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Medikationsmanagement
DAM
Autor:
Dr. Susanne Rabady
Ng. Allgemeinmedizinerin, Windigsteig<br> ehem. Vizepräsidentin der ÖGAM<br> Hg. der EbM-Guidelines für Allgemeinmedizin<br> E-Mail: susanne@rabady.at
30
Min. Lesezeit
23.03.2017
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<p class="article-intro">Fehler bei der Medikation sind die wichtigste Einzelursache für Patientenschädigung, ihre Vermeidung ist ein wichtiges Ziel beim Medikationsmanagement, daran besteht kein Zweifel. Dennoch, und das wird vor allem in der öffentlichen Debatte häufig übersehen, sind unerwünschte Wirkungen längst nicht immer das Resultat eines Fehlers, sondern oft Ergebnis einer wohlüberlegten Entscheidung für das kleinere Übel.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Mechanische „Medikamentenchecks“ über Interaktionsprogramme und Algorithmen können eine gewisse Unterstützung in Teilaspekten bieten. Ohne Kenntnis des Gesamtbildes, des Behandlungskonzepts und des Patienten selbst können sie allerdings rasch kontraproduktiv werden.<br />Ziel muss die Optimierung der Medikation sein: ausgerichtet auf einen konkreten Patienten mit seinen besonderen Bedürfnissen und individuellen Möglichkeiten, mit seinen Komorbiditäten, Vorerfahrungen und Vorlieben bzw. Abneigungen (Abb. 1). Medikationsmanagement ist komplex und geht über bloße Fehlervermeidung weit hinaus.</p> <h2>Zum Prozess der Medikation</h2> <p>Die Medikationsentscheidung ist nur ein Schritt, denn sie ist – immer! – Teil eines auf die Bedürfnisse, Krankheiten und Risikofaktoren in einem gemeinsamen Prozess abgestimmten Behandlungskonzeptes zur Heilung bzw. Linderung oder Vorbeugung von Krankheiten. Keine Entscheidung für oder gegen ein Medikament darf ohne angemessene Diagnostik, ohne Kenntnis des Patienten und seiner Befunde getroffen werden. <br />Solange der Patient Patient ist, ist dieser Prozess nicht abgeschlossen. Er umfasst Diagnose- bzw. Indikationsstellung, Entscheidung für oder gegen ein Medikament, Auswahl, Dosierung und Anwendung, Kontrolle und Monitoring, Abgabemodalitäten, Reevaluierung, Beendigung der Medikation, Wiedereinführung etc. (Abb. 2) Auf jeder Stufe sind Entscheidungen zu treffen, sind der Patient und eventuell auch weitere Personen zu involvieren. Unabdingbar für gutes Medikationsmanagement sind ein breites, aktuelles generalistisches Wissen, gute Kommunikation, eine vertrauensvolle Arzt-Patient-Beziehung, gute Organisation, unterstützende Praxistools inklusive EDV, optimierte Teamarbeit und ausreichend Zeit. Eine Zentralperson (sinnvollerweise: ein „therapieführender Arzt“) muss das Gesamtkonzept verantworten, wenn es diese Bezeichnung verdienen soll. Die kritische Würdigung in Zusammenschau mit Gesamtmedikation und Begleit-/Grundkrankheiten ist im Normalfall nur dem Generalisten möglich, nur er hat den Überblick über alle Fächer (Komorbiditäten) und über die Vorgeschichte. Er ist für die Zusammenschau unterschiedlicher Behandlungsstränge gerüstet und verantwortlich. Wenn im ungegliederten österreichischen System überhaupt irgendwo die Fäden zusammenlaufen, dann beim Hausarzt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1702_Weblinks_s17.jpg" alt="" width="2188" height="980" /></p> <h2>Medikationsmanagement in der Hausarztpraxis</h2> <p>Angesichts der Tatsache, dass einige Berufsgruppen in diesen eigentlich therapeutischen Prozess hineindrängen, hat sich eine Arbeitsgruppe der ÖGAM konstituiert, um die entscheidenden Eckpunkte guten Medikamentenmanagements zu analysieren und die sich daraus ergebenden Zuständigkeiten der beteiligten Medizinberufe zu beschreiben. Wir wollen damit einerseits diese Aufgabe erleichtern helfen, andererseits auch ermutigend wirken: Voraussetzung für die Anerkennung dieser unserer Leistung ist, dass sie deutlich sichtbar wird, für Patienten sowieso, aber auch für Kollegen in den Spezialfächern, allen anderen Medizinberufen und für sämtliche Entscheidungsträger.</p> <p>Die ÖGAM-Arbeitsgruppe gliedert den Medikationsprozess in mehrere Bereiche:</p> <h2>Verschreibung und Monitoring</h2> <p>Bei Neueinführung einer Medikation ist einerseits die Indikation zu prüfen, gegen das Neben- und Wechselwirkungsprofil abzuwägen und mit der Vorgeschichte des Patienten und seinen Komorbiditäten in Einklang zu bringen (Kontraindikationen!). Andererseits ist das Behandlungskonzept mit dem Patienten zu besprechen, denn nur wenn der Patient die Medikation akzeptiert und die Modalitäten (Einnahme/Anwendung, Monitoring) versteht, lässt sich Adhärenz einigermaßen sicherstellen.<br />Nach Spezialisten- oder Krankenhauskontakt ist eine Anpassung der Dauermedikation erforderlich. Bisher erreicht die an der Behandlung beteiligten Ärzte oft nur ein Teil der Information. Das sollte sich mit E-Medikation nach und nach ändern. Wieweit dies prozesserleichternd sein wird, wird jedoch von der Benutzerfreundlichkeit und Einbindung in die jeweilige Praxissoftware abhängen.<br />Eine etablierte Medikation muss in Abständen oder kontinuierlich reevaluiert und/oder überwacht werden, denn es ist immer damit zu rechnen, dass die Medikation, die der Patient tatsächlich einnimmt, sich deutlich von der unterscheidet, von der der Arzt glaubt, dass er sie einnimmt. Dazu kommen Zusatzmedikamente von Fachärzten (ohne Rückmeldung an den Hausarzt), Medikamente von Familienmitgliedern oder Nachbarn, diverse nicht verschreibungspflichtige (OTC-)Präparate, die in der Apotheke gekauft werden (auch „nur pflanzliche“ Medikamente, Homöopathika oder oft stark interaktionsrelevante Allopathika wie z.B. nichtsteroidale Antirheumatika [NSAR]). E-Medikation kann auch hier teilweise Erleichterung bringen – aber nur dann, wenn diese Medikamente in einem überschaubaren Zeitraum, nicht über Internet und – im OTC-Bereich – vom Patienten selbst (!) gekauft wurden. Der erste Schritt ist also immer die vollständige Erfassung der tatsächlich eingenommenen Medikation. <br />Um in einem zweiten Schritt beurteilen zu können, ob die Dosierung korrekt ist und alle therapiewürdigen Behandlungsziele erfasst sind, müssen auch Wirksamkeit und mögliche unerwünschte Wirkungen evaluiert werden. Dazu dienen das Gespräch mit dem Patienten und das jeweils erforderliche Monitoring (wie etwa Nieren- oder Leberfunktion, EKG, körperliche Untersuchung etc.). Medikamente, die nicht mehr indiziert sind, müssen abgesetzt werden. In anderen Fällen ist eine Dosisanpassung durchzuführen, zu dokumentieren und dem Patienten zu erklären. Das kann der Fall sein, wenn der Behandlungsgrund wegfällt, unerwünschte Wirkungen überwiegen, die korrekte Einnahme nicht gesichert ist und daraus Gefährdung entsteht (z.B. orale Antikoagulation) oder sich die Gesamtsituation ändert (neue oder aggravierte Komorbiditäten, Palliativsituation etc.). Desgleichen, wenn neue Erkenntnisse eine Änderung der Medikation sinnvoll machen. Dabei gibt es Unterstützung durch einige Praxistools, die von der ÖGAM erstellt bzw. gesammelt wurden. Eine Liste dieser Tools ist in Tabelle 1 und auf der ÖGAM-Homepage unter <a href="http://www.oegam.at">www.oegam.at</a> angeführt.<br />Es ist immer sicherzustellen, dass der Patient (oder die Betreuungsperson) über Veränderungen informiert und mit diesen einverstanden ist. Dies sind für die unmittelbare Sicherheit des Patienten (und aller Behandler) wichtige Schritte: Nur bei guter Medikamentenwartung durch den Hausarzt ist die Übergabe vollständiger Information an Mit- und Weiterbehandler inkl. Indikationen, bekannter Unverträglichkeiten, Kontraindikationen usw. möglich.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1702_Weblinks_s16.jpg" alt="" width="2188" height="980" /></p> <h2>Verantwortlichkeiten der verschiedenen Berufsgruppen</h2> <p>Zur Erfüllung dieser Aufgaben müssen mehrere Berufsgruppen zusammenwirken. Was die Aufgabenverteilung anlangt, gibt es ein einziges sinnvolles Prinzip: Jeder tut das, wofür er ausgebildet wurde und wofür er ausgestattet ist (juristisch, organisatorisch und strukturell). <br />Gutes Medikationsmanagement verlangt die Verfügbarkeit der maßgeblichen Informationen, die zur Zusammenschau erforderliche fachliche Breite und eine tragfähige, auf Kontinuität und Vertrauen fußende Beziehung zwischen Arzt und Patient. Das bedeutet, dass dem hausärztlichen Generalisten diese Rolle zufällt – bei der derzeitigen Sach- und Fachlage allerdings keine einfache Aufgabe.<br />Praxisassistenz und Pflegedienste unterstützen die richtige Einnahme oder Applikation: Hilfe bei der Dosierung, Wiederholung wichtiger Informationen, Unterstützung bei Einnahme oder Applikation, Wahrnehmung von Einnahmefehlern, Unsicherheiten, Nebenwirkungen und Wirkungen.<br />Aufgaben, die Apotheken hinsichtlich Medikamentensicherheit übernehmen könnten, sind Information und Beratung zu nicht verschreibungspflichtigen Wirkstoffen sowie Wachsamkeit gegenüber Hinweisen auf eventuellen riskanten Gebrauch (von NSAR bis Nasensprays) oder auf behandlungsbedürftige Zustände, z.B. bei häufiger Nachfrage nach Schmerzmitteln, nach „etwas für das Gedächtnis“ oder nach „rein pflanzlichen“ Mitteln, z.B. gegen psychische Missempfindungen. Oft sind es auch Apotheker, denen zuerst über (vermeintliche oder tatsächliche) Nebenwirkungen berichtet wird, die Unstimmigkeiten oder Unsicherheiten beim Patienten bemerken – zumindest in den Fällen, in denen der Patient selbst seine Medikamente in der Apotheke abholt. Bewertung und Beurteilung von Symptomen und Wahrnehmungen fallen allerdings wieder unter Diagnostik und sind daher ärztliche Aufgaben.<br />In der derzeitigen Situation erfordert gutes Medikationsmanagement einigen Einsatz und den Umgang mit einer Reihe von Hindernissen. Die Praxissoftware erfüllt viele Voraussetzungen nicht, viele Patienten haben keinen therapieführenden Arzt, die mangelnde Struktur und das völlig fehlende Gesamtkonzept im österreichischen Gesundheitswesen schaffen Irrwege und Verwirrung hinsichtlich Zuständigkeiten und Informationstransfer. Wir leisten als Fachgesellschaft mit der Analyse der Prozesse und mit der Entwicklung fachspezifischer Tools unseren Beitrag zur Verbesserung der Situation. Die generelle Umsetzbarkeit hängt dennoch vor allem davon ab, ob im Rahmen der Gesundheitsreform die nötigen Voraussetzungen geschaffen werden. Diese Voraussetzungen sind eine klare Versorgungsstruktur, gesicherte persönliche Kontinuität in Betreuung und Versorgung, eine definierte, generalistische therapieführende Stelle, eine geeignete Software, Erleichterung der Bildung von Praxis­teams und eine exzellente Ausbildung der grundversorgenden Berufe: Wir brauchen ein gut organisiertes, teambetontes, Hausarzt-basiertes Gesundheitssystem.</p></p>
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