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MDS-Kongress, Berlin

Bewegungsstörungen früher erkennen

<p class="article-intro">In diesem Jahr fand der Kongress der International Parkinson and Movement Disorder Society (MDS) in Berlin statt. Ein besonderes Augenmerk galt der Prädiktion und Früherkennung der Parkinsonerkrankung (PD), in der Hoffnung, eines Tages durch krankheitsmodifizierende Therapien die Erkrankung in einem frühen Stadium aufhalten zu können.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Verschiedene Marker k&ouml;nnen auf ein PD-Prodrom hinweisen. Etabliert sind als klinische Marker beispielsweise St&ouml;rungen des Geruchssinn, die REM-Schlaf-Verhaltensst&ouml;rung (RBD) und autonome Symp&shy;tome wie Obstipation, Harninkontinenz, eine erektile oder orthostatische Dysfunktion sowie Depression. Weniger gut belegt sind derzeit als Biomarker Ver&auml;nderungen beim Farbsehen, im Ultraschallbefund der Substantia nigra, in der Ganzhirnbildgebung mit Positronenemissionstomografie (PET) oder Einzelphotonen&shy;emissionscomputertomografie (SPECT) sowie in Biopsien des Gastrointestinaltrakts. Als Einzelfaktoren spielen besonders eine idiopathische RBD, das Vorhandensein eines Risikogens bei asymptomatischen Tr&auml;gern und eine prim&auml;re Hyposmie eine grosse Rolle. <br />Der Konsens &uuml;ber die zu untersuchenden Marker ist inzwischen gross, wie eine Auswertung von 21 laufenden longitudinalen Studien zu Pr&auml;diktions- und Progressionsmarkern bei PD in Europa zeigt.<sup>1</sup> Kontroversen bestehen aber noch &uuml;ber die einzusetzenden Tests, eine Harmonisierung von Skalen und Instrumenten ist dringend notwendig, wie das Konsortium BioLoC-PD betont. <br />Alltagstauglich f&uuml;r die Fr&uuml;herkennung sind die Marker noch nicht. Bei oft ungen&uuml;gender Sensitivit&auml;t und Spezifit&auml;t ist die Gefahr gross, viele Menschen unn&ouml;tig mit einem falschpositiven Ergebnis zu belasten, betonte Ron Postuma, Montreal.<sup>2</sup> Zudem hat die Erkennung eines Prodroms derzeit keine therapeutischen Konsequenzen: Noch fehlen wirksame krankheitsmodifizierende Therapien in diesem Stadium. Perspektiven bieten dazu laut Eduardo Tolosa, Barcelona,<sup>3</sup> eine synukleingerichtete Immuntherapie bei RBD oder LRRK2-Kinase-Inhibitoren bei LRRK2-Mutation. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Neuro_1605_Weblinks_seite6.jpg" alt="" width="1417" height="1170" /></p> <h2>MDS-Kriterien unter der Lupe</h2> <p>F&uuml;r die wissenschaftliche Untersuchung von prodromalen Markern in Studien hat die MDS in diesem Jahr Kriterien ver&ouml;ffentlicht (Tab. 14). Diese Marker wurden retrospektiv auf eine populationsbasierte, longitudinal beobachtete Kohorte von 539 initial gesunden &ouml;sterreichischen Probanden im Alter zwischen 55 und 94 Jahren angewendet.<sup>5</sup> Die Pr&auml;valenz eines wahrscheinlichen PD-Prodroms war danach bei Studienbeginn 2,2 % . Die Sensitivit&auml;t f&uuml;r eine inzidenzielle PD nach wahrscheinlichem Prodrom zu Beginn lag bei 54,6 % , die Spezifit&auml;t bei 99,2 % , der positive pr&auml;diktive Wert bei 60,0 % und der negative pr&auml;diktive Wert bei 99,0 % .</p> <h2>Demografie hat Einfluss</h2> <p>Bei allen klinischen Markern f&uuml;r ein PD-Prodrom m&uuml;ssen auch andere Einflussfaktoren ber&uuml;cksichtigt werden. So fand eine deutsche Arbeitsgruppe, dass demografische Faktoren wie Alter, Geschlecht und Bildungsgrad mit prodromalen Faktoren wie kognitiven Defiziten, Depressivit&auml;t und Hyposmie in einer Wechselbeziehung stehen.<sup>6</sup> So schnitten beispielsweise Frauen in kognitiven Tests insgesamt besser ab als M&auml;nner und erreichten auch bessere Ergebnisse in den olfaktorischen Tests. Eine Hyposmie war in der Kohorte mit einer beeintr&auml;chtigten Ged&auml;chtnisfunktion assoziiert, ohne dass vermehrt andere kognitive Einschr&auml;nkungen beobachtet wurden &ndash; m&ouml;glicherweise ein Zeichen, dass die Beeintr&auml;chtigung des Geruchssinns ein spezifischer Marker der fr&uuml;hen Neurodegeneration nicht nur im olfaktorischen Bulbus, sondern auch in hippokampalen Regionen ist, was sich auf die Ged&auml;chtnisfunktion auswirkt.</p> <h2>RBD zeigt Verlauf analog der Pathologie</h2> <p>Die REM-Schlaf-Verhaltensst&ouml;rung (RBD) ist ein relevanter prodromaler Marker f&uuml;r eine PD, allerdings auch f&uuml;r andere neurodegenerative Erkrankungen. Bei PD liess sich in der deutschen DeNoPa-Kohorte mit neu an PD erkrankten Patienten ein dem Krankheitsverlauf analoger Verlauf der RBD zeigen: Bestehende starke REM-Schlaf-Bewegungen verst&auml;rkten sich danach h&auml;ufig im fr&uuml;hen Krankheitsverlauf der PD bis hin zu einer RBD. Die Autoren glauben, dass diese kontinuier&shy;liche Entwicklung parallel zur Ausbreitung der Lewy-K&ouml;rperchen-Pathologie verl&auml;uft.<sup>7 </sup> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Neuro_1605_Weblinks_seite7.jpg" alt="" width="1417" height="1424" /></p> <h2>Risiko aus dem Weinberg</h2> <p>Die MDS hat auch die bislang belegbaren Risikofaktoren f&uuml;r eine PD gelistet (Tab. 1). Schon l&auml;nger bekannt ist die Assoziation von Pestizidexposition und PD. Franz&ouml;sische Versicherungsdaten zeigen jetzt ein um 11 % h&ouml;heres relatives Risiko einer PD-Neuerkrankung in Regionen mit einer hohen Weinbergdichte im Vergleich zu Regionen ohne oder mit wenigen Weinbergen. Die Assoziation des Parkinsonrisikos mit der Weinbergdichte fand sich f&uuml;r M&auml;nner wie f&uuml;r Frauen und betraf besonders &uuml;ber 75-J&auml;hrige. Die Autoren weisen darauf hin, dass in Frankreich in Weinbergen im Vergleich zu anderen landwirtschaftlichen Kulturen die h&ouml;chsten Mengen an Insektiziden und Fungiziden eingesetzt werden.<sup>8</sup></p> <h2>&Uuml;berblick &uuml;ber genetische Einfl&uuml;sse</h2> <p>Genetische Risikofaktoren f&uuml;r PD sind bereits seit einer Weile bekannt. Mit dem &laquo;next generation sequencing&raquo; lassen sich immer spezifischer auch f&uuml;r andere Bewegungsst&ouml;rungen Mutationen identifizieren. Die Movement Disorder Society stellte in Berlin eine Online-Datenbank vor, die auf Basis publizierter Daten einen umfassenden &Uuml;berblick &uuml;ber Genmutationen und die resultierenden Ph&auml;notypen von Bewegungsst&ouml;rungen gibt. Ziel ist, die klinische Diagnose zu unterst&uuml;tzen und eine breite Datengrundlage f&uuml;r die Forschung zu bieten. Bislang wurden neben Mutationen bei Parkinsonerkrankung (PINK1, Parkin, DJ-1, SNCA, VPS35) auch solche bei paroxysmalen Bewegungsst&ouml;rungen (SLC2A1, PNKD, PRRT2) und bei prim&auml;rer famili&auml;rer Gehirnkalzifizierung (PDGFB) ber&uuml;cksichtigt. Die Datenbank &ndash; kostenfrei verf&uuml;gbar unter www.mdsgene.org &ndash; soll kontinuierlich um weitere Gene, Ph&auml;notypen und Bewegungsst&ouml;rungen erweitert werden.<sup>9 </sup></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Lerche S et al: 20th International Congress of Parkin&shy;son&rsquo;s Disease and Movement Disorders 2016; Abstract #1748 <strong>2</strong> Postuma R: Biomarkers for Parkinson&rsquo;s Disease. Teaching Course, 20th International Congress of Parkin&shy;son&rsquo;s Disease and Movement Disorders 2016; 21. Juni 2016 <strong>3</strong> Tolosa E: The prediagnostic phase of parkinson&rsquo;s disease: facts and myths. 20th International Congress of Parkinson&rsquo;s Disease and Movement Disorders 2016; 20. Juni 2016 <strong>4</strong> Berg D et al: MDS research criteria for prodromal Parkinson's disease. Mov Disord 2015; 30 (12): 1600-11 <strong>5</strong> Mahlknecht P et al: 20th International Congress of Parkinson&rsquo;s Disease and Movement Disorders 2016; Abstract #474 <strong>6</strong> Heinzel S et al: 20th International Congress of Parkinson&rsquo;s Disease and Movement Disorders 2016; Abstract #1434 <strong>7</strong> Sixel-D&ouml;ring F et al: 20th International Congress of Parkinson&rsquo;s Disease and Movement Disorders 2016; Abstract #284 <strong>8</strong> Kab S et al: 20th International Congress of Parkinson&rsquo;s Disease and Movement Disorders 2016; Abstract #455 <strong>9</strong> Mashychev Andriy et al: 20th International Congress of Parkinson&rsquo;s Disease and Movement Disorders; Abstract LBA10</p> </div> </p>
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