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Suchtmedizinische Behandlung im Strafvollzug

<p class="article-intro">Substanzstörungen sind unter Gefängnisinsassen weit verbreitet. Internationale Studien gehen davon aus, dass bei mindestens 40 % der Inhaftierten eine behandlungsbedürftige Substanzstörung besteht. In einer Untersuchung von Schröder (2005) wurde für substanzbezogene Störungen sogar eine Lebenszeitprävalenz von 81,6 % bzw. eine Sechsmonatsprävalenz von 72,4 % gefunden.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Laut internationalen Studien besteht bei 40 % aller Gef&auml;ngnisinsassen eine behandlungsbed&uuml;rftige Substanzst&ouml;rung.</li> <li>Im Sinne des &Auml;quivalenzprinzips ist eine ad&auml;quate suchtmedizinische Behandlung in allen &ouml;sterreichischen Justizanstalten sichergestellt.</li> <li>Ca. 10 % aller Inhaftierten sind substituiert, dabei kommen alle in &Ouml;sterreich zugelassenen Substitutionsmittel zum Einsatz.</li> <li>Milieuspezifische Faktoren m&uuml;ssen bei der Verschreibung psychoaktiver Substanzen ber&uuml;cksichtigt werden.</li> </ul> </div> <p>Dies l&auml;sst sich nicht mit der Kriminalisierung des Konsums illegaler Drogen erkl&auml;ren, da durch die Anerkennung von Sucht als Krankheit bereits in den 1970er-Jahren &bdquo;Therapie statt Strafe&ldquo; als Grundpfeiler der &ouml;sterreichischen Drogenpolitik etabliert wurde. Durch die Rechtsinstrumente der Anzeigenzur&uuml;cklegung nach &sect; 35, der vorl&auml;ufigen Verfahrenseinstellung nach &sect; 37 und des Strafaufschubs nach &sect; 39 SMG sowie der M&ouml;glichkeit der bedingten Strafnachsicht nach abgeschlossener Therapie (&sect; 40 SMG) gelangen die schrittweise Entkriminalisierung s&uuml;chtigen Verhaltens und die Etablierung verpflichtender Behandlung. Der Drogenkonsument wurde damit zum &bdquo;privilegierten Rechtsbrecher&ldquo;, der gute Chancen hat, der Strafverfolgung zu entkommen, wenn die Ahndung einer Straftat, die mit der Beschaffung von Suchtmitteln in Zusammenhang steht, eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren nicht &uuml;bersteigt und er sich bereit erkl&auml;rt, sich einer Behandlung zu unterziehen.</p> <h2>Gesicherte suchtmedizinische und psychiatrische Versorgung</h2> <p>Sind die Bedingungen f&uuml;r &bdquo;Therapie statt Strafe&ldquo; nicht erf&uuml;llt, wird eine Strafhaft verh&auml;ngt. Im Sinne des &Auml;quivalenzprinzipes besteht w&auml;hrend des gesamten Strafvollzuges ein Anspruch auf ad&auml;quate Beratung, Betreuung und Behandlung: Eine psychiatrische und qualifizierte suchtmedizinische Behandlung ist in allen 27 Justizanstalten sichergestellt. Die Notwendigkeit einer fl&auml;chendeckenden psychiatrischen Versorgung von Strafgefangenen steht angesichts der hohen Pr&auml;valenz psychischer St&ouml;rungen in dieser Population v&ouml;llig au&szlig;er Zweifel. In aktuellen Untersuchungen wird der fachspezifische Behandlungsbedarf bei &uuml;ber 80 % gesehen (vgl. von Sch&ouml;nfeld et al. 2006). Eine quantitativ ausreichende psychiatrische Versorgung ist aber stellenweise aufgrund des Fach&auml;rztemangels schwierig zu gew&auml;hrleisten. Ein betr&auml;chtlicher Teil der fach&auml;rztlichen Ressourcen flie&szlig;t in die suchtmedizinische Versorgung: Ca. 10 % aller Inhaftierten sind substituiert (872 von 9006, Stichtagserhebung vom 1. 4. 2017), mindestens weitere 10 % werden fallweise wegen eines illegalen Opiatkonsums behandelt. W&auml;hrend unerlaubter Alkoholkonsum in den Justizanstalten nur punktuell vorkommt und dann regelm&auml;&szlig;ig zu Ordnungsstrafen f&uuml;hrt, ist aufgrund des hohen Anteils substituierter Insassen der illegale Konsum von Opioden ein h&auml;ufiges Ph&auml;nomen und f&uuml;hrt je nach Behandlungswunsch und Ausma&szlig; der Abh&auml;ngigkeitsentwicklung zu medikament&ouml;s gest&uuml;tzten Entzugsbehandlungen oder Aufnahme in ein Substitutionsprogramm. &Auml;rztlich angeordnete Suchtmitteltests unterliegen hier der &auml;rztlichen Verschwiegenheitspflicht, allf&auml;llige Konsequenzen derartiger therapeutischer Verlaufskontrollen werden ausschlie&szlig;lich im therapeutischen Kontext beurteilt und f&uuml;hren nicht zu Ordnungsstrafverfahren.<br /> In den meisten Justizanstalten kommen alle in &Ouml;sterreich erlaubten Substitutionsmittel zum Einsatz, allerdings stellt Methadon mit 38 % noch immer das am h&auml;ufigsten verwendete Substitutionsmittel dar, gefolgt von Buprenorphin (25 % ), retardierten Morphinen (20 % ) und L-Polamidon (11 % ). Dies ist vor allem darauf zur&uuml;ckzuf&uuml;hren, dass in der JA Josefstadt, &Ouml;sterreichs gr&ouml;&szlig;tem Untersuchungsgef&auml;ngnis, aufgrund des hohen Missbrauchspotenzials von retardierten Morphinen die Insassen h&auml;ufig auf Methadon umgestellt werden und nur im Falle objektivierbarer Unvertr&auml;glichkeit eine R&uuml;ckumstellung erfolgt. Da ein betr&auml;chtlicher Teil der in Untersuchungshaft befindlichen Substituierten angibt, nur einen Teil der verordneten Substitutionsmittel selber eingenommen und diesen Teil zumeist intraven&ouml;s konsumiert zu haben, ist diese Umstellungspraxis suchtmedizinisch sinnvoll.</p> <h2>Die Haft als Chance f&uuml;r Drogenabh&auml;ngige</h2> <p>Grundlage suchtmedizinischer Behandlung in Justizanstalten ist selbstverst&auml;ndlich die Akzeptanzorientierung. Bei Patienten wird nicht gegen ihren Willen ein Entzug durchgef&uuml;hrt, die Fortf&uuml;hrung der Substitution, die Reduktion des Benzodiazepinkonsums und des Risikoverhaltens (z.B. i.v. Konsum) sowie psychosoziale und psychopathologische Stabilisierung sind genauso legitime Therapieziele wie eine allf&auml;llige Reduktion des Substitutionsmittels. Obwohl Haftbedingungen grunds&auml;tzlich belastend sind, stellen sie doch f&uuml;r viele Insassen auch eine Chance dar: Massiv selbstsch&auml;digende Drogenkonsummuster werden durch das hohe Ausma&szlig; an Kontrolle h&auml;ufig effektiv unterbrochen, notwendige medizinische Behandlungen, die in Freiheit nicht eigenverantwortlich durchgef&uuml;hrt wurden, werden nun realisiert, zumindest mittelfristig werden auch tagesstrukturierende Ma&szlig;nahmen (Arbeit, Ausbildung, Freizeitaktivit&auml;ten) angeboten. Bei manchen Drogenabh&auml;ngigen wird damit w&auml;hrend der Haft ein h&ouml;heres psychosoziales Funktionsniveau erreicht als in Freiheit. W&auml;hrend manche Suchtkranke die Haftsituation durchaus als M&ouml;glichkeit der Stabilisierung erleben und zur Vorbereitung eines Neuanfanges nutzen wollen, neigen andere zu einer Aggravierung des Substanzkonsums unter Haftbedingungen. In diesen F&auml;llen stellt die suchtmedizinische Behandlung oft ein z&auml;hes Ringen dar: Wie viel N&uuml;chternheit ist dem Patienten zumutbar? Wie sehr muss dem Dr&auml;ngen des Patienten nach Erleichterung des Suchtdrucks nachgegeben werden? Werden dabei aber wiederum die Suchtmechanismen bedient und funktionalere Bew&auml;ltigungsm&ouml;glichkeiten limitiert?</p> <h2>Im Spannungsfeld zwischen Abstinenz und permissiver Verschreibung</h2> <p>Neben der &uuml;berm&auml;&szlig;igen Substanzbeeintr&auml;chtigung, die durch eine allzu permissive Verschreibung psychoaktiver Substanzen bewirkt werden kann, ist nat&uuml;rlich auch an die Weitergabe der geforderten Suchtmittel zu denken. Obwohl die Ausgabe der Substitutionsmittel kontrolliert erfolgt, gelangen nicht unbetr&auml;chtliche Teile der verordneten Medikation in die H&auml;nde anderer. Dies geschieht entweder aufgrund finanzieller Eigeninteressen (neben Tabak stellen Substitutionsmittel und andere psychoaktive Substanzen im Gef&auml;ngnis ein wichtiges Zahlungsmittel dar) oder aufgrund von Bedrohung durch andere Insassen. Die Leitlinie f&uuml;r die Opiod- Substitutionstherapie spricht hier von &bdquo;szeneimmanenten Erpressungsszenarien als Epiph&auml;nomene marginalisierter Existenz und problematischer psychosozialer Entwicklung&ldquo;.<br /> Die Qualit&auml;t einer suchtmedizinischen Behandlung realisiert sich daher nicht in der Erf&uuml;llung aller Substanzbestellungen. Der ideal substitutierte Patient sollte in seiner psychosozialen Funktionsf&auml;higkeit nicht beeintr&auml;chtigt und wenn m&ouml;glich von Benzodiazepinen entw&ouml;hnt sein. In der Leitlinie des Bundesministers f&uuml;r Gesundheit zum Umgang mit dem sch&auml;dlichen Gebrauch und der Abh&auml;ngigkeit von Benzodiazepinen bei Patientinnen und Patienten in Erhaltungstherapie mit Opioiden wird nicht nur die Verschreibung exzessiver Dosen problematisiert, sondern auch gefordert, die Benzodiazepindosis im Gegensatz zur Verordnung des opioidhaltigen Arzneimittels im Rahmen der Erhaltungstherapie l&auml;ngerfristig bis zu der laut Fachinformation zugelassenen therapeutischen Dosis und darunter zu reduzieren und das Ziel der Abstinenz von Benzodiazepinen nie aus den Augen zu verlieren.<br /> Auch wenn dieser Anspruch bei hochgradig invalidisierenden Krankheitsverl&auml;ufen nicht immer zu erf&uuml;llen ist, sollte doch zumindest verhindert werden, dass durch allzu permissive Verschreibung psychoaktiver Substanzen die Invalidisierung vorangetrieben wird. Allerdings ist damit zu rechnen, dass sich nicht alle Patienten mit diesem Behandlungsziel identifizieren. Oft w&uuml;nschen sie die massive Substanzwirkung und wollen diese z.B. durch parenteralen Konsum erreichen. Oft dr&auml;ngen sie auf Dosiserh&ouml;hung zum Zwecke der Weitergabe (Handel). In manchen F&auml;llen wird der Missbrauch von Substanzen verheimlicht, um ungewollte Konsequenzen abzuwenden, in anderen F&auml;llen wird die Symptomatik aggraviert, um die Verschreibung h&ouml;herer Dosen zu bewirken. All dies ist aus allen nicht abstinenzorientierten Behandlungseinrichtungen bekannt &ndash; es gibt jedoch einen gravierenden Unterschied: Das Alleinstellungsmerkmal von Behandlung im Strafvollzug ist, dass sie nicht abgebrochen werden kann. Wer sich nicht gut behandelt f&uuml;hlt, kann um Vollzugsorts&auml;nderung ansuchen oder Beschwerden schreiben, an die vorgesetzte Dienstbeh&ouml;rde, an die Volksanwaltschaft, die &Auml;rztekammer, den Justizminister oder den Bundespr&auml;sidenten &ndash; alles Ma&szlig;nahmen, die zwar Kontrollinstanzen auf den Plan rufen, aber nicht zu raschen Beendigungen der Behandlung f&uuml;hren.<br /><br /> Dieser Zwangskontext stellt die im Strafvollzug arbeitenden &Auml;rztinnen und &Auml;rzte vor besonders hohe ethische Anforderungen. Es ist immer wieder n&ouml;tig, im Spannungsfeld von Dissozialit&auml;t, Substanzbegehren und berechtigten Behandlungsanspr&uuml;chen die individuell passende Strategie zu finden. Weder die Haltung des universellen Verdachts (&bdquo;Ich werde st&auml;ndig belogen, ich glaube gar nichts mehr&ldquo;), die zu innerer Abwendung, Verh&auml;rtung und Zynismus f&uuml;hrt, noch die konsequente Ausblendung der Manipulationstendenzen der Patienten (&bdquo;Ich bin Arzt, nicht Detektiv. Es gilt die Unschuldsvermutung&ldquo;), dieser nachhaltige Entschluss zur Naivit&auml;t, f&uuml;hren zu verantwortungsvollen suchtmedizinischen Entscheidungen.</p> <h2>Unterschiede in Behandlungsentscheidungen und -praktiken</h2> <p>Ein verantwortungsvoller Umgang mit substanzabh&auml;ngigen Straft&auml;tern beinhaltet daher auch die Ber&uuml;cksichtigung milieuspezifischer Faktoren. Das hohe Ausma&szlig; an Antisozialit&auml;t, die langj&auml;hrige Sozialisierung in kriminellen Milieus und das aktuelle Leben in einer totalen Institution, die geradezu zwangsl&auml;ufig Subkulturen hervorbringt, d&uuml;rfen bei Behandlungsentscheidungen nicht ausgeblendet werden. Dass in der Novellierung der Suchtgiftverordnung nun auf die Nennung eines Substitutionsmittels der ersten Wahl verzichtet wird und in der Leitlinie f&uuml;r die Opioid-Substitutionstherapie ebenfalls keine Empfehlungen f&uuml;r bestimmte Substanzen ausgesprochen werden, sollte im Strafvollzug nicht zu einer unkritischen Weiterverordnung von Substanzen mit hohem Missbrauchspotenzial f&uuml;hren, wenn es anamnestisch oder aktuell un&uuml;bersehbare Hinweise auf ebendiese missbr&auml;uchliche Verwendung gibt. Auch bei Ber&uuml;cksichtigung des &Auml;quivalenzprinzips, das sicherstellen soll, dass in der Haft die gleiche Behandlungsqualit&auml;t geboten wird wie im Gesundheitssystem, k&ouml;nnen Behandlungsmodifikationen argumentiert werden, wenn wir die Antisozialit&auml;t im Sinne einer komorbiden St&ouml;rung bewerten und damit die Priorisierung missbrauchssicherer Substanzen begr&uuml;nden.<br /><br /> Aus suchtmedizinischer Perspektive spricht daher einiges daf&uuml;r, bei der Empfehlung von Methadon, L-Polamidon und Buprenorphin als Substitutionsmittel der ersten Wahl zu bleiben und nur bei objektivierbaren Beschwerden oder bei besonders stabilen Patienten mit hoher Compliance auf retardierte Opioide zur&uuml;ckzugreifen. Auch die Begleitmedikation mit Benzodiazepinen und Pregabalin (das von der hier behandelten Population &uuml;brigens in nicht unbetr&auml;chtlichem Ausma&szlig; nasal appliziert wird) ist eher restriktiv zu gestalten.<br /><br /> Um die diesbez&uuml;glich doch recht unterschiedlichen Behandlungspraktiken der verschiedenen Justizanstalten einer kritischen fachlichen Reflexion zuzuf&uuml;hren, wurde mit Unterst&uuml;tzung von Hans Haltmayer, dem Beauftragten der Stadt Wien f&uuml;r Sucht- und Drogenfragen, und der Generaldirektion f&uuml;r den Strafvollzug ein Qualit&auml;tszirkel f&uuml;r substituierende &Auml;rztinnen und &Auml;rzte in Justizanstalten eingerichtet. Dieser Qualit&auml;tszirkel findet zweimal j&auml;hrlich in Wien statt und bietet damit die M&ouml;glichkeit, fachliche und organisatorische Fragen zu besprechen. Durch den regelm&auml;&szlig;igen Austausch und die moderierte Fachdiskussion der beteiligten &Auml;rztinnen und &Auml;rzte soll f&uuml;r die kontextspezifischen Herausforderungen sensibilisiert und eine Ann&auml;herung der Behandlungsprinzipien erreicht werden.</p> <h2>G&uuml;nstige und ung&uuml;nstige Faktoren f&uuml;r Suchtkranke in Haft</h2> <p>Neben den un&uuml;bersehbaren milieubedingten Schwierigkeiten gibt es auch strukturelle Voraussetzungen, die f&uuml;r die Behandlung von Menschen mit Substanzst&ouml;rungen durchaus g&uuml;nstig sind: Das IVV (eine Art elektronischer Krankenakt) stellt eine l&uuml;ckenlose Dokumentation der Vorbehandlung sicher. Jede Medikamentenverordnung, jeder Patientenkontakt wird erfasst und steht jedem Nachbehandler zur Verf&uuml;gung, wobei aufgrund ausgefeilter Zugangsbeschr&auml;nkungen nur &Auml;rztinnen und &Auml;rzte die medizinischen Daten einsehen k&ouml;nnen. Zur Erleichterung der Kommunikation mit nicht Deutsch Sprechenden stehen Telefon- und Videodolmetsch zur Verf&uuml;gung. Die Medikamenteneinnahme erfolgt unter Sichtkontrolle, unerwartete Substanzbeeintr&auml;chtigungen werden von Abteilungsbeamten oder Fachdiensten mit einiger Wahrscheinlichkeit wahrgenommen und berichtet, Harntests k&ouml;nnen jederzeit unter kontrollierten Bedingungen angeordnet werden.<br /> W&auml;hrend also die im engeren Sinn suchtmedizinischen Behandlungsm&ouml;glichkeiten in Justizanstalten als eher g&uuml;nstig zu bewerten sind, wirken sich die Lebensbedingungen in Haft oftmals suchtverst&auml;rkend aus. Der Mangel an sinnvollen Besch&auml;ftigungs- und Freizeitangeboten (Arbeit, Ausbildung, Deutschkurse, Sport) f&uuml;hrt h&auml;ufig zu Resignation und verst&auml;rkt nicht nur das Konsumverhalten, sondern auch das Engagement in der Subkultur. Wenn wir Substanzkonsum nicht als Ausdruck einer eigengesetzlich ablaufenden Erkrankung (wie z.B. eine Hepatitis) betrachten, sondern auch als Ausdruck eines devianten Lebensstils, wird deutlich, dass auch motivationale Faktoren ber&uuml;cksichtigt werden m&uuml;ssen. Die Entscheidung f&uuml;r den Verzicht auf Konsum und Handel mit psychoaktiven Substanzen muss sich f&uuml;r den Einzelnen auszahlen. Dies erfordert allerdings eine Diversifikation der Behandlungsangebote und der Behandlungsziele. W&auml;hrend f&uuml;r den jungen Drogenprobierer ohne Abh&auml;ngigkeitsentwicklung in der Anamnese das In-Aussicht-Stellen eines attraktiven Arbeitsplatzes durchaus an den Nachweis der Abstinenz gekn&uuml;pft werden kann, um eine entsprechende Motivation f&uuml;r den Verzicht auf Drogenkonsum zu schaffen, d&uuml;rfen andererseits Substituierte nicht diskriminiert werden.</p> <h2>Vermeidung von Diskriminierung</h2> <p>Dies ist auch in den Leitlinien f&uuml;r den Umgang mit Suchtkranken in Justizanstalten definiert: &bdquo;Die Tatsache, dass bei InsassInnen eine Suchterkrankung vorliegt, rechtfertigt keinerlei Benachteiligung gegen&uuml;ber anderen H&auml;ftlingen im Hinblick auf die Unterbringung, Planung und Gestaltung des Vollzuges&ldquo;, das hei&szlig;t konkret: kein Ausschluss vom Wohngruppenvollzug, keine Benachteiligung bei Arbeitsplatzvergabe, Ausbildungs- und Trainingsangeboten und keinerlei Benachteiligung bei der Gew&auml;hrung jeglicher Form von Vollzugslockerungen. Die Nicht-Diskriminierung von Suchtkranken zu gew&auml;hrleisten und dennoch motivationale Anreize f&uuml;r den Verzicht auf Substanzwirkung zu schaffen geh&ouml;rt zu den schwierigsten Anforderungen im Umgang mit Menschen mit Substanzst&ouml;rungen im Gef&auml;ngnis und kann nur gelingen, wenn Ziele und Bedingungen an das individuelle Funktionsniveau angepasst werden. Der flexible, an individuelle M&ouml;glichkeiten und Bed&uuml;rfnisse angepasste Umgang ist allerdings ein Merkmal von (medizinischen) Behandlungssystemen: In einem Krankenhaus rechnet niemand damit, die gleiche Behandlung wie der Mitpatient zu erhalten, in Gef&auml;ngnissen hingegen kann Gleichbehandlung eingefordert werden. Verbindliche Regeln f&uuml;r die Gew&auml;hrung von Vollzugslockerungen, gleiche Konsequenzen bei Regelverst&ouml;&szlig;en sollen willk&uuml;rliche Machtaus&uuml;bung in der totalen Institution verhindern, machen aber auch individuelle Vorgehensweisen in Abh&auml;ngigkeit von konkreten Behandlungszielen schwierig.</p> <h2>Therapeutischer Vollzug in der Justizanstalt Favoriten</h2> <p>Der f&uuml;r die Behandlung von Substanzst&ouml;rungen sinnvollen Individualisierung von Betreuungsangeboten sind damit im Regelvollzug gewisse Grenzen gesetzt. Ein im engeren Sinne &bdquo;therapeutischer Vollzug&ldquo;, in dem Entscheidungen &uuml;ber Tagesstruktur und Lockerungen deutlich individualisiert getroffen werden, wird hingegen in der JA Favoriten angestrebt. Die JA Favoriten wurde im Zuge der Strafrechtsreform 1975 als Sonderanstalt f&uuml;r &bdquo;entw&ouml;hnungsbed&uuml;rftige Rechtsbrecher&ldquo; geschaffen. Wer im Rahmen der Strafhaft eine Entw&ouml;hnungstherapie nach &sect; 68 in Anspruch nehmen will, kann um eine Verlegung in die JA Favoriten ansuchen. Das Therapieziel der JA Favoriten ist das Herausreifen aus dem s&uuml;chtig- dissozialen Lebensstil durch Erm&ouml;glichen &bdquo;n&uuml;chterner Lebenserfahrung&ldquo; und durch Auseinandersetzung mit prosozialen Normen im Wohngruppenvollzug. Im therapeutischen Kontext geht es um die St&auml;rkung der Ich-Funktionen, das Antizipieren von Konsequenzen des beabsichtigten Verhaltens sowie F&ouml;rderung von Affektdifferenzierung und Affektregulation sowie die Bearbeitung von emotionalen Spannungszust&auml;nden und Sinnkrisen. Die Aufarbeitung belastender biografischer Erfahrungen wird nicht als zentrales Agens der Behandlung gesehen. Vielmehr wird versucht, je nach der individuellen Gewichtung der aufrechterhaltenden Faktoren psychotherapeutische, psychologisch-&uuml;bende und/oder psychosoziale Ma&szlig;nahmen anzubieten. Die M&ouml;glichkeiten der totalen Institution sollen bestm&ouml;glich in den Dienst der Entwicklungsf&ouml;rderung gestellt werden, indem dem aktuellen Zustand des Behandelten entsprechende Besch&auml;ftigungsund Qualifizierungsangebote zur Verf&uuml;gung stehen. Eine Schmalf&uuml;hrung von Psychotherapie ist hier weniger erfolgversprechend als die Bereitstellung eines therapeutischen Milieus, in dem das Wahrnehmen von Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit gef&ouml;rdert wird.<br /><br /> Die Substitution wird fast ausschlie&szlig;lich mit Methadon oder L-Polamidon und Suboxone durchgef&uuml;hrt. Ca. 20 % der Insassen sind anf&auml;nglich anders substituiert &ndash; hier erfolgt die Umstellung auf der Zugangsabteilung. Benzodiazepine kommen nur kurzfristig zum Einsatz, auch hier erfolgt die Entzugsbehandlung am Zugang. In einer Evaluation der Behandlungsverl&auml;ufe konnten wir nachweisen, dass sich Patienten, die umgestellt wurden oder einen Entzug hinter sich haben, bez&uuml;glich Abbruchwahrscheinlichkeit nur minimal von der Gesamtpopulation unterscheiden.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> In Kombination mit der suchtmedizinischen Standardversorgung in allen Justizanstalten bietet der Strafvollzug ein diversifiziertes Behandlungsangebot f&uuml;r Substanzst&ouml;rungen, das nat&uuml;rlich in einigen Punkten verbessert werden k&ouml;nnte. Neben den &uuml;blichen Ressourcenfragen, die, wie ausgef&uuml;hrt, weniger die suchtmedizinische Basisversorgung als die fl&auml;chendeckende Verf&uuml;gbarkeit von sinnvollen Besch&auml;ftigungsm&ouml;glichkeiten betreffen, sollte hier vor allem &uuml;ber individualisierte motivationsf&ouml;rdernde Anreizsysteme nachgedacht werden. Konsumverhalten und Umgang mit psychoaktiven Substanzen (wie Weitergabe oder Handel) wird nur zum Teil durch die Suchterkrankung bestimmt, zum Teil ist es auch Ausdruck eines dissozialen Lebensstils und kann somit entsprechenden Entscheidungen zugerechnet werden. Zweifelsohne ist die Anerkennung von Sucht als Krankheit Voraussetzung f&uuml;r einen humanen, nicht strafenden Umgang mit Abh&auml;ngigen. Andererseits sollte nicht &uuml;bersehen werden, dass weder Gesundheit noch Krankheit objektive Tatsachen sind, sondern als soziokulturell eingebettete diskursive Praktiken verstanden werden k&ouml;nnen, die unser Bild von der Wirklichkeit pr&auml;gen. Eine dogmatische Engf&uuml;hrung dieses Diskurses, wonach jeder Substanzkonsum als Symptom einer Krankheit und nicht als Entscheidung unter bestimmten Lebensbedingungen verstanden wird, schr&auml;nkt die M&ouml;glichkeiten der Einflussnahme unn&ouml;tig ein. Dies sollte auch von den mit Suchtbehandlung befassten &Auml;rztinnen und &Auml;rzten bedacht werden.</div></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei der Verfasserin</p> </div> </p>
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