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Erfahrungen am Universitätsklinikum Krems

Opferschutz an einer Unfallambulanz

Seit 2020 steigt die Zahl der ermordeten Frauen in Österreich an. ImJahr 2023 gab es einen neuen Höchststand von 42 Frauenmorden, somit werden etwa drei Frauen monatlich ermordet. Das Thema Opferschutz ist daher so akut wie noch nie.

Keypoints

  • Im Jahr 2023 gab es einen neuen Höchststand von 42Frauenmorden.

  • Die Aufgabe einer Opferschutzgruppe beinhaltet die Sensibilisierung für häusliche Gewalt, die Früherkennung von Betroffenen, die gerichtstaugliche Dokumentation und die Vermittlung an Beratungsstellen oder Schutzeinrichtungen.

  • Man sollte besonders auf Red Flags achten, wie verschiedene Verletzungen unterschiedlichsten Alters, in Bezug auf das Verletzungsmuster unschlüssige Anamnesen, verzögertes Aufsuchen einer Ärztin bzw. eines Arztes nach einer Verletzung und übermäßig aufmerksame Partner oder Erziehungspersonen, die etwa für die Patientin bzw. den Patienten sprechen wollen.

  • Ansprechen hilft – Angst, Scham, Schuldgefühle und Furcht vor Stigmatisierung führen oft zu Schweigen. Wir leben nach dem Motto der LGA: „Hinschauen statt wegschauen. Gemeinsam gegen Gewalt.“

Fachkräfte des Gesundheitspersonals sind oft die ersten Ansprechpersonen für Gewaltopfer, gehäuft an Unfallambulanzen und Abteilungen für Gynäkologie sowie Kinderheilkunde. Es ist deshalb wichtig, dass besonders dieses Personal für Anzeichen häuslicher Gewalt geschult wird. Seit 2011 besteht in österreichischen Krankenanstalten die gesetzliche Verpflichtung zur Implementierung von „Opferschutzgruppen für volljährige Betroffene häuslicher Gewalt“.

Am Universitätsklinikum Krems besteht die Opferschutzgruppe aus vielen Kolleginnen und Kollegen verschiedener Bereiche, hier sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Pflege, der Medizin, dem Psychologischen Dienst und der Sozialarbeit vertreten. Die Aufgabe einer Opferschutzgruppe beinhaltet die Sensibilisierung der medizinischen und pflegerischen Berufsgruppen für häusliche Gewalt, die Früherkennung von Betroffenen, die gerichtstaugliche Dokumentation von Gewaltfolgen und die Vermittlung an psychosoziale Beratungsstellen oder Schutzeinrichtungen.

Weltweite UN-Kampagne

Zu Beginn der Neuorganisation der Opferschutzgruppe im Universitätsklinikum Krems haben sich die Mitglieder in jeder Abteilung des Universitätsklinikums Krems vorgestellt, um somit die Präsenz der Opferschutzgruppe im Klinikum zu zeigen. Somit konnten auch Ansprechpartnerinnen und -partner in jeder Abteilung aus den Bereichen Medizin und Pflege definiert werden. Die Aktion „Orange the World“ wird ebenfalls jedes Jahr genutzt, um das Personal hinsichtlich des Themas „häusliche Gewalt“ zu sensibilisieren. „Orange the World“ ist eine weltweite UN-Kampagne, welche seit dem Jahr 1991 auf Gewalt gegen Frauen und Mädchen aufmerksam macht. Sie startet am 25. November, dem Internationalen Tag zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen, und endet am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte. 2024 wurde seitens des Klinikums eine gemeinsame Kampagne mit Schulen in Krems gestartet. Die Jugendlichen fertigten Plakate zu den Themen „häusliche Gewalt“ und „Gewalt an Frauen“ an, welche dann im Eingangsbereich des Krankenhauses präsentiert wurden.

Ausführliche Dokumentation ist wichtig

Bezogen auf die Dokumentation der stattgefundenen Gewalt spielt die Unfallambulanz und bei Sexualstraftaten die Gynäkologie eine besondere Rolle. Die Dokumentation sollte nicht nur schriftlich erfolgen, auch eine umfassende Fotodokumentation ist besonders wichtig. Gegebenenfalls ist es auch sinnvoll, Patientinnen und Patienten im Verlauf zu Kontrollen wiederzubestellen, um eine Überprüfung von Hämatomen sicherzustellen, die sich eventuell noch nicht abgezeichnet haben. Weiters gehört auch die Abnahme von Abstrichen dazu, wobei Sexualdelikte von der Gynäkologie betreut werden. Bei Verdacht auf K.-o.-Tropfen ist eine Abnahme von Harn und Blut erforderlich. Im Falle des Todes, einer schweren Körperverletzung, des Verdachts auf eine Vergewaltigung oder einer Misshandlung von Kindern oder beeinträchtigten wehrlosen Volljährigen besteht eine Anzeigepflicht. Eine Anzeige darf nur bei mündigen, volljährigen Personen unterlassen werden, sofern keine unmittelbare Gefahr für die Person oder eine andere Person besteht und die klinisch-forensischen Spuren gesichert wurden.

Im Rahmen der Jour-fixe-Fortbildungen der orthopädischen und traumatologischen Abteilungen werden auch regelmäßig Fortbildungen von Mitgliedern der Opferschutzgruppe durchgeführt. Geplant sind weitere Fortbildungen für Kolleginnen und Kollegen, welche sich in Ausbildung für Allgemeinmedizin befinden. Seitens der NÖ Landesgesundheitsagentur werden ebenfalls Seminare („Opferschutz und Gewaltprävention“) zur Fortbildung für Opferschutzbeauftragte angeboten. Zudem bietet die Opferschutzgruppe Fortbildungen für das gesamte Personal an. Im Oktober 2023 fand ein gut besuchter Vortrag des Gerichtsmediziners Dr. Christoph Reisinger (Medizinische Universität Wien) statt, welcher sich mit dem Thema „Spurensicherung“ beschäftigte. Im Oktober 2024 konnten zwei weitere, von der Opferschutzgruppe organisierte, externe Fortbildungen angeboten werden. Anfang Oktober wurde das Thema „Arten der Gewalt im Alter erkennen“ von Prof. Andrea Berzlanovich behandelt, Mitte Oktober erläuterte der Jurist Dr. Halmich das Thema „Gewalt an Mitarbeitern“. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Opferschutzgruppe wurden zudem Selbstverteidigungskurse organisiert und die Etablierung einer ausgebildeten Forensic Nurse wurde forciert. Weiters ist die Opferschutzgruppe stets bei den Vernetzungstreffen, welche von der Polizei organisiert werden, vertreten. Der Austausch in Bezug auf diese Thematik ist besonders wichtig, um aus den Erfahrungen anderer zu lernen.

Zwischen den Zeilen lesen

Der Arbeitsalltag in einer unfallchirurgischen Ambulanz ist oft stressig und hektisch. Es ist jedoch trotzdem wichtig, Patientinnen und Patienten sorgfältig zu betreuen und zwischen den Zeilen zu lesen. Manchmal verbirgt sich hinter einem harmlos scheinenden blauen Fleck doch mehr. Gewaltopfer stellen sich oft vor, ohne Misshandlungen direkt anzusprechen – Angst, Scham, Schuldgefühle und Furcht vor Stigmatisierung führen oft zu Schweigen. Red Flags, die einen stutzig machen sollten, sind verschiedene Verletzungen unterschiedlichsten Alters wie etwa Hämatome in unterschiedlichen Färbungen, in Bezug auf das Verletzungsmuster unschlüssige Anamnesen, verzögertes Aufsuchen einer Ärztin bzw. eines Arztes nach einer Verletzung und übermäßig aufmerksame Partnerinnen oder Partner sowie Erziehungspersonen, die etwa für die Patientin oder den Patienten sprechen wollen. Im letzteren Fall hat es sich bewährt, die Patientin bzw. den Patienten von dem Angehörigen zu trennen und alleine anzusprechen. Dies kann zum Beispiel im Zuge einer Röntgenuntersuchung passieren, oder man bestellt die Patientin bzw. den Patienten ausdrücklich alleine erneut zu einem Kontrolltermin. Sollte es sich bei der Patientin bzw. dem Patienten um ein minderjähriges Kind handeln und scheinen die Angaben des Erziehungsberechtigten nicht schlüssig zu sein, kann eine stationäre Aufnahme zur klinischen Observanz erfolgen. Aber auch Patientinnen und Patienten, welche einen gewalttätigen Partner haben und sich aufgrund stattgehabter häuslicher Gewalt vorstellen, bieten wir großzügig die stationäre Aufnahme an. Somit kann im Regeldienst auch leichter, im Verlauf über den psychologischen Dienst, der Kontakt zu weiteren Hilfsorganisationen hergestellt werden.

Besondere Bedeutung: Frage nach „Dr. Viola“

Im August 2021 wurde in der Klinik Innsbruck der Hilferuf „Ich muss zu Dr. Viola“ etabliert. Dieser Satz ist ein Code, der dem gesamten Krankenhauspersonal bekannt ist und Opfern von Gewalt hilft, sich mitzuteilen, wenn sie sich eventuell in Begleitung von der bedrohenden Person befinden. Am Universitätsklinikum Krems gibt es derzeit Überlegungen, diesen Code ebenfalls zu etablieren. Somit könnte eine einfache und effektive Möglichkeit geschaffen werden, Patientinnen und Patienten, welche Hilfe benötigen, zu identifizieren. Ein weiterer bekannter Code ist das Handzeichen, bei welchem zuerst die Handfläche sichtbar ist, der Daumen abduziert, dann in die Handfläche gelegt und abschließend die Faust geschlossen wird. Es ist selbstverständlich enorm wichtig, dass hier das gesamte Personal im Krankenhaus für diese Hilferufe geschult und sensibilisiert wird, angefangen beim Portier bis hin zu den Schreibkräften, dem Reinigungspersonal, der Pflege und Ärztinnen und Ärzten. Weiters haben sich bereits an der Innsbrucker Klinik konkrete Screeningfragen bewährt:

  • „Weiß jemand, dass Sie hier sind?“

  • „Soll jemand nicht wissen, dass Sie hier sind?“

  • „Bereitet Ihnen jemand Angst?“

Es konnte die Erfahrung gemacht werden, dass es Patientinnen und Patienten schätzen, wenn sie befragt werden. Hierbei können kaum negative Rückmeldungen vermerkt werden. Die Patientinnen und Patienten treten dem Personal eher mit Wertschätzung entgegen und sehen ebenfalls die Notwendigkeit der Sensibilisierung für häusliche Gewalt.

bei den Verfassern

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