Besondere Aspekte in der Behandlung älterer MS-Patient:innen
Autor:
Prim. Priv.-Doz. Dr. Michael Guger
Abteilung für NeurologiePyhrn-Eisenwurzen Klinikum Steyr
E-Mail: Michael.Guger@ooeg.at
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Mit der zunehmenden Verschiebung der Prävalenz von Patient:innen mit Multipler Sklerose in höhere Lebensdekaden rücken spezifische klinische und therapeutische Herausforderungen dieser Alterskohorte stärker in den Fokus.
Keypoints
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Die Altersverteilung von MS-Patient:innen verschiebt sich zunehmend in höhere Lebensdekaden, was besondere Therapieüberlegungen erfordert (u.a. Immunseneszenz, Komorbiditäten, Polypharmazie).
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Beobachtungsdaten zeigen bei Patient:innen über 50 Jahre eine vergleichbare Wirksamkeit moderat und hochwirksamer MS-Therapien wie bei Jüngeren, wenngleich Nebenwirkungen (z.B. Infektionen, Lymphopenien) häufiger auftreten können.
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Eine Analyse des österreichischen MS-Therapieregisters (ÖMSTR) bestätigt diese Ergebnisse mit gleich niedriger Schubrate (ARR 0,1) und ohne signifikante Wirksamkeitsunterschiede zwischen den Altersgruppen.
Hintergrund
Der Fokus der Behandlung der Multiplen Sklerose (MS) liegt bislang überwiegend auf jüngeren Patient:innen, bei denen nach gesicherter Diagnosestellung eine möglichst rasche und effektive Therapie empfohlen wird. In den letzten Jahren hat sich die Altersverteilung der Betroffenen jedoch zunehmend in höhere Lebensdekaden verschoben – insbesondere in den Bereich zwischen 55 und 70 Jahren, wie Daten aus den USA und England belegen.1 Daher ist es notwendig, dieser älteren Patient:innenkohorte mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
In dieser Altersgruppe müssen besondere Faktoren in die Therapieentscheidungen einfließen: Immunseneszenz, eine potenziell verringerte Wirksamkeit der MS-Medikamente, eine höhere Prävalenz von Komorbiditäten sowie Polypharmazie. Immunseneszenz geht mit einem erhöhten Risiko für Infektionen und schwereren Krankheitsverläufen sowie einer verminderten Impfantwort einher. Mehrere Studien zeigen, dass hochwirksame Therapien ab einem Alter von 40–55 Jahren keine Überlegenheit mehr gegenüber moderat wirksamen Substanzen aufweisen.2,3 In einer österreichischen Analyse von Harald Hegen wurde diese Altersgrenze bei 50 Jahren verortet.4
Darüber hinaus können insbesondere psychiatrische und kardiovaskuläre Begleiterkrankungen die Therapieoptionen einschränken. Anne Zinganell konnte in einer österreichweiten Auswertung zeigen, dass vor allem psychiatrische Komorbiditäten, Demenz und Osteoporose den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen.5 Ein weiterer relevanter Aspekt ist, dass das Absetzen hochwirksamer Therapien auch jenseits des 50. Lebensjahres häufig zu einem Wiederaufflammen der Krankheitsaktivität – klinisch und/oder bildgebend – führt.6,7
Therapieerfahrungen im höheren Lebensalter
Zulassungsstudien zu MS-Therapeutika schließen in der Regel nur Patient:innen bis 55 Jahre ein (Ausnahme: Siponimod und Tolebrutinib bis 60 Jahre und Ocrelizumab bis 65 Jahre). Erfahrungen zur Wirksamkeit und Verträglichkeit im höheren Lebensalter stammen daher überwiegend aus Beobachtungsstudien.
Positive Daten liegen in der Kategorie I und II insbesondere für Teriflunomid, Dimethylfumarat (DMF), Siponimod und Cladribin vor. In diesen Studien zeigte sich sowohl bei jüngeren als auch bei älteren Patient:innen eine vergleichbare Wirksamkeit und Verträglichkeit.8–11 Allerdings zeigten DMF-Analysen bei älteren Patient:innen häufiger erniedrigte T-Zell-Werte und Therapieabbrüche aufgrund von Nebenwirkungen (30% vs. 20%). Bei Cladribin traten in der Altersgruppe >50 Jahre leicht erhöhte Raten von Grad-3/4-Lymphopenien mit entsprechenden Nebenwirkungen auf (24% vs. 20%).
Abb. 1: MS-Patient:innen in Österreich unter und über 50 zeigen eine gleich niedrige jährliche Schubrate von 0,1
In der Kategorie III liegen vor allem Beobachtungsdaten zu Ocrelizumab vor, die auf eine vergleichbare Wirksamkeit über verschiedene Altersgruppen hinweg hindeuten.12 Die ORATORIO-HAND-Studie (präsentiert auf dem ECTRIMS 2025) zeigt ebenfalls eine vergleichbare Wirksamkeit und Verträglichkeit von Ocrelizumab bei älteren im Vergleich zu jüngeren Patient:innen bis zum Alter von 65 Jahren. Auf Gruppenebene treten Infektionen – insbesondere Harnwegsinfekte – bei älteren Patient:innen häufiger auf.13
Analyse aus dem österreichischen Multiple Sklerose Therapie Register
Im März 2025 wurden alle im Österreichischen Multiple Sklerose Therapie Register (ÖMSTR) erfassten MS-Patient:innen analysiert, die mindestens 12 Monate kontinuierlich therapiert wurden und deren letzte Kontrolle innerhalb der vergangenen 6 Monate lag. Insgesamt wurden 2117 Patient:innen identifiziert, davon waren 31% zum Stichtag älter als 50 Jahre.
Die häufigsten Therapien in der älteren Kohorte zum Zeitpunkt der letzten Visite waren (in absteigender Häufigkeit): Fingolimod, DMF, Ocrelizumab, Natalizumab, Teriflunomid, Siponimod, Ofatumumab und Cladribin. Die annualisierte Schubrate (ARR) lag in beiden Altersgruppen (über und unter 50 Jahren) bei 0,1 über eine mittlere Beobachtungsdauer von 8 bzw. 6 Jahren. Der mittlere EDSS-Wert zum Zeitpunkt der letzten Visite war in der älteren Gruppe erwartungsgemäß höher (3,1 vs. 1,6). Regressionsanalysen zur Zeit bis zum ersten Schub sowie zur EDSS-Progression bzw. -Regression über 12 Wochen zeigten keine signifikanten Unterschiede zwischen den Altersgruppen. Negative Prädiktoren zur Baseline in Bezug auf die Zeit bis zum ersten Schub und EDSS-Progression waren zum einen eine höhere Schubrate und zum anderen männliches Geschlecht, höheres Alter und niedrigerer EDSS-Ausgangswert.
Diese Daten deuten darauf hin, dass die im ÖMSTR dokumentierten Medikamente – kumulativ betrachtet – auch bei Patient:innen über 50 Jahre eine vergleichbar gute Wirksamkeit wie bei jüngeren Patient:innen aufweisen.
Literatur:
1 Wallin MT et al.: The prevalence of MS in the United States: a population-based estimate using health claims data. Neurology 2019; 92(10): e1029-e40 2 Weideman AM et al.: Meta-analysis of the age-dependent efficacy of multiple sclerosis treatments. Front Neurol 2017; 8: 577 3 Vollmer BL et al.: Evolution of disease modifying therapy benefits and risks: an argument for de-escalation as a treatment paradigm for patients with multiple sclerosis. Front Neurol 2022; 12: 799138 4 Hegen H et al.: The role of age in choosing high-efficacy treatment for multiple sclerosis - an Austrian MS Database study. ÖGN Jahrestagung 2025, Poster P175 Zinganell A et al.: Multiple sclerosis in the elderly: a retrospective cohort study. J Neurol 2024; 271(2): 674-87 6 Corboy JR et al.: Risk of new disease activity in patients with multiple sclerosis who continue or discontinue disease-modifying therapies (DISCOMS): a multicentre, randomised, single-blind, phase 4, non-inferiority trial. Lancet Neurol 2023; 22(7): 568-77 7 Jouvenot G et al.: High-efficacy therapy discontinuation vs continuation in patients 50 years and older with nonactive MS. JAMA Neurol 2024; 81(5): 490-8 8 Berkovich R et al.: Effectiveness and safety of switching to teriflunomide in older patients with relapsing multiple sclerosis: a real-world retrospective multicenter analysis. Mult Scler Relat Disord 2023; 70: 104472 9 Mao-Draayer Y et al.: Real-world safety and effectiveness of dimethyl fumarate in patients with MS: results from the ESTEEM phase 4 and PROCLAIM phase 3 studies with a focus on older patients. Adv Ther 2025; 42(1): 395-412 10 Hua LH et al.: Effects of baseline age and disease duration on the efficacy and safety of siponimod in patients with active SPMS: post hoc analyses from the EXPAND study. Mult Scler Relat Disord 2023; 75: 104766 11 Giovannoni G et al.: Integrated lymphopenia analysis in younger and older patients with multiple sclerosis treated with cladribine tablets. Front Immunol 2021; 12: 763433 12 Epstein S et al.: Evaluation of ocrelizumab in older progressive multiple sclerosis patients. Mult Scler Relat Disord 2021; 55: 103171 13 Silva B et al.: Safety of high efficacy therapies in older people with multiple sclerosis: a real-world evidence study. Mult Scler Relat Disord 2024; 90: 105830
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