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Datenbanken in der Hämatoonkologie
Jatros
Autor:
OA Dr. Josef König
I. Interne Abteilung – Hämatologie & Onkologie<br> Krankenhaus der Elisabethinen Linz<br> E-Mail: josef.koenig@elisabethinen.or.at
30
Min. Lesezeit
06.04.2017
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<p class="article-intro">Hämatologie und Onkologie gehören zu den innovativsten Gebieten der Medizin. Das in exponentiellem Umfang anfallende Wissen steht Wissenschaftlern und Ärzten in exzellenten und immer komplexer werdenden Datenbanken zur Verfügung. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die Vielfalt dieser Portale.</p>
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<p class="article-content"><h2>Bibliografische Datenbanken</h2> <p>Die am häufigsten benützte bibliografische Datenbank der Medizin ist MEDLINE. Ihre Ursprünge gehen ins 19. Jahrhundert zurück: 1836 wurde in Washington die Library of the Surgeon General’s Office gegründet, 1840 entstand eine erste publizierte Literatursammlung. Der Direktor dieser Bibliothek, John Shaw Billings, hatte bereits damals den Anspruch, seine Sammlung solle „as complete as possible“ sein. 1879 entstand der Index Medicus als Vorläufer von MEDLARS (Medical Literature Analysis and Retrieval System). Aus diesem ging 1971 MEDLINE (MEDLARS Online) hervor. Die Datenbank wurde 1997 über das Internet unter dem Namen PubMed kostenlos verfügbar. Aktuell sind die bibliografischen Angaben zu 26 Mio. Zeitschriftenartikeln aus dem Gesamtgebiet der Medizin enthalten, wobei jährlich mehr als 1 Mio. Artikel hinzukommen. Wie wichtig diese Datenbank ist, zeigt sich daran, dass bereits 2009 mehr als 100 Millionen Mal pro Monat darauf zugegriffen wurde (Abb. 1).<br /> Im Gegensatz zu MEDLINE/PubMed decken die folgenden Datenbanken das Gesamtgebiet aller Wissenschaften ab: Kostenlos stehen dafür BASE (Bielefeld Academic Search Engine) und Google Scholar zur Verfügung. Zusätzlich zu wissenschaftlichen Artikeln werden auch Bücher, Dissertationen, Habilitationen sowie graue Literatur (z.B. Kongressbände) durchsucht. Kostenpflichtig sind Datenbanken wie der Science Citation Index (SCI)/Web of Science oder SCOPUS. Der SCI geht auf den Begründer der Bibliometrie, Eugene Garfield, zurück, einen Pionier der Informationswissenschaft. Er schlug 1955 in einem Aufsatz in „Science“ vor, Zitationen wissenschaftlicher Veröffentlichungen systematisch zu erfassen und damit Zitationszusammenhänge deutlich zu machen. SCI und SCOPUS ermöglichen es ferner, danach zu suchen, an welchen Institutionen und von welchen Forschern über ein bestimmtes Spezialgebiet publiziert wird.<br /><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1702_Weblinks_s97_abb1.jpg" alt="" width="2185" height="871" /></p> <h2>Faktendatenbanken</h2> <p>Faktendatenbanken bieten Wissen bereits in aufbereiteter Form im Volltext an. Zu den wichtigsten in der Hämatologie und Onkologie verwendeten Quellen gehören OMIM (Online Mendelian Inheritance in Men), eine Datenbank über mehr als 4.000 genetisch bedingte Erkrankungen, und der „Atlas of Genetics and Cytogenetics in Oncology and Haematology“. Der Atlas informiert über alle relevanten zytogenetischen Aberrationen. In der Genbank sind die publizierten Gensequenzen aller Lebewesen enthalten. Die Erforschung von Signalkaskaden in den Tumorzellen führt zu zunehmend selektiver wirkenden Medikamenten. Diese Pathways werden in eigenen Datenbanken erfasst. Eine Zusammenstellung von Pathway- Datenbanken finden Sie auf meiner Datenbankseite. Die amerikanische Datenbank ClinicalTrials.gov informiert über mehr als 200.000 klinische Studien aus 190 Ländern.</p> <h2>Datenbanken der Evidence-based Medicine</h2> <p>Archibald Leman Cochrane war einer der Pioniere in der Entwicklung randomisierter kontrollierter klinischer Studien. Seine Forschungen waren für die Entwicklung der Evidence-based Medicine wegbereitend. Auf ihn geht die Cochrane Collaboration bzw. die Cochrane Library zurück, die medizinisches Wissen einem systematischen Review unterzieht und in mehreren Datenbanken bereitstellt; die bekannteste darunter ist die Cochrane Database of Systematic Reviews.</p> <h2>Leitlinien</h2> <p><strong>Leitlinien aus dem Gesamtgebiet der Medizin</strong><br /> Medizinische Leitlinien stellen Handlungskorridore für Diagnose und Therapie dar. Von ihnen kann bzw. muss in begründeten Fällen abgewichen werden. 171 wissenschaftliche Fachgesellschaften stellen deutschsprachige Leitlinien auf der AWMF-Hompage kostenlos zur Verfügung. Die Qualität einer Leitlinie schlägt sich in ihrer Klassifizierung nieder (S1 hat die niedrigste Evidenz, S3 die höchste).<br /><br /> <strong>Leitlinien aus der Hämatoonkologie</strong><br /> Die weltweit bedeutendste und mehrfach pro Jahr aktualisierte Leitliniensammlung wird vom amerikanischen NCCN (National Comprehensive Cancer Network) erstellt. Dahinter stehen 26 führende Krebszentren, wie z.B. das Fred Hutchinson Cancer Research Center oder das Dana-Farber/Brigham and Women’s Cancer Center. Die sehr detaillierten Informationen sind kostenlos zugänglich, eine Registrierung ist erforderlich.<br /> Auf europäischer Ebene stellt die ESMO (European Society for Medical Oncology) meist knapp gehaltene Leitlinien, ebenso kostenlos, zur Verfügung. Seit einigen Jahren publizieren die Fachgesellschaften (DGHO, OeGHO, SGMO + SGH) der drei deutschsprachigen Länder, Deutschland, Österreich und Schweiz, sehr übersichtliche Leitlinien, die sie auf ihrer gemeinsamen Homepage „Onkopedia“ kostenlos zugänglich machen.</p> <h2>Kompetenznetze</h2> <p>Seit 1999 haben sich in Deutschland 21 Kompetenznetze entwickelt, die Forschungszentren, Universitäten, Krankenhäuser, Labors, Praxen, Daten- und Materialbanken interdisziplinär vernetzen. Die Fachgebiete Hämatologie und Onkologie finden sich in drei Kompetenznetzen: „Akute und chronische Leukämien“, „Maligne Lymphome“, „Pädiatrische Onkologie und Hämatologie“. Das darin enthaltene Wissen (z.B. Behandlungsprotokolle) steht auch österreichischen Ärzten zur Verfügung und eine Mitarbeit ist länderübergreifend möglich.</p> <h2>UpToDate</h2> <p>Mehr als 20 medizinische Fachgebiete werden durch die kostenpflichtige Volltextdatenbank „UpToDate“ in etwa 10.500 Themenzusammenstellungen präsentiert. Die außerordentlich hohe Qualität dieser Datenbank, die nahezu die gesamte Onkologie miterfasst, erklärt sich durch die Anforderungen an die über 6.000 Autoren: Sie müssen zu den weltweit Besten ihres Fachgebietes zählen und sie müssen klinisch tätig sein. Alle Beiträge werden redaktionell überarbeitet und in eine einheitliche Form gebracht. Die Aktualisierung erfolgt nahezu täglich. Die Datenbank ist in 174 Ländern im Einsatz und an nahezu allen Universitätskliniken sowie in vielen Krankenhäusern und Praxen verfügbar.</p> <h2>Zukünftige hochintegrative Datenbanken</h2> <p>In den zur Verfügung stehenden Datenbanken zeigt sich eine Entwicklung hin zu immer größerer Komplexität: Rein bibliografische Datenbanken (z.B. MEDLINE) standen am Anfang, es folgte die Entwicklung von Volltextdatenbanken (z.B. OMIM), später standen Leitlinien (s. AWMF) zur Verfügung. Dann wurde Wissen in anwendbare Handlungsempfehlungen in Form von Point-of-Care-Systemen (z.B. UpToDate) konkretisiert.<br /> In die Behandlungsentscheidungen werden in Zukunft wesentlich größere Datenmengen einfließen. Daher werden die Datenbanken hochintegrativ und extrem leistungsfähig sein. In Entscheidungsprozesse werden beispielsweise folgende Faktoren miteinbezogen werden: Vonseiten des Patienten: Familien-, Reise-, Impfanamnese, frühere und aktuelle Erkrankungen, seine Ernährungsgewohnheiten, aktuelle „life parameter“ wie Temperatur, Blutdruck, Puls, frühere und aktuelle Laborwerte, das gesamte Genom des Patienten bzw. auch das seiner malignen Zellen, sein aktuelles Mikrobiom, die frühere und aktuelle Bildgebung. Vonseiten der Wissenschaft: alle relevanten publizierten Studienergebnisse und Leitlinien.<br /> Systeme, die derart komplexe Inhalte verarbeiten können, werden derzeit von IBM (Watson-Technologie) und SAP (HANA- Technologie) entwickelt. Dabei arbeiten diese Firmen bereits jetzt auf onkologischem Gebiet mit renommierten Institutionen zusammen: IBM gemeinsam mit dem Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York und SAP mit der Charité in Berlin.<br /> Diese hochintegrative Wissensaufbereitung wird der personalisierten Medizin den Weg bereiten, terminologisch spricht man bereits von „precision medicine“. Bereits Ende 2012 schreibt das „New England Journal of Medicine“, rückblickend auf 200 Jahre eigener Publikationsgeschichte, in einem aufsehenerregenden visionären Editorial unter der Überschrift „A Glimpse of the Next 100 Years in Medicine“ (Kohane IS et al: N Engl J Med 2012; 367(26): 2538-9):<br /> In the decades ahead, the pace of biomedical discovery will accelerate. The state of an individual person will be characterized with increasing precision from the molecular level to the genomic level to the organ level and by interactions with medications, nutrients, the microbiome, therapeutic devices, and the environment. This precision medicine will become possible because of huge data sets on large populations, with millions of characterizations of each person. Study populations will grow to millions, which will allow observational studies with novel statistical methods that will allow discovery of useful, reproducible patterns and relationships from these data. This will be possible because virtually all the data will be in an advanced infrastructure of electronic health records (EHRs) that includes input from physiological monitoring, which is already starting to become part of the management of chronic diseases and of guidelines for prevention and fitness. Therapeutic and monitoring instruments will continue to become smaller, smarter, more interactive, and more connected to the health information infrastructure. However, the quantum leaps will come not from the devices but from inferences drawn from the data. The size and complexity of this multidimensional characterization of patients will lead to far more complex diagnostic and prognostic categories than are currently in use. The multivariate descriptors of large populations will allow stratification of a kind seen only in the most recent genomically informed clinical trials. Massive data crunching will yield analytic or algorithmic formulas that will be useful for clinical purposes even though they defy easy summary in a language most of us can understand. Complex but empirically validated algorithms will be embedded in EHR systems as decision support tools to assist in everyday patient care. Those management algorithms will evolve and be modified continuously in accordance with inputs from ongoing clinical observations and from new research. Clinical decision support algorithms will be derived entirely from data, not expert opinion, market incentives, or committee consensus. The huge amount of data available will make it possible to draw inferences from observations that will not be encumbered by unknown confounding [...]</p></p>
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