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Universimed 2020
Fernost als Verkaufsargument
DAM
Autor:
Dr. Lutz Popper
30
Min. Lesezeit
14.07.2016
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<p class="article-intro">Seit Jahren erfreuen sich insbesondere undurchsichtige asiatische, etwa chinesische, tibetische oder indische Anwendungen zunehmender Beliebtheit. Dazu werden spezielle Wellnessaufenthalte in diesen Ländern touristisch angeboten. Übrigens auch in nord- und südamerikanischen Ländern, die ebenfalls die naturheilkundlichen Erfahrungen der Ureinwohner der jeweiligen Region als Einkommensquelle entdeckt haben.</p>
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<p class="article-content"><p>Wie unterschiedlich die Mengen und Wirkungsstärken von Substanzen in diversen Pflanzen von Ernte zu Ernte sein können, wie sehr sie meistens durch Pestizide und Insektizide belastet und verseucht sind, darüber wird kein Wort verloren. Schon gar nicht in den Internetforen und -märkten, die in dem großen Geschäft mit solchen Mitteln mitmischen und damit selbst zu bedeutenden Risikofaktoren geworden sind.<br /> Schon die Nomenklatur, beispielsweise die aus dem Chinesischen übernommene, ist oft sehr verwirrend und findet keine Analogien in unserer westlichen Schulmedizin. Konfuzius sagte, dass „richtige“ Lebensführung gesund hält, „falsche“ hingegen zu Disharmonie führt und damit krank macht? – „No na ned!“ Doch was richtig und was falsch ist, darf man sich wenigstens aussuchen. Was soll man aber mit einer Störung der Lebensenergie „Qi“ als Krankheitsursache anfangen, die wiederum eine Folge der Disharmonie zwischen „Yin“ und „Yang“ ist? Letztere beiden Absurditäten gelten laut Konfuzius (500 v. Chr.) als Parameter der Harmonie; doch was das vor Jahrtausenden bedeutet haben mag, kann unsereiner heute nicht verstehen.<br /> Und was sollen wir mit einer anderen Lehre, etwa der Diagnosestellung allein durch Sinneseindrücke, mit der Zungen- oder Pulsdiagnostik? Was mit urzeitlichen esoterischen Therapien mittels obskurer Arzneien, Akupunkturen, Ölen und Massagen? Buddha, der indische Asket Siddhartha Gautama, postulierte (auch 500 v. Chr.), dass alles Leiden aus dem Verlangen nach körperlicher Befriedigung entspringe. Die katholische Kirche unserer Breiten hingegen behauptet, dass alle Krankheit davon kommt, dass man diesem Verlangen nachgibt. Die Schulmedizin verhält sich da eher neutral oder nach Maßstäben der jeweiligen Nützlichkeit. Und noch früher, durch all die Jahrtausende vor Buddha, Konfuzius und Hippokrates, hieß es, Krankheiten würden durch Dämonen verursacht, die in den Körper eingedrungen seien.<br /> Für die Ayurveda-Medizin resultieren – und das seit 3.000 Jahren – Störungen des Gleichgewichts in unserem Leben hauptsächlich aus der gestörten Funktion von Galle, Schleim, Wind und vielen verschiedenen Pulsqualitäten. Aber natürlich auch aus der Konstellation der Sterne. In Indien ist daraus ein ganz wesentlicher Wirtschaftszweig entstanden, der ohne Zweifel den ganz wichtigen positiven Aspekt hat, dass wohlhabende Menschen aus der westlichen Welt ihr Geld in das arme Indien überführen. Dort kann man es auch, Buddha sei unser Zeuge, dringend brauchen! Es ist ohne Zweifel äußerst sinnvoll, sein Geld in Entwicklungsländern auszugeben, der Faszination von Land und Leuten zu erliegen, sich von Religion und Kultur verzaubern zu lassen. Vor dem Aberglauben und dem damit verbundenen Handel mit unqualifizierbaren Produkten sollte man sich jedoch hüten. Die Massagen nach dem Aufträufeln warmen Öls wären ja noch ganz nett und eher harmlos. Doch Einläufe damit oder das Auslösen von Erbrechen durch Einnehmen des Öls sind – wie die auch angebotenen Aderlässe – hochgefährliche Eingriffe.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1606_Weblinks_Seite27.jpg" alt="" width="423" height="646" /></p> <h2>Alternativ abnehmen</h2> <p>Ein gutes Beispiel für das grundsätzliche Versagen alternativer Medizin sind die vielen Mittel, die zur Gewichtsreduktion angeboten werden. Abmagerungswilligen wird immer eingeredet, sie könnten ohne irgendwelche nachteilige oder unangenehme Nebenwirkungen – und natürlich ohne zu darben – prompt ihre Kilos loswerden. Fettverbrennungsprogramme werden angeboten und von der wundergläubigen Kundschaft angenommen, sind aber um nichts wirksamer als die abertausend von anderen diätetischen Irreführungen.<br /> Dubiose Schlankheitspillen aus dem Internet bringen ebenso dubiosen Verkäufern Unsummen von Geld auf meist noch dubiosere Konten. Es handelt sich bei diesen Pillen fast durchwegs um illegal verkaufte Medikamente unbekannter Zusammensetzung, über die man überhaupt nichts weiß. Außer dass sie als Arzneimittel meist gar nicht zugelassen sind. Und von den oft schwerwiegenden Nebenwirkungen wird in eventuell vorhandenen Beschreibungen, die ohnehin nur Werbetexte sind, schon gar nichts erwähnt. Immer wieder liest man auch von Naturprodukten, die Wunderwirkungen entfalten sollen: ob frisch gepresster Preiselbeersaft aus der Alchimistenküche der Getränkeindustrie, Pulver aus der Kralle des Tigers – zum Glück für die Tiger eh gefälscht –, Fruchttee vom beliebten Zinnober oder was auch immer einem noch einfallen mag. Das alles darf vom Boulevard auf sogenannten Wellness- oder Lebensstilseiten als medizinisches Wundermittel gegen alles angepriesen werden.<br /> Selbst Medien, die sonst einen seriösen Eindruck machen, springen unkritisch auf diese Themen auf. Und es findet sich kaum ein Arzt, schon gar kein Funktionär der Ärztekammer, der den Mut und die moralische Kraft aufbringt, vor diesen potenziell lebensgefährlichen Ratschlägen laut zu warnen. Schlimmer noch: Man wird den Verdacht nicht los, dass wir Ärzte dabei sogar mitmachen und von den Schäden ganz gut leben, die durch unlautere und irreführende Bewerbung von Wundermitteln angerichtet werden.<br /> In einer Zeit, in der Übergewicht unsere westliche Gesellschaft zunehmend prägt, glauben immer mehr Leute aus der überfressenen Wohlstandsbevölkerung, es sich nach dem opulenten Gelage im Wellnesshotel mit ein paar obskuren Pillen wieder richten zu können. Sie sind trotz aller Warnungen nicht bereit, darüber nachzudenken, dass diese Menge an fetter, süßer Nahrung, oft genug durch Alkohol potenziert und durch alle möglichen Medikamente verändert, gefährliche Effekte hat. Und sie wollen sich nicht im Traum darauf einlassen, das einzig Wirksame zu tun: weniger zu essen!</p></p>
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