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Bedeutung der histologischen Untersuchung des Knochenmarks (Beckenkammtrepanat)
Jatros
Autor:
Prof. Dr. Hans-Peter Horny
Korrespondierender Autor<br/> Institut für Pathologie, Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München<br/> Referenz- und Exzellenzzentrum im Rahmen des European Competence Network on Mastocytosis (ECNM)<br/> E-Mail: hans-peter.horny@med.uni-muenchen.de
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Peter Valent
Klinische Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie<br/> Universitätsklinik für Innere Medizin I<br/> Medizinische Universität Wien<br/> E-Mail: peter.valent@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
23.07.2015
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<p class="article-intro">Das Beckenkammtrepanat wird in seiner Bedeutung in der histologischen und immunhistochemischen In-situ-Analyse des Knochenmarks weithin unterschätzt. Es bietet jedoch in der Hand des geübten Hämatopathologen nicht nur eine wertvolle Hilfestellung für den klinischen Hämatologen, sondern ermöglicht in einem Teil der Fälle auch präzise Vorhersagen hinsichtlich des molekularzytogenetischen Befunds. Selten werden dadurch bislang unbekannte Diagnosen aufgedeckt, wobei die systemische Mastozytose den Prototyp einer okkulten Erkrankung darstellt.</p>
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<p class="article-content"><p>Nachfolgend sollen für diese Aussagen exemplarische Fälle dargestellt werden, die ohne die histologischen Knochenmarksbefunde nicht korrekt zu diagnostizieren waren. Alle Fälle wurden anlässlich der diesjährigen Tagung der ÖGHO (Österreichische Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie) in Salzburg im Rahmen eines Mikroskopierkurses diskutiert.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2015_Jatros_Onko_1503_Weblinks_Seite24.jpg" alt="" width="624" height="353" /></p> <h2>Fall 1</h2> <p><strong>Anamnese:</strong> 46-jähriger Mann mit chronisch rezidivierender Diarrhö, Leistungsknick, Hepatosplenomegalie und Leukozytose<br /> <strong>Klinisch-hämatologische Diagnose:</strong> chronische myeloische Leukämie mit <em>BCR-ABL-</em>Fusionsgen in der chronischen Phase (CML-CP)<br /> <strong>Hämatopathologische Diagnose (Abb. 1):</strong> chronische myeloische Leukämie im Blastenschub (CML-BP)<br /> <strong>Verlauf:</strong> Die Behandlung mit Nilotinib führte nur zu einer kurzfristigen hämatologischen Remission. Der Tod des Patienten trat nach etwa 8-monatigem Verlauf in einer zweiten Blastenkrise ein.<br /> <strong>Kommentar:</strong> Der bereits initial im Beckenkammtrepanat detektierte Blastenschub entsprach immunphänotypisch einer akuten Erythrämie (FAB M6a), die dann zum Tode führende Leukämie konnte immunphänotypisch einer akuten undifferenzierten Leukämie (AUL) bzw. einer sog. Stammzellenleukämie zugeordnet werden. Beide Subtypen der hier diagnostizierten akuten Leukämien sind so bei der CML noch nicht beschrieben worden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2015_Jatros_Onko_1503_Weblinks_Seite25.jpg" alt="" width="958" height="688" /></p> <h2>Fall 2</h2> <p><strong>Anamnese:</strong> 69-jährige Frau (weitere klinisch-hämatologische Befunde sind nicht verfügbar)<br /> <strong>Klinisch-hämatologische Diagnose:</strong> chronische myeloische Leukämie mit <em>BCR-ABL-</em>Fusionsgen in der chronischen Phase (CML-CP)<br /> <strong>Initiale hämatopathologische Diagnose:</strong> systemische Mastozytose mit assoziierter hämatologischer Neoplasie (SM-AHNMD; Nicht-Mastzelllinien-Erkrankung); die AHNMD wurde auch hier explizit als CML-CP subtypisiert.<br /> <strong>Hämatopathologischer Konsiliarbefund (Abb. 2):</strong> primäre chronische Basophilenleukämie mit <em>BCR-ABL-</em>Fusionsgen und Transformation in eine sekundäre akute Leukämie im Sinne einer initialen Blastenkrise (Megakaryo­blastenleukämie bzw. AML FAB M7)<br /> Verlauf: Angaben zum Verlauf liegen nicht vor.<br /> <strong>Kommentar:</strong> Obgleich Basophilenleukämien extreme Raritäten darstellen, bereitet ihre Identifikation nicht nur auf klinischer, sondern auch auf hämatopathologischer Ebene oft große Probleme. Erschwerend kommt hinzu, dass die chronische Basophilenleukämie aus unverständlichen Gründen nicht in der aktuellen WHO-Klassifikation der hämatologischen Neoplasien erwähnt wird, obwohl die Existenz dieser Erkrankung unbestritten ist. Hingegen ist die akute Basophilenleukämie, die eine noch größere Rarität darstellt, explizit in der WHO-Klassifikation angeführt. Hinsichtlich der initialen Diagnose einer SM-AHNMD (systemische Mastozytose mit assoziierter klonaler hämatologischer Nicht-Mastzell-Zelllinie) ist festzuhalten, dass klinisch das <em>BCR-ABL-</em>Fusionsgen in der Regel mit einer CML assoziiert ist und dass immunhistochemisch eine starke Expression des Antigens Tryptase zunächst durchaus an eine systemische Mastozytose erinnern kann. Nicht in gleicher Weise bekannt ist, dass auch neoplastische Basophile Tryptase exprimieren können. Erwartungsgemäß wurde die für systemische Mastozytosen charakteristische Punktmutation <em>KIT-D816V</em> nicht detektiert. Insgesamt stellt die CML als AHNMD eine große Rarität dar.</p> <h2>Fall 3</h2> <p><strong>Anamnese:</strong> 65-jähriger Mann mit bekannter SM-AHNMD, Gewichtsverlust, Thrombozytose und Monozytose<br /> <strong>Klinisch-hämatologische Diagnose:</strong> Mastzellleukämie mit assoziierter, nicht mastozytärer hämatologischer Neoplasie, wohl aus dem Formenkreis der myelodysplastischen Syndrome/ ungewöhnlichen myeloproliferativen Neoplasien (MDS/MPN-U) bzw. auch kompatibel mit einer chronischen myelomonozytären Leukämie und Nachweis einer Punktmutation im <em>ASXL1-</em>Gen<br /> <strong>Hämatopathologische Diagnose (Abb. 3):</strong> SM-AHNMD mit aleukämischer Mastzellleukämie und MPN-U, darüber hinaus diskrete fokale Metastasen eines Prostatakarzinoms (1 % Flächenanteil)<br /> <strong>Kommentar:</strong> Bei diesem Fall stimmen klinischer und hämatopathologischer Befund weitgehend überein. Es konnte jedoch in der Knochenstanze die intraossäre Metastasierung durch ein bislang nicht diagnostiziertes (okkultes) Prostatakarzinom zweifelsfrei nachgewiesen werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2015_Jatros_Onko_1503_Weblinks_Seite26.jpg" alt="" width="801" height="362" /></p> <h2>Fall 4</h2> <p><strong>Anamnese:</strong> 50-jähriger Mann mit unklaren Blutbildveränderungen<br /> <strong>Klinisch-hämatologische Diagnose:</strong> myeloische Neoplasie, wohl Erkrankung aus dem Formenkreis der MDS/MPN-U<br /> <strong>Hämatopathologische Diagnose (Abb. 4):</strong> ungewöhnliche myeloische Neoplasie mit extrem großen, irregulären Erythra, wohl assoziiert mit einem <em>PCM1-JAK2-</em>Fusionsgen<br /> <strong>Kommentar:</strong> Bei diesem Fall handelt es sich nicht nur um einen ungewöhnlichen, sondern um einen einzigartigen Befund. Derartig irreguläre Riesen­erythra, teilweise in atypischer peritrabekulärer Position, werden nur bei Patienten mit <em>PCM1-JAK2-</em>Fusionsgen beobachtet, sonst bei keiner anderen myeloischen Neoplasie. Der molekularzytogenetische Befund lässt sich damit mit fast 100 % iger Sicherheit aus dem histomorphologischen Befund ableiten und korrekt vorhersagen. Es handelt sich nicht um die klassischen Riesenerythra, wie sie vor allem bei aplastischen Syndromen und hier in sog. „hot spots“ vorkommen, sondern um hochgradig irreguläre, extrem große Erythra, die teils aus unreifen Erythroblasten (vorwiegend Proerythroblasten), teils aus reifen Erythroblasten bestehen können, wobei Letztere prima vista an lymphatische Zellen bzw. lymphoide Infiltrate erinnern.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>An vier Fallbeispielen sollte demonstriert werden, dass die histologische/immunhistochemische Untersuchung eines Beckenkammtrepanates zur Basisdiagnostik bei allen Patienten mit Verdacht auf eine myeloische bzw. myelogene Leukämie gehören muss. Der histomorphologische Befund trägt nicht selten zur endgültigen Klärung eines unklaren zytologischen und/oder durchflusszytometrischen Befundes bei. Bei den meisten myeloischen Neoplasien ist eine definitive Subtypisierung der Erkrankung möglich und es konnte auch gezeigt werden, dass gelegentlich okkulte Erkrankungen entdeckt werden können. Es ist daher aus unserer Sicht dringend geboten, die hämatopathologische Analyse eines Beckenkammtrepanates anzustreben, auch wenn die Indikation bei der Basisdiagnostik dies nicht zwingend vorschreibt (wie z.B. bei CML oder Polycythaemia rubra vera). Der Stanzzylinder sollte mindestens 1cm lang sein und unmittelbar nach der Entnahme in 3–5 % iges gepuffertes Formalin eingebracht werden. Neben den immunhistochemischen Spezialuntersuchungen ist es an diesem Routinematerial auch möglich, diagnostisch und therapeutisch wichtige Punktmutationen wie z.B. <em>JAK2-V617F</em> oder <em>KIT-D816V</em> zu detektieren.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: ÖGHO-Kongress, Mikroskopierkurs:
„Semifinale am Mikroskop:
Zytologie trifft Hämatopathologie“
am 25. April 2015, Salzburg
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