
«Ein Selbsttherapieversuch ist verlockend»
Unsere Gesprächspartnerin:
Dr. Christina Prevost
Oberärztin in der Klinik für Gynäkologie im Universitätsspital Zürich
E-Mail: christina.prevost@usz.ch
Das Interview führte
Dr. med. Felicitas Witte
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In einer aktuellen Studie aus den USA1 fühlten sich mehr als zwei von drei Frauen mit bakterieller Vaginose in ihrer Lebensqualität sowie in ihrer physischen und psychischen Gesundheit eingeschränkt. Viele wenden komplementärmedizinische Massnahmen an. Warum es so problematisch ist, wenn Frauen sich selbst therapieren, und wie sie in der Praxis vorgeht, erklärt Dr. med. Christina Prevost vom Unispital Zürich.
Die wichtigsten Empfehlungen aus der neuen Leitlinie2
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Erstlinientherapie: orales oder topisches Clindamycin oder Metronidazol
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Alternativ lokale Antiseptika
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In der Schwangerschaft: Primär vaginales Clindamycin oder Antiseptika
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Chronisch-rezidivierende bakterielle Vaginose: lokale Antiseptika oder suppressive Erhaltungstherapie mit topischem Metronidazol, gefolgt von vaginalen Probiotika, um die Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs zu reduzieren.
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Milchsäure und Probiotika scheinen sich positiv auf Therapie und Rezidivhäufigkeit auszuwirken
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Partnerbehandlung kann bei chronisch-rezidivierenden Verläufen erwogen werden, wobei die Evidenz hierzu begrenzt ist
Überrascht Sie das Ergebnis der Studie?
C. Prevost: Nein. Bei durchschnittlich vier Infekten pro Jahr finde ich es verständlich, dass die Betroffenen sich nicht bei jeder Episode in der Frauenarztpraxis vorstellen möchten, sondern selbstständig eine alternative Therapie ohne Antibiotikum durchführen wollen.
Sind die Zahlen auf die Schweiz übertragbar?
C. Prevost: Das vaginale Mikrobiom wird, soweit heutzutage bekannt ist, individuell durch die Genetik – und dazu gehört die ethnische Zugehörigkeit, die Lebensweise mit Ernährung, Bewegung, Rauchen und sexueller Aktivität –, durch Hormonwirkungen, Antibiotika und weitere Faktoren beeinflusst. In diesem Studienkollektiv werden knapp die Hälfte als «white», jede fünfte Frau als «Latina» und eine von sechs Frauen als «black» beschrieben. Die Resultate können daher folglich nicht 1:1 auf die Schweizer Bevölkerung übertragen werden. Zudem hat sich gezeigt, dass afroamerikanische Frauen und Latinas aufgrund einer anderen Zusammensetzung des vaginalen Mikrobioms häufiger an einer bakteriellen Vaginose leiden als weisse Frauen.2 Übertragbar auf die Schweiz ist sicher, dass Frauen, die durch rezidivierende bakterielle Vaginosen geplagt werden, sich im Wohlbefinden eingeschränkt fühlen und eine eigenständig durchführbare alternative Therapie favorisieren.
Was halten Sie von der Studie?
C. Prevost: Der Ansatz der Autoren, Forschung zu alternativen Behandlungsmöglichkeiten zur effektiven Behandlung beziehungsweise Prävention von rezidivierenden Infekten zu intensivieren, finde ich wichtig. Insbesondere, da Antibiotikatherapien nur bei klarem Hinweis auf Infekt und möglichst zurückhaltend gegeben werden sollten wegen der immer häufigeren Resistenzbildung. Zu kritisieren ist allerdings, dass es sich um ein sehr kleines Studienkollektiv mit 62 Frauen handelt. Abgesehen davon kamen diese Frauen überwiegend noch aus der gleichen geografischen Region und wurden über andere Studien rekrutiert, in denen die Therapie vor allem aus alternativen Therapien mit oralen Laktobazillen oder Borsäure vaginal bestand. Die Studienteilnehmerinnen sind deshalb nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung. Eine weitere Schwachstelle ist, dass die Angabe von vier Infekten pro Jahr auf der Einschätzung der Frauen beruhte. Somit ist unklar, ob dies objektivierbare bakterielle Infekte waren oder ob die Beschwerden durch ein anderes Problem bedingt waren.
In der Studie heisst es, manche Frauen würden eine Erhaltungstherapie mit Metronidazol ablehnen wegen der Nebenwirkungen. Ist das auch Ihre klinische Erfahrung?
C. Prevost: Nein, meiner Erfahrung nach lehnen nur sehr wenige Frauen eine Erhaltungstherapie mit Metronidazol ab. Wir verschreiben üblicherweise eine vaginale Therapie, anzuwenden zweimal pro Woche für vier bis sechs Monate. Die vaginale Behandlung vertragen die Frauen meist gut und sie verursacht weniger Nebenwirkungen als die orale Therapie.
Die Frauen in der Studie, deren Lebensqualität durch die rezidivierenden Infekte negativ beeinflusst war, probierten öfter alternative Therapien, von denen viele nicht zugelassen sind oder nicht auf ihre Wirksamkeit und Sicherheit getestet sind. Würden Sie Frauen jetzt mehr darüber aufklären?
C. Prevost: Wenn man sich vorstellt, alle drei Monate an vermehrtem, fischartig riechendem Ausfluss zu leiden, ist es absolut verständlich, dass man nach alternativen Behandlungsmethoden sucht und Präparate ausprobiert, bei welchen keine klare Wirksamkeit in wissenschaftlichen Studien nachgewiesen worden ist. Die bakterielle Vaginose ist eine multibakterielle Erkrankung, an der unter anderem Prevotella, Gardnerella, Peptostreptokokken und Corynebakterien beteiligt sind. Deshalb ist eine Impfung nicht in Sicht und eine alleine auf ein Bakterium gerichtete Therapie selten hilfreich. In meiner Sprechstunde rate ich den Frauen ab, eine Therapie mittels vaginaler Ansäuerung oder Vaginalduschen durchzuführen, denn Studien zeigten hier keine Wirksamkeit.3 Gemäss Metaanalysen scheinen Milchsäure und Probiotika einen gewissen Effekt auf die Heilungsquote zu haben, dies jedoch nicht als alleinige Therapie, sondern als Ergänzung zu einer antibiotischen Therapie. Ich sage jeder meiner Patientinnen: Ein Selbsttherapieversuch bei vaginalen Beschwerden ist verlockend und naheliegend, kann aber mangels richtiger Diagnostik zu einer Verzögerung der Diagnose führen und dadurch zu einer längeren Beschwerdezeit und am Ende insgesamt zu erhöhten Kosten. Deshalb ist bei Beschwerden eine Konsultation beim Frauenarzt oder der Frauenärztin unverzichtbar.
Metronidazol wird zwar als First-Line-Therapie empfohlen, aber es kommt häufig zu Resistenzen und damit zu Therapieversagen. Wie gehen Sie in der Praxis vor?
C. Prevost: Als Erstes empfehle ich, beeinflussbare Risikofaktoren zu minimieren. Das bedeutet: nicht rauchen, keine übertriebene vaginale Hygiene, chronischen Stress und häufige Partnerwechsel vermeiden sowie Gewichtsreduktion bei Übergewicht. Als Akuttherapie bei Beschwerden mit klaren Zeichen einer bakteriellen Vaginose verschreibe ich meist als Erstes eine lokale Behandlung mit Dequaliniumchlorid Ovula 10mg, ein Antiseptikum, das die Frau für sechs Nächte anwendet. Zur Regeneration der Laktobazillen-Flora ist im Anschluss eine Laktobazillen-Ovula-Kur für weitere sechs Nächte empfohlen.
Warum empfehlen Sie das Antiseptikum zuerst und warum nicht zuerst Metronidazol?
C. Prevost: Gemäss Untersuchungen hat sich gezeigt, dass eine Therapie mit einem Antiseptikum gleich rasche und vergleichbar hohe Ansprechraten zeigt wie mit einem Antibiotikum, deshalb zuerst der Therapieversuch ohne Antibiotikum.4
Wie gehen Sie bei einem Rezidiv vor?
C. Prevost: Bei zeitnahem Rückfall – also innert vier bis acht Wochen – wechsele ich meist auf eine Clindamycin-Creme für sieben Tage oder Metronidazol-Tabletten in einer Dosierung von 2g an Tag 1 und Tag 3 beziehungsweise Vaginalovula 2x 500mg für zwei Tage. Die Anwendungsart ist abhängig vom Patientinnenwunsch. Bei hartnäckigem Verlauf kann auch eine Kombination von Clindamycin und Metronidazol sinnvoll sein mit anschliessender Laktobazillen-Ovula-Anwendung.
Wann verschreiben Sie eine suppressive Erhaltungstherapie?
C. Prevost: Bei rezidivierenden Infekten, also das heisst, wenn die Frau innert eines Jahres drei und mehr Infekte hat, verschreibe ich eine Erhaltungstherapie, üblicherweise Metronidazol Vaginalovula 2x pro Woche für vier bis sechs Monate.
Was halten Sie von der neuen Leitlinie zur bakteriellen Vaginose?5
C. Prevost: Durch die Überarbeitung und strukturierte Konsensfindung wurde die Leitlinie auf S2k-Niveau erhöht. Das finde ich gut, denn die Empfehlungen sind nun durch mehr Evidenz gesichert. Durch die praxisrelevanten Hintergrundinformationen, verständliche Darstellung zu diagnostischem Vorgehen und klaren Handlungsempfehlungen können nun Frauen mit bakterieller Vaginose bestmöglich betreut werden.
Vielen Dank für das interessante Gespräch!
Literatur:
1 Chow K et al.: Impact of (recurrent) bacterial vaginosis on quality of life and the need for accessible alternative treatments. BMC Women’s Health 2023; 23: 112 2 Allsworth JE, Peipert JF: Prevalence of bacterial vaginosis: 2001-2004 National Health and Nutrition Examination Survey data. Obstet Gynecol 2007; 109(1): 114-20 3 Verstraelen H et al.: Antiseptics and disinfectants for the treatment of bacterial vaginosis: a systematic review. BMC Infect Dis 2012; 12: 148 4 Weissenbacher ER et al.: A comparison of dequalinium chloride vaginal tablets (Fluomizin®) and clindamycin vaginal cream in the treatment of bacterial vaginosis: a single-blind, randomized clinical trial of efficacy and safety. Gynecol Obstet Invest 2012; 73(1): 8-15 5 S2k-AWMF-Leitlinie der DGGG, OEGGG und SGGG zur Bakteriellen Vaginose. http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ II/015-028.html ; zuletzt aufgerugen am 3.10.2023