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„Breaking bad news“

Das Überbringen schlechter Nachrichten in der Medizin

<p class="article-intro">Das Überbringen schlechter Nachrichten stellt für Mediziner im klinischen Alltag eine große Herausforderung dar. Gesprächsführungstrainings verbessern heute die kommunikativen Kompetenzen von angehenden Ärzten und basieren auf etablierten Modellen, wie dem 6-Stufen-Modell SPIKES. Mit dem Einzug neuer Therapieansätze in der Krebsbehandlung können Prognosen zwar oft verbessert werden, die Kommunikation mit dem Patienten wird dadurch aber nicht einfacher.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>In Zeiten von Aufkl&auml;rungspflicht und &bdquo;informed decision making&ldquo; kommt der &auml;rztlichen Gespr&auml;chsf&uuml;hrung und ihrem Krisenfall, dem &Uuml;berbringen schlechter Nachrichten, gro&szlig;e Bedeutung zu.</li> <li>Das Mitteilen einer unheilbaren Erkrankung bzw. infausten Prognose ist zwar in der Regel mit starken Emotionen verbunden, wird aber dem hohen Aufkl&auml;rungswunsch von Patienten gerecht und kann auch positive Folgen haben, wie jene der Planung verbleibender Lebenszeit. Dennoch muss stets der Patientenwunsch im Einzelfall ber&uuml;cksichtigt und erfragt werden.</li> <li>Gespr&auml;chsf&uuml;hrung ist erlernbar und kann einen wichtigen Beitrag zu einer h&ouml;heren Patientenzufriedenheit und Arbeitszufriedenheit des Arztes leisten. Eine sensible und routinierte Gespr&auml;chs&shy;f&uuml;hrung stellt somit einen Schutz vor Burnout dar.</li> </ul> </div> <p><br /> In der klinischen Praxis z&auml;hlt das &Uuml;berbringen von schlechten Nachrichten (&bdquo;breaking bad news&ldquo;) zu den unbeliebtesten Aufgaben des Arztes. Pointiert definieren die Autoren Aitini und Aleotti<sup>1</sup> schlechte Nachrichten &ndash; &bdquo;bad news is an uncomfortable experience for both the giver and the receiver&ldquo; &ndash; und streichen damit heraus, dass dem &Uuml;bermitteln von schlechten Nachrichten, wie etwa bei Mitteilung einer Krebsdiagnose oder eines Rezidives, etwas inh&auml;rent Unbehagliches innewohnt, das die Aufgabe als m&uuml;hsam und undankbar kennzeichnet.</p> <h2>Die &auml;rztliche Aufkl&auml;rungspflicht</h2> <p>Insbesondere f&uuml;r Stationen mit einem hohen &bdquo;Patienten-Turnover&ldquo; scheinen die hohen Anforderungen an die &Auml;rzte hinsichtlich einer empathischen sowie vollst&auml;ndigen Aufkl&auml;rung zuweilen nicht erf&uuml;llbar, wiewohl sie doch gesetzlich verankert ist und verlangt wird. Dabei unterlag die Aufkl&auml;rung von Patienten in den letzten Jahrzehnten einem betr&auml;chtlichen Paradigmenwechsel.<br />W&auml;hrend es noch in den 1960er-Jahren Usus war, Patienten bei schweren Erkrankungen wie Krebserkrankungen nicht aufzukl&auml;ren &ndash; dies begr&uuml;ndet einerseits mit negativen psychischen Auswirkungen und andererseits mit der Tatsache, dass es ohnehin nicht m&ouml;glich sei, eine akkurate Prognose zu geben<sup>2</sup> &ndash;, so hielt sp&auml;testens mit den 1970ern und dem Einzug neuer Therapien (Cisplatin-Therapien) ein neues Ethos in die Medizin Einzug: jenes der Patientenautonomie und Selbstbestimmung, des &bdquo;in&shy;formed decision making&ldquo; (Tab. 1).<sup>3</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1705_Weblinks_42_1.jpg" alt="" width="2151" height="480" /><br />Neben dem Erscheinen neuer Therapieoptionen war dieser Wechsel vor allem ein Verdienst empirischer Studien, die ein hohes Bed&uuml;rfnis nach Aufkl&auml;rung, Streben nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit des Arztes auf der Patientenseite aufzeigten: Je nach Studie geben 60&ndash;90 % einen Aufkl&auml;rungswunsch an, selbst bei infauster Prognose und Fehlen von therapeutischen M&ouml;glichkeiten.<sup>4, 5</sup><br />Doch auch die neue Doktrin stie&szlig; bald auf Kritik, etwa durch Studien &uuml;ber Unterschiede im Aufkl&auml;rungswunsch verschiedener Kulturkreise<sup>6, 7</sup> sowie allgemein durch &Auml;rzte, die eine vollst&auml;ndige Aufkl&auml;rung als unrealistisch abtaten und dabei auf die unterschiedlichen Bed&uuml;rfnisse von Patientengruppen verwiesen. Und tats&auml;chlich konnten sp&auml;tere Studien Patientenfaktoren (wie Alter, Geschlecht, Bildung, Copingstil) und Pers&ouml;nlichkeitsfaktoren (wie Optimismus, Resilienz, Vermeidungstendenzen) aufzeigen, die Einfluss auf den Wunsch nach Aufkl&auml;rung nehmen und ein hohes Ma&szlig; an Flexibilit&auml;t und Einf&uuml;hlungsverm&ouml;gen aufseiten des Arztes erforderlich machen.</p> <h2>Auswirkungen der Aufkl&auml;rung auf das Arzt-Patienten-Verh&auml;ltnis</h2> <p>Fest steht, dass eine restriktive Aufkl&auml;rung, die sp&auml;ter durch den Patienten als l&uuml;ckenhaft oder gar unehrlich eingestuft wird, das Arzt-Patienten-Verh&auml;ltnis nachhaltig sch&auml;digen kann. Hingegen kann die Aufkl&auml;rung &uuml;ber eine infauste Prognose selbst positive Effekte haben, was lange untersch&auml;tzt wurde: die Reduktion der belastenden Unsicherheit &uuml;ber den eigenen Zustand und des Gef&uuml;hls, dass einem die Wahrheit unzumutbar ist; die oft erst nach Aufkl&auml;rung bestehende M&ouml;glichkeit, die verbleibende Lebenszeit anders zu planen und Dringliches zu regeln (Testament oder Patientenverf&uuml;gung); und sich letzte W&uuml;nsche zu erf&uuml;llen (die &bdquo;bucket list&ldquo; ist eine &bdquo;palliative Wunschliste&ldquo; f&uuml;r Dinge, die man vor dem Tod erleben bzw. tun m&ouml;chte).<br />Aus psychologischer Sicht erm&ouml;glicht gerade die Aufkl&auml;rung erst die gemeinsame Arbeit mit dem Patienten in der Verarbeitung seiner neuen Lage und in der Konfrontation mit existenziellen &Auml;ngsten und finalen Fragen. Bekannt geworden sind etwa die Arbeit der schweizerischen Psychiaterin Dr. K&uuml;bler-Ross<sup>8</sup> und ihre f&uuml;nf Sterbephasen, deren finale Phase die Todesakzeptanz ist. Ohne Aufkl&auml;rung &uuml;ber den unheilbaren, fortschreitenden Zustand der Erkrankung k&ouml;nnen auch keine psychische Verarbeitung und Reifung stattfinden. <br />Schon im 19. Jahrhundert thematisierte Tolstois &bdquo;Tod des Iwan Iljitsch&ldquo;<sup>9</sup> die Perspektive eines palliativen Patienten und ethische Probleme im Zusammenhang mit Verschwiegenheit und Nichtaufkl&auml;rung, die sp&auml;ter als &bdquo;wohlmeinende L&uuml;ge&ldquo; (&bdquo;beneficial non-disclosure&ldquo;) im paternalistischen Modell im 20. Jahrhundert deklariert wurden. Beispielhaft greift der Roman existenzielle &Auml;ngste auf, etwa die Angst vor dem Sterbeprozess, aber auch die Entt&auml;uschung mit dem unpers&ouml;nlichen Umgang in der Arzt-Patienten-Beziehung.</p> <h2>Das SPIKES-Modell</h2> <p>Baile et al.<sup>1</sup>, die die Auseinandersetzung mit dem Thema &bdquo;breaking bad news&ldquo; wesentlich propagiert und das SPIKES-Modell etabliert haben, weisen in ihrem Artikel darauf hin: Es kommt nicht nur darauf an, dass aufgekl&auml;rt wird, sondern auch, wie aufgekl&auml;rt wird. Dies tr&auml;gt der Tatsache Rechnung, dass Patienten nicht nur das Recht auf Aufkl&auml;rung, sondern auch das Recht auf einen Aufkl&auml;rungsverzicht haben (Patientencharta in den Landesgesetzgebungen) und schon von rechtlicher Seite eine Aufkl&auml;rung ohne Zustimmung des Patienten heikel ist. In diesem Zusammenhang wird der franz&ouml;sische Philosoph Voltaire gerne zitiert: &bdquo;Man sollte dem anderen die Wahrheit wie einen Mantel hinhalten, dass er hineinschl&uuml;pfen kann, und sie ihm nicht wie einen nassen Lappen um die Ohren schlagen&ldquo; (verk&uuml;rztes Zitat von Max Frisch).</p> <h2>Sechs Schritte zum &Uuml;berbringen schlechter Nachrichten</h2> <p>SPIKES ist nicht der einzige Zugang zum &Uuml;berbringen schlechter Nachrichten, h&auml;ufig werden auch die Modelle ABCDE von Rabow und McPhee<sup>10</sup> und BREAKS nach Narayanan et al.<sup>11</sup> (Tab.&nbsp;2) eingesetzt. Die leicht merkbaren englischen Akronyme stellen Schritte bzw. Phasen der Aufkl&auml;rung schlechter Nachrichten dar und sollen praktische Merkhilfen liefern. Die Modelle sind online leicht abrufbar, es sei darauf hingewiesen, dass sie lediglich Anleitungen sind und nicht die blo&szlig;e Kenntnis, sondern ihre Anwendung und &Uuml;bung die Kommunikationsf&auml;higkeit verbessern.<br />Beim SPIKES-Modell kann grob eine Phase der Vorbereitung unterschieden werden, welche Umgebungsvariablen beinhaltet, das Erfragen des Wissensstandes und des Aufkl&auml;rungswunsches, und eine Phase der Handlung, bei welcher die Informationen gegeben werden. Hierbei gilt es, medizinischen Fachjargon zu vermeiden und sich dem Niveau des Patienten anzupassen sowie sich mehrfach zu erkundigen, ob die Botschaften auch angekommen sind. <br />Emotionen wie Schock, Trauer, Wut, R&uuml;ckzug und Vermeidung muss Raum gegeben und Beachtung entgegengebracht werden, sie d&uuml;rfen und sollen angesprochen werden. Erfahrungsgem&auml;&szlig; unterbinden starke negative Emotionen die Informationsverarbeitung der Aufkl&auml;rung, sodass Patienten nachtr&auml;glich berichten, nicht aufgekl&auml;rt worden zu sein. Erst daran anschlie&szlig;end kann das Mitgeteilte zusammengefasst und ein m&ouml;glicher Behandlungsplan bestimmt werden (&bdquo;shared decision making&ldquo;). Die &auml;rztliche Aufkl&auml;rung umfasst also wesentlich mehr als das blo&szlig;e Vermitteln von Fakten &ndash; es werden vielf&auml;ltige Faktoren aufseiten des Empf&auml;ngers miteinbezogen, damit die Kommunikation gut gelingen kann.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1705_Weblinks_42_2.jpg" alt="" width="1417" height="611" /></p> <h2>Gespr&auml;chsf&uuml;hrung ist erlernbar</h2> <p>Nun zur guten Nachricht: Gespr&auml;chsf&uuml;hrung ist erlernbar und trainierbar, entgegen der Annahme, dass kommunikative Kompetenzen eine reine Begabung seien. Somit wurden auch Elemente der Gespr&auml;chsf&uuml;hrung und angeleitete Kommunikationstrainings in die medizinischen Aus- und Weiterbildungslehrpl&auml;ne implementiert, um Jungmedizinern R&uuml;stzeug f&uuml;r den Berufsalltag in Standard- und Problemsituationen an die Hand zu geben. Evaluationen von Gespr&auml;chstrainings zeigen eine deutliche Zunahme von kommunikativen F&auml;higkeiten des Arztes,<sup>12</sup> mehr Selbstsicherheit im Umgang mit Patienten und h&ouml;here Zufriedenheit mit dem eigenen Beruf<sup>13</sup> &ndash; alles wichtige Faktoren in der Prophylaxe von &Uuml;berforderung und Burnout, welches speziell im Berufsbild des Arztes eine Gefahr ist.<br />Heutzutage halten wieder neue und vielversprechende Therapien in die Krebsbehandlung Einzug: die zielgerichtete Krebstherapie und die Immuntherapie. Wenn es damit auf den ersten Blick auch einfacher und weniger belastend erscheinen mag, Patienten aufzukl&auml;ren: Gerade komplexe, molekularbiologische Wirkmechanismen neuer Therapien, gesteigerte Erwartungen an die Medizin und die Frage der Leistbarkeit werden das &bdquo;Gebot der guten Aufkl&auml;rung&ldquo; auf eine neue Probe stellen. &Auml;rztliche Kommunikationsf&auml;higkeiten und die Kunst des &bdquo;breaking bad news&ldquo; werden dabei noch mehr an Bedeutung gewinnen, um einen guten Umgang zwischen Behandler und Behandeltem zu gew&auml;hrleisten.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Aitini E, Aleotti P: Breaking bad news in oncology: like a walk in the twilight? Ann Oncol 2006; 17(3): 359-60 <strong>2</strong>&nbsp;Schaupp W: Die Wahrheit am Krankenbett. Philosophisch-rechtliche &Uuml;berlegungen zur Aufkl&auml;rungsproblematik in der An&auml;sthesie und Intensivmedizin. <a href="http://www-theol.uni-graz.at/~schaupp/vortraege/Wahrh.pdf">http://www-theol.uni-graz.at/~schaupp/vortraege/Wahrh.pdf</a> (abgerufen am 1. 10. 2016) <strong>3</strong> Baile WF et al.: SPIKES &ndash; a six-step protocol for delivering bad news: application to the patient with cancer. Oncologist 2000; 5(4): 302-11 <strong>4</strong> Oken D: What to tell cancer patients. A study of medical attitudes. JAMA 1961; 175: 1120-8 <strong>5</strong> Schr&ouml;der C et al.: Repr&auml;sentativbefragung der deutschen Bev&ouml;lkerung zu Aufkl&auml;rungswunsch und Patientenverf&uuml;gung bei unheilbarer Krankheit. Psychother Psych Med 2002; 52(5): 236-43 <strong>6</strong> Thomsen O et al.: What do gastroenterologists in Europe tell cancer patients? Lancet 1993; 341(8843): 473-6 <strong>7</strong> Blackhall LJ: Ethnicity and attitudes toward patient autonomy. JAMA 1995; 274(10): 820-5 <strong>8</strong> K&uuml;bler-Ross E: Interviews mit Sterbenden. 3. Auflage. Droemer Knaur, 2001 <strong>9</strong> Tolstoj L: Der Tod des Iwan Iljitsch. Neuausgabe. Insel Verlag, 2002 <strong>10</strong> Rabow MW, McPhee SJ: Beyond breaking bad news: how to help patients who suffer. West J Med 1999; 171(4): 260-3 <strong>11</strong> Narayanan V et al.: 'BREAKS' protocol for breaking bad news. Indian J Palliat Care 2010; 16(2): 61-5 <strong>12</strong> Fallowfield L et al.: Efficacy of a Cancer Research UK communication skills training model for oncologists: a randomised controlled trial. Lancet 2002; 359(9307): 650-6 <strong>13</strong>&nbsp;Ramirez A et al.: Mental health of hospital consultants: the effects of stress and satisfaction at work. Lancet 1996; 347(9003): 724-8</p> </div> </p>
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