
Neoplasien von Sehnen, Sehnenscheiden, Bändern und Faszien – ein Überblick
Autoren:
Dr. Johannes Neugebauer
Priv.-Doz. Dr. Marko Bergovec
Prof. Dr. Dietmar Dammerer, MSc, PhD
Klinische Abteilung für Orthopädie und Traumatologie, Universitätsklinikum Krems
Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften, Krems Donau-Universität Krems
Korrespondierender Autor:
Dr. Johannes Neugebauer
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Neubildungen an Sehnen, Sehnenscheiden sowie Bändern und Faszien sind häufig, jedoch selten bösartig. Umso wichtiger ist es daher, sie als Differenzialdiagnose in Betracht zu ziehen. Eben weil die benignen Neubildungen des Bewegungsapparates um ein Vielfaches häufiger sind und zudem ein heterogenes Erscheinungsbild aufweisen, sollten diagnostische und therapeutische Algorithmen eingehalten werden, um eine Über- oder Minderversorgung zu vermeiden.
Keypoints
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Vor einer chirurgischen Intervention ist eine Bildgebung, idealerweise eine Schnittbildgebung (z.B. MRT), unbedingt erforderlich.
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Gutartige Neubildungen sind wesentlich häufiger als bösartige und zeigen ein heterogenes Erscheinungsbild.
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Sofern eine Biopsie notwendig ist, sollte der Biopsieweg immer in Abstimmung mit einem Tumororthopäden/einer Tumororthopädin erfolgen.
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Die „whoops lesion“ bezeichnet eine marginale oder sogar intraläsionale Resektion eines bösartigen Tumors.
Um keine vermeintlich gutartigen Tumoren zu resezieren und im Sinne einer „whoops lesion/procedure“ eine marginale oder sogar intraläsionale Resektion eines bösartigen Tumors durchzuführen, muss eine entsprechende präoperative Diagnostik (Schnittbildgebung, z.B. MRT) durchgeführt werden. Bei radiologischen Hinweisen auf Malignität oder unsicherem Befund hinsichtlich Malignität ist es obligat, eine Biopsie durchzuführen. Die Planung der Biopsie sollte unbedingt in Absprache mit einem Tumororthopäden/einer Tumororthopädin erfolgen. Denn als Faustregel gilt, dass der Biopsieweg den weiteren operativen Zugangsweg und das spätere funktionelle Outcome festlegt.
Vermutlich ihrer guten Zugänglichkeit geschuldet (99% der benignen Weichteiltumoren zeigen sich in oberflächlichen Strukturen)1 werden Operationen am extraartikulären Bewegungsapparat verhältnismäßig häufig durchgeführt.2 Die dabei entstehenden Präparate zeigen, dass Ganglien, Fibromatosen, Tendovaginitiden und rupturiertes Sehnengewebe den Großteil der histopathologischenPräparate darstellen.2 Maligne Tumoren sind selten und tuberkulotische, eitrige und uratinduzierte Synovitiden sind außergewöhnliche Diagnosen.2 Zu den gutartigen Tumoren, welche gehäuft im Bereich der Hand auftreten, gehörenFibrome, Fibrolipome und Myxofibrome, seltener Lipome, Elastofibrome, Desmoide und Xanthome. Extrem selten sind Osteochondrome, die von Fingerbeugesehnenscheiden ausgehen.3 Faszienosteome sind dem Anschein nach verknöcherte Sarkome.3 Uneinigkeit besteht in der Literatur darüber, ob Ganglien die Kriterien eines Tumors überhaupt erfüllen und an dieser Stelle eventuell ausgegrenzt gehören.3 Maligne Tumoren werden in primäre und sekundäre Tumoren unterteilt. Fibrosarkome der Faszien sind hier ein häufiges Beispiel, deutlich seltener sind Sarkome der Synovia wie z.B. das maligne Synovialiom.3 Myxofibrosarkome können mitunter auch Schleimbeutel befallen.3 Eine Metastasierung in die oben beschriebenen Gewebe ist eine absolute Rarität.3
Prävalenz
Die Prävalenz gutartiger Weichteiltumoren wird mit 300 pro 100000 Einwohnern beziffert, wobei Fachkreise von einer wesentlich höheren Zahl ausgehen, da bei angenommener Benignität in vielen Fällen auf eine histologische Aufarbeitung verzichtet wird.4 Somit bleibt die genaue Inzidenz unklar. Häufig vorkommende Tumoren sind lipomatöse Tumoren (ca. 33%), fibröse/fibrohistiozytäre Tumoren (ca. 33%), vaskuläre Tumoren (ca. 10%) sowie Nervenscheidentumoren (ca. 5%).1,5 Die Ätiologie der benignen Tumoren des Bewegungsapparates ist ebenfalls in den meisten Fällen ungeklärt. Syndromkomplexe sind bekannt; so weisen Patient:innen mit Neurofibromatose eine erhöhte Affinität zur Bildung von Schwannomen oder Neurofibromen auf.
Der tenosynoviale Riesenzelltumor (TSRZT), welcher im deutschsprachigen Raum früher als PVNS (pigmentierte villonoduläre Synovitis) bezeichnet wurde, stellt wohl mit ca. 1,8 Neuerkrankungen pro 100000 Einwohnern pro Jahr die größte Gruppe an Läsionen dieser Art am Bewegungsapparat dar. Der Nomenklatur der WHO folgend soll der Terminus PVNS nicht mehr verwendet werden, da es sich histologisch um dieselbe Entität wie TSRZT handelt.6–9 Der TSRZT der Weichteile darf nicht mit dem des Knochens verwechselt werden. Der TSRZT kann ursächlich für synoviale Verdickungen und ein Überwachsen sein, wie in Abbildung 1 dargestellt. Normalerweise produziert die Synovia eine kleine Menge einer viskösen Flüssigkeit, welche die Gelenke bzw. den Knorpel „schmiert“ und so zu einem physiologischen Bewegungsablauf beiträgt. Der TSRZT produziert vermehrt diese Flüssigkeit, was Schwellung und Schmerz nach sich zieht. Oftmals wird dieser Zustand mit Erkrankungen aus dem rheumatoiden Formenkreis verwechselt. Im Falle des Vorliegens eines TSRZT ist die Dunkelziffer groß.8 Diese gutartigen Tumoren entstehen aus synovialem Gewebe: Gelenken, Sehnenscheiden oder Bursen. Große Unterschiede gibt es im lokalen Verhalten, man unterscheidet eine lokal aggressive (diffuse) von einer nodulären Wachstumsform (Abb. 2). Eine Metastasierung oder eine sarkomatöse Transformation sind extrem selten. Die diffuse Form wird von vielen als schwieriger in der Behandlung wahrgenommen, da sie destruktiver wächst und eine höhere Rezidivrate hat.10–12
Abb. 1: MRT eines tenosynovialen Riesenzelltumors (TSRZT) des Musculus tibialis posterior
Abb. 2: MRT-Bilder eines intra- und extraartikulären TSRZT am Kniegelenk
Klinik
Zu den Benignitätskriterien gehören langsames und nicht infiltratives Wachstum, was dazu führt, dass ein Großteil der benignen Tumoren unentdeckt bleibt. Eine von Patienten häufig und irrtümlich angenommene Assoziation zu Traumata kann wissenschaftlich nicht belegt werden. Die raumfordernde Schwellung oder Zufallsbefunde nach Traumata führen oft zur weiterführenden Diagnostik, selten werden Schmerzen durch die Raumforderung selbst hervorgerufen. Jedoch kann eine progrediente Strukturveränderung eine Störung der Biomechanik bewirken und so schmerzhafte Reizzustände herbeiführen, z.B. Kompression von Weichteil- und Neuronalstrukturen, Periostdehnung oder mechanisch bedingte entzündliche Veränderungen. Die Schmerzananmese kann für den Diagnostiker insofern hilfreich sein, als langandauernde Prozesse mit mildem Beschwerdebild eher für benigne Prozesse charakteristisch sind, hingegen kurzzeitige Schmerzexazerbationen und schnelle (vor allem auch schmerzlose) Progredienz, z.B. Größenzunahme, eher maligne Prozesse vermuten lassen. In jedem Fall sollte ein Beschwerdebild von Schmerzen oder Schwellung von mehr als vier Wochen ohne erklärbares Korrelat zu einer weiterführenden Diagnostik anleiten. Die Einteilung nach Enneking et al. gliedert die Raumforderungen nach ihrem jeweiligen Aktivitätsmuster in drei Stadien:13
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Stadium I (latentes Stadium): meist Zufallsbefunde
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Stadium II (aktives Stadium): Progredienz des Wachstums, Schmerzen sind möglich
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Stadium II (aggressives Stadium): Die meist rasche Größenprogredienz verursacht eine „kurze“ Schmerzanamnese.
Differenzialdiagnostisch sollten stets entzündliche Prozesse mit lokaler Rötung, Schwellung (unspezifisch), Überwärmung und Funktionseinbuße sowie metastatische Absiedelungen, sofern ein Primum bekannt ist, ausgeschlossen werden. Die Mehrzahl der Weichteiltumoren wird als schmerzlos beschrieben, jedoch können insbesondere die Myositis ossificans, Nervenscheidentumoren, Angiolipome oder auch Hämangiome in ihren Anfangsstadien schmerzhaft sein.1
Diagnostik
Am Anfang einer jeden Diagnostik steht die Anamnese, gefolgt von einer klinischen Untersuchung. Da 99% der benignen Weichteiltumoren in oberflächlichen Strukturen liegen,1 sind sie einer klinischen Untersuchung und Palpation (eher benigne: weich und gut verschieblich; eher maligne: derb, hart und schlecht verschieblich) zugänglich und weisen eine Größenausdehnung von meist weniger als 5cm auf.1,5 Weichteilsarkome liegen in etwa ¾ der Fälle subfaszial und habeneinen durchschnittlichen Durchmesser von >5cm bis ca. 10cm.1,5 Besteht initial noch Unklarheit, kann die Sonografie als ubiquitär verfügbare, kostengünstige und dynamische Untersuchung Aufschluss bringen, ob eine weiterführende Abklärung invasiv oder nichtinvasiv nötig ist. Klar sollte an dieser Stelle sein, dass die kontrastmittelunterstützte Magnetresonanztomografie den Goldstandard in der Abklärung von unbekannten Raumforderungen vor allem in Bezug auf Weichgewebe darstellt und einer geplanten Biopsie immer voranzustellen ist. Die Biopsie und ihr Weg sind stets mit einem Tumororthopäden/einer Tumororthopädin zu planen, da sie bei einer eventuellen Resektion den operativen Zugangsweg vorgibt. Eine interdisziplinäre Absprache muss bei radiologisch unterstützten Gewebegewinnungen (CT-gezielt/sonografisch unterstützt) erfolgen. Wir schlagen die diagnostische Abfolge in Anlehnung an Hardes et al. vor, wie in Abbildung 3 angeführt.1 Zudem empfehlen wir bei jeder operativen Entfernung einer Raumforderung unklarer Dignität dringend, Gewebe zur histologischen Aufarbeitung zu versenden sowie bei bestätigter Malignität eine Staging-Untersuchung durchzuführen.
Therapie
Die Dignität der Raumforderung bestimmt die Therapie und kann ebenfalls nach Enneking et al. in vier Resektionsgrade in Bezug auf den jeweiligen Resektionsrand unterteilt werden:13
Während bei der intraläsionalen Resektion Tumorzellen in situ verbleiben, wird bei der marginalen Resektion zwar bereits von einer R0-Resektion ausgegangen, doch liegt bei dieser Form die Resektionslinie im Grenzgebiet zwischen Tumor und seiner reaktiven Zone sowie gesundem Gewebe. Es kann also sein, dass Tumorzellen in dieser reaktiven Zone zurückbleiben. Diese beiden Resektionsformen sind die Domäne der benignen Raumforderungen. Bei der weiten Resektion wird ein ausreichend großer Sicherheitsabstand zur reaktiven Zone eingehalten und der Tumor im Gesunden reseziert. Bei der radikalen Resektion wird das gesamte tumortragende Kompartiment reseziert. Benigne Tumoren bedürfen nur in Ausnahmefällen einer weiten Resektion, radikale Resektionen finden hier praktisch keine Anwendung.
Zusammengefasstistdie Hauptindikationfür die Therapie der benignen Neoplasien das Beschwerdebild des Patienten. Kommt man in Kontakt mit einem entsprechenden Beschwerdebild, empfiehlt es sich, den o.g. diagnostischen Algorithmus einzuhalten, um primär benigne von malignen Neoplasien zu unterscheiden. Bei Malignitätsverdacht empfiehlt sich immer der Verweis an ein entsprechendes Zentrum, z.B. das Universitätsklinikum Krems. Ebenfalls zu resümieren ist, dass die Neoplasien der Sehnen, der Sehnenscheiden, der Bänder und der Faszien mit einer großen Mehrheit gutartig sind und die chirurgische Sanierung aufgrund der guten Zugänglichkeit die Therapie der Wahl bei Beschwerden ist, dass man aber dennoch nicht auf eine sorgfältige Abklärung und postoperative Aufarbeitung verzichten darf.
Prognose und Nachsorge
Die Prognose benigner Neoplasien des Bewegungsapparates ist großteils sehr gut, die der malignen variiert sehr stark in Abhängigkeit von Entität/Grading/Staging etc. des Tumors. Während bei benignen Läsionen je nach histopathologischem Ergebnis auf eine Nachsorge ganz verzichtet werden kann, empfiehlt es sich hier dennoch, innerhalb der ersten 6 Monate postoperativ eine „Abschlusskontrolle“ mittels MRT lokal durchzuführen. Sie dient der postoperativen Dokumentation und kann bei Rezidiv als Referenz herangezogen werden. Maligne Tumoren sollten im Rahmen der Tumornachsorge engmaschig (alle 3 Monate) nachkontrolliert werden, wobei ein lokales MRT und Staging-CT (Thorax evt. inkl. Abdomen) bzw. Sonografie des Abdomens in den ersten zwei Jahren postoperativ empfohlen werden.
Literatur:
1 Hardes J et al.: Benigne Tumore der Bewegungsorgane. https://eref.thieme.de/KVAYS (accessed on 15 August 2023) 2 Mohr W: Krankheiten der Sehnen, Sehnenscheiden und Bänder. In: Mohr W (Ed.): Pathologie des Bandapparates; Spezielle pathologische Anatomie, Bd. 19; Springer 1987, Berlin, Heidelberg; S. 59-275 3 Wessinghage D: Neoplasmen von Sehnen, Sehnenscheiden, Bändern, Faszien. In: Aufdermaur M et al. (Eds.): Rheumatologie C, Spezieller Teil II, Wirbelsäule, Weichteile, Kollagenerkrankungen; Handbuch der inneren Medizin 6/2/C; Springer 1983, Berlin, Heidelberg; S. 498-9 4 Orthinform.de: Knochen- und Weichteiltumore: Ursachen, Diagnose, Therapien; https://orthinform.de/lexikon/knochen-und-weichteiltumore (accessed on 15 August 2023) 5 Breitenseher M et al.: Bildgebende Diagnostik und Therapie der Weichteiltumoren: mit pathologischer Klassifikation, Nuklearmedizin, interventioneller Therapie; Thieme 2008 6 Fletcher CDM et al. (Eds.): Pathology and genetics of tumours of soft tissue and bone: WHO classification of tumours; IARC Press 2002, Lyon 7 Stacchiotti S et al.: Best clinical management of tenosynovial giant cell tumour (TGCT): a consensus paper from the community of experts. Cancer Treat Rev 2023; 112: 102491 8 Mastboom MJL et al.: Higher incidence rates than previously known in tenosynovial giant cell tumors: a nationwide study in the Netherlands. Acta Orthop 2017; 88(6): 688-94 9 Mastboom MJL et al.: Surgical treatment of localized-type tenosynovial giant cell tumors of large joints: a study based on a multicenter-pooled database of 31 international sarcoma centers. J Bone Joint Surg Am 2019; 101(14): 1309-18 10 Dürr HR: Die pigmentierte villonoduläre Synovialitis. Orthopädie & Rheuma 2007; 1: 32-5 11 Fang Y, Zhang Q: Recurrence of pigmented villonodular synovitis of the knee. Medicine (Baltimore) 2020, 99(16): e19856 12 Gouin F, Noailles T: Localized and diffuse forms of tenosynovial giant cell tumor (formerly giant cell tumor of the tendon sheath and pigmented villonodular synovitis). Orthop Traumatol Surg Res 2017; 103(1S): S91-7 13 Enneking WF et al.: A system for the surgical staging of musculoskeletal sarcoma. Clin Orthop Relat Res 1980; (153): 106-20
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