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Der PSA-Test ist in Ungnade gefallen – bei einigen Männern lohnt er sich trotzdem
Leading Opinions
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06.04.2017
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<p class="article-intro">Jahrelang galt der PSA-Test als «Muss» für den Mann. Doch nach der 2009 erschienenen PLCO-Studie<sup>1</sup> kam es zu einer 180-Grad-Kehrtwendung, die Autoren der Studie und auch die U.S. Preventive Services Task Force rieten vom Test ab.<sup>2</sup> Wir haben zwei Urologen gefragt, warum der Test in Ungnade gefallen ist und warum er sich bei einigen Männern trotzdem lohnt.</p>
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<p class="article-content"><p>«Ja, was denn nun? Soll ich den PSATest machen oder nicht?», fragen viele Männer ihren Urologen, der darauf oftmals auch keine Antwort weiss. «Bei bestimmten Männern ergibt der Test schon Sinn», sagt Prof. Dr. med. George Thalmann, Direktor der Universitätsklinik für Urologie am Inselspital in Bern. «Aber man muss individuell schauen, bei wem es sich lohnt, ihn durchzuführen.»</p> <h2>Test senkte Sterblichkeit</h2> <p>1970 hatte Richard Ablin, Professor an der Universität Arizona, ein Protein gefunden, das in der Prostata gebildet und in die Samenflüssigkeit abgegeben wird. Er nannte es Prostata-spezifisches Antigen, kurz PSA. Bald fand man heraus, dass es dazu dient, das Ejakulat flüssiger zu machen, damit sich die Spermien darin bewegen können. Untersuchungen ergaben, dass Männer mit Prostatakarzinom einen stark erhöhten PSA-Wert aufwiesen. 1980 entwickelten Forscher aus Japan deshalb einen Bluttest, mit dem man den PSA-Wert bestimmen kann, der Test wurde flächendeckend eingeführt, und es trat ein, was man gehofft hatte: Prostatakrebs wurde früher erkannt, und die Männer konnten rechtzeitig therapiert werden. Eine europäische multizentrische, randomisierte Studie (ERSPC) mit 162 388 Teilnehmern zeigte, dass mit dem Test die Sterblichkeit durch Prostatakrebs nach 13 Jahren um 20 % sank.<sup>3</sup> Um einen Todesfall zu verhindern, mussten sich 781 Männer screenen lassen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Onko_1702_Weblinks_lo_onko1702_s47_liste_1_.jpg" alt="" width="686" height="1011" /></p> <h2>Heftige Kritik von Urologen</h2> <p>Doch als 2009 die US-amerikanische PLCO-Studie mit 76 693 Männern veröffentlicht wurde,<sup>1</sup> riet die U.S. Preventive Services Task Force vom Screening wieder ab. Denn ob sich jemand testen liess oder nicht, änderte nichts am Sterberisiko. Die möglichen Schäden – etwa eine unnötige Operation oder die ständige Angst wegen eines falsch positiven PSA-Tests – seien grösser als ein möglicher Nutzen, urteilten die US-Experten.<br /> Europäische Urologen kritisierten die Entscheidung der US-Amerikaner heftig. «Als ich auf dem amerikanischen Urologenkongress hörte, wie die PLCO-Studie durchgeführt worden war, war ich fassungslos », erinnert sich Prof. Dr. med. Markus Graefen, ärztlicher Leiter des Prostatakrebszentrums der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf und einer der führenden Kritiker der PLCO-Studie in Europa. «Nachträglich stellte sich nämlich heraus, dass sich 90 % der angeblich nicht Getesteten doch heimlich haben testen und – falls nötig – therapieren lassen.» Und umgekehrt hätten sich einige Teilnehmer der Testgruppe geweigert, ihren PSA-Wert bestimmen zu lassen. «Die Studie hat also zwei Gruppen verglichen, in denen der Test fast gleich häufig durchgeführt wurde », erklärt Graefen. «Kein Wunder, dass kein Unterschied in der Sterblichkeit gefunden wurde.» Kurz nachdem die Details der Studie bekannt wurden, habe man unter Kollegen heftig darüber diskutiert, erinnert sich Graefen. «Viele glauben, dass die Task Force die Empfehlung, den Test nicht durchzuführen, in naher Zukunft wieder zurücknehmen wird», sagt er.</p> <h2>Nicht der Test ist das Problem, sondern die Interpretation</h2> <p>Nicht der Test sei das Problem, sondern bei wem man ihn durchführe und wie man ihn interpretiere, sagt Thalmann. «Wir dürfen nie vergessen, den Patienten zu fragen, was er vor der Blutabnahme gemacht hat oder ob er Probleme im Bereich der Prostata hat», sagt er. Bei einem erhöhten Wert muss man ihn fragen, ob er in den 48 Stunden vor der Blutabnahme zum Beispiel lange mit dem Velo unterwegs war oder Sex hatte, und man muss ausschliessen, dass bei ihm eine vergrösserte Prostata vorliegt und dass Harnblase oder Prostata entzündet sind. Thalmann empfiehlt wie viele Kollegen den Test in folgenden Fällen: Wenn Prostatakrebs in der Familie vorgekommen ist, sollte man sich im Alter von 45 bis 50 Jahren testen lassen. Hat der Mann Beschwerden im Bereich der Prostata oder will er einfach gut informiert sein, sollte man den Test im Alter von 50 bis 70 Jahren durchführen. «Fragt ein Patient, ob er einen PSA-Test machen soll, müssen Sie viel Zeit für das Gespräch einplanen», rät der Urologe. «Das braucht es, um mit dem Mann zu überlegen, ob bei ihm ein Test Sinn hat oder nicht und was ein mögliches Testergebnis bedeutet.»<br /> Hat der Mann einen sehr niedrigen PSA-Wert, zum Beispiel 0,7, hat er mit grosser Wahrscheinlichkeit keinen Krebs. «Dann können Sie ihm sagen, dass er beruhigt nach Hause gehen kann und erst in einigen Jahren zur nächsten Kontrolle kommen braucht», sagt Thalmann. Ist der Wert grösser als 1, sollte der Patient früher zur Kontrolle kommen. Bei einem Wert von über 4 muss man eine Prostataentzündung und Blasenentleerungsstörungen ausschliessen und dann eine Biopsie durchführen. Zeigt sich darin ein Karzinom im Frühstadium, kann man operieren, aktiv überwachen oder den Tumor bestrahlen. «Auch für diese Entscheidung braucht es wieder ein ausführliches Gespräch », sagt Thalmann. «Viele Männer verstehen nicht, was aktives Überwachen bedeutet.»<br /> Er ist mit einer generellen Empfehlung des Tests zurückhaltend. «Eine 20 % ige Risikoreduktion hört sich zwar nach viel an», sagt er. «In absoluten Zahlen heisst das aber, dass infolge des Tests nur 7 von 10 000 Männern weniger starben.» Dem müsse man jedoch die mehr als 17 000 Biopsien und Tausende von Eingriffen gegenüberstellen, die Männer haben durchführen lassen wegen eines unklaren PSATests, oder weil sie sichergehen wollten. Statistisch gesehen hat es sich nur bei einem von 27 Männern «gelohnt», sich behandeln zu lassen, das heisst, dass ein vorzeitiger Tod verhindert werden konnte.<br /> «All die Eingriffe verursachen aber häufig Komplikationen», sagt Thalmann. Das müsse man bei der Entscheidung immer mitberücksichtigen. Auch hier muss der Mann Bescheid wissen: Zu den typischen Komplikationen zählen Blutungen, Infektionen, Impotenz, Inkontinenz oder auch die psychische Belastung durch das Abwarten. «Jeder chirurgische Eingriff birgt diese Risiken. Aber in Zentren und bei Chirurgen mit grossem Patientenumsatz ist dieses Risiko zum Glück überschaubar. »</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Onko_1702_Weblinks_lo_onko1702_s48_tab_1.jpg" alt="" width="1419" height="961" /></p> <h2>Oft reicht engmaschige Kontrolle</h2> <p>Laien meinen oft, Krebs sei ein Todesurteil. «Ich erkläre den Männern, dass ein Prostatakarzinom in vielen Fällen derart langsam wächst, dass es keine Symptome verursacht und man nicht daran stirbt», sagt Thalmann. Oftmals reiche es, engmaschig zu kontrollieren, ob der Krebs wächst. Doch längst nicht alle Männer kämen mit der Unsicherheit gut zurecht, ob sich nicht doch noch ein Krebs entwickelt. Auf der anderen Seite dürfe man nicht vergessen, dass viele Männer von dem Test profitieren, weil ihr Krebs früh entdeckt und sie rechtzeitig therapiert werden. «Die Entscheidung für oder gegen den Test ist nicht einfach», gibt Thalmann zu. «Wir Ärzte können den Patienten nur gut informieren – entscheiden muss er sich letztendlich alleine.»</p></p>
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<p><strong>1</strong> Andriole GL et al: N Engl J Med 2009; 360(13): 1310-9 <strong>2</strong> U.S. P reventive S ervices Task F orce: A nn I ntern M ed 2008; 149(3): 185-91 <strong>3</strong> Schröder FH et al: Lancet 2014; 384(9959): 2027-35 <strong>4</strong> Gasser T et al: Schweiz Med Forum 2012; 12(6): 126-8</p>
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