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Neurointensivmedizin auf neuen Pfaden
<p class="article-intro">Interdisziplinär, interprofessionell und international: Mit großem Erfolg fand zum 35. Mal die ANIM 2018 – Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin – als gemeinsame Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin (DGNI) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) statt. Mit einem vielfältigen Programm bot die ANIM 2018 ihren Teilnehmern drei Tage lang ein weitreichendes Update der Neurointensivmedizin, Neurologie und Neurochirurgie.</p>
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<p class="article-content"><p>Tagungspräsident Prof. Wolfgang Müllges, Neurologische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg, beschritt mit dem Kongressprogramm in diesem Jahr ganz bewusst neue Pfade. Mit gutem Grund: „Die immer älter werdende Bevölkerung mit verbesserter Prognose auch im hohen Lebensalter, die verdichteten Prozesse in den Kliniken mit verkürzter Aufenthaltsdauer und schließlich die großen Fortschritte in der Therapie in der Akutphase haben uns die Langzeitprognose aus den Augen verlieren lassen.“ Deshalb lagen zum ersten Mal Tagungsschwerpunkte auf der Neurorehabilitation einerseits sowie auf der Neuropsychologie andererseits: „Was wir bisher sträflich vernachlässigt haben, was die Lebensqualität unserer Patienten aber entscheidend mitbestimmt, sind neuropsychologische Störungen. Deshalb ist es wichtig, schon in der Frühphase weise zu entscheiden, wie weit wir in der Therapie gehen wollen.“</p> <p>DGNI-Präsident Prof. Dr. Georg Gahn, MBA, Neurologische Klinik, Städtisches Klinikum Karlsruhe, schilderte die aktuelle Situation der Neurointensivmedizin: „Wir stehen vor neuen Herausforderungen und werden zugleich durch Umstrukturierungen unter zum Teil massiven Druck gesetzt.“ Neue wichtige Themen dieser 35. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin (DGNI) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) waren zum Beispiel Prognose-Scores auf Intensivstationen, unter anderem für sehr alte Patienten. Vor dem Hintergrund der bahnbrechenden Entwicklungen in der Behandlung des Schlaganfalls in den letzten Jahren sei der gemeinsame Kongress mit der DSG „ganz wichtig und essenziell“, betonte DGNI-Präsident Gahn.</p> <p>Dabei standen auf der ANIM nicht nur Optionen effektiver Schlaganfallbehandlung im Fokus, wie sie die jüngsten Entwicklungen auf diesem Gebiet ermöglichen, sondern ganz wesentlich auch Fragen einer übergeordneten Perspektive, die Prof. Wolfgang Müllges sehr treffend folgendermaßen zusammenfasste: „Was können wir? Was wollen wir? Und was ist wirklich zum Wohle der Patienten?“</p> <p>In 75 spannenden Einzelveranstaltungen ging es um wichtige aktuelle Themen, wie zum Beispiel „Intensivmedizin im hohen Alter – Erfolg und Grenzen“. Prof. Werner Hacke, Neurologie und Poliklinik, Universitätsklinikum Heidelberg, stellte diverse Studien vor, denen zufolge beim akuten ischämischen Schlaganfall sowohl die systemische Thrombolyse als auch die interventionelle Thrombektomie auch im höheren Alter erfolgreich durchgeführt werden können. Die Outcome-Ergebnisse seien altersbedingt schlechter, aber der Behandlungsvorteil bleibe erhalten. Das Fazit: Alter per se sollte nicht den Ausschlag geben, über Therapien zu entscheiden, besonders bei Schlaganfall. Auch für das Krankheitsbild der Hirnblutung (ICB) sollte das Alter kein Ausschlusskriterium für eine Therapie sein, so der zweite Referent, Dr. Dimitre Staykov, Neurologische Abteilung, Krankenhaus Eisenstadt. Und auch Prof. Gabriel Rinkel, Neurologie und Neurochirurgie, Universitätsklinik Utrecht, der über die Subarachnoidalblutung (SAB) sprach, hielt eine Aneurysmabehandlung auch bei älteren Patienten für empfehlenswert, da auch sie gute Chancen auf das Wiedererlangen ihrer Funktionsfähigkeiten haben.</p> <p>Doch es werde „zu viel erwartet bei jedem Krankheitsbild und in jedem Alter“, wie Prof. Georg Gahn warnte. Zahlreiche Sitzungen thematisierten die längerfristige Prognose und – auch ethische – Grenzentscheidungen. „Es muss für Intensivmediziner unbefriedigend bleiben, wenn Patienten zwar die Akutphase überleben, aber man nicht weiß, ob sie später mit einer zurückbleibenden Behinderung zufrieden zurechtkommen“, betonte Prof. Wolfgang Müllges. „Nur wenn wir in der Akutsituation bereits eine tragfähige Auskunft über die Zukunft geben können, werden wir Behandlungsoptionen sinnvoll vermitteln und klug einsetzen können.“</p> <p>Zu den Highlights der ANIM 2018 zählte das Joint Meeting der DGNI mit der Neuro- Tagungspräsident Prof. Wolfgang Müllges bei der ANIM 2018 Neurologie & Psychiatrie 2 / 2018 19 Kongress NEUROLOGIE critical Care Society (USA), dessen Resonanz alle Erwartungen übertraf. Neben hochkarätigen Vorträgen amerikanischer und deutscher Mediziner stand im Mittelpunkt des Symposiums die Erarbeitung von zwei Positionspapieren zu den Themen „Prognostication in neurocritical care“ und „Post ICU syndrome“. „What will the outcome be? Prognostication in neurocritical care“ war das heiß diskutierte Thema, bei dem die Notwendigkeit, aber auch die Schwierigkeiten der Prognosefindung bei den verschiedenen neurologischen Krankheitsbildern vorgestellt und diskutiert wurden. Das Resümee von OÄ Dr. Katja Wartenberg, Universitätsklinikum Halle (Saale), auf deren Initiative dieses nach 2013 zweite Joint Meeting veranstaltet wurde, brachte die fruchtbare interkontinentale Zusammenarbeit auf den Punkt: „Die Botschaft unserer deutsch-amerikanischen Diskussionen ist es, dass wir offen an die aktuellen Probleme herangehen, gemeinsam über neue Entwicklungen nachdenken, und zwar interdisziplinär, und damit auch über die Grenzen unseres Faches hinausgehen.“</p> <p>Einen äußerst interessanten Blick über die Grenzen der eigenen Disziplin hinaus ermöglichte Prof. Wolfgang Müllges den Kongressteilnehmern auch im Rahmen seines viel beachteten Präsidentensymposiums, in dem er sich in zwei denkbar unterschiedlichen, aber gleichermaßen erhellenden Beiträgen dem Thema Angst zuwandte. „Ich frage mich seit Langem, was wir tun können, um die schlechten Erfahrungen aus der Zeit der Schwerstkrankheit nicht in das Gehirn unserer Patienten einbrennen zu lassen“, begründete Müllges seine Wahl. Einblicke in die Biochemie des traumatischen Gedächtnisses lieferte Prof. Dr. Gustav Schelling, Klinik für Anästhesiologie der Universität München. Er erläuterte, über welche Wege sich traumatische Erinnerungen im Gehirn konsolidieren und dann für den Abruf auch in unspezifischen Situationen in den Vordergrund drängen können. Interessant und praxisrelevant für die Kollegen im voll besetzten Auditorium: die unterschiedlichen Effekte von Anästhetika und Sedativa auf das traumatische Gedächtnis. Der neurobiochemische Ansatz hat so Bedeutung für mögliche Sedierungskonzepte.</p> <p>Die nächste Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin wird im kommenden Jahr zum wiederholten Male in Berlin stattfinden. Vom 17. bis 19. Jänner besteht dann bei der ANIM 2019 im Hotel Maritim wieder die Möglichkeit zum regen Austausch von Erfahrungen und neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen. (red)</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Neuro_1802_Weblinks_jatros_neuro_1802_s18_bild.jpg" alt="" width="880" height="695" /></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin (ANIM), 8.–10. Februar
2018, Würzburg
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