© Moraya - stock.adobe.com

Was man über die Klitoris wissen sollte

Das Bulboklitoralorgan in der gynäkologischen Praxis

Wohl kein anderes menschliches Organsystem kann auf eine ebenso spannende wie auch verstörende Geschichte zurückblicken wie die Vulva mit ihrer Hauptakteurin, dem Bulboklitoralorgan, das gemeinhin als Klitoris bezeichnet wird. In diesem Artikel werden die Geschichte und Anatomie dieses vernachlässigten Organs genau beleuchtet.

Einleitung

Bereits im 17. Jh. waren die wichtigsten Strukturen der Klitoris durch den Gynäkologen Regnier De Graaf (1672)1 bekannt und im 19. Jh. lieferte Georg Ludwig Kobelt (1842)2 eine detaillierte Anatomie und Physiologie mit präzisen Abbildungen. Im gleichen Jahr entdeckte Ludwig Fick die Genitalkörperchen, welche als somatosensorische Nervenendigungen für gleitenden Druck und Vibration für die Generierung der sexuellen Erregung und die Auslösung des Orgasmus verantwortlich sind.3 Gesellschaftliche Einflüsse und neue wissenschaftliche Erkenntnisse führten gegen Ende des 19. Jh. zu einer Abwertung der weiblichen Lust und damit verbunden zur Abschaffung der Anatomie und Physiologie des Bulboklitoralorgans in vielen Lehrbüchern.4 Erst nach der Jahrhundertwende erschienen wieder Werke, in denen den äusseren weiblichen Genitalien die verdiente Aufmerksamkeit geschenkt wurde. 1933 veröffentlichte Robert Latou Dickinson (1861–1955)5 sein Werk «Human Sex Anatomy», in dem er das damalige Wissen angereichert mit eigenen Resultaten umfassend darstellte. Ab 1937 veröffentlichte Eduard Pernkopf (1888–1941) in seiner «Topographischen Anatomie des Menschen» bis heute unübertroffen präzise und vollständige Darstellungen aller Strukturen der Vulva und des Bulboklitoralorgans. Trotz seiner Nazivergangenheit werden seine äusserst präzisen Abbildungen vor allem in den chirurgischen Fächern bis heute verwendet. 2014 publizierten Vincent di Marino und Hubert Lepidi6 eine vollständige Monografie des Bulboklitoralorgans, welche aber über Jahre von der Fachwelt ignoriert wurde und erst in den letzten Jahren gelegentlich zitiert wird. Mit Unterstützung von Vincent di Marino entwickelte Haag-Wackernagel ab 2019 verschiedene Modelle des Bulboklitoralorgans, welche von KESSEL Medintim GmbH produziert und vertrieben werden. 2022 erschien im PROMETHEUS LernAtlas der Anatomie7 unter Mitarbeit von Haag-Wackernagel wieder eine dem heutigen Wissensstand entsprechende Darstellung des Bulboklitoralorgans in einem Anatomielehrbuch. In den letzten Jahren erschienen viele hervorragende Arbeiten über die Anatomie, Embryologie und Physiologie des Bulboklitoralorgans, sodass in der Zwischenzeit viele Wissenslücken geschlossen werden konnten. Trotzdem wird das Bulboklitoralorgan in medizinischen Lehrbüchern nach wie vor oft unvollständig oder falsch dargestellt und die Genitalkörperchen werden auch in der gynäkologischen Fachliteratur meist ignoriert, obwohl sie eine zentrale Rolle für die Erregung spielen.

Mit der vorliegenden Arbeit wollen wir einen kurzen Überblick über die wichtigsten klitoralen Strukturen und deren Funktion liefern und aufzeigen, welche Bedeutung sie für die Klinik haben.

Die Klitoris – kein exklusiv menschliches Organ

Die Klitoris ist keineswegs eine Sonderbildung des Menschen. Einige Reptilien und Vögel sowie alle weiblichen Säugetiere besitzen als anatomische Grundlage für die Generierung von sexueller Lust ein Bulboklitoralorgan mit Vorhaut, einer Eichel und zwei Typen von Schwellkörpern, den Corpora spongiosa und den Corpora cavernosa. Orgasmen wurden ebenfalls bei vielen Säugetieren nachgewiesen oder zumindest Hinweise darauf gefunden, dass sie eine Art von Klimax erleben können.Ohne anatomische Kenntnisse mag die Klitoris der Frau nur als kleiner Knopf oberhalb des Ausgangs der Harnröhre betrachtet werden. Das Bulboklitoralorgan ist aber von seiner Grösse her durchaus mit dem Penis vergleichbar. Über 90% seiner Ausdehnung liegen im Körperinneren. Von aussen ist nur die Klitoriseichel sichtbar, die zudem vom Klitorishut bedeckt ist. Von der Klitoriseichel bis zum Ende der Klitorisschenkel ist sie bei einem Mittelwert von 83mm zwischen 29 und 170mm lang.8 Ein durchschnittlicher Penis hat inklusive seiner inneren Anteile eine Länge von 170mm. Eine Frau kann also durchaus eine Klitoris haben, die es bezüglich Länge mit einem mittellangen Penis aufnehmen kann. Bei solchen zugegebenermassen nicht besonders sinnvollen Vergleichen muss berücksichtigt werden, dass der Penis bei der Penetration die physikalische Aufgabe hat, die Spermien möglichst nah an den Uterus zu bringen, während eine Klitoris nicht penetrieren muss und vorwiegend im Dienst der Lust steht. Die Klitorislänge zeigt deshalb gegenüber dem Penis eine gut dreimal so grosse Variabilität.9

Die Abbildungen 1 und 2 stellen die wichtigsten Strukturen des Bulboklitoralorgans dar, das aus verschiedenen, eng miteinander verbundenen Strukturen mit unterschiedlichen Eigenschaften und unterschiedlicher embryonaler Herkunft aufgebaut ist. Die nachfolgende Darstellung der Strukturen des Bulboklitoralorgans und deren Funktion bezieht sich auf diese Abbildungen. Das erektile Gefässgewebe, die Corpora cavernosa, besteht aus einem komplexen Netzwerk von arteriellen Gefässhohlräumen (Kavernen oder Sinusoide) und einer dicken Hülle aus Bindegewebe, der Tunica albuginea. Sie werden von den Klitorisschenkeln (Crus clitoridis) gebildet, welche sich zum Klitoriskörper vereinigen, der aus dem aufsteigenden Klitoriskörper (Corpus clitoridis pars ascendens) und dem absteigenden Klitoriskörper (Corpus clitoridis pars descendens) besteht. Die nichterektilen spongiösen Strukturen (Corpora spongiosa) umfassen die Klitoriseichel (Glans clitoridis), das RSP («infra corporeal residual spongy part») nach Di Marino und Lepidi, die Vorhofbulben (Bulbus vestibuli) sowie den Kobelt’schen Venenkomplex.1

Abb. 1: Bulboklitoralorgan mit den wichtigsten Nerven und Gefässen. Rendering des 3D-Modells Gefässe/Nerven von D. Haag-Wackernagel (Vertrieb durch KESSEL Medintim GmbH Deutschland), Vagina verändert nach Wu et al. 2020

Abb. 2: Querschnitt durch den absteigenden Klitoriskörper. Präparation Anatomie Basel

Die Vorhofbulben «reiten» gewissermassen auf der Harnröhre und der darunterliegenden Vagina. Die spongiösen Strukturen bestehen ebenfalls aus schwellfähigem kavernösem Gewebe. Eine Tunica albuginea sowie die darunterliegenden ableitenden Venen fehlen aber, sodass eine Volumenvergrösserung, aber keine Erektion möglich ist. Der Kobelt’sche Venenkomplex kann als Blutverteiler betrachtet werden, der die Gefässstrukturen des Bulboklitoralorgans untereinander sowie mit den inneren Vulvalippen, den Klitorisbändchen (Frenulae), dem Vaginavorhof und dem Harnröhrenschwellkörper verbindet. Bei sexueller Erregung ermöglicht er eine gleichmässige Drainage aller beteiligten Strukturen.10

Die einzige von aussen erkennbare Struktur des Bulboklitoralorgans ist der vordere Teil der Klitoriseichel, die wie eine Kappe auf den kegelförmig zulaufenden Enden des absteigenden Klitoriskörpers sitzt. Aufgrund ihrer embryonalen Anlage steht sie über das RSP mit den Vorhofbulben in Verbindung.11 Nach Zdilla ist die Klitoriseichel identisch aufgebaut wie die Peniseichel.12 Bei allen Frauen soll deshalb ein Eichelkranz (Corona glandis) und eine Eichelfurche (Sulcus coronalis) nachweisbar sein. Als zusätzliche Struktur beschrieb er ein coronpräputiales Frenulum, das als feines Bändchen die Klitorisvorhaut mit der dorsalen Klitoriseichel verbindet.

Gemäss Aerts et al. sind diese Strukturen der Klitoriseichel wegen Vorhautadhäsionen (CPA, «clitoropreputial adhesions») bei der klinischen Untersuchung in bis zu 23% der Fälle nicht erkennbar.13 Bis zu 22% der Frauen mit sexuellen Funktionsstörungen leiden an klitoropräputialen Adhäsionen, welche sich bei Retraktion und Separation der Klitorisvorhaut als sichelförmiger Saum manifestieren.14 Vorhautadhäsionen können unter anderem zu Entzündungen, Klitorodynie und zur Beeinträchtigung der sensorischen Funktionen bis hin zu Orgasmusproblemen führen. Häufig werden Vorhautadhäsionen und -phimosen beim Lichen sclerosus beobachtet. Die fortgeschrittene Form einer Klitorisphimose zeigt sich als «buried clitoris» und kann eine operative Sanierung erfordern, insbesondere wenn sich aufgrund des aufgebauten Smegmas ein Abszess bildet. Bei der operativen Sanierung ist es von grosser Bedeutung, den Verlauf der Gefäss- und Nervenstrukturen der Klitoris zu kennen. Insbesondere der N. dorsalis clitoridis kann sonst bei chirurgischen Eingriffen schnell verletzt werden. Es sollte nicht mittig über der Glans clitoris geschnitten werden aufgrund des neurovaskulären Bündels, welches direkt unter der Fascia clitoridis liegt. Es empfiehlt sich eine Schnittführung lateral der Glans clitoris, entlang dem Areal mit den geringsten Adhäsionen, oder wenn noch möglich ein stumpfes Lösen der Adhäsionen.

Sensorik und Innervation

Die Klitoriseichel ist eine der empfindlichsten Strukturen des menschlichen Körpers undsteht im Dienst der Generierung der weiblichen Lust und der Auslösung des Orgasmus. Die 2–3,2mm dicken Äste des N. pudendus, die dorsalen Klitorisnerven (N. dorsalis clitoridis oder NDC), bestehen aus ca. 10000 myelinisierten Nervenfasern,15 den Fasern des N. cavernosus und unmyelinisierten C-Fasern. Sie leiten die Signale von ca. 20000 sensorischen Nervenendigungen von der Klitoris zum Rückenmark. Ebenfalls hochsensibel sind die Klitorisschenkel, der aufsteigende Klitoriskörper und vor allem die seitlichen Bereiche des absteigenden Klitoriskörpers. Eine hohe Sensibilität besitzen im Weiteren der obere Teil des RSP, der Vaginavorhof, die inneren Vulvalippen, die Klitorisvorhaut, der Klitorishut sowie die Klitorisbändchen. Die Klitoriseichel sowie die sie direkt umgebenden Strukturen können als Zentrum der Generierung der weiblichen Lust betrachtet werden. Als weitere sensible Strukturen mit erogener Bedeutung werden die Zervix, die weibliche Prostata, der Ausgang der Harnröhre sowie die Faszien und Septen des kleinen Beckens diskutiert. Die Vagina ist nur schwach sensibel innerviert.

Vorsicht bei kosmetischen Eingriffen

In den letzten Jahren ist die Nachfrage nach kosmetischen vulvovaginalen Eingriffen angestiegen.16 Insbesondere die Labienkorrektur mit oder ohne Vorhautresektion kann zu einer Gefährdung oder Zerstörung der klitoralen oder vulvären Innervation führen. Der N. pudendus teilt sich nicht nur in den N. dorsalis clitoridis auf, sondern in die Nn. perineales und ist somit auch zuständig für die sensible Innervation der Vulva. Patientinnen müssen präoperativ genaustens über den Verlauf des Bulboklitoralorgans aufgeklärt werden, inklusive dessen Innervation und dass eine Operation potenziell zu Sensibilitätsverlusten führen kann. In den meisten Operationsaufklärungen und Skizzen der Vulva wird die Klitoris jedoch selten erwähnt oder lediglich die Glans clitoridis, was nicht der ganzen Ausdehnung des Bulboklitoralorgans entspricht. Nicht nur ästhetische Eingriffe an der Vulva können das Bulboklitoralorgan gefährden. Operationsgebiete von häufigeren Operationen wie beispielsweise eine Marsupialisation (in diesem Fall in der Nähe der Vorhofbulben) können das Bulboklitoralorgan betreffen und dementsprechend müssen die Patientinnen darüber aufgeklärt werden. Im Falle einer Marsupialisation empfiehlt es sich deshalb, nach der initialen Inzision stumpf zu präparieren, um nicht zu tief ins Gewebe einzudringen und so möglicherweise die Vorhofbulben zu verletzen.

Die Strukturen der Vulva sind unterschiedlich stark sensorisch innerviert.3 Verschiedene Typen von sensorischen Nervenendigungen wandeln spezifische Reize in Aktionspotenziale um, welche über das Rückenmark ins Gehirn geleitet und dort verarbeitet werden. Die für die Generierung der sexuellen Erregung wichtigsten Sensoren sind die Genitalkörperchen oder «Wollustkörperchen», welche feinste Berührungen, Reibung und gleitenden Druck wahrnehmen können. Ihr Optimum liegt bei Vibrationen zwischen 40 und 80Hertz.17 Eine wichtige Rolle für die Generierung sexueller Lust spielen zudem die Vater-Pacini-Körperchen, welche Vibrations-, Berührungs- und Druckreize wahrnehmen. Weitere für die sensorische Empfindung verantwortliche Sensoren sind freie Nervenendigungen für die Wahrnehmung von Druck, Schmerz und Temperatur sowie auf unterschiedliche Berührungsqualitäten spezialisierte Nervenendigungen wie z.B. Meissner-Körperchen und Merkel-Körperchen.18

In der Postmenopause kann es aufgrund des Östrogenmangels zu vulvovaginaler Atrophie kommen, was zu einer sexuellen Dysfunktion führen kann. Interessanterweise konnte in der Postmenopause jedoch keine Rückbildung der niederschwelligen Mechanorezeptoren, der Genitalkörperchen, beobachtet werden. Im Gegenteil: Histologische Untersuchungen von Ohmori (1924) zeigten, dass bei älteren Frauen tiefer gelegene Genitalkörperchen viel deutlicher hervortreten als bei jüngeren.19 Daraus lässt sich schliessen, dass bei postmenopausalen Frauen kompensatorische Prozesse die Erhaltung der wichtigen sexuellen Sensibilität zu gewährleisten versuchen. Amsterdam & Krychman20 beobachteten ausserdem bei postmenopausalen Frauen eine Wiederherstellung der sexuellen Funktion nach lokaler Östrogentherapie, was neben der Steigerung der genitalen Durchblutung21 auch auf eine hormonelle Sensibilisierung der Genitalkörperchen zurückzuführen sein könnte.

Es ist ausserdem wahrscheinlich, dass die Empfindlichkeit der Genitalkörperchen zyklischen Einflüssen durch Östrogene unterliegt. Viele Frauen berichten von einer reduzierten taktilen Erregbarkeit der Klitoris Ende der zweiten Zyklushälfte, was durch die hormonelle Modulation der Genitalkörperchen erklärt werden könnte. Bekannt ist, dass Östrogenmangel zu einer veränderten Empfindungsqualität führt, sodass Berührung nicht als lustvoll, sondern als unangenehm erlebt werden kann.22

Durchblutung und Erregung

Die Gefässe des Bulboklitoralorgans sind einerseits für die Versorgung der Gewebe, andererseits für die klitorale Erektion verantwortlich. Die arterielle Versorgung der äusseren weiblichen Genitalien erfolgt über die Arteria pudenda interna, welche verschiedene Äste abgibt. Die Muskeln der Vorhofbulben werden von der A. perinealis, die Schwellkörper der Vorhofbulben von der A. bulbi vestibuli versorgt. Die paarigen tiefen Klitorisarterien (A. profunda clitoridis ramus corporis clitoridis) sowie die Klitorisschenkelarterien (A. profunda clitoridis ramus crus clitoridis) dringen in die erektilen Schwellkörper (Corpora cavernosa) ein und verzweigen sich in die Rankenarterien (A. helicina), welche in die arteriellen Kavernen führen. Der Endast der A. pudenda interna, die dorsale Klitorisarterie (A. dorsalis clitoridis), verläuft zusammen mit dem dorsalen Klitorisnerv (N. dorsalis clitoridis) über den Rücken des aufsteigenden Klitoriskörpers und dann entlang des absteigenden Klitoriskörpers zur Klitoriseichel. Sie versorgt die Tunica albuginea, die perikavernösen bindegewebigen Strukturen des Bulboklitoralorgans sowie die Klitoriseichel und den Klitorishut. Die venöse Drainage der Kavernen erfolgt über Venolen in die Sperrvenen, welche ihrerseits von den Emissarvenen (V. emissaria) durch die Tunica albuginea hindurch in die Kranzvenen (V. circumflexa) abgeleitet werden, und diese dann in die voluminöse tiefe dorsale Klitorisvene (V. dorsalis profunda clitoridis).

Während der sexuellen Erregung bewirken die klitoralen parasympathischen Nervenfasern eine Entspannung der glatten Muskulatur der Corpora cavernosa der Klitorisschenkel und des Klitoriskörpers, sodass Blut in die arteriellen Kavernen einfliessen kann. Durch die Volumenvergrösserung werden die ableitenden Venen gegen die Tunica albuginea gepresst, was den Abfluss des Blutes blockiert. Dadurch werden die erektilen Gewebe hart. Die klitorale Erektion bewirkt eine leichte Anhebung des Klitoriskörpers und ein Hervortreten der Klitoriseichel aus dem Klitorishut. Die spongiösen Strukturen oder Schwammkörper, zu denen die Klitoriseichel, das RSP sowie die Vorhofbulben gehören, füllen sich während der sexuellen Erregung ebenfalls mit Blut, bleiben aber wegen des Fehlens einer festen Bindegewebehülle weich. Die Vorhofbulben weiten sich dabei aus und umklammern so die Harnröhre und die Vagina. Bei hoher Erregung pressen die Muskeln der Klitorisschenkel (Musculus ischiocavernosus) und der Vorhofbulben (Musculus bulbospongiosus) rhythmisch Blut über den Kobelt’schen Venenkomplex in den Klitoriskörper und die Klitoriseichel.9 Den gleichen Effekt haben z.B. Penisstösse oder andere Formen der vaginalen Penetration, welche die Vorhofbulben und die Klitorisschenkel mechanisch komprimieren.

Die Druckerhöhung führt zu einer Schwellenerniedrigung der zahlreich vorhandenen «Lustsinnesrezeptoren» – der Genitalkörperchen und der Vater-Pacini-Körperchen –, deren Stimulation von der Frau als sexuelle Erregung wahrgenommen wird, welche schlussendlich zum Orgasmus führt. Bei Erregung füllen sich zudem die Blutgefässe der Vagina, was über die Druckerhöhung in den Kapillaren zur Ausscheidung von Flüssigkeit führt (Transsudation), die als Lubrikans das Gewebe vor Verletzungen schützt.

Geburtsverletzungen

Die Kenntnisse der Ausdehnung des Bulboklitoralorgans inklusive der Anatomie der Muskulatur des Beckenbodens spielen auch in der Geburtshilfe eine wichtige Rolle. Bei der Geburt kann es in bis zu 85% der Fälle zu Geburtsverletzungen kommen, 0,5% davon Klitorisrisse.23 Aufgrund der Gefässversorgung bluten Klitorisrisse oft stark und aufgrund der guten Innervation muss die Versorgung unter PDA, wenn nicht in Vollnarkose, erfolgen.

Unter Geburt kann es je nach Situation notwendig sein, eine mediolaterale Episiotomie durchzuführen. Dabei muss das Bewusstsein vorhanden sein, dass dadurch der M. bulbospongiosus und unter Umständen einer der Vorhofbulben, der direkt darunter liegt, durchtrennt wird. So gilt es,sich entsprechend den AWMF-Leitlinienan den restriktiven Einsatz einer mediolateralen Episiotomie zu halten und keine routinemässigen Episiotomien durchzuführen. Frauen berichten in einer Studie fünf Jahre nach vaginaler Entbindung mit mediolateraler Episiotomie von einer verminderten sexuellen Funktion im Sinne von sexuellem Verlangen, Erregung und Orgasmus.24

Fazit

Die Anatomie und Physiologie des Bulboklitoralorgans wurde über viele Jahre ignoriert oder bewusst aus Lehrbüchern gestrichen. Umso wichtiger ist ein vertieftes Verständnis ebendieser Anatomie und Funktion des Bulboklitoralorgans, um Patientinnen im klinischen Alltag bestmöglich zu betreuen und zu begleiten.

Danksagung

Ein besonderer Dank gebührt Dr. Gesine Meili, welche mit ihrer Expertise einen wichtigen Beitrag geleistet hat.

1 De Graaf R: De mulierum organis in generationi inservientibus tractatus novus. Ex officinas Hackiana16722 Kobelt GL: Die männlichen und weiblichen Wollustorgane des Menschen und einiger Säugethiere in anatomisch-physiologischer Beziehung. Freiburg im Breisgau, Druck und Verlag von Adolph Emmerling 1844 3 Haag-Wackernagel D: Sensorische Nervenendigungen – der Schlüssel zur weiblichen Lust. Sexuologie 2022; 29(1): 5-20 4 Haag-Wackernagel D: Die Klitoris – das zentrale Organ der weiblichenLust. Teil 1: Entdeckt, ignoriert und verleugnet – die erstaunliche Geschichte des Bulbo-Klitoralorgans. Frauenarzt 2021; 6: 402-7 5 Dickinson R L: Human Sex Anatomy. Bailiere, Tandall & Cox London, 1933 6 Di Marino V, Lepidi H: Anatomic Study of the Clitoris and the Bulbo-Clitoral Organ. 152 S. Springer International Publishing Switzerland, 2014 7 Schünke M et al.: PROMETHEUS LernAtlas der Anatomie: Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Thieme Verlag, 2022 8 Longhurst GJ et al.: Beyond the tip of the iceberg: A meta-analysis of the anatomy of the clitoris. Clin Anat 2024; 37(2): 233-252 9 Wallen K, Lloyd E: Clitoral variability compared with penile variability supports non-adaptation of female orgasm. Evol Dev 2008; 10(1): 1-2 10 Shih C et al.: The pars intermedia: an anatomic basis for a coordinated vascular response to female genital arousal. J Sex Med 2013; 10(6): 526-30 11 Kruepunga N et al.: The development of the cloaca in the human embryo. J Anat 2018; 233(6): 724-39 12 Zdilla MJ: Anatomy of the clitoris: the corona of the glans clitoris, clitoral coronal papillae, and the coronopreputial frenulum. Anat Cell Biol 2024; 57(2): 183-93 13 Aerts L et al.: Retrospective study of the prevalence and risk factors of clitoral adhesions: women’s health providers should routinely examine the glans clitoris. Sex Med 2018; 6(2): 115-22 14 Romanello J et al.: Clitoral adhesions: a review of the literature. Sex Med Rev 2023; 11(3): 196-201 15 Uloko et al.: How many nerve fibers innervate the human glans clitoris: a histomorphometric evaluation of the dorsal nerve of the clitoris. J Sex Med 2023;20(3):247-252 16 Furnas HJ et al.: The safe practice of female genital plastic surgery. Plastic and reconstructive surgery. Plast Reconstr Surg Glob Open 2021; 9(7): e3660 17 Qi L et al.: Krause corpuscles are genital vibrotactile sensors for sexual behaviours. Nature 2024; 630(8018): 926-3418 Abraira VE, Ginty DD: The sensory neurons of touch. Neuron 2013; 79(4): 618-39 19 Ohmori D: Über die Entwicklung der Innervation der Genitalapparate als peripheren Aufnahmeapparat der genitalen Reflexe. Z f Anatomie und Entwicklungsgeschichte 1924; 70: 347-410 20 Amsterdam A, Krychman M: Clitoral atrophy: A case series. J Sex Med 2009; 6(2): 584-7 21 Battaglia C et al.: Menstrual cycle-related morphometric and vascular modifications of the clitoris. J Sex Med 2008; 5(12): 2853-61 22 Lundberg PO: Die periphere Innervation der weiblichen Genitalorgane. Sexuologie 2002; 9(3): 213-25 23 Simek IM et al.: Incidence of and risk factors for clitoral lacerations in a retrospective cohort of more than 14.000 vaginal singleton deliveries. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 2018; 224: 45-6 24 Doğan B: Long-term impacts of vaginal birth with mediolateral episiotomy on sexual and pelvic dysfunction and perineal pain. Matern Fetal Neonatal Med 2017; 30(4): 457-60

Back to top