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Bedeutung der Resistenzmutation in der individualisierten Therapie aus klinischer Sicht
Jatros
Autor:
Assoc. Prof. Priv.-Doz. Mag. Dr. Martin Pichler
Klinische Abteilung für Onkologie<br> Medizinische Universität Graz<br> E-Mail: martin.pichler@medunigraz.at
30
Min. Lesezeit
25.05.2017
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<p class="article-intro">Zahlreiche neue Medikamente, „targeted agents“, stehen uns im klinischen Alltag zur Verfügung. Der Begriff „personalized medicine“ geht derzeit jedoch oft noch an der Realität vorbei, denn zahlreiche „targeted therapies“ (z.B. Angiogenesehemmer, Multikinasehemmer, mTOR-Hemmer, Immunonkologika, CDK4/6-Inhibitoren u.v.a.) werden ohne vorhandenen prädiktiven Biomarker oder Vorstellung über Resistenzmechanismen/ Marker breit angewendet. Trotz aller Limitationen haben sich in den letzten Jahren einige genetische Merkmale in der personalisierten Medizin etabliert, die im folgenden Beitrag erläutert werden.</p>
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<p class="article-content"><p>Einer von zwei Menschen erkrankt im Laufe seines Lebens an einer Tumorerkrankung, etwa jeder Vierte stirbt daran. Die Krebsinzidenz stieg in den letzten Jahren an, ein Zusammenhang mit Lifestyle- Faktoren (Bewegungsmangel, Rauchen und Übergewicht) wird vermutet. Entsprechend den jährlichen „cancer statistics“ sind Bronchuskarzinom, Prostatakarzinom und Kolorektalkarzinom beim Mann und Bronchuskarzinom, Mammakarzinom und Kolorektalkarzinom bei der Frau die häufigsten Krebserkrankungen. Genetisches Make-up, Umweltfaktoren und Zufall führen zum Entstehen von Krebs. Das in den 1990ern postulierte Modell von Bert Vogelstein, dass die Kumulation von genetischen Veränderungen (Mutationen) in „normalen“ Körperzellen zur malignen Zelle führt, hat seine Gültigkeit in seinen Grundzügen bewahrt. Zahlreiche neue Erkenntnisse und nicht zuletzt die von Hannahan und Weinberg postulierten „Hallmarks of Cancer“ haben unser Wissen um die Krebsentstehung erweitert.</p> <h2>„Targeted agents“ und personalisierte Medizin</h2> <p>Zahlreiche neue Medikamente, „targeted agents“, stehen uns im klinischen Alltag zur Verfügung. Trotz aller Limitationen haben sich in den letzten Jahren einige genetische Merkmale in der personalisierten Medizin etabliert. Beispielhaft seien hier die BRAF-Mutationen beim Melanom für den Einsatz der BRAF-Inhibitoren Vemurafenib und Dabrafenib genannt und das RAS-Panel als negativer prädiktiver Marker für die EGFR-Hemmung beim Kolorektalkarzinom. Eine interessante Neuentwicklung auf diesem Gebiet ist sicherlich die Bestimmung von Mutationen aus dem Plasma („liquid biopsy“), sei es aus zirkulierenden Tumorzellen oder wohl noch mehr aus der zirkulierenden Tumor-DNA.</p> <h2>Bronchuskarzinom – Vorreiter beim Nachweis sekundärer Resistenzmechanismen</h2> <p>Bei all den Fortschritten in der Erkennung von primären Resistenzmechanismen hinkt der Nachweis von sekundären Resistenzmechanismen hinterher. Als eine – vielleicht die einzige – Entität bei soliden Tumoren, die in diesem Bereich massive Fortschritte erlebt hat, sei an dieser Stelle das metastasierte nicht kleinzellige Bronchuskarzinom zu nennen. War es vor zehn Jahren noch üblich, hinsichtlich der Therapiewahl einzig zwischen kleinzellig und nicht kleinzellig zu unterscheiden und war der Zugewinn an Überlebenszeit in großen Phase-III-Chemotherapie- Studien sehr gering, hat sich die genetische Landschaft inzwischen dramatisch weiterentwickelt. Durch die breite Einführung von „Next generation sequencing“-Techniken wurden mehr Erkenntnisse und eine genetische Subtypisierung möglich. Zahlreiche genetische Läsionen sind heute beim nicht kleinzelligen Bronchuskarzinom bekannt, wobei derzeit vor allem die EGFR-Mutation und die ALK/ROS-Aktivierung in den Fokus der Medikamenten-Neuentwicklungen gerückt sind (die Immuntherapeutika seien an dieser Stelle nicht näher ausgeführt). Betrachtet man den EGFR-Signalweg, so zeigen sich die Erstgenerations- EGFR-Hemmer Erlotinib und Gefitinib sowie der Zweitgenerations-Pan-EGFRHemmer Afatinib als besonders wirksam bei L858R- und Del19-Mutationen. Alle drei Wirkstoffe haben das progressionsfreie Überleben bei besserer Verträglichkeit im Vergleich zur Standardchemotherapie signifikant verlängert. Viel hatte man sich vom Pan-EFGR-Hemmer Afatinib erwartet – die LUX-Lung-7-Studie hat im Vergleich zu Gefitinib höhere Ansprechraten und eine Tendenz zu verlängertem 18- und 24-Monats-PFS ergeben. Ungeachtet dieser Fortschritte entwickeln alle Patienten trotz exzellenten Ansprechens eine sekundäre Resistenz, welche in einer beachtlichen Anzahl (>50–70 % ) durch eine singuläre Mutation in der Kinase- Domäne (T790M-Mutation) verursacht wird. Bisher bekannte alternative Mechanismen der Resistenz sind ein Bypass über andere Signalwege (inkludierend die Onkogene MET, HER2, BRAF, AXL), Transformation in kleinzellige Varianten und Mechanismen der epithelialmesenchymalen Transition. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse wurde der Drittgenerations- EGFR-Hemmer Osimertinib zugelassen. Osimertinib inhibiert sowohl die T790M-Mutation als auch die klassischen oben angeführten EFGR-Mutationen – durch die weniger potente Hemmung des EGFR-Wildtyps sollen die typischen Nebenwirkungen wie Rash und Durchfall weniger häufiger auftreten. Das Studienprogramm war umfangreichend und hat von der Phase-I-Studie AURA über AURA2 bis hin zur rezent publizierten Phase-III-Studie AURA3 geführt (Mok et al, New Engl J Med February 2017). In dieser „landmark study“ wurden 419 T790M-mutierte Patienten mit nicht kleinzelligem Bronchialkarzinom nach Versagen eines anderen EGFR-gerichteten Tyrosinkinase-Hemmers randomisiert in Osimertinib versus klassische Chemotherapie. Das progressionsfreie Überleben wurde von 4,4 Monaten auf 10,1 Monate statistisch signifikant und klinisch hochrelevant verlängert. Ein schon die frühen Phasen der Osimertinib-Entwicklung begleitendes translationales Forschungsprogramm hat sich mit der Frage von Durchführbarkeit, Sensitivität und Methodenvergleich des Nachweises von Mutationen im Blut („liquid biopsy“) beschäftigt.<br /> Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Nachweis von (T790M-)Mutationen im Plasma möglich ist, jedoch die Sensitivität (etwas über 50 % ) nicht ausreicht, um bei negativem Ergebnis auf eine Biopsie zu verzichten. Bei positivem Nachweis der Mutationen im Plasma scheint Osimertinib ähnlich gute Wirksamkeitsdaten aufzuweisen wie beim Nachweis direkt im Tumorgewebe.</p> <h2>ALK-Inhibition</h2> <p>Die zweite große Front beim Bronchialkarzinom hat sich über die Entdeckung der ALK-Überaktivierung (über Translokation, Amplifikation und Mutation) geöffnet. Crizotinib, der Erstgenerations-ALKInhibitor, hat zu einer Risikoreduktion für das progressionsfreie Überleben auf 0,45 im Vergleich zur klassischen Chemotherapie geführt. Trotz der noch kurzen Zulassungsdauer drängen bereits Zweit- und Drittgenerations-ALK-Inhibitoren (Ceritinib, Alectinib, Brigatinib und Lorlatinib) auf den Markt oder stehen kurz vor der Zulassung. Bezüglich des Auftretens von Punktmutationen im ALK-Gen ergeben sich interessanterweise Unterschiede im Vergleich zu EGFR-Inhibitoren. Während im EGF-Rezeptor in bis zu 60 % eine einzelne Mutation (T790M) zur Resistenz führt, scheinen für ALK-Inhibitoren nur in ca. 30 % der Fälle Punktmutationen in der Kinase-Domäne des ALK-Proteins eine Rolle zu spielen, der Rest der auftretenden Resistenzen dürfte über ALK-Gen-Amplifikationen oder Aktivierung von anderen Signalwegen herrühren.<br /> Neueste Erkenntnisse zeigen jedoch auch hier Unterschiede in Abhängigkeit vom eingesetzten ALK-Inhibitor. Während bei Crizotinib das oben Gesagte zutrifft, scheinen die beiden neuen Zweitgenerations- ALK-Inhibitoren Ceritinib und Alectinib häufiger zu Punktmutationen in der Kinase-Domäne zu führen, wobei relativ häufig die G1202R-Mutation auftritt. Die gegenwärtige Entwicklung auf Grundlage von neuen Erkenntnissen aus klinischen Studien ist rasant.</p> <div id=""fazit"> <h2>Fazit</h2> Bei aller Euphorie über die Entwicklung der personalisierten Medizin beim Bronchialkarzinom bleiben jedoch kritische Limitationen erwähnenswert. Neben den Kosten für die Diagnostik erscheint insbesondere die Tumorheterogenität ein Problem für die richtige Interpretation der Resistenzentwicklung, aber auch für die Diagnostik aus einer „liquid biopsy“ darzustellen.</div></p>