
Axillachirurgie beim Mammakarzinom – früher, heute und in Zukunft
Autoren:
Prof. Dr. Walter P. Weber
OÄ Dr. Nadia Gina Maggi
Ass. Dr. Rahel Lea Nussbaumer
Brustchirurgie, Universitätsspital Basel
Korrespondenz:
Prof. Dr. Walter P. Weber
Chefarzt Brustchirurgie
Universitätsspital Basel
E-Mail: walter.weber@usb.ch
Lange Zeit galt die Axilladissektion (ALND) als Goldstandard in der Axillachirurgie bei Patientinnen mit einem Mammakarzinom, ungeachtet der teilweise schwerwiegenden Langzeitkomplikationen. Mit der Einführung der Sentinellymphknotenentfernung begann ein Umdenken bezüglich der Radikalität der operativen Verfahren in der Axillachirurgie. Heute kann bereits bei den meisten Frauen auf eine Axilladissektion verzichtet werden. Dies ist die typische Geschichte einer chirurgischen Deeskalation, welche bis heute andauert.
Keypoints
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Bei jeder fünften Frau mit einer ALND treten schwerwiegende Langzeitkomplikationen (Lymphödem, Bewegungseinschränkung der Schulter, chronische Schmerzen etc.) auf, mit einer daraus resultierenden deutlichen Einschränkung der Lebensqualität.
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Die ALND wird zunehmend von schonenderen operativen Verfahren in Kombination mit einer adjuvanten Radiotherapie abgelöst.
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Die ALND ist nach heutigem Wissensstand bei klinisch nodal-positivem Mammakarzinom mit primärer Operation, bei nodal-positivem Mammakarzinom ohne komplette axilläre Remission nach neoadjuvanter Systemtherapie oder bei einem lokal fortgeschrittenen Tumorstadium die Therapie der Wahl. Eine weitere Indikation sind positive Sentinellymphknoten bei einer Mastektomie, sofern diese nicht die adjuvante Radiotherapie indizieren oder die Radiotherapie die Axilla nicht abdeckt.
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Bei Patientinnen mit einem initial nodal-positiven Mammakarzinom und radiologisch kompletter Remission nach erfolgter neoadjuvanter Systemtherapie muss die komplette Remission histopathologisch bestätigt werden, damit auf eine ALND verzichtet werden kann.
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Die TAXIS-Studie untersucht erstmals mit der TAS ein schonenderes operatives Verfahren bei Patientinnen mit einem klinisch nodal-positiven Mammakarzinom. Erste Resultate legen nahe, dass die TAS deutlich weniger radikal ist und gezielt tumorbefallene Lymphknoten entfernt.
Axillachirurgie früher
Um ein möglichst sicheres onkologisches Resultat zu erzielen, galt die ALND für rund ein Jahrhundert als unangefochtener Goldstandard in der Axillachirurgie beim Mammakarzinom, ungeachtet der teilweise schwerwiegenden Langzeitkomplikationen. Diese treten bei jeder fünften Patientin in Form eines Lymphödems, einer Bewegungseinschränkung des betroffenen Arms oder chronischer Schmerzen auf, was für die betroffenen Frauen eine massive Einschränkung der Lebensqualität bedeuten kann. Aus diesem Grund drängte sich immer mehr die Frage auf, ob dieses radikale chirurgische Vorgehen aus onkologischer Sicht notwendig ist und die daraus resultierenden Komplikationen gerechtfertigt in Kauf genommen werden müssen.
Mit der Identifizierung der Sentinellymphknoten und der Etablierung der Sentinellymphknotenentfernung wurde in den 1990er-Jahren ein schonenderes chirurgisches Verfahren erfolgreich eingeführt, bei welchem lediglich die ersten Lymphknoten im Abflussbereich des Karzinoms entfernt werden. Eine ALND wurde nur noch bei einem Sentinellymphknotenbefall oder einem klinisch nodal-positiven Mammakarzinom angewandt.
Ein weiterer Wendepunkt war der Nachweis, dass bei Patientinnen mit einem Mammakarzinom im Frühstadium, welche maximal zwei befallene Sentinellymphknoten aufweisen, auf eine komplettierende ALND verzichtet werden kann. Dies ist begründet dadurch, dass die ALND für diese Patientinnen bezüglich des Rezidivrisikos und Überlebens keinen Vorteil darstellt.1,2
Mit der Radiotherapie als zusätzlicher Therapiemodalität eröffneten sich neue Möglichkeiten zur Deeskalation in der Axillachirurgie. In der AMAROS-Studie konnte gezeigt werden, dass Patientinnen mit nachgewiesenem Befall der Sentinellymphknoten mit der adjuvanten Radiotherapie ein vergleichbares Risiko für ein axilläres Rezidiv aufweisen wie Patientinnen mit einer komplettierenden ALND.3 Gerade bei Sentinel-positiven Patientinnen wird daher immer häufiger zugunsten einer adjuvanten Radiotherapie auf eine ALND verzichtet. Diese Entwicklung spiegelt den Trend zur Deeskalation der axillären Chirurgie bei gleichzeitiger Zunahme des Einsatzes der adjuvanten Radiotherapie wider.
Axillachirurgie heute
Trotz der Bemühungen zur Deeskalation in der Axillachirurgie gibt es nach wie vor Situationen, in welchen eine ALND indiziert ist. So ist eine ALND bei klinisch nodal-positivem Mammakarzinom mit primärer Operation, bei nodal-positivem Mammakarzinom ohne komplette axilläre Remission nach neoadjuvanter Systemtherapie oder bei einem lokal fortgeschrittenen Tumorstadium noch immer die Therapie der Wahl. Ebenso sind positive Sentinellymphknoten bei einer Mastektomie, sofern adjuvant keine Radiotherapie erfolgt oder die Radiotherapie die Axilla nicht abdeckt, eine Indikation für die Durchführung einer komplettierenden ALND.
Einen Grenzfall bilden Patientinnen mit einem nodal-positiven Mammakarzinom und einer radiologisch kompletten Remission der Lymphknotenmetastasen nach neoadjuvanter Systemtherapie. Aufgrund der nur geringen Sensitivität der bildgebenden Verfahren ist ein Verzicht auf die Axillachirurgie nicht möglich.4 Um in dieser Situation auf eine ALND verzichten zu können, ist eine histopathologische Bestätigung der kompletten Remission der Lymphknotenmetastasen notwendig. In einer Metaanalyse konnte gezeigt werden, dass unter Verwendung einer dualen Tracing-Methode und Entnahme von mindestens drei negativen Lymphknoten sowie bei negativen Lymphknoten im Rahmen der zielgerichteten Lymphknotenentfernung die Falsch-negativ-Rate bei diesen Patientinnen sehr klein ist.5,6 Eine weitere Studie ergab sogar, dass bei dieser Patientinnengruppe auch bei Verwendung einer Single-Trace-Methode eine Entfernung von im Durchschnitt nur zwei negativen Lymphknoten ausreichend ist, um auf eine ALND verzichten zu können.7
Anders stellt sich die Situation bei Patientinnen mit residuellem Tumor in den axillären Lymphknoten nach erfolgter neoadjuvanter Systemtherapie oder bei der Primäroperation eines klinisch nodal-positiven Mammakarzinoms dar. Hier ist, aufgrund der fehlenden Daten, noch immer die ALND die Therapie der Wahl.
Ein Blick in die Zukunft
Mit der TAXIS-Studie wird weltweit erstmals eine Studie durchgeführt, welche eine Deeskalation in der Axillachirurgie bei Mammakarzinompatientinnen mit klinisch nachgewiesener Lymphknotenmetastasierung mit oder ohne Vorbehandlung untersucht, wobei nach Vorbehandlung keine nodale Komplettremission vorhanden sein darf.8
Die TAXIS-Studie ist eine internationale, multizentrische, randomisierte Phase-III-Studie, bei welcher die ALND mit der fokussierten Axillachirurgie (TAS) kombiniert mit adjuvanter Radiotherapie der Lymphabflusswege bei Patientinnen mit klinisch nachgewiesener Lymphknotenmetastasierung verglichen wird. Bei der TAS handelt es sich um ein neu entwickeltes Operationsverfahren, bei welchem alle palpatorisch auffälligen Lymphknoten und die Sentinellymphknoten selektiv entfernt werden. Fakultativ kann der Lymphknoten mit der histologisch nachgewiesenen Metastasierung mittels Bildgebung lokalisiert werden. Ziel ist es, mit der TAS die axilläre Tumorlast so weit zu senken, dass in Kombination mit der adjuvanten Radiotherapie die gleiche onkologische Sicherheit garantiert werden kann wie bei der ALND, mit entsprechendem Potenzial zur Reduktion der Morbidität und Verbesserung der Lebensqualität.
Untersuchte Endpunkte sind das krankheitsfreie Überleben, die Rezidivrate und die Lebensqualität. Insgesamt werden 1500 Patientinnen in die laufende TAXIS-Studie eingeschlossen. Aktuell haben bereits über 400 Patientinnen an der Studie teilgenommen. Die ersten Resultate zeigen, dass die TAS deutlich weniger radikal ist als die ALND und gezielt tumorbefallene Lymphknoten entfernt.
Wie sich die Deeskalation in der Axillachirurgie beim Mammakarzinom weiterentwickeln wird, bleibt abzuwarten. Ob beispielsweise eine Sentinellymphknotenentfernung bei klinisch nodal-negativem Mammakarzinom aus onkologischer Sicht überhaupt notwendig ist oder ob wir bei allen Patientinnen mit einem nodal-positiven Mammakarzinom in Zukunft auf eine ALND verzichten können, kann hoffentlich in einigen Jahren beantwortet werden.
Literatur:
1 Galimberti V et al.: Axillary dissection versus no axillary dissection in patients with breast cancer and sentinel-node micrometastases (IBCSG 23-01): 10-year follow-up of a randomised, controlled phase 3 trial. Lancet Oncol 2018; 19(10): 1385-93 2 Giuliano AE et al.: Effect of axillary dissection vs no axillary dissection on 10-year overall survival among women with invasive breast cancer and sentinel node metastasis: the ACOSOG Z0011 (Alliance) randomized clinical trial. JAMA 2017; 318(10): 918-26 3 Donker M et al.: Radiotherapy or surgery of the axilla after a positive sentinel node in breast cancer (EORTC 10981-22023 AMAROS): a randomised, multicentre, open-label, phase 3 non-inferiority trial. Lancet Oncol 2014; 15(12): 1303-10 4 Samiei S et al.: Diagnostic performance of noninvasive imaging for assessment of axillary response after neoadjuvant systemic therapy in clinically node-positive breast cancer: a systematic review and meta-analysis. Ann Surg 2021; 273(4): 694-700 5 Simons JM et al.: Diagnostic accuracy of different surgical procedures for axillary staging after neoadjuvant systemic therapy in node-positive breast cancer: a systematic review and meta-analysis. Ann Surg 2019; 269(3): 432-42 6 Wong SM et al.: Oncologic safety of sentinel lymph node biopsy alone after neoadjuvant chemotherapy for breast cancer. Ann Surg Oncol 2020; online ahead of print: doi.org/10.1245/s10434-020-09211-0 7 Galimberti V et al.: Sentinel node biopsy after neoadjuvant treatment in breast cancer: five-year follow-up of patients with clinically node-negative or node-positive disease before treatment. Eur J Surg Oncol 2016; 42(3): 361-8 8 Henke G et al.: Tailored axillary surgery with or without axillary lymph node dissection followed by radiotherapy in patients with clinically node-positive breast cancer (TAXIS): study protocol for a multicenter, randomized phase-III trial. Trials 2018; 19(1): 667
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