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Chemo- und Radiochemotherapie: Ja, aber es gilt auch „Go to the right surgery“
Jatros
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31.05.2018
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<p class="article-intro">Im Rahmen der 4. St. Gallen EORTC Gastrointestinal Cancer Conference (GICC 2018) wurde am letzten Tag der Veranstaltung die bereits traditionelle Panelsitzung abgehalten, um interaktiv über kontroverse Fragen der optimalen Behandlung des Ösophagus- und Magenkarzinoms zu debattieren. Expertinnen und Experten bekamen bereits im Vorfeld insgesamt 76 Fragen vorgelegt und diskutierten diese unter der bewährten Leitung von John Zalcberg, Australien, und Manfred Lutz, Deutschland, engagiert und teils sehr kontroversiell.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Das Hauptaugenmerk der Konsensus- Sitzung lag auf der primären (kurativen) Behandlung des Adenokarzinoms des Magens sowie des Übergangs von der Speiseröhre zum Magen (junctional bez. AEG). Die Fragen wurden in vier Blöcke aufgeteilt:</p> <ul> <li>Magen – perioperative Verfahren (Staging, Indikationen, Therapiedetails, molekulare Verfahren)</li> <li>Magen – postoperative Verfahren (wie weiter nach neoadjuvanter Therapie, adjuvant nach Chirurgie)</li> <li>Junctional (AEG) (CROSS oder FLOT, Selektionskriterien)</li> <li>Lokal fortgeschritten – oligometastatisch (limitierte peritoneale Beteiligung, Chirurgie bei Oligometastasen)</li> </ul> <p>Jeder Block wurde vor der Diskussion und Abstimmung kurz von Fachleuten vorgestellt. Fortgeschrittene metastasierte Erkrankungen wurden nicht diskutiert. Vor allem sollten, wie Moderator Manfred Lutz von der Caritasklinik St. Theresia, Saarbrücken (D), anregte, die kontroversen Punkte diskutiert werden sowie Fragen mit unklarer Evidenz. Lutz betonte, dass es sich nicht um eine Guideline Session handeln sollte. Jede Frage wurde mittels TED-System beantwortet und anschließend bei Bedarf diskutiert.</p> <h2>PET-CT zum Ausschluss von Fernmetastasen genügend sensitiv?</h2> <p>Zum Einstieg unter der Moderation von John Zalcberg von der Alfred Health and Monash University, Melbourne (AUS), ging es um die Frage, ob es immer noch angemessen ist, zwischen Magen- und AEG-Karzinom zu unterscheiden. Die Frage wurde mit knapp 90 % klar bejaht. Und wie viele Biopsien sind zur Klassifizierung des Magenkarzinoms notwendig? Rund 72 % sprachen sich für 6 oder mehr aus, während knapp 17 % gar für 8 oder mehr votierten. Die Mehrzahl der Biopsien ist der Heterogenität des Tumors geschuldet, die mit einer einzigen Biopsie nicht erfasst werden kann. Das CT ist beim Staging zur Evaluation von cN für knapp zwei Drittel der Anwesenden erforderlich, ein Viertel sieht darin keinen Sinn. Für den endoskopischen Ultraschall (EUS) zur Evaluation von cT sprachen sich alle Anwesenden aus. Sollte der EUS generell Teil des Stagings sein neben CT und Endoskopie oder nur für sehr frühe oder fortgeschrittene Tumoren? 4 von 5 aller Anwesenden votierten für den EUS, weil dieser eine bessere Differenzierung des Stadiums erlaubt und damit auch das weitere Vorgehen besser festgelegt werden kann. Geteilter Meinung (46,7 % : 46,7 % ) waren die Experten bei der Frage nach dem PET-CT zum Ausschluss von Fernmetastasen vor dem Start einer präoperativen Therapie (außer bei muzinösen und diffusen Tumoren, die oft PET-negativ sind). Eine Votantin zitierte eine positive Evidenz aus der Literatur nur für Ösophagustumoren. Eine diagnostische Laparoskopie würden 83,3 % der Anwesenden vor einer präoperativen Therapie durchführen. Knapp 60 % würden gleichzeitig ein peritoneales Washing durchführen.</p> <h2>Linitis plastica: Indikation für multimodale Behandlung</h2> <p>Die perioperative Chemotherapie des Magenkarzinoms wird von 83,3 % der Experten anderen multimodalen Behandlungen vorgezogen, wobei diese Entscheidung für 88,2 % nicht von der Laurén-Klassifikation abhängig ist, und auch die Präsenz von Siegelringzellen beeinflusst die Entscheidung nicht, ebenso wenig der Proliferationsindex Ki-67. Beim HER2-Status hingegen würden 17,6 % ihre Therapieentscheidung anpassen und entsprechend behandeln. Praktisch keinen Einfluss auf die präoperative Therapie hat der molekulare Subtyp des Tumors (EBV, MSI, GS, CIN) und auch nicht die Information zur Mikrosatellitenstabilität, zur „mismatch repair deficiency“ oder zum TS-Genotyp. 11,1 % votierten für eine Chemotherapie plus postoperative Radiotherapie. Postoperativ macht für keinen der Anwesenden eine Chemo- oder Radiotherapie Sinn.<br /> Für fast alle Experten ist die Linitis plastica eine Indikation für eine multimodale Behandlung. 93,8 % des Panels sind der Meinung, dass bei einem Magenkarzinom im Stadium cT3 und/oder cN+ präoperativ behandelt werden soll. Bei einem Stadium cT2 cN0 waren nur noch knapp mehr als die Hälfte zur präoperativen Therapie bereit. Rund 30 % sprachen sich dagegen aus bzw. wollten dies nicht generell, sondern von Fall zu Fall entscheiden, abhängig etwa von Alter, Fitness und Tumorhistologie. Ein Stadium cT2 cN1 würden 86,7 % behandeln. Eine positive peritoneale Zytologie beeinflusst 56,3 % der Anwesenden in ihrer Behandlungsentscheidung. Eine Votantin zeigte sich überzeugt, dass die Zytologie eine Evidenz für Mikrometastasen liefern kann und diese folglich mit einer perioperativen Chemotherapie eradiziert werden können.</p> <h2>Neoadjuvante Therapie – Evidenz für Wirkung bereits nach einigen Zyklen</h2> <p>Zur Frage der Behandlungsprotokolle für die präoperative Therapie votierte niemand für die Radiochemotherapie (RCT) und 88,2 % für die Chemotherapie (CT). Einige sprachen sich hingegen beim Stadium cT4 in bestimmten Fällen für eine RCT aus, beispielsweise auch bei Inoperabilität. Bei der Wahl der passenden CT sprachen sich 85,7 % für FLOT (5-FU, Leucovorin, Oxaliplatin, Docetaxel) aus. Allerdings waren sich die Fachleute einig, dass je nach Situation auch andere Protokolle infrage kommen können wie ECF/ ECX (Epirubicin, Cisplatin, Fluorouracil/ Capecitabin), EOF/EOX oder FOLFOX. Selbst bei HER2-positivem Tumor würden aber 87,5 % der Anwesenden keine HER2- gezielte Therapie einsetzen. Nur 41,2 % würden eingedenk der Schwierigkeiten bei den postoperativ verabreichten Anteilen der CT präoperativ alle geplanten Zyklen verabreichen. Bedenken wurden vor allem hinsichtlich des Allgemeinzustandes des Patienten geäußert, nach dem sich die CT zu richten habe. Es wurde auch angemerkt, dass es Evidenz für die Wirkung der neoadjuvanten Therapie bereits nach einigen Zyklen geben würde. Ziel sollte es auf jeden Fall sein, präoperativ zu beginnen. Knapp 80 % waren sich einig, präoperativ mit 3x ECF respektive 4x FLOT zu beginnen. Bei einer Progression würden knapp 50 % sofort zur Chirurgie schreiten und 26,7 % zu einem anderen CT-Protokoll wechseln (Abb. 1). Allerdings fehlen für diese Option die Daten. Insgesamt kam aber Zweifel auf, ob die Frage gut gestellt war, denn je nach Schwere der Progression kann die Reaktion darauf unterschiedlich ausfallen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Onko_1803_Weblinks_s22_abb1.jpg" alt="" width="1454" height="670" /></p> <h2>Wartefrist für Chirurgie: Entscheidend ist, dass der Patient wirklich fit ist</h2> <p>Nach der präoperativen Behandlung verlassen sich 66,7 % für ein Re-Staging auf das CT, während 16,7 % respektive 8,3 % auf eine Kombination von CT plus Endoskopie zählen respektive diese zwei plus den Ultraschall beiziehen. Spricht der Tumor nicht auf die CT an, dann schreiten 78,8 % unmittelbar zur Chirurgie, nur wenige wechseln die CT. Bei lokaler Progression wechseln immer noch 63,6 % sofort zur Chirurgie und je etwa knapp 10 % wechseln das CT-Protokoll oder intensivieren die CT. Das bevorzugte Intervall zwischen letztmalig verabreichter CT und Chirurgie – sofern sich die Patienten adäquat erholt haben – liegt für 37,5 % bei 4 Wochen und für 31,3 % bei 6 Wochen, während 18,8 % schon 2 Wochen als genügend erachten. Entscheidend sei, dass der Patient wirklich fit ist, daher sei die Wartefrist entsprechend anzupassen, so die Voten. Bei einer kompletten pathologischen Remission nach neoadjuvanter CT (ECF, FLOT, CF) würden 80 % auch postoperativ mit der CT weitermachen, bei partieller Remission würden alle die CT fortsetzen. Bei neoadjuvant unbeeinflusstem Magenkarzinom und R0-Resektion würden 88,9 % eine postoperative CT machen. Sofern also postoperativ eine CT ins Auge gefasst wird, sollte es für 68,8 % das gleiche Protokoll sein. Einige wenige würden sich für ein anderes Protokoll oder gar die RCT entscheiden. Verzögert sich die postoperative CT aufgrund von Komplikationen, dann erachten 33,3 % 8 Wochen Wartezeit als gangbar und 53,3 % 12 Wochen. Bei einer Krankheitsprogression nach neoadjuvanter Therapie und R0-Resektion würden knapp 60 % mit einer postoperativen Therapie fortfahren (CT gleiches Protokoll 7,1 % , CT anderes Protokoll 28,6 % , RCT 35,7 % ) und knapp 30 % darauf verzichten. Bei einer R1-Resektion nach neoadjuvanter Behandlung und zumindest stabiler Krankheitslage würden 78,6 % postoperativ eine RCT bzw. 7,1 % eine Radiotherapie (RT) alleine beginnen.</p> <h2>Histologie oder molekulare Eigenschaften bei der Wahl der CT berücksichtigen?</h2> <p>88,9 % sind der Ansicht, dass es für westliche Patienten nach primärer Chirurgie Standard ist, mit einer postoperativen Therapie weiterzufahren. Bei pT2-pN0-R0- Tumoren würden 57,1 % keine adjuvante Therapie einsetzen, 28,6 % hingegen schon. Bei pT3-pN0-R0-Tumoren würden 75 % mit einer adjuvanten Therapie beginnen, 12,5 % nicht. Bei pT4-pN0-R0-Tumoren würden immer noch 62,5 % adjuvant behandeln, 18,8 % hingegen nicht. Eine kleine Minderheit würde eine RCT starten. Bei pTX-pN+-R0-Tumoren votieren 85,7 % für eine CT und 7,1 % für eine RCT. Bei der Frage nach der Berücksichtigung der Histologie oder molekularen Eigenschaften bei der Wahl der CT waren sich die Anwesenden im Verhältnis 50 : 50 uneinig. In der Diskussion zeigte sich, dass von Fall zu Fall entschieden und bei Hinweisen in der Literatur auf eine Wirksamkeit die Therapie begonnen werden sollte. Beim Beginn der adjuvanten Therapie lassen sich 66,7 % vom Ausmaß der Lymphknotendissektion leiten. Beispielsweise gibt es Hinweise bei D0- oder D1-Resektion, dass bei weniger als 15 dissektierten Lymphknoten eine Level-A1-Evidenz für eine adjuvante RCT besteht. Die Frage lässt sich nicht definitiv beantworten und die Empfehlungen hängen ab von der Arbeit des Chirurgen wie auch von den Ergebnissen der Pathologie. Nach einer Lymphadenektomie geringer als D2 würden 80 % eine adjuvante Therapie empfehlen. Bei adjuvanter CT würden 15,4 % Fluoropyrimidin, 23,7 % Fluoropyrimidin/Platinum, 38,5 % FLOT und 7,7 % FOLFOX geben. Eine additive Therapie würden bei einer R1-Resektion 80 % mit RCT machen und 6,7 % würden eine CT einsetzen.</p> <h2>„Go to the right surgery“</h2> <p>Bei der prä- und perioperativen Therapie des Adenokarzinoms am gastroösophagealen Übergang bevorzugen 28,6 % die RCT (CROSS) gegenüber der CT alleine. Dies sind bei Siewert I 28,6 % , bei Siewert I und II 35,7 % und bei Siewert I, II und III 7,1 % . Für fast alle Beteiligten gibt es Fälle wie Tumorlokalisation, Größe oder Resektabilität, in denen immer eine RCT angebracht ist. Bei resezierbaren Tumoren und stabilem Krankheitszustand nach präoperativer Chemotherapie würden fast alle zur Resektion schreiten. Bei ungenügender Tumorschrumpfung oder einem „margin at risk“ befürworten 61,5 % eine neoadjuvante RCT. Neoadjuvant würde auch bedeuten, dass es sich um einen resezierbaren Tumor handelt. 15,4 % sehen die RCT als definitive Behandlung. Aus chirurgischer Sicht wurde dafür plädiert, anstatt einer weiteren konservativen onkologischen Therapie das richtige chirurgische Prozedere zu wählen, was auch zu einer Ösophagogastrektomie führen könnte. „Go to the right surgery“, so unisono das Votum der anwesenden Chirurgen. Bei resezierbaren Tumoren mit einer Progression nach präoperativer CT würden 70 % zur Resektion schreiten und 20 % zu einer präoperativen RCT. Die Lokalisation von Lymphknotenmetastasen beeinflusst 63,6 % in der Wahl der Therapie (RCT vs. CT). Für 81,8 % haben auch die Anzahl und Größe einen Einfluss auf die Therapiewahl. Bei kompletter klinischer Remission – bioptisch und endoskopisch bestätigt – würden 45,5 % auf einen chirurgischen Eingriff verzichten und auf „watch and wait“ setzen. Die Mehrheit befürwortet hingegen die Chirurgie.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 4. St. Gallen EORTC Gastrointestinal Cancer Conference
(GICC 2018), 15.–17. März 2018, St. Gallen
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