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Das Überbringen schlechter Nachrichten in der Medizin
Jatros
Autor:
Mag. Philipp Schützl
Klinischer Psychologe und Gesundheitspsychologe<br>Universitätsklinik für Innere Medizin I, Medizinische Universität Wien<br>E-Mail: philipp.schuetzl@akhwien.at
30
Min. Lesezeit
01.11.2017
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<p class="article-intro">Das Überbringen schlechter Nachrichten stellt für Mediziner im klinischen Alltag eine große Herausforderung dar. Gesprächsführungstrainings verbessern heute die kommunikativen Kompetenzen von angehenden Ärzten und basieren auf etablierten Modellen, wie dem 6-Stufen-Modell SPIKES. Mit dem Einzug neuer Therapieansätze in der Krebsbehandlung können Prognosen zwar oft verbessert werden, die Kommunikation mit dem Patienten wird dadurch aber nicht einfacher.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>In Zeiten von Aufklärungspflicht und „informed decision making“ kommt der ärztlichen Gesprächsführung und ihrem Krisenfall, dem Überbringen schlechter Nachrichten, große Bedeutung zu.</li> <li>Das Mitteilen einer unheilbaren Erkrankung bzw. infausten Prognose ist zwar in der Regel mit starken Emotionen verbunden, wird aber dem hohen Aufklärungswunsch von Patienten gerecht und kann auch positive Folgen haben, wie jene der Planung verbleibender Lebenszeit. Dennoch muss stets der Patientenwunsch im Einzelfall berücksichtigt und erfragt werden.</li> <li>Gesprächsführung ist erlernbar und kann einen wichtigen Beitrag zu einer höheren Patientenzufriedenheit und Arbeitszufriedenheit des Arztes leisten. Eine sensible und routinierte Gesprächs­führung stellt somit einen Schutz vor Burnout dar.</li> </ul> </div> <p><br /> In der klinischen Praxis zählt das Überbringen von schlechten Nachrichten („breaking bad news“) zu den unbeliebtesten Aufgaben des Arztes. Pointiert definieren die Autoren Aitini und Aleotti<sup>1</sup> schlechte Nachrichten – „bad news is an uncomfortable experience for both the giver and the receiver“ – und streichen damit heraus, dass dem Übermitteln von schlechten Nachrichten, wie etwa bei Mitteilung einer Krebsdiagnose oder eines Rezidives, etwas inhärent Unbehagliches innewohnt, das die Aufgabe als mühsam und undankbar kennzeichnet.</p> <h2>Die ärztliche Aufklärungspflicht</h2> <p>Insbesondere für Stationen mit einem hohen „Patienten-Turnover“ scheinen die hohen Anforderungen an die Ärzte hinsichtlich einer empathischen sowie vollständigen Aufklärung zuweilen nicht erfüllbar, wiewohl sie doch gesetzlich verankert ist und verlangt wird. Dabei unterlag die Aufklärung von Patienten in den letzten Jahrzehnten einem beträchtlichen Paradigmenwechsel.<br />Während es noch in den 1960er-Jahren Usus war, Patienten bei schweren Erkrankungen wie Krebserkrankungen nicht aufzuklären – dies begründet einerseits mit negativen psychischen Auswirkungen und andererseits mit der Tatsache, dass es ohnehin nicht möglich sei, eine akkurate Prognose zu geben<sup>2</sup> –, so hielt spätestens mit den 1970ern und dem Einzug neuer Therapien (Cisplatin-Therapien) ein neues Ethos in die Medizin Einzug: jenes der Patientenautonomie und Selbstbestimmung, des „in­formed decision making“ (Tab. 1).<sup>3</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1705_Weblinks_42_1.jpg" alt="" width="2151" height="480" /><br />Neben dem Erscheinen neuer Therapieoptionen war dieser Wechsel vor allem ein Verdienst empirischer Studien, die ein hohes Bedürfnis nach Aufklärung, Streben nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit des Arztes auf der Patientenseite aufzeigten: Je nach Studie geben 60–90 % einen Aufklärungswunsch an, selbst bei infauster Prognose und Fehlen von therapeutischen Möglichkeiten.<sup>4, 5</sup><br />Doch auch die neue Doktrin stieß bald auf Kritik, etwa durch Studien über Unterschiede im Aufklärungswunsch verschiedener Kulturkreise<sup>6, 7</sup> sowie allgemein durch Ärzte, die eine vollständige Aufklärung als unrealistisch abtaten und dabei auf die unterschiedlichen Bedürfnisse von Patientengruppen verwiesen. Und tatsächlich konnten spätere Studien Patientenfaktoren (wie Alter, Geschlecht, Bildung, Copingstil) und Persönlichkeitsfaktoren (wie Optimismus, Resilienz, Vermeidungstendenzen) aufzeigen, die Einfluss auf den Wunsch nach Aufklärung nehmen und ein hohes Maß an Flexibilität und Einfühlungsvermögen aufseiten des Arztes erforderlich machen.</p> <h2>Auswirkungen der Aufklärung auf das Arzt-Patienten-Verhältnis</h2> <p>Fest steht, dass eine restriktive Aufklärung, die später durch den Patienten als lückenhaft oder gar unehrlich eingestuft wird, das Arzt-Patienten-Verhältnis nachhaltig schädigen kann. Hingegen kann die Aufklärung über eine infauste Prognose selbst positive Effekte haben, was lange unterschätzt wurde: die Reduktion der belastenden Unsicherheit über den eigenen Zustand und des Gefühls, dass einem die Wahrheit unzumutbar ist; die oft erst nach Aufklärung bestehende Möglichkeit, die verbleibende Lebenszeit anders zu planen und Dringliches zu regeln (Testament oder Patientenverfügung); und sich letzte Wünsche zu erfüllen (die „bucket list“ ist eine „palliative Wunschliste“ für Dinge, die man vor dem Tod erleben bzw. tun möchte).<br />Aus psychologischer Sicht ermöglicht gerade die Aufklärung erst die gemeinsame Arbeit mit dem Patienten in der Verarbeitung seiner neuen Lage und in der Konfrontation mit existenziellen Ängsten und finalen Fragen. Bekannt geworden sind etwa die Arbeit der schweizerischen Psychiaterin Dr. Kübler-Ross<sup>8</sup> und ihre fünf Sterbephasen, deren finale Phase die Todesakzeptanz ist. Ohne Aufklärung über den unheilbaren, fortschreitenden Zustand der Erkrankung können auch keine psychische Verarbeitung und Reifung stattfinden. <br />Schon im 19. Jahrhundert thematisierte Tolstois „Tod des Iwan Iljitsch“<sup>9</sup> die Perspektive eines palliativen Patienten und ethische Probleme im Zusammenhang mit Verschwiegenheit und Nichtaufklärung, die später als „wohlmeinende Lüge“ („beneficial non-disclosure“) im paternalistischen Modell im 20. Jahrhundert deklariert wurden. Beispielhaft greift der Roman existenzielle Ängste auf, etwa die Angst vor dem Sterbeprozess, aber auch die Enttäuschung mit dem unpersönlichen Umgang in der Arzt-Patienten-Beziehung.</p> <h2>Das SPIKES-Modell</h2> <p>Baile et al.<sup>1</sup>, die die Auseinandersetzung mit dem Thema „breaking bad news“ wesentlich propagiert und das SPIKES-Modell etabliert haben, weisen in ihrem Artikel darauf hin: Es kommt nicht nur darauf an, dass aufgeklärt wird, sondern auch, wie aufgeklärt wird. Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass Patienten nicht nur das Recht auf Aufklärung, sondern auch das Recht auf einen Aufklärungsverzicht haben (Patientencharta in den Landesgesetzgebungen) und schon von rechtlicher Seite eine Aufklärung ohne Zustimmung des Patienten heikel ist. In diesem Zusammenhang wird der französische Philosoph Voltaire gerne zitiert: „Man sollte dem anderen die Wahrheit wie einen Mantel hinhalten, dass er hineinschlüpfen kann, und sie ihm nicht wie einen nassen Lappen um die Ohren schlagen“ (verkürztes Zitat von Max Frisch).</p> <h2>Sechs Schritte zum Überbringen schlechter Nachrichten</h2> <p>SPIKES ist nicht der einzige Zugang zum Überbringen schlechter Nachrichten, häufig werden auch die Modelle ABCDE von Rabow und McPhee<sup>10</sup> und BREAKS nach Narayanan et al.<sup>11</sup> (Tab. 2) eingesetzt. Die leicht merkbaren englischen Akronyme stellen Schritte bzw. Phasen der Aufklärung schlechter Nachrichten dar und sollen praktische Merkhilfen liefern. Die Modelle sind online leicht abrufbar, es sei darauf hingewiesen, dass sie lediglich Anleitungen sind und nicht die bloße Kenntnis, sondern ihre Anwendung und Übung die Kommunikationsfähigkeit verbessern.<br />Beim SPIKES-Modell kann grob eine Phase der Vorbereitung unterschieden werden, welche Umgebungsvariablen beinhaltet, das Erfragen des Wissensstandes und des Aufklärungswunsches, und eine Phase der Handlung, bei welcher die Informationen gegeben werden. Hierbei gilt es, medizinischen Fachjargon zu vermeiden und sich dem Niveau des Patienten anzupassen sowie sich mehrfach zu erkundigen, ob die Botschaften auch angekommen sind. <br />Emotionen wie Schock, Trauer, Wut, Rückzug und Vermeidung muss Raum gegeben und Beachtung entgegengebracht werden, sie dürfen und sollen angesprochen werden. Erfahrungsgemäß unterbinden starke negative Emotionen die Informationsverarbeitung der Aufklärung, sodass Patienten nachträglich berichten, nicht aufgeklärt worden zu sein. Erst daran anschließend kann das Mitgeteilte zusammengefasst und ein möglicher Behandlungsplan bestimmt werden („shared decision making“). Die ärztliche Aufklärung umfasst also wesentlich mehr als das bloße Vermitteln von Fakten – es werden vielfältige Faktoren aufseiten des Empfängers miteinbezogen, damit die Kommunikation gut gelingen kann.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1705_Weblinks_42_2.jpg" alt="" width="1417" height="611" /></p> <h2>Gesprächsführung ist erlernbar</h2> <p>Nun zur guten Nachricht: Gesprächsführung ist erlernbar und trainierbar, entgegen der Annahme, dass kommunikative Kompetenzen eine reine Begabung seien. Somit wurden auch Elemente der Gesprächsführung und angeleitete Kommunikationstrainings in die medizinischen Aus- und Weiterbildungslehrpläne implementiert, um Jungmedizinern Rüstzeug für den Berufsalltag in Standard- und Problemsituationen an die Hand zu geben. Evaluationen von Gesprächstrainings zeigen eine deutliche Zunahme von kommunikativen Fähigkeiten des Arztes,<sup>12</sup> mehr Selbstsicherheit im Umgang mit Patienten und höhere Zufriedenheit mit dem eigenen Beruf<sup>13</sup> – alles wichtige Faktoren in der Prophylaxe von Überforderung und Burnout, welches speziell im Berufsbild des Arztes eine Gefahr ist.<br />Heutzutage halten wieder neue und vielversprechende Therapien in die Krebsbehandlung Einzug: die zielgerichtete Krebstherapie und die Immuntherapie. Wenn es damit auf den ersten Blick auch einfacher und weniger belastend erscheinen mag, Patienten aufzuklären: Gerade komplexe, molekularbiologische Wirkmechanismen neuer Therapien, gesteigerte Erwartungen an die Medizin und die Frage der Leistbarkeit werden das „Gebot der guten Aufklärung“ auf eine neue Probe stellen. Ärztliche Kommunikationsfähigkeiten und die Kunst des „breaking bad news“ werden dabei noch mehr an Bedeutung gewinnen, um einen guten Umgang zwischen Behandler und Behandeltem zu gewährleisten.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Aitini E, Aleotti P: Breaking bad news in oncology: like a walk in the twilight? Ann Oncol 2006; 17(3): 359-60 <strong>2</strong> Schaupp W: Die Wahrheit am Krankenbett. Philosophisch-rechtliche Überlegungen zur Aufklärungsproblematik in der Anästhesie und Intensivmedizin. <a href="http://www-theol.uni-graz.at/~schaupp/vortraege/Wahrh.pdf">http://www-theol.uni-graz.at/~schaupp/vortraege/Wahrh.pdf</a> (abgerufen am 1. 10. 2016) <strong>3</strong> Baile WF et al.: SPIKES – a six-step protocol for delivering bad news: application to the patient with cancer. Oncologist 2000; 5(4): 302-11 <strong>4</strong> Oken D: What to tell cancer patients. A study of medical attitudes. JAMA 1961; 175: 1120-8 <strong>5</strong> Schröder C et al.: Repräsentativbefragung der deutschen Bevölkerung zu Aufklärungswunsch und Patientenverfügung bei unheilbarer Krankheit. Psychother Psych Med 2002; 52(5): 236-43 <strong>6</strong> Thomsen O et al.: What do gastroenterologists in Europe tell cancer patients? Lancet 1993; 341(8843): 473-6 <strong>7</strong> Blackhall LJ: Ethnicity and attitudes toward patient autonomy. JAMA 1995; 274(10): 820-5 <strong>8</strong> Kübler-Ross E: Interviews mit Sterbenden. 3. Auflage. Droemer Knaur, 2001 <strong>9</strong> Tolstoj L: Der Tod des Iwan Iljitsch. Neuausgabe. Insel Verlag, 2002 <strong>10</strong> Rabow MW, McPhee SJ: Beyond breaking bad news: how to help patients who suffer. West J Med 1999; 171(4): 260-3 <strong>11</strong> Narayanan V et al.: 'BREAKS' protocol for breaking bad news. Indian J Palliat Care 2010; 16(2): 61-5 <strong>12</strong> Fallowfield L et al.: Efficacy of a Cancer Research UK communication skills training model for oncologists: a randomised controlled trial. Lancet 2002; 359(9307): 650-6 <strong>13</strong> Ramirez A et al.: Mental health of hospital consultants: the effects of stress and satisfaction at work. Lancet 1996; 347(9003): 724-8</p>
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</p>
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