<p class="article-intro">Infektionen verursachen 16–20 % aller Malignome weltweit. Viren wurden bereits vor mehr als 100 Jahren mit der Induktion von Malignomen in Verbindung gebracht und mittlerweile als wichtigste Gruppe infektiöser Karzinogene erkannt. Das hypothetische Potenzial für eine virusinduzierte Karzinogenese ist jedoch wesentlich höher in Anbetracht der enormen Diversität an Viren in und auf uns und der ausgeprägten Interaktionen zwischen Viren und Wirt.</p>
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<p class="article-content"><h2>Die Entdeckung unserer mikrobiellen Begleiter</h2> <p>Der menschliche Körper ist dicht besiedelt mit einer mikrobiellen Flora. In und auf uns befinden sich Bakterien, Pilze, Viren und gelegentlich Parasiten, die als Kommensalen in enger Gemeinschaft mit unserem Körper leben. Die Gesamtheit aller den Menschen besiedelnden Mikroorganismen wird als Mikrobiom bezeichnet. Das bakterielle Mikrobiom des Darms alleine setzt sich aus mehr als 1.000 unterschiedlichen Bakterienarten zusammen und beinhaltet 10x mehr Bakterien als der menschliche Körper. Die Mehrheit dieser Mikroorganismen trägt wesentlich zur Gesundheit ihres menschlichen Wirts bei. Infektiöse Pathogene werden von diesen Kommensalen durch das Schließen ökologischer Nischen oder die Produktion antimikrobieller Substanzen direkt und indirekt unterdrückt. Stoffwechselprozesse des Menschen werden in relevantem Ausmaß von Mikroorganismen wahrgenommen, und zwar durch bakterielle Aufschlüsselung und Weiterverarbeitung der Nahrung, Energieproduktion oder Biosynthese essenzieller Substrate und Vitamine. Das Immunsystem wird zusätzlich durch die Auseinandersetzung mit Kommensalen laufend vorbereitet auf die Ankunft von Krankheitserregern. Das Immunsystem kann dadurch rasch und effizient auf infektiöse Pathogene reagieren. Pathologische Veränderungen in der Zusammensetzung des Mikrobioms (Dysbiose) wurden jedoch auch mit Diabetes mellitus, Übergewicht, Zöliakie, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen oder Malignomen in Zusammenhang gebracht. Diese Erkenntnisse wurden überwiegend im vergangenen Jahrzehnt durch die Entwicklung innovativer molekularbiologischer Methoden – subsumiert als „Metagenomics“, siehe auch Beitrag von Dr. Klymiuk in dieser Ausgabe – gewonnen.</p> <h2>Das virale Mikrobiom</h2> <p>Viren nehmen hinsichtlich Zahl, Diversität und biologischer Relevanz für den Wirt eine prominente Stellung im menschlichen Mikrobiom ein. Die Beleuchtung des Viroms (des viralen Anteils des Mikrobioms) stellt Forscher aufgrund der entscheidenden biologischen Unterschiede zu Bakterien vor besondere Herausforderungen. Viren sind rund hundertmal kleiner als Bakterien und vermehren sich ausschließlich in lebenden Zellen. Sie infizieren nur spezifische Zellen, an die sie sich evolutionär optimal angepasst haben – eine Isolation oder Anreicherung von Viren mittels Zellkultur ist deshalb ungemein schwerer als bei Bakterien. Viren weisen eine hohe genetische Diversität innerhalb der unterschiedlichen Virusfamilien auf und haben nicht wie Bakterien im Genom Regionen, die für alle Viren übereinstimmen. Diese Merkmale machen es unmöglich, metagenomische Methoden direkt aus der Bakterienforschung auf die Virusforschung zu übertragen. Unsere interdisziplinäre Forschergruppe entwickelte daher eine neuartige Methode zur Erforschung des Viroms, um in zukünftigen Studien potenzielle Assoziationen zwischen bekannten und neu entdeckten Virusinfektionen mit der Entstehung und Propagation menschlicher Malignome zu untersuchen.</p> <div id="rot"> <p>„Viren nehmen hinsichtlich Zahl, Diversität und biologischer Relevanz für den Wirt eine prominente Stellung im menschlichen Mikrobiom ein. Die Beleuchtung des Viroms, also des viralen Anteils des Mikrobioms, stellt Forscher aufgrund der entscheidenden biologischen Unterschiede zu Bakterien vor besondere Herausforderungen.“ - C. Steininger, Wien</p> </div> <h2>Virusinfektion in der Entstehung menschlicher Malignome</h2> <p>Francis Peyton Rous beschrieb vor mehr als 100 Jahren erstmals die Übertragung von Tumoren durch Exposition gegenüber Tumorgewebe. Rous homogenisierte und filterte Tumorgewebe von Hühnern und brachte dieses Gewebe in die Haut anderer Hühner ein. Die exponierten Hühner entwickelten daraufhin die gleichen Tumoren. Rous schloss daraus, dass diese Tumoren durch Viren induziert würden. Das nach ihm benannte Rous-Sarkoma-Virus wurde jedoch erst 1961 identifiziert und erst 1966 wurde Rous für seine herausragende Erkenntnis der Nobelpreis verliehen.<br /> In den folgenden Jahrzehnten wurden mithilfe der sich rasch entwickelnden molekularbiologischen Methoden weitere Tumorviren identifiziert. Beispielsweise wurde die Assoziation einer Infektion mit menschlichen Papillomaviren und der Entstehung diverser Tumoren im Bereich der zervikalen, analen und oropharyngealen Mukosa durch eine Vielzahl von Studien belegt. Die Prävention der Krebsentstehung mittels Papillomavirus-Vakzine konnte eindrucksvoll in großen Studien gezeigt werden. Dass es sich bei den bisher bekannten Assoziationen wahrscheinlich nur um die Spitze des Eisbergs handelt, zeigt die aktuelle Beschreibung eines neuen Tumorvirus, des Merkelzell-Polyoma-Virus. Die Infektion mit diesem Polyomavirus ist mit einem seltenen, aggressiven Typ von Hautkrebs assoziiert. Infektionen sind nach heutigem Stand des Wissens kausal mit 16–20 % aller Krebserkrankungen weltweit assoziiert und mit Ausnahme der Infektion durch Helicobacter pylori handelt es sich ausschließlich um Virusinfektionen. Das Potenzial für die Entdeckung weiterer Tumorviren ist jedoch enorm.</p> <h2>Das unerforschte virale Potenzial für die Induktion von Malignomen</h2> <p>Der menschliche Körper wird von Viren unterschiedlichster Herkunft bevölkert. Eukaryote Viren infizieren beispielsweise menschliche Zellen, prokaryote Viren infizieren Bakterien und werden deshalb auch Bakteriophagen genannt, Pflanzenviren infizieren Pflanzenzellen und passieren als Nahrungsbestandteile unseren Darm und humane endogene Retroviren wurden während der menschlichen Evolution wiederholt in unser Genom eingeschleust. Das Potenzial für Infektion, spezifische Immunantwort und Tumorinduktion ist ganz wesentlich von der Spezifität der unterschiedlichen Viren determiniert, da Viren nur jene Zellen infizieren können, an die sie sich über evolutionäre Prozesse angepasst haben. Die enormen Dimensionen der viralen Diversität in und auf uns wurden erst rezent durch den Einsatz metagenomischer Methoden erkannt.<br /> <strong>Eukaryote Viren</strong> wie Noroviren sind die mit Abstand häufigste Ursache von Gastroenteritisausbrüchen in den USA und liegen zahlenmäßig noch deutlich vor der kumulativen Anzahl von bakteriellen Gastroenteritiserregern. Die Erforschung des viralen Mikrobioms zeigte jedoch, dass klinisch „stille“, chronische Infektionen sehr häufig sind (Tab. 1). Klinisch inapparente, chronische Infektionen wurden mittels metagenomischer Methoden nicht nur im Zusammenhang mit latenten Viren wie Herpesviren detektiert, sondern auch mit Auslösern akuter Erkrankungen wie Noro- und Enteroviren. Die Diversität an Papillomavirus-Subtypen auf unserer Haut ist noch deutlich ausgeprägter als vor wenigen Jahren angenommen. Darüber hinaus wurden zahlreiche neue Viren wie Cosa- oder Aichi-Viren entdeckt. Vor drei Jahren wurde durch Zufall eine völlig neue Klasse von Viren entdeckt – Megaviren. Diese Viren sind so groß, dass sie Bakterienfilter nicht passieren können und daher bei der präanalytischen Aufarbeitung klinischer Materialien bisher eliminiert worden sind. Umso erstaunlicher war die Erkenntnis, wie verbreitet diese Viren in unserer Umwelt und in uns sind. Mittlerweile wurden mehrere Arten von menschlichen Megaviren beschrieben (Senegal-Virus, Marseille-Virus, Torque-Tenovirus etc.) und im Plasma fast aller gesunden Blutspender nachgewiesen. Die Relevanz von Megaviren für die menschliche Gesundheit ist bisher ungeklärt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2015_Jatros_Onko_1501_Weblinks_Seite157.jpg" alt="" width="691" height="942" /></p> <p><strong>Bakteriophagen</strong> kommen zehnmal häufiger als Bakterien in menschlichen Stuhlproben vor. Die Häufigkeit von Bakteriophagen wurde trotzdem noch deutlich unterschätzt, da Bakteriophagen an der Darmwand anhaften und dort Bakterien binden, infizieren und lysieren können. Bei der Untersuchung von Darmbiopsien wurde rezent eine deutlich höhere Bakteriophagendichte und -diversität nachgewiesen, als von der Untersuchung von Stuhlproben erwartet wurde.<br /> <br /> <strong>Pflanzenviren</strong> passieren in großer Menge unseren Darm über die Ernährung. Das virale Mikrobiom unseres Darms besteht zu mehr als 90 % aus Pflanzenviren, die auch während der Darmpassage infektiös bleiben und nach Ausscheidung wieder Pflanzen infizieren können.<br /> <br /> <strong>Humane endogene Retroviren (HERV)</strong> wurden während der menschlichen Evolution durch wiederholte Infektionen in unser Genom integriert und nehmen rund 8–9 % des menschlichen Genoms ein. HERV sind in der Regel nicht vermehrungsfähig. Einzelne Genprodukte können jedoch exprimiert werden und die humane Genexpression oder Immunantwort modifizieren. Eines dieser HERV (Syncytin) spielt beispielsweise eine wesentliche Rolle beim Urothelzellkarzinom. Ein Genprodukt dieses Virus (Env) wird in Tumorgewebe überexprimiert und ist mit der Proliferation und Überlebensfähigkeit der immortalisierten Urothelzellen assoziiert. Syncytin hat jedoch auch eine ganz wesentliche physiologische Funktion bei der menschlichen Reproduktion. Dieses Gen wurde vor rund 40–45 Millionen Jahren in das Säugetiergenom integriert und bereitete wahrscheinlich die Grundlage für einen Umstieg der Reproduktion vom Ei zum Uterus. Die neue Art der Reproduktion erbrachte einen wesentlichen positiven Selektionsvorteil. Säugetiere, die sich über Eier vermehren (Monotremata), sind mittlerweile – bis auf einige wenige Ausnahmen, die in Australien leben – ausgestorben.</p> <h2>Interaktionen zwischen Wirt, Virus und anderen Mikroben</h2> <p>Der hypothetische Weg von ausgeprägter viraler Diversität zur Malignität erfordert wesentliche Zwischenschritte der Interaktion zwischen Virus und Wirt. Klinisch inapparente Virusinfektionen sind tatsächlich nicht so „still“ wie vermutet. Eine messbare und spezifische Immunreaktion wurde selbst gegen Pflanzenviren beobachtet, die keine menschlichen Zellen infizieren und unseren Darm nur passieren. Die fokussierte Untersuchung scheinbar Gesunder brachte doch die Aufnahme einzelner Gruppen von Pflanzenviren und einer spezifischen Immunreaktion in Zusammenhang mit Symptomen einer allergischen Reaktion wie bei Nahrungsmittelallergien. Ähnliche Beobachtungen wurden für chronische oder latente Virusinfektionen gemacht. Im Tiermodell konnte für Infektionen mit Zytomegalie- oder Herpesviren ein protektiver Effekt gegenüber bakteriellen Infektionen wie Yersinia pestis oder Listeria monocytogenes gezeigt werden. Eine HIV-Infektion führte im Tiermodell mit zunehmender Immunkompromittierung zur Expansion des intestinalen Viroms. Chlamydia trachomatis ist häufig mit dem Trachomatisvirus infiziert, das primär keine Immunantwort des menschlichen Wirts induziert. Eine antimikrobielle Therapie heilt Menschen von der Chlamydieninfektion, setzt jedoch gleichzeitig Antigene des Trachomatisvirus frei, die eine starke Entzündungsreaktion induzieren.<br /> Moderne metagenomische Methoden öffnen uns den Ausblick auf eine unglaubliche virale Diversität in und auf unserem Körper. Die Interaktion zwischen Wirt und Virus führt häufig zu chronischen Infektionen und spezifischen Abwehrmechanismen, die in ein scheinbares Äquilibrium zwischen Infektion und Abwehr münden. Viele hypothetische Voraussetzungen für eine virusinduzierte Karzinogenese (chronische Infektion und Inflammation) sind daher in zahlreichen, neu erkannten Virusinfektionen gegeben. Die Entdeckung neuer Zusammenhänge zwischen Virusinfektion und Karzinogenese erscheint daher als sehr wahrscheinlich.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Medizinische Universität Wien,
Klinik für Innere Medizin I,
Währinger Gürtel 18–20, 1090 Wien<br/>
E-Mail: christoph.steininger@meduniwien.ac.at<br/>
Quelle: „Microbiomes in oncology:
from basic science to therapeutic visions“,
14. November 2014, Wien
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