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Der Mythos von Krebsdiäten hält sich hartnäckig
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26.12.2017
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<p class="article-intro">Was nun soll man als Onkologe bei Fragen nach der Ernährung dem Patienten raten? Kein Zucker oder keine Fette, viel Brokkoli und Cranberrys? Krebsdiäten versprechen Wunderheilungen. Doch keine Diät kann Krebs heilen. Trotzdem lohnt es sich für Patienten, sich mit ihren Ernährungsgewohnheiten auseinanderzusetzen; denn mit der richtigen Ernährung können sie ihr Risiko für Rückfälle senken und ihre Lebensqualität erhöhen.</p>
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<p class="article-content"><p>Was Krebsdiäten propagieren, tönt auf den ersten Blick vielversprechend, und es ist verständlich, dass sich Krebspatienten an jeden Strohhalm klammern. Man solle keinen Zucker und keine Kohlenhydrate essen, heisst es, denn damit könne man den Krebs «aushungern». Bei der Breuss-Diät darf man 42 Tage nur Gemüsesäfte und Tee trinken, bei der Gerson-Diät kein Fett und kein Salz zu sich nehmen, dafür frisch gepresste Säfte: Das soll das angeblich gestörte Gleichgewicht von Natrium und Kalium wiederherstellen. Und sowieso soll man viel Brokkoli, Rote Bete und Cranberrys verzehren, weil die angeblich tumorhemmende Stoffe enthalten. Viele Patienten setzen grosse Hoffnungen auf Krebsdiäten. Diese sollten jedoch kritisch hinterfragt werden.</p> <h2>Krebsdiäten können gefährlich sein</h2> <p>Zu versprechen, dass sich Krebs durch die richtige Ernährung heilen lasse, hält Prof. Dr. med. Hans Hauner für unseriös: «Es ist nicht belegt, dass solche Diäten wirken, und es ist auch nicht geprüft, dass sie nicht schaden», sagt der Chef- Ernährungsmediziner der Technischen Universität in München. Oft wird bei Krebsdiäten mit entsprechenden Produkten geworben – etwa Nahrungsergänzungsmitteln. «Das grenzt an Betrug», erklärt Prof. Hauner. «Im besten Fall bringen die Diäten nichts, aber sie können auch gefährlich werden.» Und das nicht nur, weil den Patienten bestimmte Nährstoffe fehlen. Die oft als «Krebs-Waffe» angepriesenen Antioxidanzien können in hohen Dosen sogar krebsfördernd wirken.<br /> Es lohnt sich aber, sein Ernährungsverhalten zu reflektieren. Denn mit dem richtigen Essen kann man die Lebensqualität erhöhen und das Rückfallrisiko etwas senken. Zunächst muss man aber unterscheiden zwischen der Phase, in welcher der Patient gerade behandelt wird, und der Zeit nach Abschluss der Therapie. «Während der Therapie ist erst einmal wichtig, dass der Patient nicht abnimmt, dass ihm das Essen halbwegs schmeckt und er alle notwendigen Nährstoffe aufnimmt», sagt Dr. med. Jann Arends, Onkologe an der Uniklinik Freiburg im Breisgau. «Später kann er sich dann darum kümmern, wie er einen Rückfall am besten vermeidet.»<br /> Patienten mit akuter Tumorerkrankung haben oft wenig Appetit und eine Aversion gegen bestimmtes Essen, ausserdem verbrauchen sie mehr Energie und die Krebserkrankung erzeugt den Zustand einer ständigen leichten Entzündung. All dies führt dazu, dass viele der Patienten Gewicht verlieren, weil Muskulatur abgebaut und mehr Fett verbrannt wird. Das kann sich nachteilig auf den Krankheitsverlauf auswirken. Auch sprechen die Patienten auf die Medikamente nicht so gut an, das Risiko für Nebenwirkungen steigt, die Patienten sind körperlich nicht so fit und sterben eher. «Die Breuss-Diät ist unverantwortlich», warnt Prof. Hauner. «Damit verstärkt man Untergewicht und Muskelabbau und der Körper wird geschwächt.» Bei Diagnosestellung einer primär fortgeschrittenen Erkrankung liegt abhängig von der Tumorentität bei 31–87 % der Patienten ein Gewichtsverlust vor.<sup>1, 2</sup> In 15 % der Fälle haben die Betroffenen bereits mehr als 10 % ihres üblichen Körpergewichts verloren.<sup>3</sup> Der Gewichtsverlust ist mit einer eingeschränkten Lebensqualität und mit einer schlechteren Prognose verbunden.<sup>4</sup><br /> Ärzte sollten das Thema Ernährung ansprechen. Die Patienten müssen aber für solche Informationen auch offen sein, sie aufnehmen und verarbeiten können. Das geht erst, wenn der Schock über die Diagnose nachgelassen hat.<br /> Dr. Arends ist Erstautor der S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin zur Klinischen Ernährung in der Onkologie.<sup>5</sup> Gemäss dieser Leitlinie soll man beginnend mit dem Erstkontakt in ausreichend kurzen Abständen, also zumindest alle 4–8 Wochen, Ernährungszustand, Nahrungsaufnahme, körperliche Leistungsfähigkeit und den Schweregrad der Erkrankung erfassen. Für ein Screening auf Mangelernährung sollten validierte Instrumente verwendet werden wie der Nutrition Risk Score (NRS-2002) oder das Malnutrition Universal Screening Tool (MUST). Im Screening auffällige Patienten werden einer weiteren Diagnostik zugeführt – mit Erfassung von Nahrungsaufnahme, ernährungsrelevanten Symptomen, Körper- und Muskelmasse, Leistungsfähigkeit und systemischer Inflammation. Die Zufuhr an Energie und essenziellen Nährstoffen orientiert sich am individuellen Bedarf und sollte möglichst nicht überoder unterschritten werden. In der Leitlinie ist detailliert aufgeführt, wie man den Energiebedarf berechnet und wie viel Fett, Proteine, Vitamine und Spurenelemente Tumorpatienten in der akuten Krankheitsphase brauchen.</p> <h2>Nüsse, Schokolade und Sahnejoghurt als Snacks</h2> <p>Man soll das essen, was einem schmeckt, so die Ansicht von Dr. Arends. Gerne die Speisen mit Sahne oder Butter anreichern und Nüsse, Schokolade oder Sahnejoghurt als Snacks zwischendurch essen, denn viele vertragen mehrere kleine Mahlzeiten über den Tag verteilt besser als drei grosse. Ist einem Patienten infolge der Chemotherapie ständig übel, sei es hilfreich, viel zu lüften, um Kochgerüche zu beseitigen, sehr Süsses und Scharfes zu meiden oder, wenn den Patienten ein Metallgeschmack vom verwendeten Besteck stört, es durch eines aus Kunststoff zu ersetzen. Gegen Appetitlosigkeit hilft essen in Gesellschaft, ein schön gedeckter Tisch – und auch ein Aperitif ist erlaubt. «Das Beste ist, sich von qualifizierten Ernährungsexperten beraten zu lassen», so Arends.</p> <h2>Vitamine nur bei Mangel substituieren</h2> <p>Immer wieder werden Krebspatienten die Vitamine C und D, Selen oder andere Nahrungsergänzungsmittel angeboten. «Natürlich liegt die Annahme nahe, man bräuchte jetzt besonders viele Vitamine oder Mineralien», erklärt Dr. Arends. «Kann man ganz normal essen, rate ich aber von hoch dosierten Vitaminsupplementen ab, denn die könnten das Krebsrisiko sogar etwas erhöhen.» Habe ein Patient Sorge, nicht genügend Vitamine oder Mineralstoffe aufzunehmen, könne man die jeweiligen bestimmen lassen und nur bei einem Mangel ersetzen.<br /> Ist erst einmal das Gröbste überstanden, fragen sich Patienten, wie sie verhindern können, dass die Krebserkrankung erneut auftritt. Der World Cancer Research Fund und das American Institute for Cancer Research haben Empfehlungen herausgegeben, durch deren Befolgung Krebs vermieden werden kann.<sup>6</sup> Diese richten sich an die allgemeine Bevölkerung, aber auch an Patienten, die sich einer Tumorbehandlung unterzogen haben: nicht zu fettig essen, nicht mehr als 500g rotes Fleisch pro Woche, viel Obst und Gemüse; Übergewicht vermeiden; Nahrungsergänzungsmittel nur dann, wenn ein Mangel vorliegt. «Wichtiger als das Gewicht zu kontrollieren scheint aber die Kombination aus gesunder Ernährung und Bewegung zu sein», berichtet Dr. med. Matthias Rostock, Onkologe am Institut für integrative Medizin am Universitätsspital Zürich. So erreichten Frauen nach Brustkrebs, die täglich fünf oder mehr Portionen Obst und Gemüse gegessen und sich regelmässig bewegt hatten, ein höheres Alter als diejenigen, die diesem Programm nicht gefolgt waren, und zwar unabhängig davon, ob übergewichtig oder nicht. «Die ungünstige Auswirkung von Übergewicht auf die Prognose von Brustkrebs lässt sich also mit diesen zwei einfachen Massnahmen günstig beeinflussen.»<br /> Es schade keinem Krebspatienten, sich mit seinen Ernährungsgewohnheiten auseinanderzusetzen und über Alternativen zu Schweinshaxe, Pizza und Pommes nachzudenken, so eine Krebspatientin. «Allerdings nicht mit dem Ziel, dass man mit den gewonnenen Erkenntnissen den Krebs heilt, sondern um sich besser zu fühlen: Das muss man den Betroffenen klar sagen.» Und es habe keinen Sinn, einem Patienten zu gesunden Lebensmitteln zu raten, welche ihm nicht schmecken. «Aus einem Fleischesser wird eben nicht von heute auf morgen ein Müsliesser – Krebs hin oder her.»</p></p>
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<p><strong>1</strong> Arends J et al.: Aktuel Ernährungsmed 2003; 28: 61-68 <strong>2</strong> Bozzetti F et al.: Clin Nutr 2009; 28: 445-454 <strong>3</strong> Dewys WD et al.: Am J Med 1980; 69: 491-497 <strong>4</strong> Bozzetti F: Support Care Cancer 2010; 18(Suppl 2): S41-S50 <strong>5</strong> Arends J et al.: Aktuel Ernahrungsmed 2015; 40: e1-e74 <strong>6</strong> World Cancer Research Fund, American Institute for Cancer Research: Food, Nutrition, Physical Activity, and the Prevention of Cancer: a Global Perspective. Washington DC: AICR, 2007</p>
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