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Myeloische bzw. myelogene Neoplasien

Bedeutung der histologischen Untersuchung des Knochenmarks (Beckenkammtrepanat)

<p class="article-intro">Das Beckenkammtrepanat wird in seiner Bedeutung in der histologischen und immunhistochemischen In-situ-Analyse des Knochenmarks weithin unterschätzt. Es bietet jedoch in der Hand des geübten Hämatopathologen nicht nur eine wertvolle Hilfestellung für den klinischen Hämatologen, sondern ermöglicht in einem Teil der Fälle auch präzise Vorhersagen hinsichtlich des molekularzytogenetischen Befunds. Selten werden dadurch bislang unbekannte Diagnosen aufgedeckt, wobei die systemische Mastozytose den Prototyp einer okkulten Erkrankung darstellt.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Nachfolgend sollen f&uuml;r diese Aussagen exemplarische F&auml;lle dargestellt werden, die ohne die histologischen Knochenmarksbefunde nicht korrekt zu diagnostizieren waren. Alle F&auml;lle wurden anl&auml;sslich der diesj&auml;hrigen Tagung der &Ouml;GHO (&Ouml;sterreichische Gesellschaft f&uuml;r H&auml;matologie und Onkologie) in Salzburg im Rahmen eines Mikroskopierkurses diskutiert.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2015_Jatros_Onko_1503_Weblinks_Seite24.jpg" alt="" width="624" height="353" /></p> <h2>Fall 1</h2> <p><strong>Anamnese:</strong> 46-j&auml;hriger Mann mit chronisch rezidivierender Diarrh&ouml;, Leistungsknick, Hepatosplenomegalie und Leukozytose<br /> <strong>Klinisch-h&auml;matologische Diagnose:</strong> chronische myeloische Leuk&auml;mie mit <em>BCR-ABL-</em>Fusionsgen in der chronischen Phase (CML-CP)<br /> <strong>H&auml;matopathologische Diagnose (Abb. 1):</strong> chronische myeloische Leuk&auml;mie im Blastenschub (CML-BP)<br /> <strong>Verlauf:</strong> Die Behandlung mit Nilotinib f&uuml;hrte nur zu einer kurzfristigen h&auml;matologischen Remission. Der Tod des Patienten trat nach etwa 8-monatigem Verlauf in einer zweiten Blastenkrise ein.<br /> <strong>Kommentar:</strong> Der bereits initial im Beckenkammtrepanat detektierte Blastenschub entsprach immunph&auml;notypisch einer akuten Erythr&auml;mie (FAB M6a), die dann zum Tode f&uuml;hrende Leuk&auml;mie konnte immunph&auml;notypisch einer akuten undifferenzierten Leuk&auml;mie (AUL) bzw. einer sog. Stammzellenleuk&auml;mie zugeordnet werden. Beide Subtypen der hier diagnostizierten akuten Leuk&auml;mien sind so bei der CML noch nicht beschrieben worden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2015_Jatros_Onko_1503_Weblinks_Seite25.jpg" alt="" width="958" height="688" /></p> <h2>Fall 2</h2> <p><strong>Anamnese:</strong> 69-j&auml;hrige Frau (weitere klinisch-h&auml;matologische Befunde sind nicht verf&uuml;gbar)<br /> <strong>Klinisch-h&auml;matologische Diagnose:</strong> chronische myeloische Leuk&auml;mie mit <em>BCR-ABL-</em>Fusionsgen in der chronischen Phase (CML-CP)<br /> <strong>Initiale h&auml;matopathologische Diagnose:</strong> systemische Mastozytose mit assoziierter h&auml;matologischer Neoplasie (SM-AHNMD; Nicht-Mastzelllinien-Erkrankung); die AHNMD wurde auch hier explizit als CML-CP subtypisiert.<br /> <strong>H&auml;matopathologischer Konsiliarbefund (Abb. 2):</strong> prim&auml;re chronische Basophilenleuk&auml;mie mit <em>BCR-ABL-</em>Fusionsgen und Transformation in eine sekund&auml;re akute Leuk&auml;mie im Sinne einer initialen Blastenkrise (Megakaryo&shy;blastenleuk&auml;mie bzw. AML FAB M7)<br /> Verlauf: Angaben zum Verlauf liegen nicht vor.<br /> <strong>Kommentar:</strong> Obgleich Basophilenleuk&auml;mien extreme Rarit&auml;ten darstellen, bereitet ihre Identifikation nicht nur auf klinischer, sondern auch auf h&auml;matopathologischer Ebene oft gro&szlig;e Probleme. Erschwerend kommt hinzu, dass die chronische Basophilenleuk&auml;mie aus unverst&auml;ndlichen Gr&uuml;nden nicht in der aktuellen WHO-Klassifikation der h&auml;matologischen Neoplasien erw&auml;hnt wird, obwohl die Existenz dieser Erkrankung unbestritten ist. Hingegen ist die akute Basophilenleuk&auml;mie, die eine noch gr&ouml;&szlig;ere Rarit&auml;t darstellt, explizit in der WHO-Klassifikation angef&uuml;hrt. Hinsichtlich der initialen Diagnose einer SM-AHNMD (systemische Mastozytose mit assoziierter klonaler h&auml;matologischer Nicht-Mastzell-Zelllinie) ist festzuhalten, dass klinisch das <em>BCR-ABL-</em>Fusionsgen in der Regel mit einer CML assoziiert ist und dass immunhistochemisch eine starke Expression des Antigens Tryptase zun&auml;chst durchaus an eine systemische Mastozytose erinnern kann. Nicht in gleicher Weise bekannt ist, dass auch neoplastische Basophile Tryptase exprimieren k&ouml;nnen. Erwartungsgem&auml;&szlig; wurde die f&uuml;r systemische Mastozytosen charakteristische Punktmutation <em>KIT-D816V</em> nicht detektiert. Insgesamt stellt die CML als AHNMD eine gro&szlig;e Rarit&auml;t dar.</p> <h2>Fall 3</h2> <p><strong>Anamnese:</strong> 65-j&auml;hriger Mann mit bekannter SM-AHNMD, Gewichtsverlust, Thrombozytose und Monozytose<br /> <strong>Klinisch-h&auml;matologische Diagnose:</strong> Mastzellleuk&auml;mie mit assoziierter, nicht mastozyt&auml;rer h&auml;matologischer Neoplasie, wohl aus dem Formenkreis der myelodysplastischen Syndrome/ ungew&ouml;hnlichen myeloproliferativen Neoplasien (MDS/MPN-U) bzw. auch kompatibel mit einer chronischen myelomonozyt&auml;ren Leuk&auml;mie und Nachweis einer Punktmutation im <em>ASXL1-</em>Gen<br /> <strong>H&auml;matopathologische Diagnose (Abb.&nbsp;3):</strong> SM-AHNMD mit aleuk&auml;mischer Mastzellleuk&auml;mie und MPN-U, dar&uuml;ber hinaus diskrete fokale Metastasen eines Prostatakarzinoms (1 % Fl&auml;chenanteil)<br /> <strong>Kommentar:</strong> Bei diesem Fall stimmen klinischer und h&auml;matopathologischer Befund weitgehend &uuml;berein. Es konnte jedoch in der Knochenstanze die intraoss&auml;re Metastasierung durch ein bislang nicht diagnostiziertes (okkultes) Prostatakarzinom zweifelsfrei nachgewiesen werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2015_Jatros_Onko_1503_Weblinks_Seite26.jpg" alt="" width="801" height="362" /></p> <h2>Fall 4</h2> <p><strong>Anamnese:</strong> 50-j&auml;hriger Mann mit unklaren Blutbildver&auml;nderungen<br /> <strong>Klinisch-h&auml;matologische Diagnose:</strong> myeloische Neoplasie, wohl Erkrankung aus dem Formenkreis der MDS/MPN-U<br /> <strong>H&auml;matopathologische Diagnose (Abb. 4):</strong> ungew&ouml;hnliche myeloische Neoplasie mit extrem gro&szlig;en, irregul&auml;ren Erythra, wohl assoziiert mit einem <em>PCM1-JAK2-</em>Fusionsgen<br /> <strong>Kommentar:</strong> Bei diesem Fall handelt es sich nicht nur um einen ungew&ouml;hnlichen, sondern um einen einzigartigen Befund. Derartig irregul&auml;re Riesen&shy;erythra, teilweise in atypischer peritrabekul&auml;rer Position, werden nur bei Patienten mit <em>PCM1-JAK2-</em>Fusionsgen beobachtet, sonst bei keiner anderen myeloischen Neoplasie. Der molekularzytogenetische Befund l&auml;sst sich damit mit fast 100 % iger Sicherheit aus dem histomorphologischen Befund ableiten und korrekt vorhersagen. Es handelt sich nicht um die klassischen Riesenerythra, wie sie vor allem bei aplastischen Syndromen und hier in sog. &bdquo;hot spots&ldquo; vorkommen, sondern um hochgradig irregul&auml;re, extrem gro&szlig;e Erythra, die teils aus unreifen Erythroblasten (vorwiegend Proerythroblasten), teils aus reifen Erythroblasten bestehen k&ouml;nnen, wobei Letztere prima vista an lymphatische Zellen bzw. lymphoide Infiltrate erinnern.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>An vier Fallbeispielen sollte demonstriert werden, dass die histologische/immunhistochemische Untersuchung eines Beckenkammtrepanates zur Basisdiagnostik bei allen Patienten mit Verdacht auf eine myeloische bzw. myelogene Leuk&auml;mie geh&ouml;ren muss. Der histomorphologische Befund tr&auml;gt nicht selten zur endg&uuml;ltigen Kl&auml;rung eines unklaren zytologischen und/oder durchflusszytometrischen Befundes bei. Bei den meisten myeloischen Neoplasien ist eine definitive Subtypisierung der Erkrankung m&ouml;glich und es konnte auch gezeigt werden, dass gelegentlich okkulte Erkrankungen entdeckt werden k&ouml;nnen. Es ist daher aus unserer Sicht dringend geboten, die h&auml;matopathologische Analyse eines Beckenkammtrepanates anzustreben, auch wenn die Indikation bei der Basisdiagnostik dies nicht zwingend vorschreibt (wie z.B. bei CML oder Polycythaemia rubra vera). Der Stanzzylinder sollte mindestens 1cm lang sein und unmittelbar nach der Entnahme in 3&ndash;5 % iges gepuffertes Formalin eingebracht werden. Neben den immunhistochemischen Spezialuntersuchungen ist es an diesem Routinematerial auch m&ouml;glich, diagnostisch und therapeutisch wichtige Punktmutationen wie z.B. <em>JAK2-V617F</em> oder <em>KIT-D816V</em> zu detektieren.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: ÖGHO-Kongress, Mikroskopierkurs: „Semifinale am Mikroskop: Zytologie trifft Hämatopathologie“ am 25. April 2015, Salzburg </p>
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