
CD19-gerichtete CAR-T-Zell-Therapie in der Schweiz: der klinische Alltag
Autor:
Prof. Dr. med. Urban Novak
Chefarzt/Leiter des Ambulatoriums
Universitätsklinik für Medizinische Onkologie
Inselspital, Universitätsspital Bern
E-Mail: urban.novak@insel.ch
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Nicht nur Studien, sondern auch der unmittelbare Einsatz von CD19-gerichteter CAR-T-Zell-Therapie im klinischen Alltag trägt zur Verbesserung der Datenlage bei. In diesen Beitrag sind die neuesten Entwicklungen, viele kritische Bemerkungen und alle Erfahrungen, welche unser interdisziplinäres Team am Inselspital mit kommerziellen CAR-T-Zell-Produkten bei aggressiven Lymphomen seit Januar 2019 machen konnte, eingeflossen.
Keypoints
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CAR-T-Zellen sind die kurative Standardtherapie für aggressive Lymphome nach zwei Therapien.
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Mit entsprechender Erfahrung sind Nebenwirkungen und organisatorische Hürden gut zu kontrollieren.
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Es ist wünschenswert, dass die akademische Forschung in den Behandlungsalgorithmen den Platz von CARs gegenüber anderen Therapieoptionen zuweisen kann.
Mit Tisagenlecleucel(Kymriah®), Axicabtagen-Ciloleucel(Yescarta®)/Brexucabtagen-Autoleucel(Tecartus®) und seit dem 28.3.2022 vorderhand durch die Swissmedic auch Lisocabtagen-Maraleucel(Breyanzi®) sind in der Schweiz nun alle vier kommerziellen CAR(chimärer Antigenrezeptor)-T-Zell-Produkte für aggressive Lymphome nach zwei Vorbehandlungen zugelassen. Klinische Erfahrungen liegen derzeit erst für die ersten drei Produkte vor. Für die genannte therapeutische Situation hatten wir bis 2019 kein etabliertes Medikationsprotokoll und abgesehen von allogenen Transplantationen für Einzelfälle auch keine andere kurative Option.
Wirksamkeit von CAR-T-Zell-Therapien im Alltag bestätigt
Obgleich CAR-T-Zellen im klinischen Alltag auch älteren Personen und solchen mit erhöhtem Risiko für Nebenwirkungen bzw. mutmasslich schlechterem Ansprechen verabreicht wurden, konnte ihre Wirksamkeit bestätigt werden. Die Daten aus den Zulassungsstudien umfassen inzwischen eine mediane Beobachtungszeit von rund 40 Monaten. Bei einer Überlebensrate von zuvor 10–20% erreichen CAR-T-Zell-Therapien bei einer Ansprechrate von 40–70% eine mediane Ansprechdauer von rund einem Jahr und eine 3-Jahres-Gesamtüberlebensrate von 50%. Eine CAR-T-Zell-Therapie ermöglicht in der Gesamtpopulation ein Plateau für das progressionsfreie Überleben (PFS) mit einer Rate von 40–50%, bei komplettem Ansprechen in 85% der Fälle. Die grösste Zulassungsstudie war diejenige für Lisocabtagen-Maraleucel mit 269 Patient*innen.
Rund 1800 CAR-T-Zell-Therapie-Patient*innen sind hingegen alleine im März 2021 im Register der European Society for Blood and Marrow Transplantation (EBMT, hierhin liefert auch die Schweiz ihre Daten) erfasst worden. Die «real-world data» sind eine bedeutende Datenquelle geworden und werden dazu beitragen, weitere wichtige Fragen zu beantworten. So zum Beispiel zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW): Da Tocilizumab und Steroide bereits früher zur Behandlung von UAW eingesetzt wurden und dementsprechend Erfahrung damit vorhanden ist, ist die Toxizität der CAR-T-Zell-Therapie im kommerziellen Setting geringer als in den Studien. Dieser Umstand wurde im klinischen Alltag auch aufgrund der Beobachtung möglich, dass Steroide die Wirksamkeit von CAR-T-Zellen nicht beeinträchtigen.
Gespannt sein darf man auch auf Analysen, die die Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmässigkeit von CAR-T-Zell-Therapie auf Basis nationaler Unterschiede untersuchen. CAR-T-Zell-Therapien werden in Frankreich für 65 Millionen Einwohner*innen in 35 Zentren durchgeführt, in England hingegen für die etwa gleiche Population nur in zwölf Zentren. Die 8,8 Millionen Schweizer*innen versorgen bisher neun Zentren, was zu besonders niedrigen Fallzahlen pro Zentrum führt.
Organisatorische Aspekte
Die Therapie mit CAR-T-Zellen ist arbeitsintensiv und macht eine sorgfältige Planung erforderlich. In einer Analyse aus Frankreich beträgt die Zeit vom Entscheid bis zur Infusion von CAR-T-Zellen 48 Tage für Axicabtagen-Ciloleucel und 51 Tage für Tisagenlecleucel. Aspekte, die in der Planung berücksichtigt werden sollten, sind die Aggressivität der Erkrankung, die Kostendeckung und die verbleibenden Optionen für überbrückende Therapien. Wir haben gelernt, die unterschiedlichen Apherese-Modalitäten der kommerziellen Produkte zu nutzen und mit der Verfügbarkeit unseres Personals abzugleichen: für Axicabtagen-Ciloleucel/Brexucabtagen-Autoleucel muss das Apheresat warm gleichentags verschickt werden (Abb. 1). Dieses Vorgehen reduziert am Apheresetag die Belastung für das Zentrum (inkl. Labor), es muss sich aber zeitlich den Slots von Gilead Sciences unterordnen, und die Kostendeckung muss bereits vorliegen.
Abb. 1: Verschiedene chimäre T-Zell-Rezeptoren ergeben unterschiedliche Produkte. Modifiziert nach Van der Stegen S et al., Nat Rev Drug Discov 2015, und Siegler E et al., Gen 2017
Die Möglichkeit, das Apheresat gefroren am Zentrum aufzubewahren, bringt bei Tisagenlecleucel auf Kosten eines grösseren Verarbeitungsaufwands den Vorteil der Flexibilität. Vor der Apherese sind auch die Auswaschzeiten bei Salvage-Behandlungen zu berücksichtigen. Diese umfassen bei Verwendung von Bendamustin acht Wochen, nach Polatuzumab eine Woche und für niedrig dosierte Steroide und Bruton-Tyrosinkinase(BTK)-Inhibitoren einige Tage.
Stabilisierung und Bridging
Zur Stabilisierung vor CAR-T-Zell-Therapien und zum Bridging wird eine Vielzahl von Therapien eingesetzt. Dazu gehört auch eine Strahlentherapie, z.B. bei isolierten Rückfällen (Abb. 2). Die Wahl der Therapien mag auch von den Zulassungen abhängen. Es fällt auf, dass die gegen CD19 gerichteten Antikörper Tafasitamab und Loncastuximab aufgrund der möglichen Resistenzen in einem kurativen Setting zurückhaltend verwendet werden.
Abb. 2: Fallbeispiel. Verlauf einer Therapie mit CAR-T-Zellen im April 2020 bei einer 38-jährigen Patientin mit primärem mediastinalem B-Zell-Lymphom, primär refraktär nach R-CHOP, Salvage-Chemotherapie und Hochdosis-Konsolidierung im Februar 2020. Protrahiertes Ansprechen nach CAR-T-Zell-Therapie. Wiederholte respiratorische Infekte ab Herbst 2020, Anreicherung im linken Hilus mutmasslich infektiös. Aufnahme einer Immunglobulin-Substitution bei schwerer, globaler Hypogammaglobulinämie. Persistierender Nachweis von CAR-T-Zellen mittels PCR im peripheren Blut. Radiotherapie eines isolierten CD19+-Rezidivs hilär rechts im Oktober 2021. Aktuell guter Allgemeinzustand und berufstätig
Nachdem in der Schweiz die Vergütung von CAR-T-Zell-Therapie erst ab Dezember 2019 geregelt worden ist, ist die Kostengutsprache in Einzelfällen weiterhin problematisch. Obgleich der Zulassungstext nur Lymphome nach mehr als zwei Vorbehandlungen erwähnt, überprüfen einzelne Krankenkassen in Checklisten gewisse Ein- und Ausschlusskriterien der Zulassungsstudien. Krasse Fälle von Therapieverweigerungen durch die Kostenträger in der Schweiz wurden publik und haben auch die Gerichte beschäftigt.
Frühprogression nach CAR-T-Zell-Therapie
Nachdem in den ersten Jahren organisatorische Aspekte und Nebenwirkungen im Vordergrund gestanden sind, beschäftigen uns nun vermehrt die Resistenzen resp. die Patient*innen, welche nur kurz von CAR-T-Zell-Therapie profitieren (Abb.2). 45% der Patient*innen erleiden nach einem Jahr einen Progress. Davon betroffen sind solche mit einem «Eastern Cooperative Oncology Group»(ECOG)-Status von >2, erhöhter Lactatdehydrogenase (LDH), >2 extranodalen Herden, grosser Tumorlast und Komorbiditäten. Diese prognostischen Parameter helfen aber wenig, wenn wir einen individuellen Fall beurteilen müssen.
Oder würden wir einer Person mit einem diffusen grosszelligen B-Zell-Lymphom (DLBCL) nach zwei Therapien mit Leber-, Lungen- und Knochenbefall und erhöhter LDH deswegen a priori eine CAR-T-Zell-Therapie verweigern? Es ist zu hoffen, dass uns die akademische Forschung bald bessere Parameter zur Verfügung stellen kann.
Indikationserweiterungen
Die Zulassung von Brexucabtagen-Autoleucel zur Behandlung des Mantelzelllymphoms (MCL) basiert auf der ZUMA-2-Studie. Nach dem Scheitern von drei Linien inklusive Ibrutinib erreichen die CAR-T-Zellen inzwischen ein Ansprechen von 93%, das in 67% komplett ist und zu einer 1-Jahres-PFS-Rate von 65% führt. Wir und andere haben diese gute Wirksamkeit bestätigt. Der chimäre T-Zell-Rezeptor von Brexucabtagen-Autoleucel entspricht demjenigen von Axicabtagen-Ciloleucel. Wie bei der akuten lymphatischen Leukämie mit B-Zell-Vorläuferzellen (B-ALL) wird das Apheresat wegen der leukämischen Ausschwemmung vor der Herstellung zunächst B-Zell-depletiert. Da die Zulassungsstudie (ZUMA-3) auch B-ALL-Patient*innen >25 Jahre eingeschlossen hat, stehen diesen Patient*innen CAR-T-Zellen bald auch in der Schweiz zur Verfügung – im Gegensatz zu Tisagenlecleucel, welches nur bis 25 Jahre zugelassen ist.
CAR-T-Zell-Therapie wurde auch bei indolenten Lymphomen untersucht. Vorausgesetzt eine Transformation ist bioptisch ausgeschlossen, sind wir hier nicht mit aggressiven, sondern mit hartnäckigen Erkrankungen konfrontiert. Mit jedem Rückfall werden das PFS und Overall Survival (OS) kürzer. Oft tritt das erste Rezidiv nach <24 Monaten auf («progression of disease within 2 years», POD24). Sowohl für Tisagenlecleucel (ELARA-Studie) als auch Axicabtagen-Ciloleucel (ZUMA-5Studie) liegen nun publizierte Daten für follikuläre und im Falle von ZUMA-5 auch Marginalzonen-Lymphome vor. Die Patient*innen waren mit >2 Therapien behandelt, meist refraktär, und wiesen in der Mehrzahl die prognostisch ungünstige POD24 auf. CAR-T-Zell-Therapie erreichte ein Ansprechen bei >90% der Patient*innen. Die mediane Beobachtungszeit überstieg 17,5 Monate nicht, was für indolente Lymphome und zum Abschätzen des längerfristigen Benefits kurz ist. Die Daten haben aber dennoch in den USA 2021 zur Zulassung geführt.
Therapie in zweiter Linie
Nach Zulassung der CAR-T-Zell-Therapie für aggressive Lymphome in den USA ab Oktober 2017 wurde 2018 ein Rückgang von Hochdosis-Chemotherapien mit autologen Transplantationen um 45% beobachtet. In Europa und der Schweiz blieb ein derartiger Rückgang der autologen Transplantationen bisher aus. Zur Behandlung des DLBCL in der zweiten Linie wurden 2021 die Resultate der randomisierten Vergleiche zwischen dem Standard, der Hochdosistherapie und autologer Transplantation, und CAR-T-Zell-Therapie vorgestellt. Die Studien ZUMA-7 (Axicabtagen-Ciloleucel) und TRANSFORM (Lisocabtagen-Maraleucel) sind als positiv, BELINDA (Tisagenlecleucel) aber als negativ interpretiert worden. Bei genauerem Hinschauen ergeben sich jedoch offene Fragen.
Zunächst ist der Endpunkt des ereignisfreien Überlebens (EFS) nicht gut validiert und im bereits bisher kurativen Setting der zweiten Linie konzeptionell zu hinterfragen. In ZUMA-7 waren aufgrund der Beschränkung auf Steroide für das Bridging günstigere Verläufe bevorzugt, in BELINDA und TRANSFORM war ein Cross-over möglich. Die Bedeutung der Krankheitskontrolle durch das vorgängige Bridging ist durch diese Studien unklar geworden, und BELINDA hat gezeigt, dass a priori nicht alle Patient*innen von einer CAR-T-Zell-Therapie in der zweiten Linie profitieren. Auch wenn akademische Real-World-Daten eine vergleichbare Aktivität zwischen den drei Produkten zeigen, lassen sich diese Erkenntnisse vielleicht nicht in die zweite Linie übertragen.
Schlussfolgerung
Die CAR-T-Zell-Therapie ist eine aufwendige Therapieform. Sie ist klarer Standard für aggressive Lymphome, B-ALL und das MCL nach zwei Therapien. Wir Anwender*innen sind zu kritischer und akademischer Forschung aufgefordert, um diese teure Behandlung den Patient*innen zukommen zu lassen, die davon profitieren können. In absehbarer Zeit werden Lymphompatient*innen mit Rückfällen diverse Antikörper zur Verfügung stehen. Leider werden wir bis dahin noch keine vergleichenden oder informativen Studien zur Sequenz haben, um zu wissen, wie wir diese neuen Möglichkeiten am besten einsetzen sollten.
Interessenkonflikte des Autors im Zusammenhang mit CAR-T-Zellen und diesem Beitrag:
Novartis: Mitarbeit an einem Zuweisersymposium. Gilead: Beratertätigkeit. Celgene/BMS: Beratertätigkeit & Teilnahme an den CAR-T-Zell Kongressen seit 2020. Incyte: Beratertätigkeit. Roche: Beratertätigkeit
Danksagung:
Der Autor bedankt sich beim interdisziplinären CAR-Team des Inselspitals für die hervorragende Zusammenarbeit.
Literatur:
beim Verfasser
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