Frühprävention des Hirnschlags
Autoren:
Dr. med. Moritz Kielkopf
Prof. Dr. med. Hakan Sarikaya
Abteilung für Neurologie
Inselspital – Universitätsspital Bern
Universität Bern
Korrespondierender Autor:
Dr. med. Moritz Kielkopf
E-Mail: moritz.kielkopf@insel.ch
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Schlaganfälle zählen weltweit zu den häufigsten Ursachen für Tod und dauerhafte Behinderung. Trotz einer durch Fortschritte in der Prävention rückläufigen altersadjustierten Inzidenz steigt die absolute Zahl der Schlaganfälle aufgrund der demografischen Alterung weiterhin an. Daten zeigen, das beim grössten Teil der Schlaganfälle veränderbare Risikofaktoren vorhanden sind. Hausärzte können durch die frühzeitige Identifikation von Risikopatienten eine wesentlichen Beitragzur Prävention von Schlaganfällen leisten.
Etwa 80–90% aller Schlaganfälle lassen sich auf veränderbare Risikofaktoren zurückführen, darunter Bluthochdruck, Diabetes, Rauchen, Bewegungsmangel und hohe Cholesterinwerte, wie aktuelle Leitlinien der American Heart Association/American Stroke Association (2024), der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (2022) und der Swiss Brain Health Initiative (2023) belegen.1–3 Die konsequente Identifikation von Risikopatienten durch systematisches Screening, insbesondere in der Hausarztpraxis, ist essenziell, da hier Früherkennung, Beratung und rechtzeitig ergriffene therapeutische Massnahmen effektiv verknüpft werden können. So kommt der Primärversorgung eine Schlüsselrolle zu, um die Prävention in den Alltag der Patienten zu integrieren und damit einen bedeutenden Beitrag zur Reduktion der Schlaganfallbelastung zu leisten.
Risikofaktoren und deren Screening
Hypertonie
Der wichtigste Risikofaktor für Schlaganfälle ist die arterielle Hypertonie, auf die etwa die Hälfte des Schlaganfallrisikos zurückzuführen ist. Studien wie PROGRESS und SPRINT haben eindeutig gezeigt, dass eine konsequente Blutdrucksenkung (<130/80mmHg) nicht nur das Rezidivrisiko, sondern auch das Risiko für Erstereignisse erheblich reduzieren kann.4,5 Gemäss der neueren ESPRIT-Studie von 2024 führte eine noch konsequentere Blutdrucksenkung (<120mmHg systolisch) bei Patienten mit hohem vaskulärem Risiko in der Primär- und Sekundärprophylaxe für Schlaganfälle zu einer weiteren Risikoreduktion bei nur geringem Nebenwirkungsrisiko.6 Regelmässige Blutdruckmessungen sind daher bereits ab dem jungen Erwachsenenalter entscheidend. Eine evidenzbasierte Empfehlung der Initiierung eines Bluthochdruck-Screenings zur Schlaganfallprävention orientiert sich an den allgemeinen Hypertonie-Leitlinien.7 Demnach wird ab einem Alter von 18 Jahren eine einmalige Untersuchung empfohlen, ab 40 Jahren soll jährlich untersucht werden, um besonders Risikopatienten frühzeitig und gezielt zu identifizieren und eine rechtzeitige Intervention zu ermöglichen.
Diabetes und Adipositas
Auch Diabetes mellitus und Adipositas zählen zu den stärksten miteinander verflochtenen Risikofaktoren für Schlaganfälle. Sie fördern Atherosklerose, weshalb ein Screening via HbA1c-Laboranalyse ab dem 45. Lebensjahr als Standard gilt. Moderne GLP-1-Rezeptor-Agonisten wirken dabei nicht nur antidiabetisch, sondern entfalten zusätzliche gefässschützende Effekte über Gewichtsreduktion, Blutdrucksenkung und Verbesserung der Endothelfunktion. Die SELECT-Studie belegt diese erweiterten Wirkungen eindrücklich: Bei übergewichtigen, nichtdiabetischen Patienten reduzierte Semaglutid das Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse, einschliesslich Schlaganfälle, um etwa 20%.8 Damit haben GLP-1-Rezeptor-Agonisten über den klassischen Einsatz hinaus ein relevantes präventives Potenzial in der Schlaganfallprophylaxe.
Dyslipidämie
Die konsequente Behandlung der Dyslipidämie ist ein weiterer zentraler Baustein in der Schlaganfallprävention. Ein niedriges LDL-Cholesterin korreliert direkt mit einer Reduktion des Schlaganfallrisikos. Leitlinien empfehlen für die Primärprävention risikoadaptierte LDL-Zielwerte: Bei Personen mit niedrigem bis moderatem Risiko werden LDL-Werte unter 2,6–3,0mmol/l empfohlen. Hochrisikopatienten – definiert durch ein 10-Jahres-Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse von 2,5–7,5% bei <50-Jährigen bzw. ≥10% bei >50-Jährigen – sollten ein LDL-Ziel <1,8mmol/l erreichen. Bei Patient:innen mit sehr hohem Risiko (10-Jahres-Risiko ≥7,5% bzw. ≥10%) wird ein Zielwert <1,4mmol/l empfohlen.9 Dieser «The lower, the better»-Ansatz wird durch mehrere grosse randomisierte Studien auch in der Sekundärprophylaxe unterstützt. Die «Treat Stroke to Target»-Studie zeigte, dass strengere LDL-Zielwerte (<1,8mmol/l nach ischämischem Schlaganfall oder TIA bzw. <1,4mmol/l bei gleichzeitig bestehender koronarer Herzkrankheit) das Risiko für weitere kardiovaskuläre Ereignisse signifikant senken.10
In der Primärprävention richtet sich der Beginn einer cholesterinsenkenden Medikation zudem massgeblich nach dem individuellen vaskulären Gesamtrisiko. Hierbei rücken individualisierte Risikostratifizierungen in den Vordergrund. Bildgebende Verfahren wie der Karotis-Ultraschall oder die Koronar-CT-Angiografie können eine subklinische Atherosklerose frühzeitig erkennen. Die prospektive PESA-Studie belegte, dass mehr als 60% der Menschen mittleren Alters trotz unauffälliger Risikokonstellation bereits vaskuläre Veränderungen in mindestens einem Gefässterritorium aufwiesen.11 Eine weitere Studie zeigte einen deutlich höheren Nutzen von Statinen bei Patienten mit erhöhtem Koronararterienkalzium-Score (CAC) gegenüber solchen mit niedrigem oder CAC=0, was den Wert ergänzender bildgebender Marker für die Risikoabschätzung und Therapie in der Primärprävention unterstreicht.12 In Hochrisikogruppen mit insuffizientem Ansprechen auf Statine zeigten neuere PCSK9-Inhibitor-Studien mit Evolocumab (FOURIER) und Alirocumab (ODYSSEY OUTCOMES), dass eine weiterführende LDL-Senkung nicht nur koronare, sondern auch zerebrovaskuläre Ereignisse wirksam reduziert.13,14
Über klassische Lipidparameter hinaus gewinnen weitere Biomarker an Relevanz. Das Lipoprotein(a) ist ein genetisch determinierter, unabhängiger Risikofaktor für Schlaganfälle und andere atherothrombotische Erkrankungen. Daher wird ein einmaliges Screening im Erwachsenenalter empfohlen, um auch hiermit Hochrisikopatienten frühzeitig zu identifizieren und eine konsequente Risikofaktoroptimierung zu etablieren. Therapeutisch eröffnet sich hier mit neuen siRNA-basierten Substanzen wie Pelacarsen, welche zurzeit in klinischen Studien untersucht werden, eine vielversprechende therapeutische Option.
Entzündliche Prozesse
Auch das hochsensitive C-reaktive Protein (hsCRP), ein Marker für entzündliche Prozesse, gewinnt zunehmend an Bedeutung für die Abschätzung des kardiovaskulären Risikos. Die JUPITER-Studie zeigte, dass Patienten mit erhöhtem hsCRP unter Rosuvastatin eine signifikante Reduktion vaskulärer Ereignisse, darunter Schlaganfälle, erfuhren.15
Lebensstil
Neben pharmakologischen Strategien bildet die konsequente Lebensstilmodifikation unverändert die Grundlage einer wirksamen Schlaganfallprävention. Die Evidenz für körperliche Aktivität ist klar: Schon ein moderates Training im Umfang von mindestens 150 Minuten pro Woche oder regelmässig 8000 bis 10000 Schritte pro Tag reduziert das Schlaganfallrisiko signifikant.16 Neuere Metaanalysen bestätigen, dass die Dosis-Wirkungs-Beziehung linear ist – bereits moderate Steigerungen der täglichen Aktivität führen zu messbaren Vorteilen.17 Die PREDIMED-Studie hat zusätzlich die Bedeutung der Ernährung aufgezeigt: Eine mediterrane Kost, reich an ungesättigten Fettsäuren, Nüssen und Obst, reduzierte das Schlaganfallrisiko um rund 30%.18 Entsprechend sollte eine Erhebung der physischen Aktivität und der Ernährungsgewohnheiten bereits frühzeitig stattfinden.
Schlafstörungen und OSAS
Weiterhin bilden Schlafstörungen und insbesondere das obstruktive Schlafapnoesyndrom (OSAS) unabhängige Risikofaktoren für Schlaganfälle, da sie Bluthochdruck, Gefässschäden und inflammatorische Prozesse fördern. Als Screeningtool eignet sich primär ein Fragebogen wie der STOP-Bang, wobei bei Auffälligkeiten eine erweiterte Abklärung im Schlaflabor erfolgen kann.19 Da die Behandlung von Schlafstörungen eine wichtige Präventionsmassnahme zur Reduktion des Schlaganfallrisikos darstellt, sollte der Schlafstatus konsequent erhoben werden, und bei Auffälligkeiten sollte behandelt werden.
Fazit
Zusammengefasst lassen sich bis zu 90% der Schlaganfälle durch gezielte Prävention vermeiden. Die arterielle Hypertonie stellt dabei den wichtigsten Risikofaktor dar, wobei Zielwerte von unter 120–130/80mmHg empfohlen werden, um das Schlaganfallrisiko signifikant zu senken. Bei Patienten mit Diabetes oder Adipositas zeigen GLP-1-Rezeptor-Agonisten zusätzlich positive kardiovaskuläre Effekte mit deutlicher Reduktion des Schlaganfallrisikos. Die LDL-Cholesterin-Senkung folgt dem Prinzip «the lower, the better», dessen Sinnhaftigkeit sich in Studien zu Statinen und PCSK9-Inhibitoren verdeutlicht.
Das Schlaganfallrisiko stellt ein Kontinuum dar, weshalb die klassischen Risikostratifizierungen Grenzen aufweisen und eine individuelle Risikoabschätzung durch moderne Biomarker (hs-CRP, Lp[a]) sowie bildgebende Verfahren (Duplexsonografie, Herz-CT) sinnvoll ergänzt wird. Dabei spielen besonders die Einschätzung und Detektion der subklinischen Atherosklerose zur Optimierung des präventiven Nutzens mittels individualisierter Therapie eine grosse Rolle. Ergänzend sind Lebensstilfaktoren wie körperliche Aktivität, Ernährung und Schlafqualität entscheidend für die Prävention. In der Praxis kommt der Hausarzt- und Primärversorgung dabei eine Schlüsselrolle zu. Es wird ein systematisches Screening ab dem mittleren Erwachsenenalter (ab 40 bis 45 Jahren) empfohlen, wobei zunehmend auch frühere Screeningzeitpunkte in den Fokus rücken.
Literatur:
1 Bushnell C et al.: Stroke 2024; 55: e1-76 2 https://www.dgn.org/leitlinie/sekundarprophylaxe-ischamischer-schlaganfall-und-transitorische-ischamische-attacke-teil-1 ; zuletzt aufgerufen am 24.9.2025 3 Bassetti CLA et al.: The Swiss Brain Health Plan 2023–2033. Clin Transl Neurosci 2023; 7(4): 384 PROGRESS Collaborative Group: Lancet 2001; 358: 1033-41 5 The SPRINT Research Group et al.: N Engl J Med. 2015;373:2103-2116. doi:10.1056/NEJMoa1511939 6 Liu J et al.: Lancet 2024; 404: 245-55 7 https://register.awmf.org/assets/guidelines/nvl-009m_S3_Hypertonie_2023-06.pdf ; zuletzt aufgerufen am 24.9.2025 8 Wilding JPH et al.: N Engl J Med 2023; 389: 1031-44 9 Mach F et al.: Eur Heart J 2020; 41: 111-88 10 Amarenco P et al.: N Engl J Med 2020; 382: 9-19 11 Fernández-Friera L et al.: Circulation 2017; 136: 1495-509 12 Mitchell JD et al.: J Am Coll Cardiol 2018; 72: 3233-42 13 Sabatine MS et al.: N Engl J Med 2017; 376: 1713-22 14 Schwartz GG et al.: N Engl J Med 2018; 379: 2097-107 15 Ridker PM et al.: N Engl J Med 2008; 359: 2195-207 16 Li J, Siegrist J: Stroke 2012; 43: 1835-39 17 De Santis F et al.: J Neurol Neurosurg Psychiatry 2024; 95: 504-14 18 Estruch R et al.: N Engl J Med 2018; 378: e34 19 Chung F et al.: Anesthesiol 2008; 108: 812-21
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