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In-vitro-Fertilisation (IVF)

«Die Vorgeschichte des Paares ist entscheidend»

Eine aktuelle Studiezeigt: Nach einer ersten künstlichen Befruchtung sind die Aussichten, ein zweites Kind auf diesem Wege zu bekommen, gut.Die Erfolgschancen steigen noch mehr, wenn dafür die kryokonservierten Embryonen aus der ersten Behandlung verwendet werden.1 Wir haben PD Dr. med. Alexandra Kohl Schwartz um einen Kommentar dazu gebeten.

Was halten Sie von der Studie1 der Kollegen aus Australien?

A. Kohl Schwartz: Bei uns wäre ein solches Studiendesign nicht möglich. Zum einen, weil die IVF in der Schweiz eine Selbstkostenleistung ist, welche sich die meisten Paare nicht öfter als dreimal – wenn überhaupt – leisten können. Sie haben nicht genügend Geld, so lange IVF durchführen zu lassen, bis die Frau schwanger wird, sondern sie machen es eher so lange, bis ihnen das Geld ausgeht. Zum anderen würden wir in der Schweiz nie so eine hohe Fallzahl bekommen. Deswegen finde ich diese epidemiologischen Ergebnisse zu den kumulativen Erfolgschancen sehr interessant und wichtig.

Haben die Ergebnisse Sie überrascht?

A. Kohl Schwartz: Nein, nicht wirklich. Die Studie bestätigt, was wir im klinischen Alltag sehen. Frauen, die schon einmal mit IVF schwanger geworden sind, haben in der Regel gute Prognosefaktoren für eine erneute Schwangerschaft durch IVF. Zu den guten Prognosefaktoren gehören gemäss der Studie die kurze Behandlungsdauer bis zur ersten Schwangerschaft und das Fehlen von weiblichen Sterilitätsursachen. Das deckt sich mit meiner klinischen Wahrnehmung ebenso, wie dass fortgeschrittenes Alter die Chance auf ein zweites IVF-Kind verringert, wie die Kollegen aus Australien gezeigt haben.

Was für Stärken, was für Schwächen sehen Sie an der Studie?

A. Kohl Schwartz: Eine Stärke ist die Grösse der Population in einem von der Infrastruktur her mit dem unseren vergleichbaren westlichen Land. Ausserdem die Analyse der kumulativen Lebendgeburtenrate, also genau das, was die Kinderwunschpaare wissen wollen, nämlich: Wie hoch ist die Gesamtchance auf eine Lebendgeburt pro zusätzlichem Behandlungszyklus? Limitierend finde ich, dass die Studie stark generalisiert. Zur individuellen Beratung des Paares ist die Vorgeschichte entscheidend. Zentral wären für mich Fragen gewesen: Wie lange dauerte der unerfüllte Kinderwunsch vor dem ersten IVF-Kind? Gab es davor schon eine Schwangerschaft oder Geburt? Wie ist der aktuelle Gesundheitszustand des Paares? Diese zusätzlichen Informationen braucht es für die individuelle Beratung des Paares unbedingt.

<< Unser oberstes Ziel ist immer das gesunde Kind und nicht primär eine hohe Schwangerschaftsrate um jeden Preis.>>
Frauen mit kryokonservierten Embryonen und zusätzlicher Stimulation zeigten höhere Geburtenraten als Frauen, die mit einem frischen IVF-Zyklus begannen. Wundert Sie das?

A. Kohl Schwartz: Nein, und zwar aus zwei Gründen: Erstens waren die aufgetauten Embryonen in der Studie durchschnittlich 1,5 Jahre vor der erneuten Behandlung konserviert worden; sie stammen also biologisch von «jüngeren» und damit für die Prognose besseren Eizellen. Zweitens ist bekannt, dass bei stimulierten Frischzyklen nach hoch dosierter Hormonbehandlung das Endometrium weniger empfänglich ist und dabei gegebenenfalls die Chance auf eine Schwangerschaft geringer ist als in einem Auftauzyklus mit kryokonservierten Embryonen.

Wie erleben Sie die Frauen in der Sprechstunde? Wollen Frauen nach einem ersten IVF-Kind oft noch ein zweites?

A. Kohl Schwartz: Meistens ist der emotionale Druck bei einem zweiten Kinderwunsch bei den Paaren weniger hoch. Das Glück, dass es bereits einmal geklappt hat, überwiegt. Allerdings erwarten die Frauen auch mehr von der IVF, denn es hat ja auch beim ersten Mal geklappt. Hier helfen Prognosemodelle wenig. Eine Frau, die im ersten Embryotransfer mit einem ersten Kind schwanger geworden ist, erlebt es als grosse Belastung, wenn es beim erneuten Therapieversuch nach dem dritten Transfer noch immer nicht geklappt hat – selbst wenn das im Rahmen der normalen Wahrscheinlichkeit liegt. Das Schönste, was mir eine Patientin dazu einmal gesagt hat, war: «Die Behandlung war so wenig belastend und angenehm, dass wir uns nun doch noch ein drittes Kind wünschen.» Auch das hat dann kurz darauf geklappt, obwohl die Frau zu dem Zeitpunkt schon fast 40 Jahre alt war. Ihre individuellen Prognosefaktoren waren halt einfach gut.

Wann würden Sie einer Patientin mit zweitem Kinderwunsch zu erneuten IVF-Zyklen raten, und wann dazu, ihre eingefrorenen Embryos aufzutauen?

A. Kohl Schwartz: Bei erneutem Kinderwunsch empfehle ich dem Paar immer, zuerst die kryokonservierten Embryonen zu verwenden. Einerseits wegen der besseren Schwangerschaftschance. Andererseits hat es ethisch keinen Sinn, in einem frischen Zyklus weitere Embryonen zu generieren, wenn es noch konservierte Embryonen gibt. Insgesamt sind wir in der Reproduktionsmedizin dazu verpflichtet, abzuschätzen, welche Risiken für die Gesundheit der Frau und für das Kind entstehen könnten, zum Beispiel durch ein erhöhtes Präeklampsierisiko nach IVF-Schwangerschaften. Wir leiten nur dann eine Therapie ein, wenn die Gesundheit der Frau und die Lebensprognose des Paares es zulassen. Unser oberstes Ziel ist immer das gesunde Kind und nicht primär eine hohe Schwangerschaftsrate um jeden Preis.

Inwieweit raten Sie Frauen nach einem ersten IVF-Kind, den Lebensstil zu verändern?

A. Kohl Schwartz: Wir empfehlen den Frauen in der präkonzeptionellen Beratung immer eine Anpassung des Lebensstils. Viele Frauen sind sehr motiviert, alles zu unternehmen, um ihre Chancen auf eine Schwangerschaft zu steigern. Dazu gehören: Folsäureprophylaxe, Verzicht auf Nikotin, Medikamente absetzen oder umstellen und normales Körpergewicht. Diese Empfehlungen gelten genauso, wenn sich die Frau ein zweites IVF-Kind wünscht. Abgesehen davon verringert die Frau durch Nikotinverzicht und Gewichtsabnahme auch ihr Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten und Krebs.

Weitere Informationen finden Sie hier:
Chancen auf ein zweites Kind
"Nicht nach dem Giesskannenprinzip"

1 Paul RC et al.: Human Reproduction 2020; 35(6): 1432-40

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