Lebensqualität nach Intensivbehandlung
Autor:
Prof. Dr. Thomas Bein, MA
Fakultät für Medizin
Universität Regensburg
E-Mail: thomas.bein@ukr.de
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Intention der modernen Intensivtherapie ist es, neben dem Überleben einer kritischen Erkrankung auch die körperliche und seelische Verfassung danach zu verbessern. Langzeituntersuchungen zeigen allerdings, dass viele Patienten nach Intensivbehandlung an physischen, kognitiven und psychischen Störungen leiden.
Keypoints
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Nach überlebter kritischer Erkrankung kann eine Vielzahl körperlicher, psychischer und kognitiver Defizite auftreten, die zusammengefasst „Post-Intensive Care Syndrome“ (PICS) genannt werden.
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Komponenten des PICS sind Muskelschwäche, chronischer Schmerz, Schluckstörungen, sexuelle Dysfunktion, Depression, posttraumatische Belastungsstörung, Angststörungen und kognitive Defizite, die eine Reduktion der gesundheitsbezogenen Lebensqualität bedingen.
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Als Interventionsprogramme zur Vermeidung/Behandlung eines PICS sind Intensivnachsorgekliniken, Hausarztprogramme und ambulante physische Rehabilitationsprogramme entwickelt worden, deren Evidenz allerdings bisher nicht ausreichend dargestellt ist.
Das Überleben einer kritischen Erkrankung mithilfe moderner Intensivtherapie ist oft mit einer persistierenden körperlichen und mentalen Morbidität verknüpft. Eine häufig auftretende Kombination aus physischen, psychischen und kognitiven Defiziten wird als „Post-Intensive Care Syndrome“ (PICS) bezeichnet. Dieser Artikel stellt das Syndrom vor und beschreibt postintensivmedizinische Interventionen mit dem Ziel der Prävention und Therapie.
Kaum ein Sektor der modernen Medizin hat in den letzten Jahrzehnten eine solch enorme Entwicklung durchgemacht wie die Intensivmedizin, die nicht zuletzt durch die Coronawellen der letzten Jahre in aller Munde war. Intensivtherapie ist charakterisiert durch den Einsatz technisierter Verfahren sowie eine hohe Dichte qualifizierter Mitarbeiter. Intensivbehandlung kommt bei lebensbedrohlichen Erkrankungen (z.B. Multitrauma, Sepsis, Lungen-, Leber- oder Nierenversagen, ausgedehnte Tumoroperationen) zur Anwendung und ermöglicht vielen Menschen das Überleben. Das Ziel der modernen Intensivtherapie ist es, neben dem Überleben auch die körperliche und seelische Gesundheit nach einer kritischen Erkrankung zu verbessern. Allerdings wurde durch Langzeituntersuchungen in den letzten Jahren immer deutlicher, dass viele Patienten nach überlebter Intensivbehandlung an chronischen physischen, kognitiven und psychischen Störungen leiden.
In zahlreichen epidemiologischen Studien finden sich deutliche Hinweise, dass die gesundheitliche Situation von ehemals über einen langen Zeitraum intensivmedizinisch behandelten Patienten bei etwa einem Drittel dieser Überlebenden einer kritischen Erkrankung in den Bereichen der physischen, psychischen und kognitiven Funktionalität beeinträchtigt ist. Konkret wurden folgende Bereiche untersucht:
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Psychiatrisch/psychische Erkrankungen/Funktionsstörungen: Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung, Depressionen, Angststörungen
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Körperliche Einschränkungen: generelle Muskelschwäche, Lungenfunktionsstörung, Einschränkungen der Fähigkeit, Aktivitäten des täglichen Lebens zu bewältigen
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Kognitive Defizite: Störungen der Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsleistung
Das Post-Intensive Care Syndrome – eine neue Diagnose im Rahmen der Intensivtherapie
Die (prolongierte) Intensivbehandlung stellt also – ungeachtet der Grunderkrankung – einen Risikofaktor für persistierende psychische und körperliche Erkrankungen dar. Ein solch „typisches“ Muster von Beeinträchtigungen bei Intensivüberlebenden hat zur Definition des PICS geführt (Abb. 1), im Sinne neuer oder sich verschlechternder physischer, kognitiver und psychischer Beeinträchtigungen, die nach der kritischen Erkrankung auftreten und über einen langen Zeitraum nach Intensivbehandlung bestehen bleiben (können). Ein solches PICS wird – je nach Studienkollektiv und Zeitraum – bei 30–50% der Patienten nach Intensivbehandlung beobachtet.Diese Patienten beschreiben häufig eine ausgeprägte Verminderung ihrer gesundheitsbezogenen Lebensqualität („health-related quality of life“).
Abb. 1: Einzelkomponenten des Post-Intensive Care Syndrome (PICS)
Die Ätiologie des PICS ist bis heute nicht genau geklärt. Es ist davon auszugehen, dass eine hohe Invasivität der Behandlung (langdauernde maschinelle Beatmung, Immobilisierung, ausgedehnte Schmerz- und Sedierungsmedikation, parenterale Ernährung, Multimedikation) zum PICS beiträgt und quasi als „Kollateralschaden“ der erfolgreichen, mit dem Überleben verknüpften Intensivtherapie anzusehen ist. In einigen Studien wurde das Ausmaß einer transienten Hypoxämie (arterielle Sauerstoffsättigung <90%) mit dem Ausprägungsgrad kognitiver Defizite nach Entlassung korreliert, es fand sich ein positiver Zusammenhang. Ebenso scheinen ausgeprägte Schwankungen der Blutzuckerhomöostase die Entstehung langfristiger kognitiver Störungen zu begünstigen. Insgesamt wird davon ausgegangen, dass das Auftreten von Delir, Hypoxämie, Hypoglykämie und Hyperglykämie sowie die Dauer der Intensivbehandlung, ein höheres Alter und die Schwere der Erkrankung als Risikofaktoren für ein PICS gelten können.
Lebensqualität nach erfolgreicher Behandlung des schweren akuten Lungenversagens (ARDS)
Bei Überlebenden eines schweren akuten Lungenversagens („acute respiratory distress syndrome“, ARDS) sind in den letzten Jahren einige Langzeitstudien zur Lebensqualität durchgeführt worden. Hier sollen die Ergebnisse beispielhaft vertieft werden.
Das akute schwere Lungenversagen des Erwachsenen stellt eine lebensbedrohliche Schädigung der Lunge auf dem Boden einer Pneumonie, Sepsis oder pulmonalen Aspiration dar. Auch nichtpulmonale Erkrankungen (z.B. Trauma, Sepsis, Pankreatitis) können ein ARDS induzieren. Eine sich durch die Lungenschädigung entwickelnde, häufig lebensbedrohliche Hypoxämie erfordert in der Regel die (prolongierte) mechanische Beatmung in Kombination mit supportiven invasiven Maßnahmen (Bauchlagerung, Katecholamintherapie, Sedierung, künstliche Ernährung). Mit einer Prävalenz von etwa 10% aller intensivmedizinisch behandelten Patienten und einer Krankenhausletalität von 30–50% stellt das ARDS – nicht zuletzt besonders drastisch während der Corona-Pandemie – eine besondere Herausforderung für die Intensivmedizin dar.
Wird alles wieder wie vorher?
Auch Überlebende eines ARDS weisen eine persistierende körperliche und psychische Morbidität auf. In einer großen retrospektiven Studie war bei Patienten zwei Jahre nach ARDS das Auftreten einer Depression (33%) oder von generalisierten Angststörungen (40%) stark erhöht; bei 29% der Patienten bestand ein erhöhtes Risiko für eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Auch für die gesundheitsbezogene Lebensqualität wurde in einer prospektiven Kohortenstudie noch fünf Jahre nach der Erkrankung im Bereich der körperlichen Leistungsfähigkeit eine im Vergleich zur Normalpopulation um etwa eine Standardabweichung reduzierte Lebensqualität gefunden. Im Ergebnis einer systematischen Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2006 war die Lebensqualität in allen domänenspezifisch gepoolten Werten des 36-Item Short-Form Health Survey (SF-36) bei ARDS-Überlebenden im Vergleich zur allgemeinen Populationsnorm signifikant reduziert. Darüber hinaus konnten mehrere epidemiologische Untersuchungen zeigen, dass etwa nur 50% der vormals berufstätigen Patienten, die ein schweres ARDS überlebt hatten, ein Jahr nach Intensivbehandlung wieder im Berufsleben waren.
Prophylaxe/Therapie des Post-Intensive Care Syndrome
Die bei einem Teil der Intensivpatienten fortbestehenden physischen, psychischen und mentalen Defizite mit Beeinträchtigung der Lebensqualität sind nicht nur für die Betroffenen problematisch, sie haben auch erhebliche Konsequenzen für die Gesellschaft (seltenerer Wiedereintritt in den Beruf, verstärkter Bedarf an medizinischer Versorgung).
Eingeschränkte Evidenz für Interventionen nach der Intensivbehandlung
Da allgemeine Rehabilitationseinrichtungen oft nicht in der Lage sind, auf die Bedürfnisse von PICS-Patienten maßgeschneidert einzugehen, sind in den letzten Jahren verschiedene Interventionsprogramme entwickelt worden, deren Evidenz allerdings zumeist noch nicht oder nicht ausreichend untersucht worden ist. Hier steht die Versorgungsforschung erst am Anfang und es ist wünschenswert, dass in den nächsten Jahren verstärkte wissenschaftliche Bemühungen in Gang gesetzt werden, um eine Prophylaxe oder Frühtherapie des PICS zu ermöglichen. Zu den bisher untersuchten Interventionsmodellen gehören im Wesentlichen Intensivnachsorgekliniken oder -ambulanzen, die systematische Einbeziehung der nachbehandelnden Hausärzte oder physische Rehabilitationsprogramme, umgesetzt durch Pflegekräfte, die die Patienten aufsuchen (Tab. 1). Die Evidenzlage für all diese Maßnahmen ist bisher beschränkt.
Tab. 1: Interventionsmodelle zur Prophylaxe/Behandlung eines PICS nach Intensivtherapie
Zusammenfassung
Das Überleben einer kritischen Erkrankung mithilfe der Intensivtherapie ist bei etwa 30% der Patienten mit langanhaltenden körperlichen und psychisch-mentalen Einschränkungen verbunden. Dieser als PICS bezeichnete Komplex von Syndromen bedarf einer adäquaten Prophylaxe und Frühtherapie. Hier steht die Versorgungsforschung erst am Anfang. Es sollte daher dringend in klinisch-wissenschaftlichen Untersuchungen ein Fokus auf die Zeit nach der Intensivtherapie gelegt werden.
Weiterführende Literatur:
• Dodoo-Schittko F et al.: Folgen kritischer Erkrankung und mögliche Interventionen. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2017; 52: 137-44 • Kohler J et al.: Kognitive Defizite nach Intensivbehandlung. Dtsch Ärztebl 2019; 116: 627 • Dodoo-Schittko F et al.: Determinanten der Lebensqualität und Erwerbsfähigkeit nach Lungenversagen. Dtsch Ärztebl 2017; 114: 103 • Bein T et al.: Long term outcome after the acute respiratory distress syndrome: different from general critical illness? Curr Opin Crit Care 2018; 24: 34-40 • Vrettou CS et al.: Post-intensive care syndrome in survivors from critical illness including COVID-19 patients: A narrative review. Life 2022; 12: 107 • Inoue S et al.: Post-intensive care syndrome: its pathophysiology, prevention, and future directions. Acute Med Surg 2019; 6: 233-46
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