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ASCO 2016: eine kritische Betrachtung neuer Immuntherapien
Leading Opinions
Autor:
PD Dr. med. Ulf Petrausch
OnkoZentrum Zürich<br> Klinik im Park, Zürich<br> E-Mail: ulf.petrausch@ozh.ch
30
Min. Lesezeit
08.09.2016
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<p class="article-intro">Am diesjährigen ASCO-Meeting setzten sich die Entwicklung und klinische Etablierung der Immuntherapie in vielen malignen Krankheitsbildern mit rasanter Geschwindigkeit fort. Dabei führt die Immuntherapie zu Interaktionen, die in der Vergangenheit wohl eher nicht vorstellbar waren. So kommentierte Jedd Wolchok – ein Experte und Pionier der Immuntherapie beim Melanom – die Studienergebnisse der Oral Presentations im Bereich der Lunge. Dies unterstreicht, dass davon ausgegangen wird, dass es generelle Mechanismen und Strategien über verschiedene maligne Entitäten hinweg gibt, die zu einer Verbesserung der Anti-Tumor-Immunantwort führen. </p>
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<p class="article-content"><p>Es zeichnet sich ab, dass durch die Immuntherapie die Grenzen zwischen bestimmten malignen Entitäten wieder verwischt werden, da sich entitätsüberschreitende Mechanismen herauskristallisieren (z.B. Mikrosatelliten-instabile Tumoren bei allen GI-Karzinomen als prädiktiver Marker). Auf der anderen Seite kommt zum Vorschein, dass in bestimmten Tumoren eine organspezifische Immunantwort vorliegt (z.B. haben Pankreaskarzinome eine sehr geringe Zahl an T-Zell-Infiltraten), die dann mit spezifischen Strategien manipuliert werden muss, um das Immunsystem zu aktivieren. Alle Informationen zusammen führen zu einer veränderten onkologischen Landkarte und neuen Behandlungsstrategien.</p> <h2>Kombinationstherapie</h2> <p>Gerade im Bereich von Tumoren mit geringer spontaner Immunantwort muss die Kombinationstherapie ihren Einsatz finden. Ein sehr interessantes Beispiel hierfür ist die Kombination von Cobimetinib und Atezolizumab.<sup>1</sup> Die Population mit Mikrosatelliten-stabilen Kolorektalkarzinomen war bis jetzt nicht einer Checkpoint-Blockade zugänglich. Die Kombination eines MEK-Inhibitors (Cobimetinib) und eines Anti-PD-L1-Antikörpers (Atezolizumab) führt nun aber zu einer Gesamtansprechrate (ORR) von 17 % , was als erster Hinweis darauf gewertet werden kann, dass auch diese Tumoren einer Checkpoint-Blockade zugänglich gemacht werden können. Diese Studie unterstreicht aber auch eine Entwicklung, die die Checkpoint-Blockade als die Basis jeder Immuntherapie ansieht. Es sieht so aus, als ob zu jedem onkoimmunologischen Entwicklungsportfolio ein Checkpoint-Inhibitor gehören muss, damit alle weiteren möglichen immunmodulierenden Moleküle des gleichen Entwicklungsportfolios als Kombinationstherapie getestet werden können.<br /> Die Etablierung immunologischer Kombinationstherapien sollte jedoch kritisch hinterfragt werden. In einem lesenswerten Wirtschaftsblog (I/O: The Strategic Supernova In Cancer Today, <a href="https://lifescivc.com/2016/ % 2006/io-strategic-supernova-cancer-today" target="_blank">https://lifescivc.com/2016/ 06/io-strategic-supernova-cancer-today</a>) wird daher die Entwicklung der Checkpoint-Blockade kritisch beleuchtet und ihre Grenzen und Konsequenzen werden aufgezeigt. So wird in Zukunft schon allein die Anzahl an Patienten, die für eine klinische Studie mit einer Immuntherapie zur Verfügung stehen, ein limitierender Faktor sein, da viele, vielleicht sogar zu viele Entwicklungsprogramme offen sind (Abb. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Onko_1604_Weblinks_Seite53.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Zweitlinienstandards mit Checkpoint-Blockaden</h2> <p>Trotz oder gerade wegen der starken kompetitiven Entwicklung konnten rasch Daten generiert werden, aufgrund deren beim ASCO 2016 zwei neue Zweitlinienstandards mit Checkpoint-Blockaden definiert wurden. Zum einen erreichte die Behandlung mit Atezolizumab beim metastasierten oder lokal fortgeschrittenen Urothelkarzinom nach Versagen einer Platin-haltigen Therapie im Rahmen der IMvigor210-Studie eine ORR von 16 % und eine 12-Monats-Überlebensrate von 35 % .<sup>2</sup> Auch in dieser Entität zeigt sich, dass es unter den ansprechenden Patienten einige gibt, die mehr als 72 Wochen überleben. Die IMvigor210-Studie hatte eine interessante vordefinierte Patientengruppe, die sich in der ersten Therapielinie nicht für eine Cisplatin-haltige Behandlung qualifizierten.<sup>3</sup> In dieser Population konnten für Atezolizumab eine ORR von 24 % und ein medianes OS von 15 Monaten beobachtet werden. Damit demonstriert die PD-1/PD-L1-Blockade ihren Vorteil durch gute Verträglichkeit in einem schwierig zu behandelnden Patientenkollektiv. <br /> Zum anderen konnte durch die CheckMate-141-Studie bei metastasierten oder lokal fortgeschrittenen Kopf-Hals-Tumoren ein neuer Second-Line-Standard erarbeitet werden.<sup>4</sup> In dieser Studie wurde eine Second-Line-Chemotherapie («investigator’s choice») mit Nivolumab (PD-1-Antikörper) verglichen. Nivolumab erreichte eine 1-Jahres-Überlebens-Rate von 36 % im Vergleich zur Chemotherapie mit 16 % . Beide PD-1/PD-L-blockierenden Antikörper (Nivolumab und Atezolizumab) zeigten in den unterschiedlichen Einsatzbereichen eine gute Verträglichkeit. Zudem konnten keine neuen unerwünschten Medikamentenwirkungen beobachtet werden.<br /> <br /> Neben diesen beiden Studien, die den klinischen Alltag in den nächsten Monaten verändern werden, wurden auch Studien gezeigt, die unser einfaches und sehr mechanistisches Denken, wie Immuntherapien mit Checkpoint-Inhibitoren funktionieren, infrage stellen. So wurde in einer Studie beim Melanom überprüft, ob Ipilimumab (Anti-CTLA-4-Antikörper) gefolgt von Nivolumab zum gleichen Ansprechen führt wie Nivolumab gefolgt von Ipilimumab.<sup>5</sup> Es wird angenommen, dass Ipilimumab das Priming (den ersten Schritt der Immunantwort) fördert und Nivolumab die intratumorale Immunantwort (den letzten Schritt) ermöglicht. Erstaunlicherweise konnte jedoch beobachtet werden, dass Nivolumab gefolgt von Ipilimumab zu einer höheren 1-Jahres-Überlebens-Rate (76 % vs. 54 % ) führte. Auch wenn die Fallzahl dieser Studie klein war und vielleicht klinische Faktoren das Ergebnis beeinflusst haben, deutet diese Studie auf zwei mögliche Faktoren hin:<br /> 1.) Beim Melanom gibt es eine präexistente Immunantwort, die im Tumor blockiert ist. Diese Annahme wird durch eine in der Regel starke T-Zell-Infiltration im Melanom bekräftigt.<br /> 2.) CTLA-4 spielt wahrscheinlich auch im weiteren Verlauf einer Immunantwort eine wesentliche Rolle.<br /> <br /> Wenn man in diesem Zusammenhang die Immuntherapiedaten des Lungenkarzinoms betrachtet, dann sieht man eine mögliche Bestätigung dieser Hypothese. Es konnte in einer NSCLC-Studie gezeigt werden, dass die Gabe von 1mg/kg Ipilimumab alle 12 Wochen in Kombination mit Nivolumab zu einem eindrucksvollen ORR von 39 % führte.<sup>6</sup> Diese Beobachtung unterstreicht den langfristigen Effekt einer CTLA-4 Blockade und erhöht den Stellenwert einer CTLA-4-Blockade im langfristigen Verlauf einer Immuntherapie.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Onko_1604_Weblinks_Seite54.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Stellenwert von PD-L1 als Biomarker</h2> <p>Suzanne Topalian zeigte eine Übersicht über den Stellenwert von PD-L1 als Biomarker («Where does the truth lie in immune biomarker development?»). Auch unter Berücksichtigung aller präsentierten Daten konnte sich noch immer kein eindeutiger prädiktiver Marker für die PD-1/PD-L1-Blockade etablieren. Sie bekräftigte nochmals, dass das Ansprechen auf eine alleinige PD-1/PD-L1-Blockade positiv mit der PD-L1-Expression korreliert (Tab. 1). Weiterhin problematisch ist aber die Beobachtung, dass auch PD-L1-negative Tumoren auf die PD-1/PD-L1-Blockade ansprechen können. Anhand von Beispielen demonstrierte sie die dynamische und/oder fokale Expression von PD-L1. Dieses Expressionsverhalten kann zu zeitlicher oder lokaler PD-L1-Negativität führen. Wenn man die PD-L1-Expression strikt nutzen würde, so müssten Patienten von der Behandlung ausgeschlossen werden, die potenziell auf eine PD-1/PD-L1-Blockade ansprechen. Daher gibt es im Zusammenhang mit den aktuellen Neuzulassungen in den USA für PD-1/PD-L1-blockierende Medikamente nun nicht mehr einen «companion diagnostic test», sondern einen «complementary diagnostic test». Dies bedeutet, dass die Expression von PD-L1 zwar mit einem zugelassenen Test gemessen wird, aber daraus nicht die Entscheidung abgeleitet wird, ob ein Medikament eingesetzt wird. Aber der Test erlaubt abzuschätzen, ob ein Patient eher auf eine Therapie ansprechen wird.<br /> <br /> Aus meiner Sicht wird sich die Bedeutung von PD-L1 als prädiktiver Biomarker in Zukunft verändern, denn aus den nun vorliegenden Erfahrungen über die Kombination einer PD-1/PD-L1-Blockade mit einer CTLA-4- Blockade ergeben sich Hinweise darauf, dass immer mehr Patienten mit PD-L1-negativen Tumoren auf eine Immuntherapie ansprechen können. Dies wurde für Patienten mit NSCLC, SCLC bzw. Melanom gezeigt.<sup>6–8</sup></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Zusammenfassend komme ich zu der Einschätzung, dass in den nächsten Jahren die Komplexität der Immuntherapie durch immunmodulierende Kombinationstherapien zunehmen wird. Wir müssen uns vom simplen Verständnis einer Monotherapie, die für alle gut ist, verabschieden. Zusätzlich haben klinische Beobachtungen mit Checkpoint-Inhibitoren die bisher angenommenen mechanistischen Erklärungen, wie eine Immuntherapie gegen den Tumor abläuft, infrage gestellt. Immunologisch stehen uns spannende Jahre bevor; natürlich warten wir auf die Zulassung von mehr immunologisch aktiven Substanzen in der Erstlinientherapie. Diesbezüglich werden Daten zur Behandlung des Bronchialkarzinoms in den nächsten Monaten erwartet, die je nach Ergebnis eine immunologische Erstlinientherapie erlauben könnten. Aber das Gebiet der Immuntherapie ist nicht nur auf die Verwendung von Checkpoint-Inhibitoren beschränkt: Auch Impfungen und zelluläre Therapien werden ihren Weg in die Klinik finden und damit unser immunologisches Armamentarium substanziell erweitern.</p> </div></p>
<p class="article-footer">
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<p><strong>1</strong> J Clin Oncol 2016; 34 (suppl; abstr 3502)<br /><strong>2</strong> J Clin Oncol 2016; 34 (suppl; abstr 4515)<br /><strong>3</strong> J Clin Oncol 2016; 34 (suppl; abstr LBA4500)<br /><strong>4</strong> J Clin Oncol 2016; 34 (suppl; abstr 6009)<br /><strong>5</strong> J Clin Oncol 2016; 34 (suppl; abstr 9517)<br /><strong>6</strong> J Clin Oncol 2016; 34 (suppl; abstr 3001)<br /><strong>7</strong> J Clin Oncol 2016; 34 (suppl; abstr 100)<br /><strong>8</strong> J Clin Oncol 2016; 34 (suppl; abstr 9505)</p>
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