<p class="article-intro">Dass der EHA-Kongress 2015 in Wien abgehalten wurde, spiegelte sich auch in einer hohen Präsenz von Wiener Experten im wissenschaftlichen Programm zu den myeloproliferativen Neoplasien wider. Inhaltlich dominierte das Thema der personalisierten Medizin, die durch eine immer detailliertere und umfassendere molekulare Charakterisierung der klonalen Subgruppen und durch einen immer stärkeren Miteinbezug des klinischen Kontextes und individueller Krankheitsfaktoren bei der Therapie zunehmend Realität wird.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Die CML-Therapie rückt dem Ziel der Heilung immer näher.</li> <li>Bei den Ph-negativen myeloproliferativen Neoplasien unterscheiden sich CALR-mutierte Patienten auf hämatologischer, klinischer und biologischer Ebene von den anderen Subgruppen.</li> <li>Der unter Ruxolitinib bei Polycythaemia vera in der RESPONSE-Studie verzeichnete Benefit erwies sich im Follow-up als dauerhaft.</li> </ul> </div> <h2>Chronische myeloische Leukämie</h2> <p>15 Jahre nach den ersten spektakulären Behandlungserfolgen mit Imatinib bei der chronischen myeloischen Leukämie (CML) rückt die Möglichkeit, die Krankheit in kurativer Intention zu behandeln zu können, immer näher. Um dieses Ziel zu erreichen, ist das Verständnis der CML-Stammzelle von fundamentaler Bedeutung. Bei seiner Präsentation im Rahmen der Educational Session erklärte Univ.-Prof. Dr. Peter Valent, Medizinische Universität Wien, das Konzept der CML-Stammzelle und der zellulären Hierarchie als theoretische Grundlage für die Entwicklung potenziell kurativer Therapieansätze. Im Zuge eigener Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass sich in der chronischen Phase der CML die Stammzelle in der CD34<sup>+</sup>/CD38-Zellfraktion befindet, die Oberflächenmarker CD25, CD26 und IL-1RAP exprimiert und sich dadurch von gesunden Stammzellen unterscheidet.<br /> In der klinischen Sitzung präsentierte Univ.-Prof. Dr. Andreas Hochhaus, Universitätsklinikum Jena, Medizinische Fakultät, die finale Analyse der ENEST1st (Session S486). ENEST1st ist eine offene, multizentrische Phase-IIIb-Studie mit 300mg Nilotinib 2x täglich bei Erwachsenen mit neu diagnostizierter CML in der chronischen Phase; primärer Endpunkt ist das Erreichen einer MR<sup>4</sup> nach 18 Monaten. Insgesamt nahmen an dieser Studie 26 europäische Länder teil, 1.089 Patienten wurden behandelt. Der EUTOS(„European treatment and outcome study“)-Score war bei 82,6 % niedrig und bei 8,6 % hoch, bei 8,7 % der Studienteilnehmer fehlte die Ermittlung dieses Risikoparameters. Die MR<sup>4</sup>-Rate nach 18 Monaten betrug 38,4 % . Die BCR-ABL-Transkriptwerte – <1 % , 1–10 % und >10 % nach 3 Monaten – lagen bei 70,5 % , 16,6 % und 2,6 % . 6 Patienten (0,6 % ) entwickelten während der Studie eine akzelerierte Phase/Blastenkrise, 13 Patienten (1,2 % ) starben innerhalb der ersten 24 Monate, einschließlich eines Patienten, bei dem der Progress der CML die Todesursache darstellte. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Hautausschlag (21,4 % ), Juckreiz (16,5 % ) und Kopfschmerzen (15,2 % ). Eine periphere arterielle Verschlusskrankheit wurde bei 1,9 % der Patienten, eine ischämische Herzerkrankung bei 3,4 % und ein ischämisches zerebrovaskuläres Problem bei 0,8 % diagnostiziert. In dieser großen Front-Line-Studie führte also Nilotinib zu einer hohen Responserate und ein nur geringer Prozentsatz an Patienten entwickelte eine akzelerierte Phase/Blastenkrise. <br /> SPIRIT-2 ist mit 814 Patienten mit neu diagnostizierter CML die größte Studie, die 400mg Imatinib mit 100mg Dasatinib vergleicht (Session S489). Die als primärer Endpunkt definierte MR3-Rate war nach 12 Monaten bei Dasatinib-behandelten Patienten signifikant höher als unter Imatinib-Therapie (58,4 % vs. 43,1 % ). Pleuraergüsse traten im Dasatinib-Arm bei 90 Patienten auf (22,2 % ), davon war bei 13 Patienten eine Pleurapunktion erforderlich. Zusammengefasst bestätigte sich auch in dieser Studie die höhere Rate an molekularen Remissionen unter Dasatinib nach einem Jahr, signifikante Unterschiede im Hinblick auf PFS und OS gab es aber nicht.<br /> Eine australische Arbeitsgruppe ermittelte anhand von 528 Imatinib-behandelten CML-Patienten Landmark-Zeitpunkte zwischen 1 und 3 Jahren, mit deren Hilfe BCR-ABL-Werte als verlässlicher Prädiktor eines Langzeitansprechens verwendet werden können (Session S490). Die Daten zeigen, dass Patienten mit <1 % BCR-ABL ohne MMR („major molecular response“) nach 18–36 Monaten – auch bei zusätzlicher Imatinibtherapie für bis zu 6,5 zusätzliche Jahre – eine geringe Chance haben, eine MR<sup>4,5</sup> zu erreichen. Hingegen konnte bei den meisten Patienten mit dem Nachweis einer MR<sup>4</sup> zu jedem Zeitpunkt durch 2 zusätzliche Behandlungsjahre mit Imatinib eine MR<sup>4,5</sup> erzielt werden. Auf Basis dieser Daten lassen sich Behandlungsentscheidungen für einen potenziellen Therapiewechsel mit dem Ziel treffen, TKI(Tyrosinkinaseinhibitor)-Absetzversuche zu optimieren.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2015_Jatros_Onko_1504_Weblinks_Seite105.jpg" alt="" width="892" height="382" /></p> <h2>Philadelphia-negative myeloproliferative Neoplasien</h2> <p>Bei den Ph(Philadelphia)-negativen myeloproliferativen Neoplasien (MPN) stand die klinische Charakterisierung der Patienten mit einer Calreticulin(CALR)-Mutation im Vordergrund. Univ.-Prof. Dr. Heinz Gisslinger, Medizinische Universität Wien, präsentierte am 12. Juni in der dieser Thematik gewidmeten Educational Session die wichtigsten Studien, die seit Entdeckung dieser neuen molekularen Subgruppe vor 18 Monaten zu diesem Thema publiziert worden sind. Diese Subgruppe findet sich besonders häufig bei der präfibrotischen Myelofibrose (MF). Sie ist nach der JAK2-V617F-Mutation die zweithäufigste molekulare Veränderung bei der MF und der essenziellen Thrombozythämie (ET), wird hingegen bei Patienten mit Polycythaemia vera (PV) niemals gefunden. Bei 53 % liegt eine Typ-I-Mutation vor, bei 31,7 % der Patienten kann eine Typ-II-Mutation nachgewiesen werden. Patienten mit einer Typ-II-Mutation haben eine statistisch signifikant höhere Thrombozytenzahl als Patienten mit einer Typ-I-Mutation. CALR-mutierte Patienten mit MF sind jünger als Patienten mit einer JAK2-Mutation, weisen eine höhere Plättchenzahl, niedrigere Leukozytenwerte, niedrigere Hämoglobinspiegel, eine geringere Inzidenz an Spliceosom-Mutationen und ein längeres Überleben auf. Auch bei PMF-Patienten wirkt sich das Vorliegen einer CALR-Mutation in prognostischer Hinsicht günstig aus, wobei sich dieser Effekt auf Patienten mit der Typ-I-Mutation beschränkt. Die Inzidenz an thrombotischen Ereignissen bei ET-Patienten mit dem Nachweis einer CALR-Mutation ist niedriger als bei JAK2-mutierten Patienten, ebenso ist das thrombosefreie Überleben kürzer. Die Bestimmung der CALR-Mutation im diagnostischen Algorithmus der Ph-negativen MPN ist bereits als etabliert zu betrachten. <br /> In der klinischen Sitzung S447 wurden die Ergebnisse zum 80-wöchigen Follow-up der RESPONSE-Studie präsentiert. Bei dieser Studie handelt es sich um eine noch laufende multizentrische, offene Phase-III-Studie, in der die Wirksamkeit und Sicherheit von Ruxolitinib mit der besten verfügbaren Therapie bei Patienten mit PV verglichen wird, die resistent oder intolerant gegenüber Hydroxyurea sind. Der primäre zusammengesetzte Endpunkt dieser Studie ist eine Verminderung des Milzvolumens >35 % und eine Hämatokritkontrolle ohne das Erfordernis einer Phlebotomie in Woche 32. Insgesamt wurden 222 Patienten randomisiert. Der primäre Endpunkt wurde im Ruxolitinib-Arm bei 23 Patienten (20,9 % ), in der Kontrollgruppe jedoch nur bei einem Patienten (0,9 % ) erreicht. In dieser Studie konnte nun gezeigt werden, dass der Benefit von Ruxolitinib dauerhaft (Abb. 1) und die Behandlung im Allgemeinen gut verträglich ist, da 82,7 % der Patienten nach einer medianen Therapiedauer von 111 Wochen immer noch Ruxolitinib einnehmen.<br /> Die Kombination von Ruxolitinib und Azacytidin wurde in einer kleinen Studie bei 35 Patienten mit MF untersucht (Session S448). Interessant an diesen präliminären Ergebnissen ist eine hohe Responserate von 82 % , gemessen nach den Kriterien der IWG-MRT (International Working Group – Myelo­proliferative Neoplasms Research and Treatment). Toxizitätsassoziierte Behandlungsabbrüche wurden bei der sequenziellen Gabe seltener verzeichnet als bei der simultanen Gabe von Ruxolitinib und Azacytidin. Auch wenn diese Ergebnisse noch keine definitive Schlussfolgerung zulassen, konnte in dieser Studie doch gezeigt werden, dass die Kombinationstherapie machbar ist und der sequenzielle Ansatz gegenüber der simultanen Therapie gewisse Vorteile hat. <br /> Nach wie vor ungeklärt ist die Frage, wie eine einzelne Mutation wie JAK2-V617F drei unterschiedliche Krankheitsentitäten hervorrufen kann. Mehrere Beiträge in der Sitzung zur Pathophysiologie der Ph-negativen MPN befassten sich mit dieser wichtigen Frage. Eine Gruppe konnte experimentell nachweisen, dass der TPO(Thrombopoetin)-Rezeptor aufgrund seiner langen Halbwertszeit in und auf der Zelle verglichen mit dem EPO- und dem G-CSF-Rezeptor sensitiver gegenüber niedrigen JAK2-Spiegeln ist, wie sie typischerweise bei der ET gefunden werden können, wie Prof. Dr. Vitalina Gryshkova, Université catholique de Louvain, Belgien, berichtete (Session S816). Eine andere Gruppe fand im Rahmen einer genomweiten Assoziationsstudie einen konstitutionellen Polymorphismus im Bereich HBS1L-MYB, der für die unterschiedlichen Phänotypen bei identer Mutation verantwortlich sein dürfte, wie Dr. Will Tapper, University of Southampton, berichtete (Session S817). Schließlich erläuterte noch Dr. Vittorio Rosti, IRCCS Policlinico San Matteo, Pavia, dass eine CALR-Mutation durch Beeinflussung des intrazellulären Kalziumstatus zur Entwicklung des MPN-Phänotyps beiträgt (Session S818).</p> <h2>Myeloproliferative Form der chronischen myelomonozytären Leukämie</h2> <p>Auch bei der myeloproliferativen Form der chronischen myelomonozytären Leukämie (CMML) gab es Erkenntnisse, die die systematische Zuordnung dieser Erkrankung immer klarer erscheinen lassen. Schon vor geraumer Zeit wurde gezeigt, dass bei einer Subgruppe von CMML-Patienten das In-vitro-Wachstum myeloischer Zellkolonien auch ohne Zugabe eines Wachstumsfaktors beobachtet werden kann. In einer rezenten Analyse, in der bei diesen Patienten CMML-assoziierte Gene sequenziert wurden, zeigte sich, dass 80 % der Patienten mit hohem spontanem Koloniewachstum Mutationen in einer der Komponenten des RAS-Signalwegs aufwiesen (Geissler K., Poster E1300). Diese Ergebnisse erinnern somit an die molekulare Pathophysiologie der juvenilen myelomonozytären Leukämie (JMML), die sich fast ausschließlich bei Kindern mit Keimbahnmutationen des <em>RAS</em>-Signalpfads entwickelt. Während sich allerdings die JMML auf Basis einer angeborenen Prädisposition entwickelt, dürfte der CMML eine erworbene Prädisposition zugrunde liegen, da die Mutationen im <em>RAS</em>-Pfad durchwegs in Kombination mit Mutationen in der DNA-Methylierung und/oder dem Spliceosom nachweisbar sind.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 5. Medizinische Abteilung mit Onkologie,
Tagesklinik, Palliativstation und Ambulanz<br/>
Krankenhaus Hietzing<br/>
E-Mail: klaus.geissler@wienkav.at
Quelle: 20. Kongress der EHA
(European Hematology Association),
11.–14. Juni 2015, Wien
</p>
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