Die Biotribologie: Bedeutung in der Orthopädie

Die Biotribologie untersucht das Reibungsverhalten, den Verschleiß und den Einfluss von Schmierung biologischer Oberflächen. Der Gelenkknorpel weist einzigartige tribologische Eigenschaften auf, die ohne Verletzung und Entzündung ein annähernd reibungsloses Bewegen der Gelenke über Jahrzehnte ermöglichen.

Keypoints

  • Die biotribologischen Eigenschaften sind immer vom gesamten biologischen bzw. experimentellen System abhängig und keine fixen Gewebe- oder Materialeigenschaften.

  • Die hohe Widerstandsfähigkeit des Gelenkknorpels wird durch die zonale Gliederung, die Struktur der extrazellulären Matrix, die hohe Wasserbindungskapazität und das biphasische Verhalten unter Belastung ermöglicht.

  • Trotz einer günstigen Beeinflussung der metabolischen Aktivität und Expression knorpelspezifischer Gene durch Belastung kommt es in einer Metall-Knorpel-Gleitpaarung, verglichen mit Knorpel-Knorpel-Gleitpaarung, vermehrt zu Knorpelverletzungen.

  • Entzündungsmediatoren haben direkten Einfluss auf den Reibungskoeffizienten des Gelenkknorpels.

Die Tribologie (Reibungslehre) ist die Wissenschaft, die sich mit Oberflächen in Relativbewegung zueinander befasst. Ursprünglich vor allem in der Technik eingesetzt, werden tribologische Untersuchungen bereits seit Jahrzehnten auch in der Orthopädie eingesetzt, um beispielsweise Gleitpaarungen zur endoprothetischen Versorgung zu untersuchen.

Abb. 1: Experimenteller Aufbau in einem Tribometer

Bei der Erforschung von biologischen Oberflächen, wie auch Gelenkknorpel, spricht man von Biotribologie, wobei ähnliche Prinzipien gelten und immer die Faktoren Reibung, Verschleiß und Schmierung zusammenspielen. Die biotribologischen Charakteristika von Gewebe sind daher keine fixen Materialeigenschaften, sondern immer das Ergebnis des gesamten experimentellen oder biologischen Systems. Es gilt daher, in biotribologischen Experimenten die In-vivo-Situation möglichst realistisch zu simulieren, um Rückschlüsse zuzulassen (Abb.1).

Neben den Gewebeproben müssen auch das Schmiermittel und die physiologische Belastung für Experimente entsprechend gewählt werden. Erste tribologische Untersuchungen zu hyalinem Knorpel wurden bereits Anfang der 1960er-Jahre durchgeführt. Der Gelenkknorpel zeichnet sich durch ein biphasisches Verhalten während der Belastung aus. Möglich ist dies durch den zonalen Aufbau mit charakteristischer Anordnung der Zellen und Matrixbestandteile. Die extrazelluläre Matrix kann durch die Bestandteile und negative Ladung große Mengen an Wasser binden, während die Chondrozyten nur einen geringen Anteil am Gesamtgewicht bilden. Während der Belastung kommt es initial in der Flüssigkeitsphase durch die Druckaufnahme zu einer Verteilung des interstitiellen Wassers innerhalb des Knorpels von belasteten zu nicht belasteten Arealen. Bei weiterer Belastung kommt es in der soliden Phase zu einer Kraftübertragung über die extrazelluläre Matrix. Gemeinsam mit einer spezifischen Schmierung durch Lubricin und Hyaluronsäure ermöglicht dies die einzigartigen tribologischen Eigenschaften des Gelenkknorpels, wie einen sehr niedrigen Reibungskoeffizienten. Dadurch ergeben sich eine hohe Widerstandsfähigkeit und im gesunden Gelenk mit einer Knorpel-Knorpel-Gleitpaarung ein beinahe reibungsloses System, das eine verschleißfreie Belastung über Jahrzehnte ermöglicht.

Aktuelle biotribologische Forschung an der Donau-Universität Krems

Die Biotribologie ist an der Donau-Universität Krems in Kooperation mit dem Österreichischen Exzellenzzentrum für Tribologie (AC2T research GmbH) bereits seit 2010 ein Forschungsschwerpunkt, wobei neben Knorpel-Knorpel-Gleitpaarungen auch Experimente zu Metallimplantaten, wie sie beim partiellen Oberflächenersatz zum Einsatz kommen, durchgeführt werden.

Zur Untersuchung des Einflusses von mechanischer Belastung auf den Gelenkknorpel in einer Metall-Knorpel-Gleitpaarung wurden CoCrMo-Zylinder und bovine osteochondrale Zylinder in einem Mikrotribometer mit unterschiedlichen Kräften und Geschwindigkeiten gegeneinander getestet.1 Durch die Anwendung von physiologischen Belastungsgrößen, wie Kraft und Gleitgeschwindigkeit, konnte deren Auswirkung auf den Gelenkknorpel untersucht werden. Die Testung und anschließende Analyse der osteochondralen Zylinder erfolgten nach einem etablierten Protokoll.2,3 Jene Proben, die mit hoher Kraft und Gleitgeschwindigkeit getestet wurden, zeigten dabei einerseits eine höhere metabolische Aktivität und Expression knorpelspezifischer Gene, andererseits fanden sich bei hoher Belastung bei einigen Proben auch Einrisse der Knorpeloberfläche. Hingegen führte eine niedrige Gleitgeschwindigkeit gemeinsam mit einem hohen Reibungskoeffizienten zu einem Anstieg der Expression kataboler Gene. Diese Ergebnisse legen nahe, dass die Belastungsparameter auch in einer Metall-Knorpel-Gleitpaarung spezifische Auswirkungen auf den Gelenkknorpel haben.

Gleichzeitig wurden in der Testflüssigkeit nach den Experimenten in geringen Konzentrationen Metallionen nachgewiesen, was auf eine Korrosion der CoCrMo-Implantate auch in einer Gleitpaarung mit hyalinem Knorpel hinweist. Dieser Effekt wurde durch mechanische Belastung weiter gesteigert und es konnte gezeigt werden, dass es am Beginn des Gleitzyklus des Metallimplantates gegen den Knorpel zu einer Veränderung der Passivierungsschicht auf der Oberfläche der Metallimplantate kommt.4 Die Produkte dieser Tribokorrosion der CoCrMo-Zylinder konnten auch auf der Knorpeloberfläche in Form von metallorganischen Verbindungen nachgewiesen werden.

Um potenzielle negative Auswirkungen von freien Metallionen auf humane Chondrozyten, wie für viele andere Zelltypen bekannt, zu untersuchen, wurden osteoarthritische Knorpelzellen isoliert, expandiert und in einer 2D-Kultur mit unterschiedlichen Konzentrationen von Cobalt- und Chromionen inkubiert. Die Chondrozyten zeigten dabei eine konzentrationsabhängige Abnahme der metabolischen Aktivität und eine Zunahme an apoptotischen Zellen.5 Zusätzlich wurde die Expression von knorpelspezifischen Genen, wie Kollagen Typ 2, sowohl durch die Konzentration der Metallionen als auch durch die Dauer der Behandlung negativ beeinflusst. Ob dieser negative Effekt beispielsweise nach Implantation einer Halbschlittenprothese oder eines partiellen Oberflächenersatzes eine Rolle beim Fortschreiten der Degeneration des nativen Gelenkknorpels spielt, bleibt jedoch offen.

In einer rezenten Studie konnte gezeigt werden, dass auch proinflammatorische Mediatoren, wie IL-1β, IL-6 und TNF-α, einen Einfluss auf die tribologischen Eigenschaften in einer Knorpel-Knorpel-Gleitpaarung haben.6 So zeigten sich bei Proben, die mit proinflammatorischen Zytokinen behandelt wurden, ein signifikant erhöhter Reibungskoeffizient und ein erniedrigter Proteoglykangehalt (Abb.2). Der negative Effekt der Entzündungsmediatoren auf die Expression knorpelspezifischer Gene (COL2A1, ACAN) konnte durch die zyklische Belastung während der tribologischen Testung teilweise antagonisiert werden. Diese Erkenntnisse erscheinen insbesondere zum besseren Verständnis von Bewegung und Sport als Therapie bei Patienten mit Arthrose wertvoll.

Abb. 2: Der Reibungskoeffizient im Verlauf eines tribologischen Experiments (Knorpel-Knorpel). Proben, die mit proinflammatorischen Zytokinen behandelt wurden, zeigten signifikant höhere Werte (nach Bauer et al. 2021)6

Ausblick

Die Anzahl und Qualität biotribologischer Untersuchungen an hyalinem Knorpel nehmen stetig zu. Aktuelle Studien befassen sich vor allem mit dem Einfluss von Synovialflüssigkeit und mit den Eigenschaften von Gelenkknorpel in unterschiedlichen Gleitpaarungen. Dabei zeigten sowohl die Zusammensetzung und der Proteingehalt als auch die Dicke des Gleitfilmes an der Knorpeloberfläche Einfluss auf die Gleitfähigkeit.7

Zusätzlich gibt es erste Arbeiten, die auch Knorpelersatzgewebe nach knorpelchirurgischen Eingriffen im Tiermodell untersuchen. Ein hoher PRG4-Gehalt im Knorpelersatzgewebe, beispielsweise nach Defektfüllung bei einer matrixaugmentierten Mikrofrakturierung, zeigte eine verbesserte Widerstandsfähigkeit bei tribologischen Untersuchungen im Tiermodell.8 Sowohl der Reibungskoeffizient als auch die Oberflächenrauheit korrelierten negativ mit dem PRG4-Gehalt. Die PRG4-Expression in der oberflächlichen Tangentialzone konnte dabei durch eine Knochenmarkanreicherung gesteigert werden und war auch mit einer erhöhten Expression knorpelspezifischer Gene assoziiert.

Diese Ergebnisse zeigen, dass sich biotribologische Experimente auch dafür eignen, die Qualität von Knorpelersatzgewebe nach knorpelregenerativen Eingriffen zu untersuchen. Die bisher in Tiermodellen nachgewiesenen Zusammenhänge werden in zukünftigen Studien an humanen Proben bestätigt werden müssen. Auch die Frage, ob die tribologischen Charakteristika und Eigenschaften mit klinischen Scores nach knorpelregenerativen Eingriffen korrelieren, lässt Raum für zukünftige Forschung.

Acknowledgements:

Die genannten Forschungsprojekte wurden durch die NÖ Forschungs- und Bildungsges.m.b.H. (NFB) im Rahmen der Life Science Calls (LSC14-015; LSC15-019) und durch die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) im Rahmen des COMET-Programms (Projekt XTribology, No. 849109) gefördert.

1 Stotter C et al.: Effects of loading conditions on articular cartilage in a metal-on-cartilage pairing. J Orthop Res 2019; 37(12): 2531-9 2 Bauer C et al.: A protocol for gene expression analysis of chondrocytes from bovine osteochondral plugs used for biotribological applications. MethodsX 2017; 4: 423-8 3 Stotter C et al.: Biotribological testing and analysis of articular cartilage sliding against metal for implants. J Vis Exp 2020; (159) 4 Stojanović B et al.: Tribocorrosion of a CoCrMo alloy sliding against articular cartilage and the impact of metal ion release on chondrocytes. Acta Biomater 2019; 94: 597-609 5 Bauer C et al.: Concentration-dependent effects of cobalt and chromium ions on osteoarthritic chondrocytes. Cartilage 2019: 1947603519889389 6 Bauer C et al.: Biotribological tests of osteochondral grafts after treatment with pro-inflammatory cytokines. Cartilage 2021: 1947603521994900 7 Čípek P et al.: Biotribology of synovial cartilage: a new method for visualization of lubricating film and simultaneous measurement of the friction coefficient. Materials (Basel) 2020; 13(9): 2075 8 Qiao Z et al.: Proteoglycan 4 predicts tribological properties of repaired cartilage tissue. Theranostics 2020; 10(6): 2538-52

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