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Die chronische Hepatitis C als Modell für Onkogenese
Jatros
Autor:
Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Gschwantler
4. Medizinische Abteilung<br>Klinik Ottakring (ehemals Wilhelminenspital)<br> E-Mail: michael.gschwantler@wienkav.at
30
Min. Lesezeit
25.05.2017
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<p class="article-intro">Das Hepatitis-C-Virus (HCV) ist weltweit eine der häufigsten Ursachen für das hepatozelluläre Karzinom (HCC). Meist entsteht das HCC über komplexe Pathomechanismen erst nach Entwicklung einer Leberzirrhose. Mit modernen Regimen zur Behandlung der chronischen Hepatitis C kann die Entwicklung von Spätkomplikationen der chronischen Hepatitis C – wie die Entstehung des HCV-induzierten HCC – verhindert werden.</p>
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<p class="article-content"><h2>Epidemiologie</h2> <p>Das hepatozelluläre Karzinom macht weltweit etwa 6 % aller Malignome aus und ist eine der häufigsten Ursachen für malignombedingte Mortalität. In vielen Industrienationen ist die Inzidenz des HCC in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gestiegen – so hat sich etwa in den USA die Inzidenz während der letzten 30 Jahre verdreifacht. 80–90 % aller HCC treten in einer zirrhotischen Leber auf. Die Verhinderung der Entstehung einer Leberzirrhose stellt daher die wichtigste Strategie zur Senkung der Inzidenz des HCC dar. Man schätzt, dass weltweit rund 180 Millionen Menschen an einer chronischen Hepatitis C leiden. In Österreich rechnet man mit etwa 35.000 Infizierten. Die chronische Hepatitis C ist damit eine der häufigsten Ursachen für die Entwicklung einer Leberzirrhose und in der weiteren Folge eines HCC. Risikofaktoren für die Entstehung eines HCC auf Grundlage einer chronischen Hepatitis C umfassen männliches Geschlecht, gleichzeitiger Alkoholabusus, fortgeschrittenes Alter, Adipositas, Diabetes mellitus sowie Koinfektionen mit HIV oder dem Hepatitis- B-Virus (HBV). Durch eine frühzeitige Therapie der chronischen Hepatitis C können nicht nur die Komplikationen einer Leberzirrhose, sondern auch die Entwicklung eines HCC verhindert werden.</p> <h2>Besonderheiten des Hepatitis-C-Virus im Hinblick auf die Karzinogenese</h2> <p>Das Hepatitis-C-Virus ist ein einzelsträngiges RNA-Virus, das fast ausschließlich in Hepatozyten repliziert und dessen gesamter Replikationszyklus im Zytoplasma stattfindet. Im Unterschied zum HBV kommt es beim HCV zu keiner Integration viraler Nukleinsäure in humane DNA. Die Pathogenese des HCC ist durch ein komplexes Wechselspiel zwischen Wirtsfaktoren, Umweltfaktoren und viralen Faktoren gekennzeichnet. Die Forschung ist dadurch erschwert, dass es für die HCV-Infektion kein Tiermodell außer Schimpansen gibt. Der Weg von der HCV-Infektion über die Etablierung einer chronischen Infektion bis hin zum HCV-induzierten HCC ist in der Abbildung 1 schematisch zusammengefasst.</p> <h2>Wie schafft es das Hepatitis-C-Virus, eine chronische Infektion zu etablieren?</h2> <p>An sich verfügt der menschliche Organismus über sehr effektive Mechanismen der „angeborenen Immunität“ zur Abwehr von RNA-Viren: Eine Gruppe von Proteinen, die als RLR bezeichnet werden (darunter RIG-I, MDA5 und LGP2), bindet im Zytoplasma infizierter Zellen an virale RNA und initiiert in der Folge über eine komplizierte Signalkaskade die Synthese von Typ-I- und Typ-III-Interferonen und anderen proinflammatorischen Zytokinen. In analoger Weise kann virale RNA in Endosomen über eine Bindung an „toll-like receptors“ (TLR3 und TLR7/8) nach Aktivierung einer Signalkaskade die Synthese von Interferonen und proinflammatorischen Zytokinen stimulieren. Diese Interferone sowie die proinflammatorischen Zytokine werden sezerniert und fungieren als „Warnstoffe“, die noch nicht infizierte Zellen in einen Zustand versetzen, in welchem sie vor Virusinfektionen besonders effektiv geschützt sind: Dies wird erreicht, indem sich Interferone an spezifische Rezeptoren an der Zelloberfläche binden und dadurch eine Signalkaskade aktivieren, die als „JAK-STAT signaling pathway“ bezeichnet wird. Letztlich wird durch diesen Vorgang die Transkription Hunderter Gene (die als Interferon-stimulierte Gene bezeichnet werden) induziert, wodurch die Zelle in einen „antiviralen Zustand“ versetzt wird. HCV vermag diese Signalkaskade auf verschiedenen Ebenen zu hemmen. Auf diese Weise gelingt es dem Virus, die Abwehrmechanismen der angeborenen Immunität auszuschalten oder zumindest so weit abzuschwächen, dass sich eine chronische Infektion etablieren kann. Bei Fehlen zusätzlicher Risikofaktoren schreitet die chronische Hepatitis C sehr langsam fort: Mit der Entwicklung einer Leberzirrhose ist frühestens nach 20-jähriger Infektion zu rechnen.</p> <h2>Der Weg von der chronischen Hepatitis C zum HCC</h2> <p>Bisher konnte die Entwicklung von HCC nicht mit Mutationen in einem bestimmten Gen assoziiert werden. Vielmehr scheint es so zu sein, dass die chronische Entzündung eine sukzessive Anhäufung von Mutationen in verschiedenen Bereichen des menschlichen Genoms begünstigt, bis zuletzt ein maligner Klon entsteht. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einem „cancer field effect“. An der Pathogenese des HCC scheinen unter anderem folgende wichtige Mechanismen beteiligt zu sein:</p> <ul> <li>Im Rahmen der chronischen Inflammation entstehen reaktive Sauerstoffradikale und reaktive Stickstoffradikale, welche die Peroxidation von Lipiden und die Entstehung von DNA-Schäden verursachen können. Teile des HCV (wie etwa das „core protein“ oder NS5A) können zusätzlichen oxidativen Stress in Hepatozyten induzieren.</li> <li>Menschliche Zellen verfügen über zahlreiche Mechanismen (wie etwa den Mechanismus, der über die „Ataxia teleangiectatica mutated“-Kinase vermittelt wird, um Mutationen, die die Entstehung von Malignomen begünstigen können, zu reparieren. Es gibt Hinweise darauf, dass Bestandteile des HCV einige dieser Reparatursysteme blockieren können.</li> <li>HCV scheint über verschiedene Mechanismen – unter anderem durch Interaktionen m it dem „Wnt/ß-catenin pathway“ – die Proliferation von Hepatozyten stimulieren zu können.</li> <li>Der Einfluss von HCV auf die Apoptose von Hepatozyten ist komplex und noch unvollständig verstanden, scheint aber ebenfalls zur Pathogenese HCV-induzierter HCC beizutragen.</li> </ul> <h2>Neue Entwicklungen in der Therapie der chronischen Hepatitis C</h2> <p>Bis vor kurzer Zeit bestand die einzige Option zur Therapie der chronischen Hepatitis C in einer Kombination aus pegyliertem Interferon plus Ribavirin. Diese Therapie hatte jedoch mehrere gravierende Nachteile: Sie musste über 24–72 Wochen durchgeführt werden, hatte (abhängig vom Genotyp) Heilungsraten von nur etwa 40– 80 % , führte oft zu gravierenden Nebenwirkungen und zusätzlich mussten zahlreiche Kontraindikationen beachtet werden. Das größte Problem war vielleicht, dass Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose – also gerade jene Patienten, bei welchen eine virologische Heilung am dringendsten nötig wäre – mit diesem Therapieregime nicht behandelt werden konnten. Während der letzten Jahre wurden jedoch auf dem Gebiet der Therapie der chronischen Hepatitis C dramatische Fortschritte erzielt. Die Basis der Entwicklung neuer Therapieregime stellte die Erkenntnis dar, dass HCV für seine Replikation nicht nur wirtseigene Komponenten, sondern auch drei vom Virus selbst kodierte Enzyme benötigt: eine Protease, eine Polymerase und das Enzym NS5A. Es gelang, hochspezifische Substanzen zu synthetisieren, die selektiv einzelne dieser viralen Enzyme hemmen. Diese neuen Medikamente werden unter dem Überbegriff „direct acting antiviral agents“ (DAA) zusammengefasst. Entsprechend dem inhibierten Enzym unterscheidet man Proteasehemmer, Polymerasehemmer und NS5A-Hemmer. Da all diese Substanzen hochspezifisch das entsprechende virale Enzym hemmen, ohne mit dem humanen Zellstoffwechsel zu interagieren, weisen die neuen Medikamente praktisch keine Nebenwirkungen auf und selbst Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose können gefahrlos therapiert werden. Durch Kombination von zwei oder drei Substanzen aus unterschiedlichen Klassen gelingt es, mit einer Therapiedauer von meist 12 Wochen praktisch alle Patienten mit chronischer Hepatitis C virologisch zu heilen. Das Hauptproblem der modernen DAA-Therapieregime besteht in den hohen Kosten, die leider in den meisten Ländern Therapierestriktionen zur Folge haben: In Österreich wird die Therapie derzeit nur für Patienten mit signifikanter Leberfibrose (F2, F3 oder F4 entsprechend dem METAVIR-Score) refundiert.</p> <h2>Auswirkungen moderner Therapieregime der chronischen Hepatitis C auf die HCC-Inzidenz</h2> <p>Erste Studien zeigen, dass bei Patienten, bei welchen bereits eine Leberzirrhose besteht, auch nach virologischer Heilung das erhöhte Risiko, ein HCC zu entwickeln, über viele Jahre persistiert. Daraus ergeben sich zwei wichtige Konsequenzen:</p> <ul> <li>Bei Patienten mit Leberzirrhose muss auch nach virologischer Heilung unbedingt halbjährlich eine Oberbauchsonografie durchgeführt werden, um ein sich eventuell entwickelndes HCC in einem frühen Stadium, in welchem noch eine kurative Therapie möglich ist, zu entdecken.</li> <li>Bei Patienten mit chronischer Hepatitis C sollte in einem möglichst frühen Stadium eine antivirale Therapie durchgeführt werden, um die Entwicklung einer Leberzirrhose zu verhindern. Es geht jedoch nicht nur darum, die Entstehung einer Leberzirrhose mit all ihren Komplikationen – einschließlich des HCC – zu verhindern, sondern es wird immer klarer, dass eine chronische HCV-Infektion auch bei frühem Fibrosestadium extrahepatische Probleme wie eine Erhöhung des kardiovaskulären Risikos oder eine Verschlechterung der Glukosetoleranz verursachen kann. Gerade unter diesem Aspekt ist die derzeit in Österreich verfolgte Strategie, die Refundierung von modernen Therapieregimen der chronischen Hepatitis C auf Patienten zu beschränken, die bereits eine signifikante Leberfibrose entwickelt haben, langfristig nicht vertretbar.</li> </ul> <p>Trotzdem zeigt die Therapie mit den modernen DAA-Regimen bereits ihre Wirkung: Während in früheren Jahren die HCV-induzierte Leberzirrhose gemeinsam mit der alkoholischen Leberzirrhose die häufigste Indikation für eine Lebertransplantation (LTX) darstellte, ist die LTX aufgrund einer HCV-induzierten Leberzirrhose in Österreich inzwischen eine absolute Rarität geworden, da in den vergangenen beiden Jahren der Großteil aller Patienten mit chronischer Hepatitis C im zirrhotischen Stadium erfolgreich therapiert wurde.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1703_Weblinks_s93_abb1.jpg" alt="" width="1457" height="670" /></p></p>
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