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Chemotherapie-freie Behandlung des follikulären Lymphoms
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Davide Facchinelli
Institut für Onkologie, Bellinzona<br>
Autor:
Dr. med. Erika Lerch
Institut für Onkologie, Bellinzona
Autor:
Prof. Dr. med. Emanuele Zucca
Institut für Onkologie, Bellinzona<br> E-Mail: emanuele.zucca@eoc.ch
30
Min. Lesezeit
12.09.2019
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<p class="article-intro">In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich das Überleben von Patienten mit follikulärem Lymphom (FL) kontinuierlich verbessert, vor allem durch die Ergänzung der Standard- Chemotherapie mit dem Anti-CD20-Antikörper Rituximab. Die Schweizerische Arbeitsgruppe für Klinische Krebsforschung (SAKK) und die Nordische Lymphomgruppe (NLG) haben mehrere Studien durchgeführt, die die Rolle von Rituximab sowohl als Monotherapie als auch in Chemotherapie-freien Kombinationen untersuchen.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Ein langfristiger Nutzen von Single-Agent-Rituximab ist bei > 30 % der Patienten sichtbar.</li> <li>Die Erstlinientherapie mit Rituximab als Monotherapie beeinträchtigt langfristig den Behandlungserfolg nicht.</li> <li>R2 (Rituximab plus Lenalidomid) ist eine potenzielle neue Option für die Erstlinienbehandlung des therapiebedürftigen FL.</li> <li>Chemotherapie-freie Strategien sollten weiter untersucht werden – die Rituximab-Monotherapie dient voraussichtlich weiterhin als Standard.</li> <li>Klinische Erstlinienstudien mit neuen Kombinationen sollten nach konservativen Studiendesigns durchgeführt werden.</li> </ul> </div> <p>Das FL ist der zweithäufigste Lymphomtyp und tritt in einem mittleren Alter von 60 Jahren auf. Genetisch ist es durch die chromosomale Translokation t(14;18) (q32;q21) gekennzeichnet, welche zu einer Überexpression des <em>B-cell-lymphoma-2-</em>(BCL2)-Gens<sup>1</sup> führt.<br /> Die Chemotherapie war lange Zeit das wichtigste therapeutische Instrument zur Behandlung des fortgeschrittenen FL. Die Prognose von Patienten mit FL hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten, vor allem durch den Einsatz des Anti-CD20-Antikörpers Rituximab, kontinuierlich und signifikant verbessert, mit einer mittleren Lebenserwartung von fast 20 Jahren, insbesondere bei jüngeren Patienten.<sup>2, 3</sup><br /> 80 % der FL-Patienten haben eine hervorragende Prognose, während die restlichen 20 %, welche innerhalb von 24 Monaten nach Ende der Erstlinienbehandlung ein Fortschreiten der Erkrankung («progression of disease within 24 months», POD24) zeigen, ein deutlich schlechteres Gesamtüberleben («overall survival», OS) aufweisen und eine Hochrisikopopulation darstellen.<sup>4</sup></p> <h2>Rituximab als Monotherapie</h2> <p>Für asymptomatische Patienten im fortgeschrittenen Stadium und mit geringer Tumorlast haben randomisierte Studien bestätigt, dass die systemische Behandlung bis zur Entwicklung von Symptomen oder Organversagen hinausgeschoben werden kann, ohne das OS zu beeinträchtigen; daher ist das wachsame Abwarten seit Langem ein allgemein akzeptiertes Behandlungskonzept.<sup>5</sup> Dieser Ansatz wurde kürzlich durch eine randomisierte Studie infrage gestellt. Diese zeigt, dass die Monotherapie mit Rituximab bei asymptomatischen Patienten im Frühstadium mit einer lediglich minimalen Toxizität einhergeht, also sicher verabreicht werden kann und zu einer Verlängerung der Zeit bis zur nächsten Therapie und einer verbesserten Lebensqualität, jedoch zu keinem Überlebensvorteil<sup>6</sup> im Vergleich zum wachsamen Abwarten führt.<br /> Für FL-Patienten, die eine Therapie benötigen, zeigte Rituximab eine hohe Aktivität als Einzelwirkstoff mit Ansprechraten von 50–70 % und einem progressionsfreien Überleben («progression-free survival», PFS) von 1–3 Jahren, je nach untersuchter Population.<sup>7, 8</sup> Ausgehend von diesen Daten gehörten die klinischen Studien der Schweizerischen Arbeitsgruppe für Klinische Krebsforschung (SAKK) und der Nordic Lymphoma Group (NLG) zu den ersten, die die Rolle von Rituximab in Monotherapie als Erstbehandlung des FL bestätigten und zeigen konnten, dass ein beträchtlicher Anteil der FL-Patienten möglicherweise keine Chemotherapie als Erstlinienbehandlung benötigt.<sup>8, 9</sup><br /> Die SAKK-35/98-Studie zeigte den Nutzen einer erweiterten Rituximab-Behandlung im Vergleich zum Standardinduktionsschema von 4 wöchentlichen Dosen mit einem verlängerten Behandlungsprotokoll (4 wöchentliche Dosen gefolgt von 8 Rituximab- Verabreichungen alle 2 Monate). Das mediane ereignisfreie Überleben («event-free survival», EFS) betrug 19 Monate im Kontrollarm gegenüber 36 Monaten im verlängerten Behandlungsarm.<sup>8</sup><br /> In der anschliessenden Studie SAKK 35/03 wurden die Sicherheit und die Wirksamkeit einer Erhaltungstherapie mit Rituximab bis 5 Jahre nach der Induktion untersucht. Sie zeigte, dass das PFS des Erhaltungsarms länger war, während das OS und das Gesamtansprechen nicht signifikant länger und mit einer erhöhten Toxizität verbunden waren.<sup>10</sup><br /> Diese Studien konnten also die Frage nach der optimalen Therapiedauer von Rituximab nicht klären, aber die Verabreichung von 4 wöchentlichen Dosen von Rituximab mit einer anschliessenden Konsolidierungsphase mit Verabreichungen alle 2 Monate für 8 Male wird in den meisten Schweizer Onkologie-Hämatologie-Zentren als Standard-Erstlinienbehandlung des symptomatischen FL-Patienten anerkannt.<sup>11</sup></p> <h2>Vielversprechende Rituximab- Kombinationstherapien</h2> <p>Heutzutage werden immer mehr zielgerichtete Medikamente entwickelt und erprobt, welche in frühen klinischen Studien sowohl eine klinische Wirksamkeit als auch ein günstiges Sicherheitsprofil zeigten und somit Aussicht auf sichere und wirksame Chemotherapie-freie Strategien bieten. Die optimale Kombination dieser neuen Substanzen ist Gegenstand aktueller Untersuchungen.<br /> Die NLG versuchte, die Wirkung und Sicherheit von Interferon (IFN) α-2a in Kombination mit Rituximab vs. Rituximab allein bei indolenten, therapiebedürftigen Lymphomen zu beurteilen. Obwohl die Rate an kompletter Remission («complete remission», CR) im Kombinationsarm höher war, gab es mit 88 % keinen Unterschied im 10-Jahres-OS.<sup>12</sup><br /> Mit der Kombination von Rituximab und dem Immunmodulator Lenalidomid (R2) wurden vielversprechende Ergebnisse erzielt. R2 erwies sich als aktiver, mit höheren Ansprechraten und längerer Ansprechzeit als Rituximab allein.<sup>13, 14</sup> Die randomisierte Phase-II-Studie SAKK 35/10 bestätigte, dass Patienten, die mit R2 behandelt wurden, im Vergleich zu denen, die Rituximab allein erhielten, sowohl eine signifikant höhere CR-Rate aufwiesen (61 % vs. 36 %) als auch ein längeres PFS und eine Verlängerung der Zeit bis zur nächsten Therapie erzielten, während das 3-Jahres-Überleben vergleichbar war.<sup>15</sup><br /> Die RELEVANCE-Studie verglich R2 mit Rituximab plus Chemotherapie bei unbehandelten fortgeschrittenen FL-Patienten. Die Daten mit einer längeren Beobachtungszeit, welche kürzlich an der 15. International Conference on Malignant Lymphoma (ICML) vorgestellt wurden, zeigten, dass R2 bei der Elimination der molekularen Erkrankung ebenso wirksam ist wie die Immunchemotherapie. Erwartungsgemäss waren die Nebenwirkungsspektren unterschiedlich, indem der R2-Arm mehr kutane Toxizität aufwies, während die R-Chemotherapie mehr Neutropenien und febrile Komplikationen zeigte.<sup>16</sup><br /> Chemotherapie-freie Behandlungen sind insgesamt nicht besser verträglich, vielmehr mussten neuere Studien mit Kombinationen neuer Wirkstoffe wegen lebensbedrohlicher Komplikationen und behandlungsbedingter Todesfälle abgebrochen werden.<sup>17, 18</sup> Aufgrund der negativen Sicherheitsdaten dieser Studien mit Dreierkombinationen wird derzeit vornehmlich die Verträglichkeit von Zweierkombinationen geprüft.<br /> Unter ihnen kann Ibrutinib plus Rituximab aufgrund ihrer synergistischen Wirkung höhere Ansprechraten erzielen, insbesondere wenn diese Kombination früh im Krankheitsverlauf eingesetzt wird. In einer Phase-II-Studie zeigte diese Kombination als Erstlinienbehandlung eine objektive Ansprechrate («objective response rate», ORR) von 82 %, mit einer partiellen Ansprechrate («partial response», PR) von 55 % und einer CR-Rate von 27 %, bei insgesamt guter Verträglichkeit.<sup>19</sup></p> <p>Im Weiteren haben Moccia et al. an der 15. ICML gezeigt, dass die POD24 ihren prognostischen Wert auch bei Patienten, die ohne Chemotherapie behandelt werden, beibehält und somit einen nützlichen Endpunkt zur Bewertung neuartiger Chemotherapie-freier Strategien darstellt.<sup>20</sup></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es zwar keine randomisierten Studien gibt, die Rituximab alleine mit R-Chemotherapie bei unbehandelten FL-Patienten verglichen haben, dass jedoch mehrere Studiengruppen zeigen konnten, dass Rituximab als Monotherapie wirksam ist und eine Möglichkeit darstellt, eine langfristige Remission und ein verlängertes PFS zu erreichen. Dieser Ansatz konnte auch für Subgruppen von Patienten mit hoher Krankheitslast bestätigt werden.<br /> Wir sind der Ansicht, dass Anti-CD20-Antikörper weiterhin einen Standard in der Behandlung von FL darstellen und eine geeignete Basis für künftige klinische Studien zur Erforschung Chemotherapie- freier Alternativen bieten. Ob in der Erstlinienbehandlung jemals ein Unterschied im OS für eine bestimmte neuartige Kombination gezeigt werden kann, bleibt angesichts der zunehmenden Salvage- Behandlungsmöglichkeiten fraglich. Es ist jedoch anzunehmen, dass das Kollektiv der neuen wissenschaftlichen Behandlungsstrategien das OS der FL-Patienten weiter verbessern wird.<br /> Grundsätzlich sind lange Beobachtungszeiten in klinischen Studien erforderlich, um die Nebenwirkungsprofile neuer Kombinationen und deren Wirksamkeit umfassend zu dokumentieren, welche als wichtige Stützen für Therapieentscheide dienen.</p> </div></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Kridel R et al.: J Clin Invest 2012; 122(10): 3424-31 <strong>2</strong> Conconi A et al.: Ann Oncol 2015; 26(11): 2317-22 <strong>3</strong> Hiddemann W et al.: Blood 2005; 106(12): 3725-32 <strong>4</strong> Casulo C et al.: Early relapse of follicular lymphoma after rituximab plus cyclophosphamide, doxorubicin, vincristine, and prednisone defines patients at high risk for death: an analysis from the National LymphoCare Study. J Clin Oncol 2015; 33: 2516-22 <strong>5</strong> Ardeshna KM et al.: Lancet 2003; 362(9383): 516-22 <strong>6</strong> Ardeshna KM et al.: Lancet Oncol 2014; 15: 424-35 <strong>7</strong> Ghielmini M et al.: Blood 2004; 103(12): 4416-23 <strong>8</strong> Martinelli G et al.: J Clin Oncol 2010; 28: 4480- 84 <strong>9</strong> Kimby E et al.: Leuk Lymphoma 2008; 49: 102-12 <strong>10</strong> Taverna C et al.: J Clin Oncol 2016; 34: 495-500 <strong>11</strong> Hitz F et al.: Swiss Med Wkly 2011; 141: w13247 <strong>12</strong> Kimby E et al.: Leuk Lymphoma 2015; 56(9): 2598-2607 <strong>13</strong> Martin P et al.: Ann Oncol 2017; 28(11): 2806-12 <strong>14</strong> Fowler NH et al.: Lancet Oncol 2014; 15(12): 1311-8 <strong>15</strong> Zucca E et al.: Hematol Oncol 2015; 33: 105-6 (Abstr. 011) <strong>16</strong> Delfau-Larue MH et al.: Haematol Oncol 2019; 37(S2): 117-8 <strong>17</strong> Ujjani CS et al.: Blood 2016; 128: 2510-6 <strong>18</strong> Cheah CY et al.: Blood 2015; 125(21): 3357-9 <strong>19</strong> Fowler NH et al.: Blood 2015; 126(23): 470 <strong>20</strong> Moccia A et al.: Haematol Oncol 2019; 37(S2): 111-2</p>
</div>
</p>
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