<p class="article-intro">Substanzstörungen sind unter Gefängnisinsassen weit verbreitet. Internationale Studien gehen davon aus, dass bei mindestens 40 % der Inhaftierten eine behandlungsbedürftige Substanzstörung besteht. In einer Untersuchung von Schröder (2005) wurde für substanzbezogene Störungen sogar eine Lebenszeitprävalenz von 81,6 % bzw. eine Sechsmonatsprävalenz von 72,4 % gefunden.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Laut internationalen Studien besteht bei 40 % aller Gefängnisinsassen eine behandlungsbedürftige Substanzstörung.</li> <li>Im Sinne des Äquivalenzprinzips ist eine adäquate suchtmedizinische Behandlung in allen österreichischen Justizanstalten sichergestellt.</li> <li>Ca. 10 % aller Inhaftierten sind substituiert, dabei kommen alle in Österreich zugelassenen Substitutionsmittel zum Einsatz.</li> <li>Milieuspezifische Faktoren müssen bei der Verschreibung psychoaktiver Substanzen berücksichtigt werden.</li> </ul> </div> <p>Dies lässt sich nicht mit der Kriminalisierung des Konsums illegaler Drogen erklären, da durch die Anerkennung von Sucht als Krankheit bereits in den 1970er-Jahren „Therapie statt Strafe“ als Grundpfeiler der österreichischen Drogenpolitik etabliert wurde. Durch die Rechtsinstrumente der Anzeigenzurücklegung nach § 35, der vorläufigen Verfahrenseinstellung nach § 37 und des Strafaufschubs nach § 39 SMG sowie der Möglichkeit der bedingten Strafnachsicht nach abgeschlossener Therapie (§ 40 SMG) gelangen die schrittweise Entkriminalisierung süchtigen Verhaltens und die Etablierung verpflichtender Behandlung. Der Drogenkonsument wurde damit zum „privilegierten Rechtsbrecher“, der gute Chancen hat, der Strafverfolgung zu entkommen, wenn die Ahndung einer Straftat, die mit der Beschaffung von Suchtmitteln in Zusammenhang steht, eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren nicht übersteigt und er sich bereit erklärt, sich einer Behandlung zu unterziehen.</p> <h2>Gesicherte suchtmedizinische und psychiatrische Versorgung</h2> <p>Sind die Bedingungen für „Therapie statt Strafe“ nicht erfüllt, wird eine Strafhaft verhängt. Im Sinne des Äquivalenzprinzipes besteht während des gesamten Strafvollzuges ein Anspruch auf adäquate Beratung, Betreuung und Behandlung: Eine psychiatrische und qualifizierte suchtmedizinische Behandlung ist in allen 27 Justizanstalten sichergestellt. Die Notwendigkeit einer flächendeckenden psychiatrischen Versorgung von Strafgefangenen steht angesichts der hohen Prävalenz psychischer Störungen in dieser Population völlig außer Zweifel. In aktuellen Untersuchungen wird der fachspezifische Behandlungsbedarf bei über 80 % gesehen (vgl. von Schönfeld et al. 2006). Eine quantitativ ausreichende psychiatrische Versorgung ist aber stellenweise aufgrund des Fachärztemangels schwierig zu gewährleisten. Ein beträchtlicher Teil der fachärztlichen Ressourcen fließt in die suchtmedizinische Versorgung: Ca. 10 % aller Inhaftierten sind substituiert (872 von 9006, Stichtagserhebung vom 1. 4. 2017), mindestens weitere 10 % werden fallweise wegen eines illegalen Opiatkonsums behandelt. Während unerlaubter Alkoholkonsum in den Justizanstalten nur punktuell vorkommt und dann regelmäßig zu Ordnungsstrafen führt, ist aufgrund des hohen Anteils substituierter Insassen der illegale Konsum von Opioden ein häufiges Phänomen und führt je nach Behandlungswunsch und Ausmaß der Abhängigkeitsentwicklung zu medikamentös gestützten Entzugsbehandlungen oder Aufnahme in ein Substitutionsprogramm. Ärztlich angeordnete Suchtmitteltests unterliegen hier der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht, allfällige Konsequenzen derartiger therapeutischer Verlaufskontrollen werden ausschließlich im therapeutischen Kontext beurteilt und führen nicht zu Ordnungsstrafverfahren.<br /> In den meisten Justizanstalten kommen alle in Österreich erlaubten Substitutionsmittel zum Einsatz, allerdings stellt Methadon mit 38 % noch immer das am häufigsten verwendete Substitutionsmittel dar, gefolgt von Buprenorphin (25 % ), retardierten Morphinen (20 % ) und L-Polamidon (11 % ). Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass in der JA Josefstadt, Österreichs größtem Untersuchungsgefängnis, aufgrund des hohen Missbrauchspotenzials von retardierten Morphinen die Insassen häufig auf Methadon umgestellt werden und nur im Falle objektivierbarer Unverträglichkeit eine Rückumstellung erfolgt. Da ein beträchtlicher Teil der in Untersuchungshaft befindlichen Substituierten angibt, nur einen Teil der verordneten Substitutionsmittel selber eingenommen und diesen Teil zumeist intravenös konsumiert zu haben, ist diese Umstellungspraxis suchtmedizinisch sinnvoll.</p> <h2>Die Haft als Chance für Drogenabhängige</h2> <p>Grundlage suchtmedizinischer Behandlung in Justizanstalten ist selbstverständlich die Akzeptanzorientierung. Bei Patienten wird nicht gegen ihren Willen ein Entzug durchgeführt, die Fortführung der Substitution, die Reduktion des Benzodiazepinkonsums und des Risikoverhaltens (z.B. i.v. Konsum) sowie psychosoziale und psychopathologische Stabilisierung sind genauso legitime Therapieziele wie eine allfällige Reduktion des Substitutionsmittels. Obwohl Haftbedingungen grundsätzlich belastend sind, stellen sie doch für viele Insassen auch eine Chance dar: Massiv selbstschädigende Drogenkonsummuster werden durch das hohe Ausmaß an Kontrolle häufig effektiv unterbrochen, notwendige medizinische Behandlungen, die in Freiheit nicht eigenverantwortlich durchgeführt wurden, werden nun realisiert, zumindest mittelfristig werden auch tagesstrukturierende Maßnahmen (Arbeit, Ausbildung, Freizeitaktivitäten) angeboten. Bei manchen Drogenabhängigen wird damit während der Haft ein höheres psychosoziales Funktionsniveau erreicht als in Freiheit. Während manche Suchtkranke die Haftsituation durchaus als Möglichkeit der Stabilisierung erleben und zur Vorbereitung eines Neuanfanges nutzen wollen, neigen andere zu einer Aggravierung des Substanzkonsums unter Haftbedingungen. In diesen Fällen stellt die suchtmedizinische Behandlung oft ein zähes Ringen dar: Wie viel Nüchternheit ist dem Patienten zumutbar? Wie sehr muss dem Drängen des Patienten nach Erleichterung des Suchtdrucks nachgegeben werden? Werden dabei aber wiederum die Suchtmechanismen bedient und funktionalere Bewältigungsmöglichkeiten limitiert?</p> <h2>Im Spannungsfeld zwischen Abstinenz und permissiver Verschreibung</h2> <p>Neben der übermäßigen Substanzbeeinträchtigung, die durch eine allzu permissive Verschreibung psychoaktiver Substanzen bewirkt werden kann, ist natürlich auch an die Weitergabe der geforderten Suchtmittel zu denken. Obwohl die Ausgabe der Substitutionsmittel kontrolliert erfolgt, gelangen nicht unbeträchtliche Teile der verordneten Medikation in die Hände anderer. Dies geschieht entweder aufgrund finanzieller Eigeninteressen (neben Tabak stellen Substitutionsmittel und andere psychoaktive Substanzen im Gefängnis ein wichtiges Zahlungsmittel dar) oder aufgrund von Bedrohung durch andere Insassen. Die Leitlinie für die Opiod- Substitutionstherapie spricht hier von „szeneimmanenten Erpressungsszenarien als Epiphänomene marginalisierter Existenz und problematischer psychosozialer Entwicklung“.<br /> Die Qualität einer suchtmedizinischen Behandlung realisiert sich daher nicht in der Erfüllung aller Substanzbestellungen. Der ideal substitutierte Patient sollte in seiner psychosozialen Funktionsfähigkeit nicht beeinträchtigt und wenn möglich von Benzodiazepinen entwöhnt sein. In der Leitlinie des Bundesministers für Gesundheit zum Umgang mit dem schädlichen Gebrauch und der Abhängigkeit von Benzodiazepinen bei Patientinnen und Patienten in Erhaltungstherapie mit Opioiden wird nicht nur die Verschreibung exzessiver Dosen problematisiert, sondern auch gefordert, die Benzodiazepindosis im Gegensatz zur Verordnung des opioidhaltigen Arzneimittels im Rahmen der Erhaltungstherapie längerfristig bis zu der laut Fachinformation zugelassenen therapeutischen Dosis und darunter zu reduzieren und das Ziel der Abstinenz von Benzodiazepinen nie aus den Augen zu verlieren.<br /> Auch wenn dieser Anspruch bei hochgradig invalidisierenden Krankheitsverläufen nicht immer zu erfüllen ist, sollte doch zumindest verhindert werden, dass durch allzu permissive Verschreibung psychoaktiver Substanzen die Invalidisierung vorangetrieben wird. Allerdings ist damit zu rechnen, dass sich nicht alle Patienten mit diesem Behandlungsziel identifizieren. Oft wünschen sie die massive Substanzwirkung und wollen diese z.B. durch parenteralen Konsum erreichen. Oft drängen sie auf Dosiserhöhung zum Zwecke der Weitergabe (Handel). In manchen Fällen wird der Missbrauch von Substanzen verheimlicht, um ungewollte Konsequenzen abzuwenden, in anderen Fällen wird die Symptomatik aggraviert, um die Verschreibung höherer Dosen zu bewirken. All dies ist aus allen nicht abstinenzorientierten Behandlungseinrichtungen bekannt – es gibt jedoch einen gravierenden Unterschied: Das Alleinstellungsmerkmal von Behandlung im Strafvollzug ist, dass sie nicht abgebrochen werden kann. Wer sich nicht gut behandelt fühlt, kann um Vollzugsortsänderung ansuchen oder Beschwerden schreiben, an die vorgesetzte Dienstbehörde, an die Volksanwaltschaft, die Ärztekammer, den Justizminister oder den Bundespräsidenten – alles Maßnahmen, die zwar Kontrollinstanzen auf den Plan rufen, aber nicht zu raschen Beendigungen der Behandlung führen.<br /><br /> Dieser Zwangskontext stellt die im Strafvollzug arbeitenden Ärztinnen und Ärzte vor besonders hohe ethische Anforderungen. Es ist immer wieder nötig, im Spannungsfeld von Dissozialität, Substanzbegehren und berechtigten Behandlungsansprüchen die individuell passende Strategie zu finden. Weder die Haltung des universellen Verdachts („Ich werde ständig belogen, ich glaube gar nichts mehr“), die zu innerer Abwendung, Verhärtung und Zynismus führt, noch die konsequente Ausblendung der Manipulationstendenzen der Patienten („Ich bin Arzt, nicht Detektiv. Es gilt die Unschuldsvermutung“), dieser nachhaltige Entschluss zur Naivität, führen zu verantwortungsvollen suchtmedizinischen Entscheidungen.</p> <h2>Unterschiede in Behandlungsentscheidungen und -praktiken</h2> <p>Ein verantwortungsvoller Umgang mit substanzabhängigen Straftätern beinhaltet daher auch die Berücksichtigung milieuspezifischer Faktoren. Das hohe Ausmaß an Antisozialität, die langjährige Sozialisierung in kriminellen Milieus und das aktuelle Leben in einer totalen Institution, die geradezu zwangsläufig Subkulturen hervorbringt, dürfen bei Behandlungsentscheidungen nicht ausgeblendet werden. Dass in der Novellierung der Suchtgiftverordnung nun auf die Nennung eines Substitutionsmittels der ersten Wahl verzichtet wird und in der Leitlinie für die Opioid-Substitutionstherapie ebenfalls keine Empfehlungen für bestimmte Substanzen ausgesprochen werden, sollte im Strafvollzug nicht zu einer unkritischen Weiterverordnung von Substanzen mit hohem Missbrauchspotenzial führen, wenn es anamnestisch oder aktuell unübersehbare Hinweise auf ebendiese missbräuchliche Verwendung gibt. Auch bei Berücksichtigung des Äquivalenzprinzips, das sicherstellen soll, dass in der Haft die gleiche Behandlungsqualität geboten wird wie im Gesundheitssystem, können Behandlungsmodifikationen argumentiert werden, wenn wir die Antisozialität im Sinne einer komorbiden Störung bewerten und damit die Priorisierung missbrauchssicherer Substanzen begründen.<br /><br /> Aus suchtmedizinischer Perspektive spricht daher einiges dafür, bei der Empfehlung von Methadon, L-Polamidon und Buprenorphin als Substitutionsmittel der ersten Wahl zu bleiben und nur bei objektivierbaren Beschwerden oder bei besonders stabilen Patienten mit hoher Compliance auf retardierte Opioide zurückzugreifen. Auch die Begleitmedikation mit Benzodiazepinen und Pregabalin (das von der hier behandelten Population übrigens in nicht unbeträchtlichem Ausmaß nasal appliziert wird) ist eher restriktiv zu gestalten.<br /><br /> Um die diesbezüglich doch recht unterschiedlichen Behandlungspraktiken der verschiedenen Justizanstalten einer kritischen fachlichen Reflexion zuzuführen, wurde mit Unterstützung von Hans Haltmayer, dem Beauftragten der Stadt Wien für Sucht- und Drogenfragen, und der Generaldirektion für den Strafvollzug ein Qualitätszirkel für substituierende Ärztinnen und Ärzte in Justizanstalten eingerichtet. Dieser Qualitätszirkel findet zweimal jährlich in Wien statt und bietet damit die Möglichkeit, fachliche und organisatorische Fragen zu besprechen. Durch den regelmäßigen Austausch und die moderierte Fachdiskussion der beteiligten Ärztinnen und Ärzte soll für die kontextspezifischen Herausforderungen sensibilisiert und eine Annäherung der Behandlungsprinzipien erreicht werden.</p> <h2>Günstige und ungünstige Faktoren für Suchtkranke in Haft</h2> <p>Neben den unübersehbaren milieubedingten Schwierigkeiten gibt es auch strukturelle Voraussetzungen, die für die Behandlung von Menschen mit Substanzstörungen durchaus günstig sind: Das IVV (eine Art elektronischer Krankenakt) stellt eine lückenlose Dokumentation der Vorbehandlung sicher. Jede Medikamentenverordnung, jeder Patientenkontakt wird erfasst und steht jedem Nachbehandler zur Verfügung, wobei aufgrund ausgefeilter Zugangsbeschränkungen nur Ärztinnen und Ärzte die medizinischen Daten einsehen können. Zur Erleichterung der Kommunikation mit nicht Deutsch Sprechenden stehen Telefon- und Videodolmetsch zur Verfügung. Die Medikamenteneinnahme erfolgt unter Sichtkontrolle, unerwartete Substanzbeeinträchtigungen werden von Abteilungsbeamten oder Fachdiensten mit einiger Wahrscheinlichkeit wahrgenommen und berichtet, Harntests können jederzeit unter kontrollierten Bedingungen angeordnet werden.<br /> Während also die im engeren Sinn suchtmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten in Justizanstalten als eher günstig zu bewerten sind, wirken sich die Lebensbedingungen in Haft oftmals suchtverstärkend aus. Der Mangel an sinnvollen Beschäftigungs- und Freizeitangeboten (Arbeit, Ausbildung, Deutschkurse, Sport) führt häufig zu Resignation und verstärkt nicht nur das Konsumverhalten, sondern auch das Engagement in der Subkultur. Wenn wir Substanzkonsum nicht als Ausdruck einer eigengesetzlich ablaufenden Erkrankung (wie z.B. eine Hepatitis) betrachten, sondern auch als Ausdruck eines devianten Lebensstils, wird deutlich, dass auch motivationale Faktoren berücksichtigt werden müssen. Die Entscheidung für den Verzicht auf Konsum und Handel mit psychoaktiven Substanzen muss sich für den Einzelnen auszahlen. Dies erfordert allerdings eine Diversifikation der Behandlungsangebote und der Behandlungsziele. Während für den jungen Drogenprobierer ohne Abhängigkeitsentwicklung in der Anamnese das In-Aussicht-Stellen eines attraktiven Arbeitsplatzes durchaus an den Nachweis der Abstinenz geknüpft werden kann, um eine entsprechende Motivation für den Verzicht auf Drogenkonsum zu schaffen, dürfen andererseits Substituierte nicht diskriminiert werden.</p> <h2>Vermeidung von Diskriminierung</h2> <p>Dies ist auch in den Leitlinien für den Umgang mit Suchtkranken in Justizanstalten definiert: „Die Tatsache, dass bei InsassInnen eine Suchterkrankung vorliegt, rechtfertigt keinerlei Benachteiligung gegenüber anderen Häftlingen im Hinblick auf die Unterbringung, Planung und Gestaltung des Vollzuges“, das heißt konkret: kein Ausschluss vom Wohngruppenvollzug, keine Benachteiligung bei Arbeitsplatzvergabe, Ausbildungs- und Trainingsangeboten und keinerlei Benachteiligung bei der Gewährung jeglicher Form von Vollzugslockerungen. Die Nicht-Diskriminierung von Suchtkranken zu gewährleisten und dennoch motivationale Anreize für den Verzicht auf Substanzwirkung zu schaffen gehört zu den schwierigsten Anforderungen im Umgang mit Menschen mit Substanzstörungen im Gefängnis und kann nur gelingen, wenn Ziele und Bedingungen an das individuelle Funktionsniveau angepasst werden. Der flexible, an individuelle Möglichkeiten und Bedürfnisse angepasste Umgang ist allerdings ein Merkmal von (medizinischen) Behandlungssystemen: In einem Krankenhaus rechnet niemand damit, die gleiche Behandlung wie der Mitpatient zu erhalten, in Gefängnissen hingegen kann Gleichbehandlung eingefordert werden. Verbindliche Regeln für die Gewährung von Vollzugslockerungen, gleiche Konsequenzen bei Regelverstößen sollen willkürliche Machtausübung in der totalen Institution verhindern, machen aber auch individuelle Vorgehensweisen in Abhängigkeit von konkreten Behandlungszielen schwierig.</p> <h2>Therapeutischer Vollzug in der Justizanstalt Favoriten</h2> <p>Der für die Behandlung von Substanzstörungen sinnvollen Individualisierung von Betreuungsangeboten sind damit im Regelvollzug gewisse Grenzen gesetzt. Ein im engeren Sinne „therapeutischer Vollzug“, in dem Entscheidungen über Tagesstruktur und Lockerungen deutlich individualisiert getroffen werden, wird hingegen in der JA Favoriten angestrebt. Die JA Favoriten wurde im Zuge der Strafrechtsreform 1975 als Sonderanstalt für „entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher“ geschaffen. Wer im Rahmen der Strafhaft eine Entwöhnungstherapie nach § 68 in Anspruch nehmen will, kann um eine Verlegung in die JA Favoriten ansuchen. Das Therapieziel der JA Favoriten ist das Herausreifen aus dem süchtig- dissozialen Lebensstil durch Ermöglichen „nüchterner Lebenserfahrung“ und durch Auseinandersetzung mit prosozialen Normen im Wohngruppenvollzug. Im therapeutischen Kontext geht es um die Stärkung der Ich-Funktionen, das Antizipieren von Konsequenzen des beabsichtigten Verhaltens sowie Förderung von Affektdifferenzierung und Affektregulation sowie die Bearbeitung von emotionalen Spannungszuständen und Sinnkrisen. Die Aufarbeitung belastender biografischer Erfahrungen wird nicht als zentrales Agens der Behandlung gesehen. Vielmehr wird versucht, je nach der individuellen Gewichtung der aufrechterhaltenden Faktoren psychotherapeutische, psychologisch-übende und/oder psychosoziale Maßnahmen anzubieten. Die Möglichkeiten der totalen Institution sollen bestmöglich in den Dienst der Entwicklungsförderung gestellt werden, indem dem aktuellen Zustand des Behandelten entsprechende Beschäftigungsund Qualifizierungsangebote zur Verfügung stehen. Eine Schmalführung von Psychotherapie ist hier weniger erfolgversprechend als die Bereitstellung eines therapeutischen Milieus, in dem das Wahrnehmen von Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit gefördert wird.<br /><br /> Die Substitution wird fast ausschließlich mit Methadon oder L-Polamidon und Suboxone durchgeführt. Ca. 20 % der Insassen sind anfänglich anders substituiert – hier erfolgt die Umstellung auf der Zugangsabteilung. Benzodiazepine kommen nur kurzfristig zum Einsatz, auch hier erfolgt die Entzugsbehandlung am Zugang. In einer Evaluation der Behandlungsverläufe konnten wir nachweisen, dass sich Patienten, die umgestellt wurden oder einen Entzug hinter sich haben, bezüglich Abbruchwahrscheinlichkeit nur minimal von der Gesamtpopulation unterscheiden.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> In Kombination mit der suchtmedizinischen Standardversorgung in allen Justizanstalten bietet der Strafvollzug ein diversifiziertes Behandlungsangebot für Substanzstörungen, das natürlich in einigen Punkten verbessert werden könnte. Neben den üblichen Ressourcenfragen, die, wie ausgeführt, weniger die suchtmedizinische Basisversorgung als die flächendeckende Verfügbarkeit von sinnvollen Beschäftigungsmöglichkeiten betreffen, sollte hier vor allem über individualisierte motivationsfördernde Anreizsysteme nachgedacht werden. Konsumverhalten und Umgang mit psychoaktiven Substanzen (wie Weitergabe oder Handel) wird nur zum Teil durch die Suchterkrankung bestimmt, zum Teil ist es auch Ausdruck eines dissozialen Lebensstils und kann somit entsprechenden Entscheidungen zugerechnet werden. Zweifelsohne ist die Anerkennung von Sucht als Krankheit Voraussetzung für einen humanen, nicht strafenden Umgang mit Abhängigen. Andererseits sollte nicht übersehen werden, dass weder Gesundheit noch Krankheit objektive Tatsachen sind, sondern als soziokulturell eingebettete diskursive Praktiken verstanden werden können, die unser Bild von der Wirklichkeit prägen. Eine dogmatische Engführung dieses Diskurses, wonach jeder Substanzkonsum als Symptom einer Krankheit und nicht als Entscheidung unter bestimmten Lebensbedingungen verstanden wird, schränkt die Möglichkeiten der Einflussnahme unnötig ein. Dies sollte auch von den mit Suchtbehandlung befassten Ärztinnen und Ärzten bedacht werden.</div></p>
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