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Der radiologische Beitrag zur Onkologie
Jatros
30
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30.05.2019
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<p class="article-intro">In Wien ging vom 27. Februar bis 3. März der diesjährige European Congress of Radiology (ECR) über die Bühne und erreichte mit 30 259 Registrierungen einen neuen Teilnehmerrekord. Ein in zahlreichen Sitzungen diskutiertes Thema war die Kooperation zwischen Radiologie und Onkologie, die neue Optionen in der Therapieplanung und im Monitoring der Patienten ermöglicht.</p>
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<p class="article-content"><p>Die Radiologie wird in der Versorgung onkologischer Patienten in Zukunft eine immer größere Rolle spielen. Im Jahr 2035 werden die frühe Erkennung und Behandlung von Tumoren, minimal invasive Interventionen sowie gezielte Therapien und Immuntherapien im Rahmen von „precision medicine“ die onkologische Landschaft dramatisch verändert haben und zu einem längeren und besseren Überleben der Patienten führen, so Prof. Dr. Regina Beets-Tan vom niederländischen Krebsinstitut.</p> <h2>Den Patienten invasive Therapien ersparen</h2> <p>Diese Zukunft hat bereits begonnen. Beets-Tan nennt als Beispiel bereits heute eingesetzte „Watch & wait“-Strategien, die eine verlässliche Risikoabschätzung anhand der Bildgebung erfordern. Als Beispiel nennt sie das komplette Ansprechen von Rektumkarzinomen auf die neoadjuvante Radiochemotherapie, das in rund 30 % der Fälle erreicht werden kann. Gelingt es, den Tumor in Remission zu bringen, kann unter Umständen auf eine chirurgische Therapie verzichtet werden. Dass dies bei strenger Patientenselektion machbar und sicher ist, wenn die Remission sowohl in der Bildgebung als auch endoskopisch bestätigt werden kann, wurde mittlerweile in Studien demonstriert.<sup>1</sup> In einem Register von 1000 Patienten war das Outcome mit „watch & wait“ ebenso gut wie nach chirurgischer Resektion.<sup>2</sup> Voraussetzung wäre jedoch, so Beets-Tan, die enge Kooperation eines multidisziplinären Teams aus Onkologen, Radiologen, Strahlentherapeuten, Gastroenterologen und Chirurgen. Bildgebung und Endoskopie müssen an einem Zentrum vorhanden sein, damit eine „Watch & wait“-Strategie angedacht werden kann. Allerdings erfordere „watch & wait“ häufige Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren über eine längere Zeitspanne. Beets-Tan: „Damit wird der Bedarf an Bildgebung steigen und wir wissen noch nicht, wie wir diesen Bedarf abdecken können.“<br /> Von besonderer Bedeutung ist dabei die Zusammenarbeit zwischen Radiologen und Strahlentherapeuten, zumal die Radiotherapie zunehmend die Option des „dose painting“ entwickelt und anhand der Bildgebung die höchsten Strahlendosen gezielt an den Tumor und sogar an besonders aktive Bereiche des Tumors abgeben kann. Künstliche Intelligenz wird in Zukunft bei der Planung der Strahlentherapie eine immer größere Rolle spielen und beispielsweise Scans vorsortieren, um Fälle mit Priorität dem Radiologen schneller zur Befundung vorzulegen. Beets-Tan: „Der Computer wird in seine Algorithmen auch molekulare Informationen einbeziehen, um nicht nur das Risiko zu quantifizieren, sondern auch bereits Vorschläge für die Therapie vorzulegen. Das wird bereits in naher Zukunft Realität werden.“ In manchen Fällen kann die Diagnostik dann bereits die Therapie beinhalten. „Theranostics“ wird bereits in konkreten Anwendungen klinisch untersucht. So können Positronen-Emissions-Tomografie( PET)-Tracer auch gleichzeitig als Strahlentherapeutika fungieren. Dies wird unter anderem für das prostataspezifische Membran-Antigen (PSMA) versucht, das in kleinen Fallserien nicht nur als Ziel für die PET-Diagnostik verwendet wurde. Wird der Ligand mit einem therapeutischen Radionuklid kombiniert, so bewirkte das in Studien bei rund 70 % der Patienten ein Prostataspezifisches-Antigen( PSA)-Ansprechen.<sup>3</sup> Beets-Tan: „Theranostics ist ein weites Feld, in das derzeit gerade so richtig Bewegung kommt.“</p> <h2>Risikostratifizierung mittels Genetik und Bildgebung</h2> <p>Ebenfalls ein Feld der Zukunft ist ein verbessertes Risiko-Profiling – auch bei Patienten mit weiter fortgeschrittener Erkrankung. Dies betrifft zum Beispiel Patienten mit nodal-positiven Tumoren, die nach klinischer Risikostratifizierung ein hohes Risiko für Metastasierung haben. Allerdings wisse man, dass nicht alle nodal- positiven Patienten Metastasen entwickeln werden, man habe nur bislang keine Möglichkeit, diese Patienten zu identifizieren. Beim Mammakarzinom ist ein genetisches Profiling des Tumors bereits Realität und hat sich im Vergleich zu einer klinischen Risikoabschätzung als überlegen erwiesen.<sup>4</sup> Insbesondere sei es damit möglich, so Beets-Tan, Frauen mit günstigem genetischem Risikoprofil trotz weniger günstiger klinischer Präsentation eine Chemotherapie zu ersparen. Bildgebung könnte in Zukunft auch bei der Patientenselektion für die neuen Immuntherapien ins Spiel kommen. Unter Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren kommt es nicht selten zu einer initialen Vergrößerung des Tumors in der Bildgebung. Dabei kann es sich um „Pseudowachstum“ handeln, dass tatsächlich kein Tumorwachstum, sondern ein Zeichen von Ansprechen auf die Therapie ist. Beets- Tan: „Wir sollten den Unterschied möglichst früh, am besten beim ersten Followup, erkennen können.“ Genau das könnte mithilfe von künstlicher Intelligenz und „deep learning“ gelingen. Entsprechende Arbeiten stehen kurz vor der Publikation. Ein anderer Ansatz ist der Nachweis des Ansprechens bereits vor Therapiebeginn. Dies kann mit der PET-Computertomografie (CT) und markiertem Atezolizumab (89Zr-Atezolizumab) erreicht werden. In einer Studie zeigte die Methode im Vergleich zur Biopsie einen höheren Prädiktionswert (Abb. 1).<sup>5</sup> Beets-Tan: „Das ist die Zukunft. Wir werden mit unseren Partnern in Zentren arbeiten, in denen wir alle Informationen aus Klinik, Bildgebung, Genetik usw. verarbeiten können, um die Prognose der Patienten besser abschätzen zu können.“</p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1903_Weblinks_jatros_onko_1903_s72_abb1_barth.jpg" alt="" width="1457" height="1623" /></p> <h2>Der neue Player: künstliche Intelligenz</h2> <p>Generell gewinnt künstliche Intelligenz im Rahmen der radiologischen Diagnostik immer mehr an Bedeutung. Prof. Dr. Elmar Kotter vom Universitätsklinikum Freiburg verweist allerdings auf die Gefahr der sogenannten „hype cycles“. Die jährliche Zahl der Publikationen zu den Keywords „deep learning“ und „machine learning“ auf dem Gebiet der Medizin geht mittlerweile in die Tausende. Künstliche Intelligenz wird seit den 50er- Jahren entwickelt, zunächst als Versuch, mit dem Computer menschliches Verhalten zu imitieren. Seit den 80er-Jahren wird am Maschinenlernen gearbeitet, das Computern bestimmte Lernprozesse ermöglicht. Die neueste Entwicklung auf diesem Gebiet ist das „deep learning“, das sich dabei an der Struktur neuronaler Netzwerke orientiert. Seit wenigen Jahren steht ausreichend Rechnerkapazität zur Verfügung, um entsprechende Netzwerke aufzubauen. Kotter: „Das Problem ist, dass sich ein Netzwerk verhält wie eine Black Box, sobald es arbeitet. Man bekommt keine Information, warum es tut, was es tut.“ Man muss das Netzwerk also entsprechend trainieren. In der Radiologie bedeutet das, dass eine große Zahl von Images mit bekannten Diagnosen/ Outcomes benötigt wird, um den Algorithmus lernen zu lassen. In der Praxis heißt das: große Datenbanken. Zu den anstehenden Aufgaben gehört nun, so Kotter, die Integration künstlicher Intelligenz in den radiologischen Arbeitsprozess. Das kann über die Bildanalyse hinausgehen. Die entstehenden Herausforderungen sind erheblich. Sie betreffen die Ausbildung künftiger Generationen von Radiologen ebenso wie ethische Fragen rund um den Umgang mit Patientendaten. Kotter: „Unsere Rolle wird sich mit dem verstärkten Einsatz von künstlicher Intelligenz verändern.“</p> <h2>Screening: Bildgebung reduziert Krebssterblichkeit</h2> <p>Screening-Untersuchungen haben das Potenzial, die Mortalität bestimmter Krebserkrankungen sowohl auf individueller Ebene als auch auf Populationsebene zu senken. Das Screening mit einem radiologischen Verfahren, der Mammografie, ist im Fall des Mammakarzinoms bereits seit den späten 1980er-Jahren im Routineeinsatz. Die Bilanz sei, so Univ.-Prof. Dr. Christiane Kuhl, Direktorin der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen, positiv. Allerdings bleibt in bestimmten Bereichen Bedarf nach Verbesserungen bzw. Anpassungen der etablierten Protokolle. Mehrere, bereits in den 1970er-Jahren zu einem großen Teil in Skandinavien durchgeführte Studien zeigen für die Mammografie Reduktionen der Brustkrebsmortalität von mindestens 25 % . Dabei werde, so Kuhl, nach wie vor ein „One size fits all“-Ansatz gewählt. Dieser ignoriere das individuell sehr unterschiedliche Risiko individueller Frauen. Alter, Familienanamnese, bekannte genetische Polymorphismen, persönliche Anamnese und die Dichte der Brust in der Mammografie könnten heute herangezogen werden, um das individuelle Risiko abzuschätzen. Diese Informationen fließen gegenwärtig jedoch nicht in die Screening-Programme ein – mit Ausnahme einer sehr kleinen Gruppe von Frauen mit extrem hohem genetischem Risiko infolge bekannter Punktmutationen, bei denen zusätzlich zur jährlichen Mammografie noch eine Magnetresonanztomografie (MRT, auch MRI) empfohlen wird. Hinzu kommen Faktoren, die einer Früherkennung des Tumors durch die Mammografie im Weg stehen können. Hier nennt Kuhl wiederum die Dichte der Brust sowie das Risiko, ein besonders aggressives Karzinom zu entwickeln. Gerade diese hochaggressiven Tumoren können in der Mammografie nämlich am leichtesten mit benignen Läsionen verwechselt werden. Damit ergeben sich zwei potenzielle Schattenseiten des Screenings: nämlich Überdiagnose (durch die Detektion von Fibrose, Hypoxie und Nekrose) auf der einen und Unterdiagnose hochaggressiver Tumoren auf der anderen Seite. Alles in allem bestehe die Gefahr, dass mit der Mammografie vor allem die harmloseren, langsam wachsenden Tumoren entdeckt werden („length time bias“). Auf der anderen Seite des Spektrums äußert sich die Unterdiagnose hochaggressiver Tumoren im Auftreten sogenannter Intervallkarzinome. Diese Karzinome machen, so Kuhl, 20 bis 30 % der Tumoren aus, die im Rahmen von Screening-Programmen gefunden werden, und haben eine deutlich schlechtere Prognose als Karzinome, die mittels Bildgebung detektiert werden. Kuhl: „Wir sollten aber vor allem jene Tumoren erkennen, die das Potenzial haben, zu töten.“</p> <h2>Wird die MRT die Mammografie ersetzen?</h2> <p>Mehrere bildgebende Verfahren, die Informationen über die Mammografie hinaus liefern können, werden derzeit zumindest als zusätzliche Untersuchungen zur Mammografie diskutiert. Konkret sind das Erweiterungen der Mammografie wie die digitale Tomosynthese oder die kontrastverstärkte digitale Mammografie, aber auch Ultraschallverfahren und vor allem die multiparametrische MRT. Für den Ultraschall in Kombination mit der Mammografie konnte eine verbesserte Detektionsrate nachgewiesen werden – um den Preis einer hohen Zahl falsch positiver Befunde.<sup>6</sup><br /> Im Gegensatz zum Ultraschall ist die MRT komplex, teuer und schwerer verfügbar und wird daher gegenwärtig als Third- Line-Bildgebung in der Diagnostik des Mammakarzinoms betrachtet – ungeachtet ihres hohen diagnostischen Potenzials, wie Kuhl betont. Ihre Gruppe zeigte in einer Kohorte von Frauen mit sehr hohem Risiko für die MRT in der Brustkrebsdiagnostik eine Sensitivität von 100 % und einen positiven Prädiktionswert von 64 % . Im Vergleich dazu lag die Sensitivität der Mammografie bei lediglich 33 % .<sup>7</sup> Dass dies auch bei Frauen mit durchschnittlichem Brustkrebsrisiko funktioniert, zeigte eine 2017 publizierte Studie mit mehr als 2000 Frauen. In dieser Kohorte wurden mit der MRT eine hohe Spezifität (97,1 % ; 95 % CI: 96,5–97,6) und ein hoher positiver Prädiktionswert (35,7 % ; 95 % CI: 28,9–43,1) erreicht.<sup>8</sup> Kuhl weist darauf hin, dass in den publizierten Studien zum MRT-Screening die Rate an Intervallkarzinomen sehr niedrig ist und besonders in den aktuelleren Kohorten gegen null geht. Die höhere Detektionsrate führt nicht zu Überdiagnosen, da MRT vor allem Angiogenese und Protease-Aktivität detektiert. Diese Veränderungen sind assoziiert mit Karzinogenese, Proliferation und Metastasierung und damit typisch für höhermaligne, klinisch signifikante Tumoren. Tatsächlich handelte es sich bei den drei falsch negativen MRT-Befunden in der EVA-Studie um duktale „Low grade“-Carcinomae in situ (DCIS), die mit Mammografie oder Ultraschall detektierbar waren.<sup>9</sup> Die Autoren der EVA-Studie gelangten zu dem Schluss, dass beim MRT-Screening weder Ultraschall noch Mammografie die Detektionsrate relevanter Karzinome erhöhen können. Damit bleibt die Frage der praktischen Umsetzung und der Kosten. Die Lösung könnte in einem abgekürzten MRT-Protokoll („abbreviated breast MRI“ – AB-MRI) liegen. AB-MRI kann in etwa drei Minuten durchgeführt und von erfahrenen Befundern in wenigen Sekunden gelesen werden. In zahlreichen kleineren Studien wurde dieses Protokoll bislang bei mehr als 7000 Frauen mit einem herkömmlichen MRT-Protokoll verglichen und es erwies sich dabei als gleichwertig.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: ECR 2019 in Wien: Wilhelm Conrad Röntgen Honorary
Lecture „Oncologic imaging: a new beginning has just begun“,
New Horizons Session „Artificial intelligence (AI):
driven by radiologists“ und Special Focus Session „Screening
with imaging: a new era?“
</p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Maas M et al.: Wait-and-see policy for clinical complete responders after chemoradiation for rectal cancer. J Clin Oncol 2011; 29(35): 4633-40 <strong>2</strong> van der Valk MJM et al.: Long-term outcomes of clinical complete responders after neoadjuvant treatment for rectal cancer in the International Watch & Wait Database (IWWD): an international multicentre registry study. Lancet 2018; 391(10139): 2537-45 <strong>3</strong> Kratochwil C et al.: Current status of prostate-specific membrane antigen targeting in nuclear medicine: clinical translation of chelator containing prostate-specific membrane antigen ligands into diagnostics and therapy for prostate cancer. Semin Nucl Med 2016; 46(5): 405-18 <strong>4</strong> Cardoso F et al.: 70-gene signature as an aid to treatment decisions in early-stage breast cancer. N Engl J Med 2016; 375(8): 717-29 <strong>5</strong> Bensch F et al.: 89Zr-atezolizumab imaging as a non-invasive approach to assess clinical response to PD-L1 blockade in cancer. Nat Med 2018; 24(12): 1852-8 <strong>6</strong> Berg WA et al.: Combined screening with ultrasound and mammography vs mammography alone in women at elevated risk of breast cancer. JAMA 2008; 299(18): 2151-63 <strong>7</strong> Kuhl CK et al.: Breast MR imaging screening in 192 women proved or suspected to be carriers of a breast cancer susceptibility gene: preliminary results. Radiology 2000; 215(1): 267-79 <strong>8</strong> Kuhl CK et al.: Supplemental breast MR imaging screening of women with average risk of breast cancer. Radiology 2017; 283(2): 361-70 <strong>9</strong> Kuhl CK et al.: Prospective multicenter cohort study to refine management recommendations for women at elevated familial risk of breast cancer: the EVA trial. J Clin Oncol 2010; 28(9): 1450-7</p>
</div>
</p>