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Schulung des diagnostischen Blickes

<p class="article-intro">Häufig sind Beschwerden des Bewegungsapparates zunächst unspezifischer Natur und diagnostische Ansätze wie Bildgebung und Labor liefern keine ausreichende Erklärung für die Beschwerden. Eine kritische Beobachtung der Haltung kann jedoch Rückschlüsseauf mögliche Störungen zulassen.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Bei unspezifischen Beschwerden des Bewegungsapparates ist ein Behandlungsansatz basierend auf Befunden der Bildgebung und des Labors wenig zielf&uuml;hrend. Ein Gro&szlig;teil dieser Beschwerden kann als funktionell zusammengefasst werden. Das implementiert aber auch, dass eine gest&ouml;rte Funktion die Beschwerden verursacht. Die &bdquo;L&ouml;sung&ldquo; kann deshalb in solchen F&auml;llen nur in einer funktionellen Diagnostik/Untersuchung liegen.<br /> Praktisch alle funktionellen Untersuchungen beginnen mit der Inspektion. Jedoch auch das einfache Betrachten eines Menschen sollte strukturiert ablaufen. Nat&uuml;rlich k&ouml;nnen bereits ausgepr&auml;gte Fehlhaltungen einen Hinweis auf eine Problematik geben, wie etwa die antalgische Schonhaltung bei Bedr&auml;ngung einer Nervenwurzel am Neuroforamen, mit dem Ziel, durch diese Haltung m&ouml;glichst viel Raum f&uuml;r die bedr&auml;ngte Nervenwurzel zu schaffen. Allerdings sind bei diesen sogenannten unspezifischen Ver&auml;nderungen die Fehlhaltungen oft nicht so eindeutig erkennbar.</p> <h2>Haltung bewahren</h2> <p>Der Ausgangspunkt f&uuml;r eine optimale Funktion des Bewegungsapparates ist die sogenannte &bdquo;gute Haltung&ldquo;. Eine gute Haltung l&auml;sst sich durch einen &ouml;konomischen (geringstm&ouml;glichen) Energieaufwand am besten definieren. Ebenso erm&ouml;glicht eine gute Haltung eine optimale Kraft&uuml;bertragung in der kinetischen Kette. Wichtig ist weiters die &Uuml;berlegung, dass das Gleichgewicht und die gute Haltung nicht nur in Ruhe bestehen m&uuml;ssen, sondern sehr wohl auch ein &bdquo;dynamisches&ldquo; Gleichgewicht w&auml;hrend Bewegung gew&auml;hrleistet sein muss. F&uuml;r beides gilt: Wenn die Massen vor und hinter der Schwerlinie etwa gleich gro&szlig; sind, ist der Aufwand, der muskul&auml;r betrieben werden muss, um dieses Gleichgewicht zu halten, am geringsten. Einer der wichtigsten Ausgleichsmechanismen hierbei sind die Arme. Entsprechende Ausgleichsbewegungen, vor allem mit den Armen, sind besonders im Sport unerl&auml;sslich.<br /> So einfach dieses Konzept klingt, so komplex ist die Umsetzung f&uuml;r den Organismus. Erst das Zusammenspiel von neuralen, muskul&auml;ren und skelettalen Anteilen erm&ouml;glicht eine rasche Adaptation an die gerade ben&ouml;tigte Haltung. Bereits hieraus ist zu erkennen, dass f&uuml;r eine funktionierende Bewegung eine entsprechende Sensorik unabdingbar ist. Nur eine funktionierende (Eigen-)K&ouml;rperwahrnehmung (Propriozeption) erm&ouml;glicht die Planung von (erfolgreichen) Bewegungsabl&auml;ufen.<br /> Umgekehrt erfordert eine ung&uuml;nstige Position einen vermehrten muskul&auml;ren Aufwand, um die gew&uuml;nschte Haltung zu gew&auml;hrleisten (dies bedeutet mehr Belastung f&uuml;r den Bewegungsapparat). F&uuml;r praktisch alle Muskeln gilt, dass, wenn sie eine bewegende Funktion haben, auch immer eine komprimierende Komponente im entsprechenden Gelenk entsteht. Daraus kann geschlossen werden: Je mehr Kraft ein Muskel aufwenden muss, umso gr&ouml;&szlig;er/belastender wird auch seine komprimierende Komponente. Es ist z.B. im Bereich der Wirbels&auml;ule bekannt, dass die Hauptbelastungen f&uuml;r den passiven Bewegungsapparat aus der Kraft der (eigenen) Muskulatur stammen. Die Konsequenz hieraus kann nur ein effizienter und &ouml;konomischer Einsatz der (eigenen) Kraft sein. Als Gedanke sei hier angef&uuml;hrt, dass lange Hebel viel Kraft bedeuten und nat&uuml;rlich auch umgekehrt. Die Umsetzung im Alltag f&uuml;r ein den Bewegungsapparat schonendes Verhalten bedeutet: Schwere Lasten sind k&ouml;rpernahe zu tragen.</p> <h2>Stabilisierende Muskulatur zum Schutz &bdquo;neutraler Zonen&ldquo;</h2> <p>Der zweite zu bedenkende Faktor ist: Wie gro&szlig; ist das Bewegungsausma&szlig;, das in dem entsprechenden Bewegungsabschnitt besteht? Das hierzu passende physiologische Konzept nennt sich &bdquo;neutrale Zone&ldquo; nach Kapandji. Die neutrale Zone ist jener Teil des Bewegungsabschnittes, der bei geringstm&ouml;glichem Widerstand die meiste Bewegung erm&ouml;glicht. Je weiter man nun ans Ende einer Bewegung bzw. des m&ouml;glichen Bewegungsausma&szlig;es kommt, umso st&auml;rker wird der Widerstand der passiven Strukturen. Daraus ergibt sich wieder ein vermehrter muskul&auml;rer Aufwand. Wichtig zu wissen ist hierbei auch, dass das Bewegungsausma&szlig; auch vom Aufbau der entsprechenden Bewegungsabschnitte abh&auml;ngt. Degenerative Ver&auml;nderungen vermindern die neutrale Zone. Gesichert wird die neutrale Zone vor allem durch die Funktion der lokalen, stabilisierenden Muskulatur. Die praktische Umsetzung f&uuml;rs t&auml;gliche Leben hei&szlig;t daher: endlagige Bewegungen vermeiden.</p> <h2>Die Sto&szlig;d&auml;mpferfunktion des Bewegungsapparates</h2> <p>Nun ist der Bewegungsapparat nicht nur f&uuml;r statische Belastungen gebaut, sondern vor allem auf eine dynamische Belastung ausgelegt (Abb. 1). Ein weiterer wichtiger Faktor hierbei ist die Sto&szlig;d&auml;mpferfunktion des Bewegungsapparates. Durch den Bodenkontakt entstehen Sto&szlig;belastungen (Energie) im K&ouml;rper. Der beste Sto&szlig;d&auml;mpfer des K&ouml;rpers ist eine aktive Muskulatur. Diese kann optimal eingesetzt werden, wenn die belastenden Kr&auml;fte leicht versetzt aufeinander wirken und durch entsprechende Muskeln ein neues, aktiv gehaltenes Gleichgewicht hergestellt werden muss. Dies f&uuml;hrt zum Abbau der Sto&szlig;energie (Verformungsenergie).<br /> Betrachtet man nun eine Bewegungskette, die am Bein beginnt (physiologisch eine sogenannte geschlossene Kette), so ist einer der ersten Sto&szlig;d&auml;mpfer das sogenannte &bdquo;Einknicken&ldquo; (besser Entriegeln) des unteren Sprunggelenkes. Dieses entsteht dadurch, dass der Belastungsvektor des Unterschenkels und der des Kalkaneus leicht versetzt voneinander wirken. Entsprechende Muskeln, wie z. B. der Musculus tibialis posterior, sollen dann aktiv die Fu&szlig;w&ouml;lbung aufrechterhalten.<br /> Ein weiteres System der Sto&szlig;d&auml;mpfer findet sich im Knie. Die Beinachse verl&auml;uft nicht mittig durch die kn&ouml;chernen Bestandteile, sondern leicht median der Gelenksmitte und l&ouml;st damit ein varisches Moment aus. Dieses wird durch auf das Knie valgisierend wirkende muskul&auml;re Elemente, welche vor allem im Bereich der Glutealmuskulatur angesiedelt sind, erzeugt und &uuml;ber den Tractus iliotibialis auf das Kniegelenk &uuml;bertragen. Das ist ein Hinweis auf die gr&ouml;&szlig;ere H&auml;ufigkeit von Varusgonarthrosen und auf prophylaktische Ma&szlig;nahmen durch eine entsprechend kr&auml;ftige Ges&auml;&szlig;muskulatur.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1704_Weblinks_s26_abb1.jpg" alt="" width="1078" height="1142" /></p> <h2>Der K&ouml;rper folgt dem Kopf</h2> <p>Eine weitere wichtige Region f&uuml;r die K&ouml;rperhaltung sind der Kopf bzw. die Kopfgelenke in der oberen Halswirbels&auml;ule (funktionell bis C2/3), die zu einem gro&szlig;en Teil durch die Funktion der Augen gesteuert werden. Die Kopfposition ist wichtig f&uuml;r die Orientierung im Raum und damit auch f&uuml;r die Planung und Ausf&uuml;hrung von Bewegungen.<br /> Das Zusammenspiel von Kopf- und Augenbewegungen erm&ouml;glicht eine &ouml;konomische Fixierung von Objekten im Raum (und damit auch zielgerichtete Bewegung). Prinzipiell folgt bei den meisten Bewegungen der K&ouml;rper dem Kopf. Kopfbewegungen erm&ouml;glichen auch eine Erweiterung des Gesichtsfeldes. Sind sowohl die Kopf- als auch die Augenbewegung frei, so erm&ouml;glicht dies eine optimale Orientierung im Raum und damit die Durchf&uuml;hrung von Bewegungen. St&ouml;rungen der Augenbeweglichkeit k&ouml;nnen damit im Umkehrschluss z.B. zu Halswirbels&auml;ulenproblemen und auch zu Ver&auml;nderungen der Haltung f&uuml;hren. Dies kann sich mittelfristig auf die Belastung des Bewegungsapparates, vor allem im Hinblick auf gr&ouml;&szlig;ere motorische Einheiten und die Generierung von Kraft (vgl. kinetische Kette), auswirken. In Zusammenhang mit dem Bewegungsapparat sollte auch daher die Komponente &bdquo;Sehen&ldquo; (d.h. der Sinneseindruck, den beide Augen liefern, um ein dreidimensionales Bild im ZNS zu erzeugen) regelm&auml;&szlig;ig bedacht werden.<br /> Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Beobachtung der Haltung R&uuml;ckschl&uuml;sse auf m&ouml;gliche St&ouml;rungen am Bewegungsapparat liefern kann. Erg&auml;nzt mit funktionellen Untersuchungen sollte dadurch eine Behandlungsstrategie bei funktionellen St&ouml;rungen am Bewegungsapparat m&ouml;glich sein.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Verfasser</p> </div> </p>
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