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Was macht Sinn?
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Autor:
OA Dr. Michael Resl
Facharzt für innere Medizin<br> Konventhospital der Barmherzigen Brüder Linz<br> E-Mail: michael.resl@bblinz.at
30
Min. Lesezeit
08.09.2016
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<p class="article-intro">Österreichweit ist die Prävalenz des Diabetes mellitus nach wie vor steigend. Da etwa die Hälfte der an Diabetes mellitus erkrankten Patienten nicht diagnostiziert sind, aber bereits im Stadium des Prädiabetes ein gesteigertes kardiovaskuläres Risiko aufweisen, wird von den aktuellen Leitlinien der Österreichischen Diabetes Gesellschaft ein Screening für Diabetes mellitus Typ 2 empfohlen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Definition des Prädiabetes</h2> <p>Die heute gültige Definition des Prädiabetes bezieht sich auf das Vorliegen einer gestörten Glukosetoleranz und oder einer gestörten Nüchternglukose und/oder einer Erhöhung des HbA<sub>1c</sub>-Wertes. Generell entwickelt sich die Hyperglykämie kontinuierlich, wobei die Störungen der Nüchtern- wie auch der postprandialen Glukose unterschiedliche Zeitverläufe aufweisen. Im Rahmen der Diagnosestellung, für welche alle drei erwähnten Parameter verwendet werden können, soll auf mögliche störende Einflüsse durch interkurrente Erkrankungen oder die Einnahme von Medikamenten Rücksicht genommen werden.<br /> <br /> Hinsichtlich der Nüchternglukose (aus dem venösen Plasma) gelten Werte ≥100mg/dl, aber ≤125 mg/dl als gestörte Nüchternglukose; im oralen Glukosetoleranztest gelten 2 Stunden nach Einnahme von 75g Glukose ≥140mg/dl, aber ≤200mg/dl und ein HbA<sub>1c</sub>-Wert zwischen 5,7 und 6,4 % als Prädiabetes. Durch die entsprechenden Labortestsysteme bedingte Varianzen sollten ebenfalls unbedingt in Betracht gezogen werden. Beispielsweise kann die intraindividuelle Varianz bei der Bestimmung der Nüchternglukose zwischen 7 und 14 % und beim oralen Glukosetoleranztest zwischen 20 und 40 % betragen.</p> <h2>Was bedeutet die Diagnose Prädiabetes?</h2> <p>Bemerkenswert ist, dass die Diagnose Prädiabetes nicht automatisch bei jedem Betroffenen eine Progression der Erkrankung hinsichtlich Diabetes bedeutet.<br /> <br /> Daten aus den USA, welche in den Jahren 2007–2010 erhoben worden sind, demonstrieren eine Prävalenz des Prädiabetes von etwa 36 % . Aufgrund der hohen Rate an nicht diagnostizierten Patienten mit Diabetes bzw. Prä­diabetes haben die Diabetesgesellschaften ein strukturiertes Screening empfohlen. Generell sollte ab dem 45. Lebensjahr die Nüchternplasmaglukose, alternativ dazu das HbA<sub>1c</sub> kontrolliert oder ein oraler Glukosetoleranztest durchgeführt werden. Liegen zusätzliche Risikofaktoren (Tab. 1) vor, soll unabhängig vom Alter gescreent werden. Bei primär unauffälligen Resultaten wird eine Wiederholung alle 3 Jahre empfohlen.<br /> <br /> Aufgrund des heutigen, pathophysiologischen Verständnisses der Erkrankung ist von einer Vielzahl an Defekten auszugehen, welche letztlich an der Entstehung eines Prädiabetes und in weiterer Folge an der Manifestation eines Diabetes mellitus beteiligt sind. Im Vordergrund der Defekte steht wie zu erwarten ganz eindeutig die Dysfunktion der Betazellen in Kombination mit einer Insulinresistenz, welche vor allem durch Faktoren des Lebensstils negativ beeinflusst wird. Mithilfe des hyperinsulinämischen, euglykämischen Clamps konnte gezeigt werden, dass bei etwa 40 % der an Prädiabetes erkrankten Patienten die Insulinresistenz im Vordergrund steht, wobei in den peripheren Geweben die Insulinresistenz eine verminderte Glukoseaufnahme in der Skelettmuskulatur und im Fettgewebe bedeutet. In der Leber bewirkt die verminderte Insulinwirkung eine reduzierte Suppression der postprandialen Glukoseproduktion.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1607_Weblinks_Seite20.jpg" alt="" width="595" height="532" /></p> <h2>Die lebensstilmodifizierende Therapie</h2> <p>Ist die Diagnose Prädiabetes gestellt worden, so stellt die lebensstilmodifizierende Therapie die effektivste Maßnahme dar, um eine Progression des Prädiabetes zu einem Diabetes mellitus Typ 2 zu verzögern bzw. zu verhindern. Da die Modifikation der Ernährung bei Prädiabetes einen besonders wichtigen Stellenwert einnimmt, sollte eine Ernährungsberatung durch entsprechend geschulte Diätologen durchgeführt werden. Zusammenfassend wird eine gesunde Mischkost empfohlen, wobei weniger als 30 % des Tagesenergiebedarfes durch Fett gedeckt werden sollen. Moderate körperliche Aktivität in einem Ausmaß von 30min/Tag bzw. insgesamt 150min/Woche stellt die zweite wesentliche Säule der Therapie des Prädiabetes dar.<br /> <br /> Die wissenschaftliche Evidenz für diese Empfehlungen beruht maßgeblich auf den Resultaten der Diabetes Prevention Study und des Diabetes Prevention Program. Im Rahmen dieser Arbeiten bewirkte eine intensivierte lebensstilmodifizierende Therapie eine 56 % ige Reduktion des Risikos für das Auftreten eines Diabetes mellitus Typ 2 bei bereits an Prädiabetes erkrankten Patienten (definiert durch gestörte Glukosetoleranz). In diesen Studien konnte eine beeindruckende „number needed to treat“ (NNT) von 6,9 errechnet werden. Dies ist insofern besonders bemerkenswert, als für die verfügbaren Medikamente die entsprechende NNT deutlich höher ausfällt.</p> <h2>Medikamentöse Therapien</h2> <p>Neben der lebensstilmodifizierenden Therapie haben in zahlreichen Studien auch Metformin, Alphaglukosidasehemmer und Glitazone einen therapeutischen Effekt bei Prädiabetes demonstrieren können. Trotz der verfügbaren Datenlage muss gerade bei den Glitazonen als mögliche Therapie für Prädiabetes eine genaue Nutzen-Risiko-Abwägung durchgeführt werden. In der rezent publizierten IRIS-Studie konnte Pioglitazon bei insulinresistenten Patienten, die einen Insult erlitten hatten, die Reinsultrate bzw. das Myokardinfarktrisiko reduzieren. Dennoch muss hier bedacht werden, dass der dokumentierte Effekt relativ klein ist und in der Realität eine Vielzahl an Patienten, bei mitunter beträchtlichen Nebenwirkungen, behandelt werden muss, um ein weiteres Ereignis zu verhindern.<br /> <br /> Die lebensstilmodifizierende Therapie ist zwar äußerst effektiv, stellt aber keine direkte Therapie des progredienten Betazellversagens dar. Dem aktuellen Verständnis der Pathophysiologie entsprechend kann daher davon ausgegangen werden, dass eine entsprechende lebensstilmodifizierende Therapie die tatsächliche Manifestation eines Diabetes mellitus um einige Jahre verzögert. Auf den ersten Blick scheint diese Tatsache etwas enttäuschend, dennoch ist diese Zeitspanne für die Verzögerung bzw. Verhinderung mikro- wie auch makrovaskulärer Komplikationen äußerst relevant.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Prädiabetes stellt meist eine Vorstufe des Diabetes mellitus dar, welche durch entsprechende lebensstilmodifizierende Therapie effektiv und sinnvoll behandelt werden kann. Ein entsprechendes Screening trägt maßgeblich zu einer frühen Therapie und damit auch zu einer deutlichen Verzögerung mikro- und möglicherweise auch makrovaskulärer Komplikationen bei.</p> </div></p>
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<p>Literatur beim Verfasser<br /><br /></p>
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