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Finanzielle Belastungen

Wie betroffene «Cancer Survivors» erkannt und unterstützt werden können

Nahezu die Hälfte aller «Cancer Survivors» ist von finanziellen Problemen betroffen. Das Thema wird von Patient:innen häufig nicht angesprochen, aufseiten der Gesundheitsfachpersonen fehlt mitunter das Bewusstsein für diese Problematik. Dieser Artikel stellt ein Screening-Tool vor, das dabei unterstützen soll, dieses Tabuthema in der onkologischen Praxis anzugehen.

Keypoints

  • Finanziell belastende Situationen werden von Patient:innen selbst, aber auch von Gesundheitsfachpersonen häufig zu spät erkannt und unterschätzt.

  • Ein neu entwickeltes Screening-Tool kann dabei helfen, Patient:innen mit einem erhöhten Risiko für finanzielle Probleme frühzeitig zu identifizieren.

Der Zusammenhang zwischen einer Krebserkrankung und einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage Betroffener wurde in einigen Studien eindrücklich aufgezeigt.1 So führt die Diagnose Krebs nicht nur zu direkten medizinischen Kosten (z.B. Ausgaben für Medikamente, Medizinprodukte), sondern vor allem zu indirekten nichtmedizinischen Kosten. Darunter fällt beispielsweise, wenn Krebsbetroffene aufgrund der hohen Symptomlast ihr Arbeitspensum reduzieren müssen oder gar den Job verlieren.2 Neben den erhöhten Ausgaben gibt es Hinweise, dass bestimmte Merkmale wie männliches Geschlecht, jüngeres Alter, niedrige Bildung, niedriger sozioökonomischer Status und keine bezahlte Beschäftigung vor der Krebsdiagnose mit einem höheren Risiko für finanzielle Toxizität einhergehen.3

Finanzielle Sorgen können zu einer hohen emotionalen Belastung bei Betroffenen und ihren Angehörigen führen und deren Gesundheitszustand nachhaltig beeinträchtigen.4,5 Es können Angst, existenzielle Sorgen und Schuldgefühle auftreten. Finanzielle Sorgen können auch langfristig die Gesundheit der Betroffenen beeinträchtigen und das Risiko für Fatigue erhöhen. Es wird sogar vermutet, dass finanzielle Belastungen das Risiko für Krebsrezidive und die Einhaltung von Behandlungsempfehlungen beeinflussen können.6,7 In der onkologischen Praxis zeigt sich die Hauptproblematik darin, dass finanziell belastende Situationen von den Betroffenen selbst, aber auch von den Gesundheitsfachpersonen oft zu spät erkannt oder unterschätzt werden. Gerade in der Phase der Diagnose und Therapie steht das Überleben im Zentrum, für das Besprechen finanzieller Anliegen besteht kaum Zeit und Raum.8

Diese genannten Aspekte waren die Ausgangslage für ein Projekt, das drei Institute der OST – Ostschweizer Fachhochschule gemeinsam mit der Krebsliga (Ost-)Schweiz und zwei Praxisinstitutionen durchführten. Ziele des Projektes waren:

  1. Wechselwirkungen finanzieller Belastungen und gesundheitsrelevanter Variablen im Kontext einer Krebserkrankung zu verstehen,

  2. Risikofaktoren für (verzögerte) Auswirkungen zu identifizieren sowie

  3. einen Betreuungsstandard inkl. Scree­ning-Tool zur Erkennung finanzieller Risikosituationen zu entwickeln und zu pilotieren.

Methodisches Vorgehen im Projekt

Zur Exploration des Themas führten wir elf Interviews mit Krebsbetroffenen im erwerbsfähigen Alter durch. Zeitgleich sichteten wir (inter-)nationale Literatur zum Thema «Financial toxicity» und führten fünf Expert:inneninterviews mit Vertreter:innen unterschiedlicher Professionen (Medizin, soziale Arbeit, Pflege) durch. Die daraus resultierenden Erkenntnisse führten in einem iterativen Prozess mit Validierungsworkshops zur Entwicklung eines «Causal loop»-Diagramms (Abb. 1). Das damit in Verbindung stehende Resultat zu den Zielen (1) und (2) wurde andernorts publiziert.9 In weiterer Folge entwickelten wir den Betreuungsstandard inkl. Screening-Tool, der in zwei Praxisinstitutionen pilotiert wurde.

Abb. 1: Überblick über das methodische Vorgehen im Projekt

Das entwickelte Screening-Tool: einfach und kostenlos

Der Betreuungsstandard besteht aus einem Informationsteil, der Anwender:innen sowie Interessierten Eckdaten zum Thema «Financial toxicity» liefert. In einem zweiten Teil erfolgt die Information zur Anwendung des Screening-Tools. Übergeordnetes Ziel des Screening-Tools ist die Früherkennung von Risikopersonen mit anschliessender frühzeitiger Involvierung der Sozialberatung. Als Anwenderzielgruppe des Tools gelten Pflegefachpersonen sowie Onkolog:innen im stationären und ambulanten Setting. Das Screening kann zu verschiedenen Zeitpunkten (wiederholt) eingesetzt werden: nach der Diagnosestellung, zu Beginn der Behandlung, als Follow-up während der laufenden Therapie und Betreuung sowie zum Abschluss der Behandlung. Der Zeitpunkt für das Follow-up liegt im Ermessen der Gesundheitsfachperson.

Der erste Teil des Screening-Tools beinhaltet sechs Fragen aus dem Distress-Thermometer zu den praktischen Problemen (Wohnsituation, Kinderbetreuung usw.). Im zweiten Teil finden sich gezielte Fragen zu den identifizierten Hauptrisikofaktoren krebsbedingter finanzieller Probleme (z.B. ob Unterstützung durch das soziale Umfeld vorhanden ist oder ob berufliche bzw. private Verpflichtungen dem Gesundheitszustand angepasst werden können). Aus der Beantwortung aller Fragen resultiert ein Punktetotal, das die Zuteilung zu drei Handlungsempfehlungen (Sozialberatung indiziert/empfohlen/derzeit nicht erforderlich) erlaubt. Am Ende des Betreuungsstandards können Kontaktdaten zu institutionseigenen Ansprechpersonen im Bereich der Sozialberatung hinterlegt werden. Der gesamte Betreuungsstandard inkl. Screening-Tool kann hier kostenlos bezogen werden.

Erste Rückmeldungen im Rahmen der Pilotierung

In den zwei teilnehmenden Krankenhäusern führten sechs Pflegefachpersonen die Pilotierung des Betreuungsstandards inkl. Screening-Tool bei 64 Patient:innen durch. Das Durchschnittsalter der teilnehmenden Patient:innen betrug 66 Jahre (Spannweite 30–86 Jahre), von ihnen waren 67% männlich und 33% weiblich. Bei 53% der Teilnehmenden war eine Sozialberatung indiziert bzw. empfohlen.

Im Rahmen von zwei Fokus-Gruppeninterviews mit den Pflegefachpersonen wurde berichtet, dass das Screening-Tool vor allem beim zweiten Chemotherapiezyklus zur Anwendung kam (ca. drei bis vier Wochen nach Diagnosestellung). Bei der Diagnose wurde der Einsatz des Tools als zu früh angesehen, da der Fokus auf der Erkrankung, Therapie und den zu erwartenden Symptomen liege. Sich in diesem Stadium Gedanken über die finanziellen Auswirkungen zu machen sei laut den Befragten nicht angebracht.

Die Anwendung des Betreuungsstandards inkl. Screening-Tool wurde von den Pflegefachpersonen als sinnvoll erachtet. «Ich finde, es ist auch ein wenig augenöffnend. Es macht einen auf Themen aufmerksam, die man vielleicht jetzt im ersten Moment gar nicht so vor sich hat», so eine der Pflegefachpersonen. Die Fragen des Screening-Tools ermutigten die Pflegefachpersonen, das Thema Finanzen anzusprechen. Dieses Ansprechen wurde von den Patient:innen sehr geschätzt. Die Pflegefachpersonen gaben an, dass die Anwendung des Screening-Tools für sie keinen nennenswerten Mehraufwand bedeutete, allerdings einen deutlichen Mehrwert lieferte. Als schwierig empfanden sie die oftmals mangelnde Privatsphäre im Krankenhaus, um dieses sensible Thema anzusprechen. Zudem hätten die Patient:innen oftmals einen sehr dichten Terminkalender, sodass sie für zusätzliche Besprechungen oft schwer zu «erwischen» seien. Als Wünsche für die Weiterentwicklung des Tools wurden unter anderem die Verfügbarkeit in anderen Sprachen sowie die Integration in das elektronische Krankenhausinformationssystem genannt.

Fazit

Krebsbedingte finanzielle Probleme können schwerwiegende physische und psychische Konsequenzen für Betroffene und ihre Familien nach sich ziehen. Mithilfe des entwickelten Betreuungsstandards inkl. Screening-Tool soll eine Sensibilisierung von Gesundheitsfachpersonen zum Thema «Financial toxicity» unterstützt und die Zuweisung zur Sozialberatung systematisiert werden.

Das Projekt «Gesundheitsrisiko Geld – sozioökonomische Auswirkungen einer Krebserkrankung» wurde von der Krebsliga Schweiz finanziell unterstützt, wofür wir uns an dieser Stelle herzlich bedanken möchten.

1 Fitch MI et al.: J Cancer Surviv 2022; 16: 314-28 2 Lueckmann SL et al.: Health Soc Care Community 2020; 28: 771-80 3 Pearce A et al.: J Cancer Surviv 2019; 13: 10-20 4 Gordon LG et al.: Patient 2017; 10: 295-309 5 Smith GL et al.: J Natl Compr Canc Netw 2019; 17: 1184-92 6 Hastert T et al.: J Cancer Surviv 2019; 13: 429-37 7 Davis ME, Fugett S: Clin J Oncol Nurs 2018; 22: 43-8 8 Kobleder A et al.: Pflegerecht 2020; (3): 138-43 9 Scheidegger A et al.: Support Care Cancer 2023; 31: 618

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