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Dr. med. Mark Ebneter blickt auf 20 Jahre als Kliniker zurück. Sein Arbeitsalltag zu Beginn seiner Karriere ist mit jenem von heute nicht mehr vergleichbar. Die täglichen Aufgaben haben sich nicht nur aufgrund wechselnder Funktionen verändert. Wir sprachen mit ihm über die Entwicklung der Arztrolle in den letzten Jahrzehnten und wie sich die Digitalisierung auf den weiteren Verlauf auswirken wird.
Wenn Sie Ihre Aufgaben in der Klinik vor 20 Jahren mit heute vergleichen: Was ist anders?
M. Ebneter: Aus persönlicher Erfahrung kann ich nur die Aufgaben eines Assistenzarztes vor 20 Jahren mit jenen einer medizinischen Kaderperson von heute vergleichen, was natürlich an sich schon eine Veränderung der Aufgabengebiete mit sich bringt. Unabhängig von der Funktion haben sich aber sicher die Hilfsmittel respektive der Digitalisierungsgrad verändert: Vor 20 Jahren habe ich als Assistenzarzt mit Schreibmaschine und Korrekturpapier meine KG-Einträge gemacht, habe jeden zweiten Anruf auf meinen Piepser verpasst, da kein Wandtelefon in Reichweite war, habe Diktate auf analoge «Bändli» gemacht und bin im Nachtdienst in die feuchten Archive der PUK Zürich gestiegen, um die Krankenakten zu holen.
Heute braucht es für das alles nur einen Laptop und ein Headset. Das ist bequemer und effizienter, ob es aber die Arbeitszufriedenheit verbessert oder gar die Patientenbetreuung, das hängt davon ab, wofür der Zeitgewinn genutzt wird.
Welche Auswirkungen hat die fortschreitende Digitalisierung auf die Aufgaben einer Ärztin resp. eines Arztes?
M. Ebneter: Die Digitalisierung ist ein Hilfsmittel zur Effizienzsteigerung und sie schafft Transparenz und Vegleichbarkeit, was an sich eine gute Sache ist. Während man vor 20 Jahren den Aussagen einer Ärztin oder eines Arztes zur sinnvollsten Behandlung, zur notwendigen Behandlungsdauer etc. mehr oder weniger unhinterfragt vertrauen musste, so besteht heute die Möglichkeit, diese durch Zahlen, «Benchmarks» etc. zu überprüfen. Ebenso können wir heute auf eine breite Palette von evidenzbasierten Guidelines und digital jederzeit abrufbare Daten zurückgreifen.
Wichtig ist, dass man sich dabei der Tatsache bewusst ist, dass Zahlen immer nur eine Annäherung und nie ein Abbild der Realität sind.
Gibt es auch negative Aspekte dieser Entwicklung?
M. Ebneter: Absolut! Ein solcher Aspekt ist, dass auf dem Hintergrund der zunehmenden Ökonomisierung des Gesundheitswesens und einer zunehmenden Misstrauenskultur zwischen den Playern im Gesundheitswesen diese Daten als Steuerungs- und Kontrollinstrument ein aus meiner Sicht zu grosses Gewicht erhalten haben. Fehlendes Vertrauen kann aber nie durch «objektive» Daten ersetzt werden, und eine Misstrauens- und Kontrollkultur ist immer uneffizienter als eine Vertrauenskultur. Insofern besteht heute leider ein zunehmender Teil der Aufgaben einer Ärztin und eines Arztes darin, Zahlen und Daten als Leistungsausweis für die eigene Arbeit zu erheben respektive zu liefern. Hier erhoffe ich mir für die Zukunft wieder eine gewisse Gegenbewegung, weg von der Misstrauens- und Kontroll- hin zu einer sinnvollen Vertrauenskultur im Gesundheitswesen.
Worin unterscheiden sich die Anforderungen an Ärzte von vor 20 Jahren zu jenen an Ärzte von heute?
M. Ebneter: Rückblickend stand vor 20 Jahren für eine Ärztin respektive einen Arzt wahrscheinlich die Patientenbetreuung, d.h. die Funktion einer medizinischen Fachperson, deutlicher im Vordergrund als heute. Die Arzt-Patienten-Beziehung war damals noch parternalistischer geprägt, während heute eher eine symmetrische, partnerschaftliche Beziehungsgestaltung angestrebt wird. Dies bedingt, dass man sich mit der Patientin resp. dem Patienten in einen Diskurs einlassen und sich auch infrage stellen lassen muss, ohne dass die Beziehung infrage gestellt wird. Diese «Beziehungsfähigkeit» der Ärztin resp. des Arztes – wenn ich das einmal so sagen darf – hat aus meiner Sicht an Wichtigkeit gewonnen, während die medizinische Fachexpertise damals wie heute vorausgesetzt wird. Die medizinische Fachexpertise ist heute aufgrund der eingangs erwähnten Punkte zur Digitalisierung aber eher überprüfbar, einer konstanten Weiterentwicklung unterworfen und wird strukturierter vermittelt als früher.
Als zweiten zentralen Aufgabenbereich heutiger Ärztinnen und Ärzte – inbesondere im Klinikumfeld – sehe ich den Arzt und die Ärztin als Führungsperson. Im Gegensatz zu früher gründet die Autorität als Führungsperson aber heute nicht mehr allein in ihrer hierarchischen Position, sondern v.a. in ihrer Persönlichkeit, ihrem Charakter und ihrer Haltung. Mir hat einmal ein befreundeter Kollege gesagt: «Früher bewarben sich die Assistenzärzte beim Chefarzt, heute bewirbt sich der Chefarzt bei den Assistenzärzten.» Dies ist sicher überzeichnet, drückt aber die heutige Situation des oft erwähnten Fachkräftemangels pointiert aus. Ein wertschätzender und auf die Förderung persönlicher Stärken ausgerichteter Führungsstil und eine auf Vertrauen und Mitbestimmung gründende Unternehmenskultur ist heute einer der Schlüsselfaktoren, um gute Fachkräfte zu gewinnen und zu halten.
Ergänzend zum Aufgabenbereich der Ärztin und des Arztes als Führungsperson möchte ich noch die relativ neue Aufgabe als ökonomische Fachperson nennen. Es reicht heute nicht mehr, sich «nur» um die Patientenbetreuung zu kümmern, man braucht auch ein Grundverständnis in Gesundheitsökonomie und Management. Die Auseinandersetzung mit Fragen zur Kostenoptimierung, Effizienzsteigerung und Prozessverbesserung ist heute selbstverständlicher Teil des Arbeitsalltages, wobei uns Medizinerinnen und Mediziner als Brückenbauer zwischen klinischer und ökonomischer Sicht die Rolle zukommt, sinnvolle von weniger sinnvollen Verbesserungsideen zu differenzieren und sich konstruktiv in diesen Dialog einzubringen.
Eine oft gern zitierte Untersuchung aus der Zeitschrift «Harvard Business Review» (HBR) von Ende 2016 kommt zudem zum Ergebnis, dass von Ärztinnen oder Ärzten geleitete Spitäler erfolgreicher seien als von Nicht-Medizinern geleitete – insofern scheint es Sinn zu machen, dass wir uns auch in diesen Bereichen aktiv einbringen.
Und zu guter Letzt tut sich ein neuer und bisher vernachlässigter Aufgabenbereich für Ärztinnen und Ärzte auf: die Ärztin und der Arzt als Gesundheitspolitiker/in. Ausgehend vom klassischen Rollenverständnis der Ärztin resp. des Arztes, der sich einzig um das Patientenwohl kümmert, weiter zur Führungsperson, welche sich auch Management- und gesundheitsökonomische Kompetenzen aneignet und sich erfolgreich in die Weiterentwicklung einer Klinik einbringt, tut nun das «Sich-Einbringen» in den politischen Diskurs zur Weiterentwicklung des Gesundheitswesens Not. Das heute von der Politik portierte Postulat «Wenn die Leistungserbringer effizient arbeiten würden, dann wäre das Problem gelöst» greift nachvollziehbar zu kurz. Trotz aller Rationalisierungsbestrebungen wird man sich irgendwann mit der Frage nach einer allfällligen Rationierung und Priorisierung von Gesundheitsleistungen auseinandersetzen müssen – und sich dann die Frage stellen: «Was ist uns das Gesundheitswesen wert?» Ein Thema, das insbesondere im Rahmen der aktuellen Coronapandemie neue Brisanz erhalten hat und in deren Diskussion wir uns als Ärzte und Ärztinnen aktiv einbringen sollten.
Wie werden die nächsten 20 Jahre aussehen? Wie wird sich das Arbeitsumfeld oder die Rolle der Ärztin resp. des Arztes verändern?
M. Ebneter: Das Arbeitsumfeld und die Rolle von uns Ärztinnen und Ärzten wird stark geprägt sein von der Art und Weise, wie sich unser Gesundheitssystem in der Schweiz und auch die Gesundheitssysteme in Europa weiterentwickeln werden, und da eine Prognose zu machen, ist sehr schwierig. Genauso schwierig wie es zu antizipieren ist, in welche Richtung sich unsere Gesellschaften als solche weiterentwickeln werden. Von Staatsmedizin bis zur vollständigen Privatisierung des Gesundheitswesens, vom freiem Zugang für alle bis zur Mehrklassenmedizin – alles ist denkbar. In der Medizin wie auch gesellschaftspolitisch stehen wir vor ausgesprochen grossen Herausforderungen und Umbrüchen, eine Entwicklung, die durch die Digitalisierung getrieben wird, aktuell zusätzlich beschleunigt durch die Coronapandemie.
Wovon man aber mit grosser Sicherheit ausgehen kann, ist, dass klassische ärztliche Tätigkeiten wie das Erheben, Auswerten und Interpretieren von Befunden zur Diagnosefindung und das Zusammenstellen von Behandlungsempfehlungen in grossen Teilen durch digitale Hilfsmittel unterstützt oder in Teilen auch ganz übernommen werden wird. Bei all den technischen Möglichkeiten wird es aber für den Patienten vielleicht mehr noch als heute essenziell sein, eine Person des Vertrauens an seiner Seite zu haben, die ihm Befunde auf verständliche Art und Weise erklären, ihn beraten und auf seinem Weg begleiten kann. Ob dies zwingend eine Ärztin oder ein Arzt sein muss, bleibe dahingestellt, aber diese Funktion des «Humanen» wird – so meine Überzeugung – auch bei all dem technischen Fortschritt eine menschliche Domäne bleiben müssen.
Konkrete Ratschläge für die jungen aufstrebenden Kolleginnen und Kollegen?
M. Ebneter: Der Weg zur Ärztin resp. zum Arzt ist lang und oft fordernd, und da passiert es schnell, dass man den Grund, wofür man ursprünglich diesen Weg eingeschlagen hat, aus den Augen verliert. Sich die Motivation, die einen ursprünglich auf diesen Weg gebracht hat, immer wieder vor Augen zu führen, hilft, auch schwierige Zeiten zu überstehen. Die Arbeit mit Menschen, die sich uns mit ihren Beschwerden, Ängsten und auch Nöten anvertrauen, ist eine Verantwortung, oft eine Bürde, aber mehr als alles andere ein Privileg. Vielleicht hilft manchmal auch ein Blick in eine der vielen Arztserien auf Netflix & Co, um den Blick – selbstredend überzeichnet – für das positive und schöne unseres Berufes wieder mehr ins Bewusstsein zu holen. Zum Beispiel Dr. Iggy Frome als Spitalpsychiater in «New Amsterdam» oder für angehende Psychotherapeut/innen Dr. Paul Weston in «In Treatment» – zu somatischen Fächern muss ich hier sicher keine Tipps geben. Und zu guter Letzt – trotz all der Digitalisierung und des technischen Fortschrittes: die Essenz unseres Berufes lernen wir am Modell. Suchen Sie sich Arbeitsstellen, wo Sie für sich Vorbilder finden, die Sie inspirieren, berühren, motivieren und positiv prägen können. Diese frühen Erfahrungen legen den Grundstein für die Art und Weise, wie wir später als Ärztin oder Arzt tätig sein werden.
Welche Hoffnungen oder Wünsche haben Sie für die nächsten 20 Jahre?
M. Ebneter: Ich wünsche mir, dass wir uns in der Zukunft aktiver als heute in den öffentlichen Diskurs um sinnvolle gesundheitliche Versorgungsmodelle einbringen und das Gesundheitswesen der Zukunft proaktiv und konstruktiv mitgestalten. Und dass wir dem Vertrauen, das die Bevölkerung uns entgegenbringt, auch in Zukunft gerecht werden und unser Handeln frei von zu starker staatlicher oder privatwirtschaftlicher Kontrolle weiterhin primär den Dienste des notleidenden Menschen stellen können.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte
Dr. Gabriele Senti
Unser Gesprächspartner:
Dr. med. Mark Ebneter
Chefarzt
Zentrum für Erwachsenenpsychiatrie
Clienia Littenheid AG
E-Mail: mark.ebneter@clienia.ch
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