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Aktueller Stand der internationalen Guidelines bei neuroendokrinen Tumoren des Pankreas
Leading Opinions
Autor:
PD Dr. med. Mathias Worni, MHS
Lindenhofspital, Bern<br> Berner Viszeralchirurgie<br> Klinik Beau-Site, Bern<br> Clarunis, Department of Visceral Surgery<br> University Center for Gastrointestinal and Liver Diseases, Basel<br> E-Mail: mathias.worni@hin.ch
30
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27.05.2020
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<p class="article-intro">Pankreatische neuroendokrine Tumoren machen etwa 1–2 % aller Pankreastumoren aus. Der folgende Artikel gibt einen Überblick über aktuelle Guidelines zur Diagnostik und Therapie dieser Tumoren.</p>
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<p class="article-content"><h2>Hintergrund</h2> <p>Die Bauchspeicheldrüse ist ein wichtiges Organ mit multiplen Funktionen. Während die exokrine Funktion der Verdauung dient, sind die endokrinen Aufgaben vielfältig. Die Hormone werden in den Inselzellen der Bauchspeicheldrüse produziert und beinhalten unter anderem Insulin, Glukagon, Somatostatin, Ghrelin und pankreatisches Polypeptid. Die Tumoren, welche aus den Inselzellen entstehen, nennt man pankreatische neuroendokrine Tumoren (PNETs). Diese machen nur etwa 1–2 % aller Pankreastumoren aus. Die Inzidenz der PNETs ist von 3,2/1 000 000 im Jahr 2003 auf 8/1 000 000 im Jahr 2012 angestiegen. Bei der Mehrheit der Tumoren (75–90 % ) kommt es zu keiner exzessiven Hormonausschüttung, diese werden als nicht funktionelle PNETs bezeichnet. Die restlichen PNETs produzieren Hormone im Überschuss und können je nach Hormon zu unterschiedlichen Symptomen führen (Tab. 1). Es gibt multiple Guidelines zur Behandlung von PNETs: z. B. diejenigen der ENETS (European Neuroendocrine Tumor Society), NCCN (National Comprehensive Cancer Network) und NANETS (North American Neuroendocrine Tumor Society) sowie die S2k-Leitlinien. Insgesamt ist die Evidenz zur Behandlung von Patienten mit PNETs sehr schwach, denn praktisch alle Empfehlungen basieren auf retrospektiv analysierten Daten. Erschwerend kommt hinzu, dass PNETs sehr heterogene Tumoren mit unterschiedlicher klinischer Präsentation sind.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Leading Opinions_Onko_2003_Weblinks_lo_onko_2003_s51_tab1_worni.jpg" alt="" width="850" height="542" /></p> <h2>Diagnostik</h2> <p>Da die meisten Patienten mit PNETs über eher unspezifische gastrointestinale Symptome klagen oder sogar asymptomatisch sind, erfolgt die Diagnosestellung häufig mit deutlicher Verspätung. Zur Labordiagnostik wird bei bestätigtem nicht funktionellem pNET die Bestimmung des Chromogranin A empfohlen. Weniger sensitiv ist das pankreatische Polypeptid, bei neuroendokrinem Karzinom wird auch die Bestimmung der neuronenspezifischen Enolase empfohlen. Bei funktionellen Tumoren ist die Situation deutlich differenzierter, je nach zugrunde liegendem Tumor ändern sich die zu bestimmenden Hormone (Tab. 1). Patienten mit funktionellen PNETs haben dagegen typischerweise Symptome, welche mit der exzessiven Hormonproduktion assoziiert sind.<br /> Die Lokalisationsdiagnostik kann gelegentlich sehr schwierig sein. Als minimale Anforderung wird eine kontrastmittelverstärkte Computertomografie gefordert, bei Verdacht auf Lebermetastasen kann ergänzend eine Magnetresonanztomografie erfolgen. Eine deutliche Verbesserung als Staging-Untersuchung aber auch als Hilfe bei „okkulten“ Tumoren stellt die Somatostatin- Rezeptor-PET-Untersuchung mit <sup>68</sup>Ga-DOTATATE respektive <sup>68</sup>Ga-DOTATOC dar. Diese Untersuchung ist jedoch nur dann positiv, wenn die Tumoren Somatostatin-Rezeptoren exprimieren. Mit zunehmender Dedifferenzierung nimmt die Somatostatin-Rezeptor-Expression ab und ist bei G3 PNETs nicht mehr immer vorhanden. Neuroendokrine Karzinome exprimieren äusserst selten Somatostatin- Rezeptoren, entsprechend empfiehlt sich hier eine FDG-PET-Untersuchung. Der endoskopische Ultraschall (EUS) kann eine affirmative Diagnose eines PNET stellen, wenn sie mit einer Feinnadelaspiration (FNA) oder -biopsie (FNB) kombiniert wird. So kann zytologisch oder histologisch die Diagnose inklusive Tumorgrad bestätigt werden. Bei Insulinomen ist die GLP-1-Szintigrafie hilfreich, allerdings ist diese Methode aktuell erst an wenigen Zentren verfügbar.</p> <h2>Chirurgische Therapie</h2> <p>Die einzige Möglichkeit, Patienten mit PNETs zu heilen besteht in der chirurgischen Resektion. Aufgrund fehlender randomisierter Studien ist das Evidenz-Level zur chirurgischen Behandlung von PNETs sehr schwach.</p> <h2>Lokalisierte Tumoren</h2> <p><strong>Nicht funktionelle Tumoren</strong><br /> Die nicht funktionellen PNETs sind die häufigsten neuroendokrinen Tumoren der Bauchspeicheldrüse. Je grösser die Tumoren sind, desto grösser ist auch das Risiko der malignen Entartung. Aufgrund von deutlich ansteigendem Malignitätsrisiko wird ab einer Grösse von ca. 2 cm generell eine Resektion empfohlen. Bei kleineren Tumoren (<2 cm) ist die Datenlage weiterhin unklar. Gemäss den aktuellen Guidelines sind bei diesen Patienten regelmässige Verlaufskontrollen gelegentlich sinnvoll, nicht alle Tumoren müssen bei Diagnosestellung reseziert werden. Bei der Beratung von Patienten sollten folgende Risikofaktoren berücksichtigt werden: Alter, Nebenerkrankungen, Wachstum des Tumors über die Zeit, Risiko der Symptomentwicklung, Tumorgrad, Ausdehnung der notwendigen chirurgischen Resektion, Patientenwunsch und die Möglichkeit, lebenslang ein Follow-up zu garantieren. Bei dieser Vielzahl an Faktoren und der unklaren Studienlage muss der Entscheid für eine alleinige Überwachung der Patienten im «informed consent» mit dem Patienten und nach interdisziplinärer Evaluation erfolgen.</p> <p><strong>Funktionelle Tumoren</strong><br /> Die Datenlage bei funktionellen PNETs ist deutlich klarer. Wegen der meist assoziierten klinischen Symptome wird auch bei kleineren Tumoren fast ausnahmslos eine Resektion empfohlen. Bis auf Insulinome haben die funktionellen PNETs ein signifikantes Risiko für eine maligne Entartung. Entsprechend ist eine formale Pankreatektomie mit Lymphadenektomie zu favorisieren. Einzig bei den meist benignen Insulinomen ist eine Enukleation als Alternative je nach Tumorlokalisation in der Bauchspeicheldrüse möglich. Die Lokalisationsdiagnostik kann gelegentlich schwierig sein. Falls der funktionelle PNET nicht lokalisiert werden kann, wird heutzutage von einer chirurgischen Exploration respektive der früher empfohlenen blinden Resektion des Bauchspeicheldrüsenschwanzes abgeraten. In dieser Situation sollte initial eine medikamentöse Therapie erfolgen, bis im Verlauf mithilfe erneuter Bildgebung eine eindeutige Lokalisierung möglich ist.</p> <h2>Metastasierte Tumoren</h2> <p>Da PNETs im Frühstadium meist asymptomatisch sind, erfolgt die Diagnosestellung häufig in einem fortgeschrittenen und bereits metastasierten Stadium. Aufgrund fehlender prospektiver Studien basieren die Empfehlungen der aktuellen Guidelines auch hier auf retrospektiven Analysen. Das Ziel der Resektion von PNETs im metastasierten Stadium ist vielseitig und beinhaltet neben dem Ziel der möglichen Heilung auch das Erreichen einer maximalen Reduktion der Tumorlast zur Symptomkontrolle und die Reduktion der aktiven Hormonlevel. Ein weiteres Ziel kann sein, der Systemtherapie eine bessere Voraussetzung für deren Wirksamkeit zu geben.<br /> Die Entscheidung über die Resektion des Primärtumors in der Bauchspeicheldrüse im metastasierten Stadium sollte interdisziplinär und individuell evaluiert werden. Verhinderung von lokalen Komplikationen, Verbesserung des Überlebens durch eine Reduktion von neuen Lebermetastasen respektive das bessere Ansprechen auf eine systemische Therapie sind Argumente für eine Operation. Am besten sollte dies aber gemäss den Guidelines in einer prospektiven randomisierten Studie evaluiert werden, bevor eine abschliessende Empfehlung gemacht werden kann. Weiter wird kontrovers diskutiert, ob und wann Lebermetastasen reseziert werden sollen. Die Indikation zur Metastasektomie wird aber zunehmend grosszügig gestellt. Während vor einigen Jahren noch eine mögliche Zytoreduktion von mindestens 90 % gefordert wurde, tendiert man heute eher zu einer notwendigen Reduktion von mindestens 70 % . Falls weniger als 70 % der Metastasen entfernt werden können, sollte auf eine Leberresektion verzichtet werden. Dabei spielt die Differenzierung des Tumors (G1 vs. G2) keine Rolle. Auch wenn Patienten mit G2-Tumoren langfristig ein schlechteres Überleben haben als Patienten mit G1-Tumoren, so profitieren sie doch auch von einer aggressiven hepatischen Zytoreduktion. Die Unterscheidung zwischen G1 und G2 kann auch schwierig sein, da PNETs eine deutliche Heterogenität bezüglich Tumorgrad aufweisen können, sowohl im Vergleich zwischen Primärtumor und Lebermetastasen als auch zwischen den einzelnen Lebermetastasen.</p> <h2>Boderline resezierbare und lokal fortgeschrittene Tumoren</h2> <p>Patienten mit PNETs können ähnlich wie Pankreas-Adenokarzinome lokal so weit fortgeschritten sein, dass sie nur noch mit erheblichem chirurgischem Aufwand oder gar nicht mehr entfernt werden können. Während sich die Evidenz beim Pankreaskarzinom zunehmend Richtung neoadjuvanter Therapie bewegt, wird dies bei PNETs erst als – Erfolg versprechende – Option zum Downstaging diskutiert.</p> <h2>Medikamentöse Therapie</h2> <p>Die medikamentösen Therapieoptionen bei neuroendokrinen Tumoren sind äusserst vielfältig und komplex. Da sich bei dieser Therapie viele Neuerungen etabliert haben und etablieren werden, sollten Therapieentscheide immer an einem interdisziplinären Tumorboard besprochen werden. Das Spektrum der Behandlungsmöglichkeiten reicht dabei von «watchful waiting» über die Gabe von Sandostatin-Analoga, «targeted therapy» wie PRRT («Peptide Receptor Radionuclide Therapy») bis zu aggressiven Chemotherapie-Regimes. Der Rahmen dieses Artikels erlaubt es nicht, eine detaillierte Diskussion dieser Therapiemöglichkeiten zu führen.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p>• Falconi M et al.: ENETS Consensus Guidelines for the management of patients with digestive neuroendocrine neoplasms of the digestive system: well-differentiated pancreatic non-functioning tumors. Neuroendocrinology 2012; 95: 120-34 • Jensen RT et al.: ENETS Consensus Guidelines for the management of patients with digestive neuroendocrine neoplasms: functional pancreatic endocrine tumor syndromes. Neuroendocrinology 2012; 95: 98-119 • Falconi M et al.: ENETS Consensus Guidelines Update for the management of pateints with functional pancreatic neuroendocrine tumors and non-functional panreatic neuroendocrine tumors. Neuroendocrinology 2016; 103: 153-71 • Garcia-Carbonero R et al.: ENETS Consensus Guidelines for high-grade gastroenteropancreatic neuroendorine tumors and neuroendocrine carcinomas. Neuroendocrinology 2016; 103: 186-94 • Howe JR et al.: The North American Neuroendocrine Tumor Society Consensus Paper on the surgical management of pancreatic neuroendorine tumors. Pancreas 2020; 49(1): 1-33 • S2k-Leitlinie Neuroendokrine Tumore. AWMF-Reg. 021-27. www. thieme-connect. de/products/ejournals abstract/ 10.1055/ a-0604-2924 • NCCN (National Comprehensive Cancer Network) Clinical Practice Guidelines in Oncology. Neuroendocrine and Adrenal Tumors Version 1.2019. www.nccn.org/professionals/physician_gls/default.aspx • Recommendations for the management of gastroenteropancreatic neuroendocrine tumours (GEP-NETs) from the Asia-Pacific Neuroendocrine Tumours Society (Malaysian Chapter): http://apnets.org</p>
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