
„Wir befinden uns in der Behandlung der TRD an einem Wendepunkt“
Das Interview führte:
Dr. Gabriele Senti
Unser Gesprächspartner:
em. o. Univ.-Prof. Dr.h.c.mult. Dr. Siegfried Kasper
Emeritierter Vorstand der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Medizinische Universität Wien
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Neuerungen auf dem Gebiet der Behandlung der therapieresistenten Depression (TRD) haben ein österreichisches Autorenteam unter der Leitung von Prof. Siegfried Kasper veranlasst, ein grundlegend überarbeitetes Konsensus-Statement1 zu verfassen.
Der letzte Konsensus zur TRD stammt aus 2017. Warum war eine Überarbeitung notwendig?
S. Kasper: Im Konsensus von 2017 haben wir kurz die Neuerungen in der Depressionsbehandlung, betreffend das GABAerge und glutamaterge Neurotransmittersystem, besprochen. Der damals ganz neuen Therapie mit intravenösem Ketamin wurde dabei ein eigenes Kapitel gewidmet. In der Zwischenzeit wurden Studien dazu publiziert und die amerikanische und die europäische Zulassungsbehörden, FDA und EMA, haben das intranasale Esketamin zugelassen. Dadurch sahen wir die Notwendigkeit einer Überarbeitung.
Wie ordnen Sie Esketamin in die Palette der anderen Therapieoptionen ein?
S. Kasper: Mit Esketamin hat ein ganz neuer Wirkmechanismus Einzug in die Psychiatrie gehalten. Bisher standen das serotonerge und das noradrenerge Neurotransmittersystem im Fokus. Nun kommt auch das glutamaterge System hinzu. Das erinnert mich daran, als vor 30 Jahren die SSRI eingeführt wurden. Damals hat man diese Substanzklasse infrage gestellt, heute werden 95 % aller Patienten auf Basis dieses Wirkmechanismus behandelt. Ich glaube, zurzeit ist wieder so ein „turning point“, weil das Wirkprinzip von Esketamin zu einem rascheren Wirkungseintritt führt als die bisher üblichen Medikamente.
Werden im Konsensus auch Neuerungen bei den nichtmedikamentösen Therapien besprochen?
S. Kasper: Bei den nichtmedikamentösen Therapien gab es keine wesentlichen Neuerungen. Neu in den Konsensus aufgenommen wurden jedoch die Daten der europäischen Verbundstudie GSRD,2 die 2017 in dieser Vollständigkeit noch nicht vorgelegen sind.
Welches sind die wichtigsten Punkte aus dem TRD-Konsensus 2021?
S. Kasper: Erstens, die Diagnose der TRD ist relativ einfach. Die Kliniker schenken Patienten, die auf zwei medikamentöse Therapien nicht angesprochen haben, jedoch manchmal zu wenig Beachtung. Zweitens, die Psychopathologie: Die TRD ist eine schwere Erkrankung. Häufige Komorbiditäten sind Angsterkrankungen und Suizidalität. Diese Charakteristika sollten mehr bedacht werden.
Der dritte Punkt betrifft das intranasale Esketamin – damit steht jetzt ein neues Therapieverfahren zur Verfügung. Viertens werden auf die Therapieerfolge mit intranasalem Esketamin nun Studien folgen, die den glutamatergen Stoffwechselweg in der TRD näher beleuchtet. Die Grundlagenforscher werden andere Stoffe mit dem gleichen Wirkmechanismen näher untersuchen und es wird die Forschung weiter beflügelt.
Bestehen Unterschiede zum TRD-Dreiländerkonsensus, an dem Sie ebenfalls mitwirken?
S. Kasper: Der Dreiländerkonsensus wird von einem DACH-Herausgeberkonsortium erstellt. Wir arbeiten noch daran, aber die beiden Werke decken sich bisher gut. Der DACH-Konsensus wird sich allerdings vorwiegend auf Esketamin beziehen – das österreichische Werk kann also als umfassender angesehen werden.
Wer sollte Ihrer Meinung nach dieses Konsensus-Statement lesen?
S. Kasper: Wir haben den Konsensus für jene erstellt, die Depressionsbehandlungen durchführen. An vorderster Stelle natürlich für die in den Kliniken Tätigen. Darüber hinaus aber auch für Fachärzte, die sich informieren wollen. Der Konsensus richtet sich weiters an Politiker und die Entscheidungsträger der Krankenkassen, damit sie für Patienten, die von einer TRD betroffen sind, Verständnis entwickeln. Die adäquate Behandlung der TRD hat weit reichende Auswirkungen auf die direkten und indirekten Krankheitskosten. Man reduziert dadurch also sowohl persönliches Leid als auch die Belastung für die Gesellschaft.
Literatur:
1 Kasper S et al.: Therapieresistente Depression: Diagnose und Behandlung, Konsensus-Statement. Sonderheft JATROS Neurologie & Psychiatrie, März 2021
2 Bartova L et al: Results of the European Group for the Study of Resistant Depression (GSRD) – basis for further research and clinical practice. World J Biol Psychiatry 2019; 20: 427-48
Das Interview führte:
Dr. Gabriele Senti
Unser Gesprächspartner:
em. o. Univ.-Prof. Dr.h.c.mult. Dr. Siegfried Kasper
Emeritierter Vorstand der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Medizinische Universität Wien
Das könnte Sie auch interessieren:
Therapieresistente Depression: Diagnose und Behandlung
In dem State-of-the-Art-Konsensus 2021 fasste ein namhaftes Autorenteam unter der Leitung von em. O. Univ.-Prof. Dr. h. c. Dr. med. Siegfried Kasper den aktuellen Wissensstand zusammen.
«Wir versuchen, gegenüber den Kindern ehrlich, aber auch sehr behutsam mit der Wahrheit zu sein»
Die Psychiaterin Roksolana Jurtschischin arbeitet im St.-Nikolaus- Kinderspital in Lwiw. Seit dem Kriegsausbruch behandelt sie mit ihren Kollegen täglich im Akkord traumatisierte Kinder ...
Differenzialdiagnosen der Erschöpfungserkrankungen
Erschöpfung, Erschöpfbarkeit und Müdigkeit sind Symptome, die keiner bestimmten Erkrankung eindeutig zuordenbar sind. Zusätzlich macht die umgangssprachliche Verwendung der Begriffe ...