Familienzentrierte Frühintervention bei Kindern mit Hörstörungen
Autoren:
Prim. MR Priv.-Doz. Dr. Johannes Fellinger
Priv.-Doz. Dr. Daniel Holzinger
Institut für Sinnes- und Sprachneurologie
Barmherzige Brüder
Konventhospital Linz
E-Mail: johannes.fellinger@bblinz.at
E-Mail: daniel.holzinger@bblinz.at
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Ein flächendeckendes Neugeborenenhörscreening gefolgt von zeitnaher Diagnosestellung und früher Aufnahme der Familien in ein kompetentes Interventionsprogramm für Kinder mit Hörstörungen stellt eine optimale Voraussetzung für eine dem gesamten Leistungsprofil und dem Alter entsprechende sprachliche, kognitive und sozioemotionale Entwicklung dar. Die klinische Praxis lässt aber erkennen, dass dieses Potenzial frühestmöglicher Unterstützung oft nicht ausgeschöpft wird.
Keypoints
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Die Unterstützungsleistungen für Säuglinge und Kleinkinder mit Entwicklungsherausforderungen bestehen im Optimalfall aus einem familienzentrierten Frühinterventionsprogramm, das medizinisch audiologische Interventionen und Förderung der Selbstwirksamkeit der Familien kombiniert.
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In den Interventionsprogrammen des Krankenhaus Barmherzige Brüder Linz werden betroffene Familien innerhalb von 48 Stunden nach Diagnosestellung kontaktiert und sachlich kompetent und multidimensional begleitet.
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Die Betreuung der Familien besteht u.a. aus einem Kommunikationscoaching der Eltern, Hilfen im Umgang mit der Hörtechnik und nicht zuletzt durch eine sozial-emotionale Begleitung.
Zwei von 1000 Kindern werden in westlichen Ländern mit ein- oder beidseitigen Hörstörungen unterschiedlichen Ausmaßes geboren.1 Bei ungefähr einem Drittel von ihnen liegen weitere relevante Beeinträchtigungen vor.2
Für die meisten Eltern stellt die frühe Diagnose einer Hörstörung eine erhebliche emotionale Belastung dar – ist doch die Hoffnung, dass bei ihrem Kind alles in Ordnung ist, zerstört. Die Unterstützung bei der Wiedererlangung einer positiven psychosozialen Befindlichkeit und die Stärkung der Selbstwirksamkeit der Eltern, insbesondere in Hinblick auf das Gelingen der Eltern-Kind-Interaktion, sind neben der fachkundigen Anleitung in der Verwendung von Hörgeräten zentrale Aufgaben einer kompetenten Frühintervention. Gemäß den Empfehlungen des Joint Committee on Infant Hearing haben sich die 1/3/6-Monats-Benchmarks für den Abschluss des Screenings innerhalb des 1.Monats, den Abschluss des diagnostischen Prozesses mit dem 3.Monat und den Beginn der familienzentrierten Frühintervention vor dem 6.Monat international durchgesetzt.3 Hierbei ist festzuhalten, dass für High-Income-Länder mit flächendeckendem Hörscreening von Neugeborenen zunehmend die 1/2/3-Monats-Benchmarks als Zielvorstellung gelten.
Wesentliche Elemente der evidenzbasierten familienzentrierten Frühintervention
Unter Frühintervention versteht man ein System von Dienst- und Unterstützungsleistungen, die für Babys und Kleinkinder mit Entwicklungsherausforderungen und ihre Familien zur Verfügung stehen. Für Kinder mit Hörstörungen beschreiben internationale Best-Practice-Dokumente ein familienzentriertes Frühinterventionsprogramm als Kombination von medizinisch-audiologischen Interventionen und der Förderung der Selbstwirksamkeit der Familien – sind es doch die Familien, die bei Weitem die meiste Zeit mit dem Kind verbringen.4
Studien zur Wirksamkeit von Frühintervention zeigen, dass der entscheidende Mediator zwischen der Selbstwirksamkeit der Eltern und der Entwicklung des Kindes die Qualität und die Quantität der Eltern-Kind-Interaktion sind. Es konnte gezeigt werden, dass Mütter von Kindern mit Hörstörungen, die sich selbst als kompetent in Hinblick auf die Sprachförderung ihres Kindes erleben, tatsächlich Sprachförderstrategien auf einem Niveau anbieten können, das mit besseren Sprachentwicklungsergebnissen der Kinder im Zusammenhang steht. In einer unlängst veröffentlichten Metaanalyse konnte gezeigt werden, dass die Qualität und die Quantität des elterlichen sprachlichen Inputs in den ersten viereinhalb Jahren nach der Cochlea-Implantation 31,7% der Varianz des sprachlichen Outcomes erklären.5
In dem vorgestellten Modell einer familienzentrierten Frühintervention wird versucht, die Komplexität der Aufgaben der Frühintervention und ihre vielfache Wirkungsweise zu skizzieren (Abb.1).6 Spezialisierte Ausbildung, Fähigkeit zur multiprofessionellen Zusammenarbeit im Netzwerk und qualitätssichernde Standards sind Voraussetzungen, um familienzentrierte Frühintervention verantwortungsvoll anzubieten.
Abb. 1: Modell familienzentrierter Frühintervention (modifiziert nach Holzinger D et al. 2022)6
Der zentrale Wirkfaktor der Eltern-Kind-Interaktion wird durchvideounterstütztes Kommunikationscoaching der Eltern (zur optimalen Anpassung der Elternsprache und der elterlichen Kommunikationsstrategien an das Sprachverständnisniveau und die Sprachperzeption des Kindes) unterstützt, zudem durch Hilfen im Umgang mit der Hörtechnik und nicht zuletzt durch eine sozial-emotionale Unterstützung der Familie. Wiedererlangtes Wohlbefinden der Familie und Freude an der Interaktion mit ihrem Kind sind wesentliche Voraussetzungen für förderliche Eltern-Kind-Kommunikation.
Das Hörscreening von Neugeborenen wird mittels Nachweis von otoakustischen Emissionen oder mittels Hirnstammaudiometrie durchgeführt.
Frühinterventionsangebote sind in den österreichischen Bundesländern unterschiedlich organisiert. Aktuell laufen Bemühungen, die Kooperationen zu vertiefen (z.B. Fachakademie Hörfrühintervention, https://www.barmherzige-brueder.at/portal/issn/fachakademie ).
Oft ist man sich ärztlicherseits zu wenig bewusst, dass das Alter des Kindes bei Beginn der familienzentrierten Frühintervention einen signifikanten Einfluss auf die Sprachentwicklung hat, wie unlängst eine multizentrische Studie für Kinder mit Connexin-26-assoziierten Hörschädigungen gezeigt hat.7 Im Familienzentrierten Linzer Interventionsprogramm (FLIP) und bei der nach dem gleichen Konzept arbeitenden Hörfrühförderung NÖ (beide Krankenhaus Barmherzige Brüder Linz) wird durch Kontaktaufnahme mit der Familie innerhalb von 48 Stunden nach Diagnosestellung den internationalen Leitlinien Rechnung getragen und damit „die Reise der Familie“ fachlich kompetent und multidimensional begleitet.
Literatur:
1 Butcher E et al.: Prevalence of permanent childhood hearing loss detected at the universal newborn hearing screen: systematic review and meta-analysis. PLoS One 2019; 14: e0219600 2 Gallaudet Research Institute (GRI): Regional and national summary report of data from the 2009-10 Annual Survey of Deaf and Hard of Hearing Children and Youth. Washington DC: GRI Gallaudet University, 2011. p12; https://research.gallaudet.edu/Demographics/2010_National_Summary.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.4.2023) 3 Joint Committee on Infant Hearing: Year 2019 Position Statement: Principles and guidelines for early hearing detection and intervention programs. J Early Hear Detect Intervent 2019; 4: 1-44 4 Moeller MP et al.: Best practices in family-centered early intervention for children who are deaf or hard of hearing: an international consensus statement. J Deaf Stud Deaf Educ 2013; 18: 429-45 5 Holzinger D et al.: The impact of family environment on language development of children with cochlear implants: a systematic review and meta-analysis. Ear Hear 2020; 41: 1077-91 6 Holzinger D et al.: Multidimensional family-centred early intervention in children with hearing loss: a conceptual model. J Clin Med 2022; 11: 1548 7 Holzinger D et al.: Predictors of early language outcomes in children with connexin 26 hearing loss across three countries. Children 2022; 9: 990
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