
Nützlicher Biomarker oder bloss ein Hype?
Unser Gesprächspartner:
PD Dr. sc. nat. Stefan Dudli
Forschungsgruppenleiter Rheumatologie, Universitätsklinik Balgrist Klinik für Rheumatologie, Universitätsspital Zürich
Das Interview führte
Dr. med. Felicitas Witte
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Bestimmte Veränderungen in der Magnetresonanztomografie (MRT) – sogenannte Modic Changes – sollen häufiger bei Rückenschmerzen vorkommen und für die Diagnostik und Therapie nützlich sein. Eine der neuesten Erkenntnisse ist, dass Modic Changes eine bakterielle Ursache haben könnten. Doch noch gibt es zu wenige Daten, um eine klinische Konsequenz daraus ziehen zu können. Dr. Stefan Dudli aus Zürich forscht über Modic Changes und erklärt, was es mit den MRT-Veränderungen auf sich hat und wo er den Stellenwert dieses Biomarkers sieht.
Warum forschen Sie über Modic Changes?
S. Dudli: Modic Changes sind eine radiologische Erscheinung. Man hatte bisher praktisch keine Ahnung, was molekular und zellulär bei den Modic Changes passiert und weshalb. Das finde ich erstaunlich, da viele klinische Studien eine Assoziierung von Modic Changes mit Rückenschmerzen zeigen. Unsere Motivation ist daher, herauszufinden, was biologisch bei den Modic Changes passiert und weshalb und was man dagegen machen kann.
Widerspricht das nicht der Strategie, bei unspezifischen Rückenschmerzen keine Bildgebung zu machen?
S. Dudli: Richtig. Meiner Meinung nach gibt es aber den «unspezifischen» Rückenschmerz nicht. Ich vermute, dass dies Rückenschmerzen sind, deren (oft multifaktorielle) Genese noch nicht identifiziert werden konnte. Modic Changes sind ein Beispiel dafür. Daher forschen wir auch an Biomarkern für Modic Changes. Dabei hat sich gezeigt, dass es vermutlich verschiedene bisher unbeschriebene Subtypen von Modic Changes gibt: einen bakteriellen und einen autoinflammatorischen Subtyp.1 Diese Unterscheidung sieht man auf einem MRT-Bild nicht, sie kann aber entscheidend sein für die Behandlung. Wir sind auch Teil des Back Pain Consortia (BACPAC) des National Institute of Health (NIH) in den USA, wo in grossen Multicenterstudien versucht wird, pathophysiologische Subtypen von Patienten mit chronischen Rückenschmerzen zu identifizieren. Solche Bestrebungen dienen dazu, eine personalisiertere Behandlung anbieten zu können. Hierzu gehört auch die Frage, ob bildgebende Verfahren zielführend sind und welche.
Wo sehen Sie den Stellenwert der Modic Changes in der Diagnostik?
S. Dudli: Zurzeit spielen Modic Changes in der Diagnosestellung eine untergeordnete Rolle, weil es zumindest in der Schweiz keine spezifischen Therapien dafür gibt. Die FDA hat in den USA vor wenigen Jahren die erste Therapie für Modic Changes zugelassen: die basivertebrale Nervenablation. Dabei wird, kurz gesagt, der Nerv im Zentrum des Wirbelkörpers verödet. Es wird eigentlich ein Loch in die Mitte des Wirbelkörpers «gebrutzelt» – 15 Minuten lang bei 85°C –, und zwar dort, wo der Nerv sich verzweigt und auf die Endplatten geht. Vor der Behandlung ist eine MRT notwendig, weil man genau wissen muss, welcher Wirbelkörper behandelt werden soll. Dies sollte aber nicht dazu führen, dass alle Patienten mit Rückenschmerzen eine MRT erhalten. Um überflüssige, teure MRTs zu vermeiden, brauchen wir Biomarker im Blut. Sind die Werte erhöht, ist eine MRT indiziert. Solche Biomarker gibt es aber noch nicht.
Welche Limitierungen sehen Sie bei der Aussagekraft der Modic Changes?
S. Dudli: Es ist immer noch umstritten, ob Modic Changes die Schmerzintensität bei Rückenschmerzpatienten beeinflussen, obwohl mit spezifischen Tests klar gezeigt wurde, dass Modic Changes eine Schmerzursache sind.2 Ein Hauptgrund dafür ist die subjektive und binäre Diagnose von Modic Changes. Wenn zwei Radiologen eine relativ gute Übereinstimmung bei der Diagnose von Modic Changes haben (κ=0,80), braucht es eine Studiengrösse von deutlich mehr als 100 Patienten, um eine signifikante Schmerzassoziierung zu finden.3 Die meisten Schmerzassoziationsstudien sind aber deutlich kleiner. Betrachtet man ausschliesslich grosse Studien, dann zeigt sich eine klare Schmerzassoziierung.4 Um die Diagnose zu verbessern, braucht es objektive und quantitative diagnostische Tools, also Marker im Blut oder MRT-Biomarker. Ausserdem zeigt unsere Forschung, dass die historische Einteilung in MC1, MC2, und MC3 aufgrund T1- und T2-gewichteter MRT biologisch nicht sehr sinnvoll ist. Denn die Einteilung in MC1, MC2 und MC3 basiert ausschliesslich auf der Erscheinung in den MRT-Bildern.5Oftmals gibt es auch gemischte Formen und sie sind interkonvertierbar, insbesondere MC1 und MC2, und sie können sich auch wieder normalisieren, also ausheilen. Nur die wenigsten Modic Changes entwickeln sich zu MC3. Diese sind daher auch selten.6 Daher sind MC1–3 vermutlich verschiedene Ausprägungen derselben Pathologie, wobei v.a. MC1 und MC2 klinisch relevant sind. Sowohl klinisch wie biomedizinisch scheint diese historische Klassifizierung aber nicht die beste zu sein. Neuere MRT-Sequenzen geben die zugrunde liegenden Gewebsveränderungen besser wieder und korrelieren auch mehr mit Schmerzen. Solche Sequenzen werden – zusammen mit Blutbiomarkern – daher für zukünftige stratifizierte Therapien wichtiger sein. Um zukünftige Therapien gezielt einsetzen zu können, sollten diese neuen diagnostischen Tools die zugrunde liegenden biologischen Veränderungen erfassen. Und das ist die nächste Limitierung in der Erforschung der Modic Changes: Wir wissen nicht, was genau auf biologischer Ebene in diesen Modic Changes passiert und was die Schmerzen verursacht. Wenn man eine gezielte Therapie entwickeln möchte, muss man zuerst diese Prozesse verstehen. Das ist ein Hauptfokus unserer Forschung. Ein sehr kontroverser Punkt in der Erforschung der Modic-Changes-Biologie ist, ob diese zumindest bei einem Teil der Patienten durch eine Infektion der Bandscheibe, insbesondere durch das Bakterium Cutibacterium acnes, hervorgerufen werden können.
Werden wir Rückenschmerzen demnächst mit Antibiotika behandeln?
S. Dudli: Es gibt drei randomisierte kontrollierte Studien, in denen Modic Changes mit Antibiotika behandelt wurden. Alle zeigten einen signifikant besseren Verlauf mit Antibiotika im Vergleich zu Placebo.7–9 Eine davon hat jedoch nicht den minimal geforderten klinisch relevanten Nutzen erreicht.7 Unsere und andere Studien haben gezeigt, dass Cutibacterium acnes vermehrt in Bandscheiben von Modic-Changes-Patienten vorkommen und dass die Präsenz dieses Bakteriums in Bandscheiben ein Risikofaktor für die Entwicklung von Modic Changes ist.1,10,11 Tierstudien haben ausserdem gezeigt, dass die Injektion von Cutibacterium acnes in die Bandscheibe tatsächlich Modic-Change-ähnliche Veränderungen auslösen kann.12,13 Zusammen sind dies starke Hinweise darauf, dass Cutibacterium acnes in der Bandscheibe eine Rolle spielen.
Jedoch sind Bakterien nicht die einzigen, die Modic Changes auslösen können, und vermutlich tun sie es nur bei einer Minderheit. Daher wird zurzeit davon abgeraten, allen Patienten mit Modic Changes Antibiotika zu geben. Die 100-tägige Antibiotikatherapie hat Nebenwirkungen und ist ein Risiko für die Entstehung resistenter Keime. Damit in Zukunft Patienten mit Modic Changes mit Antibiotika therapiert werden können, braucht man Biomarker, die die bakteriellen von den nichtbakteriellen Modic Changes unterscheiden können. Zudem wäre eine Verbesserung der Therapieform wünschenswert, sodass die Patienten nicht 100 Tage Antibiotika nehmen müssen.
Auch wenn wir die Pathophysiologie kennen würden, haben wir dann immer noch keine stratifizierten Therapien.
S. Dudli: Genau. Das ist eine weitere Limitierung in der bisherigen Forschung: Uns fehlen gezielte «disease-modifying» Behandlungen. Es wurden Versuche mit Bisphosphonaten, Anti-TNF-Antikörpern, lokalen Steroidinjektionen und Antibiotika gemacht. Steroide wirken gut, aber nur kurzfristig. Der Effekt von Bisphosphonaten ist beschränkt und Langzeitstudien fehlen. Die Datenlage für Anti-TNF ist zu gering und Antibiotika sind bisher nicht indiziert, da eine bakterielle Ätiologie nur in einer Minderheit der Patienten vermutet wird. Die Nervenablation behandelt zwar den akuten Schmerz, aber nicht dessen Ursache. Zusammenfassend muss man sagen, dass es noch keine gute Therapie gibt. So müssen wir uns weiterhin auf die symptomatische Therapie beschränken.
Wie aufwendig sind MRT-Aufnahmen von Modic Changes?
S. Dudli: Es braucht keine speziellen MRT-Bilder, um Modic Changes zu sehen. Man sieht sie auf konventionellen/routinemässigen MRT-Untersuchungen des Rückens. Diese kosten etwa 385 Franken. Das ist vergleichsweise wenig im Vergleich zu den Kosten, die chronische Rückenschmerzen insgesamt verursachen.
Die Kosten für die MRT wären ja auch nur dann gerechtfertigt, wenn uns die Diagnose von Modic Changes auch nützen würde, um die Patienten wirksamer zu therapieren.
S. Dudli: Ja. Deshalb ist noch viel Grundlagenforschung notwendig. Ich bin jedoch überzeugt, dass wir mit unserer Forschung an der Universitätsklinik Balgrist und am Unispital Zürich einen entscheidenden Beitrag dazu leisten.
Literatur:
1 Heggli I et al.: Low back pain patients with Modic type 1 changes exhibit distinct bacterial and non-bacterial subtypes. Osteoarthr Cartil Open 2024; 6(1): 100434 2 Lotz JC et al.: The role of the vertebral end plate in low back pain. Global Spine J 2013; 3(3): 153-64 3 Fields AJ et al.: Measuring and reporting of vertebral endplate bone marrow lesions as seen on MRI (Modic changes): recommendations from the ISSLS Degenerative Spinal Phenotypes Group. Eur Spine J 2019; 28(10): 2266-74 4 Herlin C et al.: Modic changes-their associations with low back pain and activity limitation: a systematic literature review and meta-analysis. PLoS One 2018; 13(8): e0200677 5 Mann E et al.: The evolution of degenerative marrow (Modic) changes in the cervical spine in neck pain patients. Eur Spine J 2014; 23(3): 584-9 6 Jensen TS et al.: Characteristics and natural course of vertebral endplate signal (Modic) changes in the Danish general population. BMC Musculoskelet Disord 2009; 10: 81 7 Bråten LCH et al.: Efficacy of antibiotic treatment in patients with chronic low back pain and Modic changes (the AIM study): double blind, randomised, placebo controlled, multicentre trial. BMJ 2019; 367: l5654 8 Albert HB et al.: Antibiotic treatment in patients with chronic low back pain and vertebral bone edema (Modic type 1 changes): a double-blind randomized clinical controlled trial of efficacy. Eur Spine J 2013; 22(4): 697-707 9 Al-Falahi MA et al.: Antibiotic treatment in patients with chronic low back pain and vertebral bone edema (Modic type I changes): a randomized clinical controlled trial of efficacy. Iraqi Postgrad Med J 2014; 13(3): 390-8 10 da Rocha VM et al.: Would cutibacterium acnes be the villain for the chronicity of low back pain in degenerative disc disease? Preliminary results of an analytical cohort. J Pers Med 2023; 13(4): 598 11 Albert HB et al.: Does nuclear tissue infected with bacteria following disc herniations lead to Modic changes in the adjacent vertebrae? Eur Spine J 2013; 22(4): 690-6 12 Dudli S et al.: Propionibacterium acnes infected intervertebral discs cause vertebral bone marrow lesions consistent with Modic changes. J Orthop Res 2016; 34(8): 1447-55 13 Shan Z et al.: Propionibacterium acnes incubation in the discs can result in time-dependent Modic changes: a long-term rabbit model. Spine 2017; 42(21): 1595-603
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