
Psychische Erkrankungen lösen Kostenlawine aus
Eine aktuelle Studie belegt europaweit enorme Spitalskosten, die durch körperliche Begleiterkrankungen bei psychischen Störungen entstehen.
WIEN. Erstmals wurde in einer breit angelegten Studie erfasst, in welchem Ausmass Menschen mit psychischen Störungen körperlich erkranken – und welche Spitalskosten dies nach sich zieht. Unter der Leitung von Judit Simon von der Abteilung für Gesundheitsökonomie am Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien wurden Daten aus 32 europäischen Ländern analysiert – darunter die 27 EU-Mitgliedstaaten sowie Island, Liechtenstein, Norwegen, die Schweiz und das Vereinigte Königreich.
Das Ergebnis: Die stationäre und notfallmässige Behandlung von körperlichen Begleiterkrankungen bei Alkoholkonsumstörungen, Depressionen, bipolaren Störungen und Schizophrenie hat im Jahr 2019 europaweit insgesamt rund 30,5 Milliarden Euro an zusätzlichen Krankenhauskosten verursacht. Dieser Aufwand entsteht laut der Untersuchung eben nicht durch die psychiatrische Versorgung selbst, sondern durch körperliche Beschwerden, die bei psychisch Erkrankten überdurchschnittlich häufig auftreten und stationär oder in der Notaufnahme behandelt werden müssen.
In vielen Fällen handelt es sich dabei um Verletzungen, etwa infolge von Stürzen, Substanzkonsum oder Suizidversuchen. Darüber hinaus sind Erkrankungen des Verdauungstrakts wie Leberleiden oder chronische Entzündungen, die insbesondere bei Alkoholsucht auftreten, zu beobachten. Auch Erkrankungen des Nervensystems, Atmungssystems, Bewegungsapparats oder Herz-Kreislauf-Systems kommen demnach bei Menschen mit psychischen Erkrankungen deutlich häufiger vor, beschreibt die Studie, die im Fachjournal «The Lancet Psychiatry» veröffentlicht wurde.
Konkret werden in den analysierten Ländern insgesamt 21,2 Millionen Fälle von Alkoholkonsumstörungen, die mit 84 Millionen körperlichen Begleiterkrankungen verbunden waren, festgehalten. Des Weiteren wurden 7,4 Millionen Fälle von bipolaren Störungen mit 66,8 Millionen Komorbiditäten, 32 Millionen Fälle von Depressionen mit 66,2 Millionen zusätzlichen physischen Problemen sowie drei Millionen Fälle von Schizophrenie mit 4,9 Millionen körperlichen Erkrankungen festgestellt. Die Modellstudie stützt sich dabei auf Daten der European Statistical Agency, der «Global Burden of Disease»-Studie, länderspezifischer Gesundheitsstatistiken sowie einer umfangreichen Synthese bestehender Forschungsergebnisse und berücksichtigt die Altersgruppe der erwerbsfähigen Bevölkerung (20 bis 64 Jahre).
Enormes Sparpotenzial
Im Umkehrschluss liefern die Forschenden auch Schätzungen zum wirtschaftlichen Einsparungspotenzial: So würde eine Reduktion der körperlichen Krankheitslast bei Menschen mit psychischen Erkrankungen um nur ein Prozent europaweit zu jährlichen Einsparungen von mehr als 190 Millionen Euro im Krankenhausbereich führen. «Die Zahlen unterstreichen die Bedeutung integrierter Präventions- und Versorgungsansätze, bei denen körperliche und psychische Gesundheit nicht getrennt voneinander betrachtet werden», betont die Studienleiterin und Professorin für Gesundheitsökonomie Judit Simon. Und weiter: «Eine bessere Verzahnung psychiatrischer und somatischer Versorgung kann nicht nur die Lebensqualität von Menschen mit psychischen Erkrankungen verbessern, sondern auch zur Nachhaltigkeit der Gesundheitssysteme beitragen.» (ehs)
Quelle: Medizinische Universität Wien
Service: Publikation – The Lancet Psychiatry
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