits einen PFS-Vorteil der Durchführung einer Konsolidierungstherapie nach der Transplantation gegenüber keiner Konsolidierung gezeigt. Als «late breaking abstract» wurden nun diese Fragen auch von der amerikanischen Seite adressiert (StaMINA Trial). Hier wurden nach einer Induktion von 4xVRD mehrere Optionen der Konsolidierung randomisiert verglichen: eine zweite Hochdosistherapie, eine Konsolidierung mit 4 Zyklen VRD sowie keine Konsolidierung, jeweils gefolgt von einer Lenalidomid- Erhaltungstherapie. Das PFS für alle drei Arme nach 38 Monaten ist kaum unterschiedlich. Lediglich für die Untergruppe der Patienten mit zytogenetischer Hochrisikokonstellation zeichnet sich möglicherweise ein statistisch (noch) nicht signifikanter Vorteil der RVD-Konsolidierung gegenüber den beiden anderen Armen ab.</p> <h2>Hohe Rate MRD-negativer Patienten mit heutigen IMID-+- Proteasominhibitor-Medikamenten</h2> <p>Die Immuntherapien mit Daratumumab und Elotuzumab haben in die bisher ausgewerteten Phase-III-Studien zur Erstlinientherapie noch keinen Einzug gefunden, entsprechende Studien sind derzeit noch aktiv bzw. in der Nachbeobachtung. Wir sehen aber jetzt, welch ausgezeichnete Ergebnisse in der Erstlinientherapie erreicht werden können, wenn IMiDs und Proteasominhibitoren konsequent kombiniert werden und in einen Therapiealgorithmus mit Induktion, Hochdosistherapie, Konsolidation und Erhaltung integriert werden.<br /> Dazu wurden zwei kleinere Phase-IIStudien vorgestellt (42 und 76 Patienten), eine mit Induktion und Konsolidation mit Carfilzomib-Rd (KRd, jeweils 4 Zyklen mit intermittierender ASCT und nachfolgender Lenalidomid-Erhaltung) sowie eine mit einer rein oralen Therapie mit Ixazomib- Rd (3 Zyklen Induktion, ASCT, 8 Zyklen Konsolidation, Lenalidomid-Erhaltung). In beiden Studien wurde eine extrem gute Therapieaktivität erreicht mit 70–80 % CR und über 50 % NGS-MRDnegativer Befunde nach 18 Monaten. Hier darf mit Spannung abgewartet werden, wie gross der Prozentsatz der Patienten sein wird, die tatsächlich kein Rezidiv erleiden und geheilt sind – das werden wir allerdings erst in 10–15 Jahren wissen. Für die nächsten Jahre ist noch eine weitere Verbesserung der Therapieaktivität durch den Einbezug von Antikörpern zu erwarten.<br /> Der Frage, welches die «richtige» Altersgrenze zur Durchführung einer Hochdosistherapie ist, die in diesen Therapiekonzepten essenziell zu sein scheint, ging die EBMT in einer retrospektiven Datenbankanalyse von >20 000 Patienten >65 Jahre mit Hochdosistherapie nach (retrospektiv, möglicher Selektionsbias). Es zeigte sich dort, dass im Kollektiv der so behandelten älteren Patienten ein Alter bis 75 Jahre bei einer Hochdosistherapie keine höhere «Non relapse»-Mortalität bewirkt, wenn der Performance-Status der über 65-jährigen Hochdosistherapiepatienten 0,8 oder höher ist.</p> <h2>Zukunftsentwicklungen bei Immuntherapie, Venetoclax</h2> <p>Im Bereich Immuntherapie schreiten die Entwicklungen in Richtung CAR-T und BITE-Technologie, Antikörper-Drug-Konjugate (CD38) sowie neue CD38-Antikörper in Phase-I/II-Studien voran. BCMA etabliert sich als gutes «target» für myelomspezifische Immuntherapie, und alle genannten Ansätze zeigen klinische Aktivität, die sich derzeit aber noch nicht quantifizieren lässt. Die Kombination Pembrolizumab/POM/Dex zeigte beim relabiert-refraktären Myelom (R/R MM) nach 3 Vortherapien eine ORR von 50 % mit einer DOR von 8,8 Monaten, die Kombination POM/Dex mit Carfilzomib wöchentlich in der Standarddosis ergab ähnliche Ergebnisse. Der Versuch, wöchentliches Carfilzomib gemeinsam mit POM/ Dex in der Dosis zu eskalieren, führte zu schwerer Hypertension und therapiebedingten Todesfällen in der Phase I, sodass dieser Ansatz verlassen wurde. Bei Einsatz von Venetoclax beim R/R MM fand sich bei Patienten mit t(11;14) eine Ansprechrate von 50 % , im Gegensatz dazu bei Patienten ohne diese Aberration nur von 10 % . Dies korreliert gut mit der bekannten dominanten Rolle von BCL2 beim t(11;14) MM, wohingegen bei allen anderen Myelomen das BCL2-like-Protein MCL1 überexprimiert ist. Der Einsatz von Venetoclax beim t(11;14) MM dürfte wohl in Zukunft die erste Indikation beim Myelom werden, bei der man aufgrund der Zytogenetik eine bestimmte molekular gerichtete Therapie einsetzen sollte. Entsprechend sind selektive Inhibitoren von MCL1 in der fortgeschrittenen präklinischen Entwicklung und dürften 2017 in die Klinik/Phase I kommen.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Onkologie und Hämatologie<br>
Kantonsspital St. Gallen<br>
E-Mail: christoph.driessen@kssg.ch<br>
<strong>Quelle:</strong> 58<sup>th</sup> Annual Meeting of the American Society of Hematology,
3.–6. Dezember 2016, San Diego
</p>
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