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Alternative Spender bei Blutstammzelltransplantation
Jatros
Autor:
Dr. Philipp Wohlfarth
Knochenmark- und Blutstammzelltransplantation<br> Universitätsklinik für Innere Medizin I<br> Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: philipp.wohlfarth@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
11.07.2019
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<p class="article-intro">Die Übereinstimmung im Bereich der HLA-Gene („HLA matching“) stellt bis dato den wichtigsten Faktor für den Erfolg einer Blutstammzelltransplantation dar. Ein HLA-identer Geschwisterspender gilt bei der Auswahl des optimalen Stammzellspenders als Goldstandard, ist jedoch nur bei max. 30 % der Patienten vorhanden.</p>
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<p class="article-content"><p>Dank groß angelegter Spenderregister lässt sich in den meisten übrigen Fällen, in denen kein HLA-identer Geschwisterspender verfügbar ist, ein HLA-gematchter Fremdspender identifizieren, dessen Heranziehen mit gleichen Erfolgsraten wie bei HLA-identen Geschwisterspendern verbunden ist. Für jene Patienten, welche nicht über einen dieser beiden Spender verfügen, stehen möglicherweise haploidente Stammzellspender, Nabelschnurblut oder nicht verwandte HLA-Mismatch- Spender als Alternativen zur Verfügung.</p> <h2>Aufstieg der haploidenten Blutstammzelltransplantation</h2> <p>Die haploidente Stammzelltransplantation bezeichnet die Verwendung eines verwandten Spenders, welcher im Bereich der HLA-Gene nur in einem Haplotyp, also zu 50 %, mit dem Empfänger übereinstimmt. Eltern (zu 100 %), Kinder (zu 100 %) und Geschwister (zu 50 %) kommen vorrangig als mögliche haploidente Spender infrage. Als größtes Hindernis bei der haploidenten Blutstammzelltransplantation gilt es, die durch die HLA-Inkompatibilität entstehende Alloreaktivität des Spenderimmunsystems gegen den Empfänger hintanzuhalten, um schwere Formen einer „graft-versus-host disease“ (GvHD) zu verhindern. Es wurden hierfür in den letzten zwei Jahrzehnten verschiedene Plattformen entwickelt, wobei sich der Einsatz von Cyclophosphamid als Immunsuppressivum nach der Transplantation als am effizientesten und praktikabelsten durchgesetzt hat („Posttransplant“- Cyclophosphamid; PTCy). Die Verabreichung von PTCy an den Tagen + 3 und + 4 nach Stammzelltransplantation eliminiert relativ selektiv alloreaktive T-Zellen des Spenders und schützt so in einem hohen Maße vor dem Auftreten einer GvHD, während die hämatopoetischen Stammzellen durch intrinsische Resistenz vor den zytotoxischen Eigenschaften von PTCy geschützt werden. Durch Einsatz der haploidenten Stammzelltransplantation mit PTCy lassen sich augenscheinlich im Rahmen der wichtigsten Indikationen gleichwertige klinische Resultate wie mit der Verwendung HLA-gematchter Fremdspender oder gar HLA-identer Geschwisterspender erzielen. Es findet sich daher bereits jetzt eine rasante Zunahme der haploidenten Stammzelltransplantation vor dem Hintergrund eines zunehmenden Vorzugs selbiger gegenüber der HLA-gematchten Fremdspendertransplantation. Die rasche Verfügbarkeit eines Spenders und niedrigere Kosten bei der Stammzellbeschaffung stellen bei angenommener klinischer Gleichwertigkeit die Hauptmotivation hierfür dar.</p> <h2>Erweiterung des Spenderpools durch die haploidente Stammzelltransplantation</h2> <p>Die Ermöglichung der Stammzelltransplantation mit haploidenten Familienspendern hat vor allem eine dramatische Konsequenz: Sie erweitert den Spenderpool um ein Vielfaches. Aufschlüsse über diesen Umstand erlauben Daten aus dem US-amerikanischen Spenderregister. Während in diesem für weißhäutige Europäer in 75 % der Fälle ein HLA-gematchter Fremdspender gefunden werden kann, ist diese Zahl für andere ethnische Gruppen bedeutend geringer und liegt, zum Beispiel, für Menschen afrikanischer Herkunft bei nur 20 %. Im Gegensatz dazu verfügt ein Patient bedingt durch die vorherrschenden Familienstrukturen im Durchschnitt über 2,7 potenzielle erstgradig verwandte haploidente Spender. Mittlerweile hat sich gezeigt, dass auch entferntere Verwandte (Onkel/Tante, Nichten/ Neffen, Halbgeschwister) erfolgreich als haploidente Stammzellspender herangezogen werden können, sodass sich im Umfeld beinahe eines jeden Patienten zumindest ein potenzieller haploidenter Stammzellspender finden lässt.</p> <h2>Alternative Spenderlandschaft</h2> <p>Im Setting von Patienten, welche nicht über einen HLA-identen Geschwisterspender oder über einen HLA-gematchten Fremdspender verfügen, hat die haploidente Stammzelltransplantation mit PTCy aufgrund der guten klinischen Ergebnisse und der Einfachheit der Durchführung die Attraktivität der anderen Alternativen – der Nabelschnurbluttransplantation und der Transplantation mit einem nicht verwandten HLA-Mismatch-Spender – deutlich abgewertet. Jüngste Daten deuten an, dass die Verwendung von PTCy vorhandene HLA-Mismatches auch bei Fremdspendern egalisiert und somit gleichwertige Ergebnisse wie mit HLA-gematchten Fremdspendern erlaubt. Kombiniert man diese Beobachtungen mit den erfolgreichen Daten der haploidenten Transplantation mit PTCy, so stellt sich die Frage, ob PTCy die HLA-Barriere generell zu Fall bringen kann und HLA-Matches bei der Transplantation peripherer Blutstammzellen oder von Knochenmark in Zukunft nur mehr eine untergeordnete Rolle spielen. Der Trend geht jedenfalls in diese Richtung. <br />Sollten sich Vermutungen zum egalisierenden Effekt von PTCy auf HLA-Matches bestätigen, bleibt in Zukunft die Nabelschnurbluttransplantation die einzige wirkliche alternative Spendertransplantation. Aufgrund der höheren Anzahl an tolerierbaren Mismatches lassen sich für nahezu jeden Patienten passende Nabelschnurprodukte finden. Die Verwendung von Nabelschnurblut ist ob der Aufbereitungs- und Lagerungskosten teuer und in einer bedeutenden Anzahl von Fällen mit einer unzufriedenstellenden immunologischen und hämatologischen Rekonstitution assoziiert. Sie ist daher bei vielen Transplanteuren etwas in Verruf geraten und ihre Durchführungszahlen sind über die letzten Jahre deutlich rückläufig. Allerdings lassen sich in erfahrenen Zentren mit der Verwendung von Nabelschnurblut ebenso ausgezeichnete Ergebnisse erzielen, sodass Letztere auch ob neuerer Entwicklungen noch nicht vollends abgeschrieben werden sollte. In einer Arbeit der Transplantationsgruppe aus Seattle, USA, welche 2016 im „New England Journal of Medicine“ erschienen ist, wurde das Outcome von 140 Nabelschnurbluttransplantationen bei akuter myeloischer Leukämie oder myelodysplastischem Syndrom mit jenem von 344 HLA-gematchten und 98 HLA-Mismatch-Fremdspendertransplantationen verglichen. Hierbei zeigte sich kein Unterschied hinsichtlich des Gesamtüberlebens zwischen Nabelschnurblut und HLA-gematchten Fremdspendern und ein signifikanter Vorteil für beide gegenüber einer HLA-Mismatch- Transplantation. Ähnliche Resultate wurden bereits in der Vergangenheit auch von anderen Gruppen publiziert. Als wirkliches Novum fand sich in dieser Arbeit allerdings ein angedeuteter Überlebensvorteil der Nabelschnurbluttransplantation gegenüber den anderen beiden Gruppen bei Patienten mit nachweisbarer Resterkrankung zum Zeitpunkt der Transplantation durch eine Halbierung der Rezidivraten. Ebenso beeindruckende Daten wurden beim diesjährigen Kongress der Europäischen Gesellschaft für Blut- und Knochenmarktransplantation (EBMT) von einer Gruppe des Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York, USA, präsentiert. Bezüglich einer Kohorte von 102 Patienten mit größtenteils akuten Leukämien berichteten die Studienautoren nach Verwendung eines intensitätsreduzierten Konditionierungsregimens bestehend aus Fludarabin 150 mg/m<sup>2</sup>, Cyclophosphamid 50 mg/kg, Thiotepa 5–10 mg/kg und 4 Gray Ganzkörperbestrahlung über eine 2-Jahres-Überlebensrate von 82 % bei einer Transplantations-assoziierten Mortalität von nur 9 % nach 6 Monaten bzw. 14 % nach 2 Jahren. Die Rate des rezidivfreien Überlebens nach 2 Jahren lag bei 74 % und das Auftreten eines Rezidivs war interessanterweise vom Erkrankungsrisiko („revised disease risk index“) unabhängig. Beide Arbeiten lassen somit einen potenteren „Graft-versus-leukemia“(GVL)-Effekt bei Nabelschnurblut vermuten, welcher interessanterweise vom Auftreten einer GvHD unabhängig zu sein scheint.</p> <h2>Ausblick</h2> <p>Die haploidente Stammzelltransplantation mit PTCy ist aus der Motivation der alternativen Spendertransplantation entstanden, erhält aber zunehmend eine gleichwertige Stellung wie die HLA-gematchte Fremdspendertransplantation. Bei aller Euphorie ist allerdings zu sagen, dass sämtliche Beobachtungen und Aussagen zur relativen Wertigkeit beider Transplantationsformen ausschließlich auf retrospektiven Studien und prospektiven Registerdaten fußen. Randomisierte Studien, welche beide Ansätze miteinander vergleichen sollen, sind derzeit in Planung, auf ihre Resultate werden wir aber noch Jahre warten müssen. Im Lichte der Entwicklungen um PTCy verbleibt die Nabelschnurbluttransplantation als einzige echte alternative Spendertransplantation. Auch wenn sie im Rennen mit der haploidenten Transplantation weit abgeschlagen scheint, zeigen rezente Daten durchaus positive Entwicklungen. Glücklicherweise sollten die kommenden Resultate der BMT-CTN-1101-Studie, welche Patienten zwischen einer Nabelschnurbluttransplantation und einer haploidenten Transplantation jeweils nach intensitätsreduzierter Konditionierung randomisierte, uns bald ein genaueres Bild vom Stellenwert beider Verfahren bieten.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p>• Fuchs EJ: Related haploidentical donors are a better choice than matched unrelated donors: point. Blood Adv 2017; 1(6): 397-400 • Gragert L et al.: HLA match likelihoods for hematopoietic stem-cell grafts in the U. S. registry. N Engl J Med 2014; 371(4): 339 • Milano F et al.: Cordblood transplantation in patients with minimal residual disease. N Engl J Med 2016; 375(10): 944-53 • Passweg JR et al.: Is the use of unrelated donor transplantation leveling off in Europe? The 2016 European Society for Blood and Marrow Transplant activity survey report. Bone Marrow Transplant 2018; 53(9): 1139-48 • Politikos I et al.: Engrafting unit-recipient HLA-allele mismatch is not associated with increased risk of TRM or inferior RFS after double-unit cord blood transplantation in adults with hematologic malignancies. EBMT 2019; Abstr. 355 • Shaw BE: Related haploidentical donors are a better choice than matched unrelated donors: counterpoint. Blood Adv 2017; 1(6): 401-6</p>
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