
Spontane Dissektionen extra- und intrakranieller Gefäße
Autorin:
Dr. Johanna Ebner
Universitätsklinikum für Neurologie
Medizinische Universität Wien
E-Mail: johanna.ebner@meduniwien.ac.at
Dissektionen arterieller Gefäße sind bei jungen Menschen häufig Ursache für einen Schlaganfall. Bei extrakraniellen Dissektionen treten zunächst lokale Symptome auf, während sich intrakranielle Dissektionen vorrangig durch Kopfschmerzen äußern.
Keypoints
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Die Thrombolyse wird bei Patient:innen mit extrakraniellen Dissektionen empfohlen.
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Insbesondere bei intrakraniellen Dissektionen sollten individualisierte Therapieentscheidungen getroffen werden.
Einleitung
Dissektionen arterieller Gefäße stellen eine häufige Schlaganfallursache bei jungen Patient:innen dar und werden als Hämatom innerhalb der Gefäßwand definiert.1 Die Inzidenz der spontanen zervikalen Dissektion in der allgemeinen Bevölkerung beträgt 2,97/100000 pro Jahr, wobei sie in Bezug auf die Lokalisationsverteilung häufiger in der A. carotis als in der A. vertebralis vorkommt.2 Sie ist für ungefähr 1–2% der Schlaganfälle verantwortlich, dabei beträgt der Anteil der juvenilen ischämischen Infarkte (Patient:innen im Alter <50 Jahre) fast 25%.3,4
Bei extrakraniellen Dissektionen können zunächst lokale Symptome auftreten, die durch den raumfordernden Effekt des Hämatoms auf das umliegende Gewebe entstehen, beispielsweise Kopf- oder Nackenschmerzen, Hirnnervenausfälle, Horner-Syndrom oder pulsatiler Tinnitus.5 Intrakranielle Dissektionen äußern sich vorrangig durch Kopfschmerzen. Letztlich können der ischämische Schlaganfall und damit einhergehende neurologische Ausfälle mit einer Latenz von mehreren Stunden bis Tagen nach den ersten Symptomen in beiden Fällen als Komplikation auftreten.1 Der Pathomechanismus liegt häufiger in der Bildung von Thromboemboli an der Dissektionsstelle als in der hämodynamischen Komponente, welche durch die Stenosierung des Gefäßlumens entsteht.5
Akuttherapie
Thrombolyse
Die Thrombolyse ist eine effektive und sichere Form der Therapie des ischämischen Schlaganfalls und wird bei Patient:innen mit extrakraniellen Dissektionen empfohlen, falls darüber hinaus eine leitliniengerechte Anwendung möglich ist. Die vorliegenden Studiendaten beruhen ausschließlich auf der Behandlung mit Alteplase, wohingegen die Verwendung von Tenecteplase bislang nur in einzelnen Fallberichten beschrieben wurde.1 Das Risiko der Expansion des Wandhämatoms und ein potenziell einhergehendes Fortschreiten der Lumeneinengung oder einer Gefäßruptur konnten unter anderem in einer Metaanalyse von vier retrospektiven Studien verglichen mit dem „Safe Implementation of Thrombolysis in Stroke–International Stroke Thrombolysis Register“ (SITS-ISTR) widerlegt werden.6,7 Es wurde kein signifikanter Unterschied in Bezug auf Sicherheit und Wirksamkeit der intravenösen Thrombolyse bei Patient:innen mit zervikaler Dissektion im Vergleich zu anderen Ursachen festgestellt.7 Bei intrakraniellen Dissektionen hingegen wird die Thrombolyse zurückhaltend empfohlen, da strukturelle Besonderheiten der intrakraniellen Gefäßwand mit einem erhöhten Blutungsrisiko einhergehen können.1
Mechanische Thrombektomie
Die endovaskuläre Therapie (EVT) spielt in der Schlaganfallbehandlung bei der Thrombusbergung eine wichtige Rolle. Im Rahmen der Intervention kann bei vorliegender Dissektion zur Stabilisierung des wahren Lumens sowie zur Sicherung und Aufrechterhaltung des zerebralen Blutflusses die Platzierung eines Stents erforderlich sein.1
Bei dissektionsbedingten großlumigen Gefäßverschlüssen wurden neben Überlegenheitsstudien zu endovaskulärer Therapie und konservativem Management auch vergleichende Beobachtungsstudien zur mechanischen Thrombektomie bei Patient:innen mit Schlaganfällen aufgrund einer anderen Ätiologie durchgeführt.
Die Ergebnisse der vorliegenden Studien müssen jedoch aufgrund uneinheitlicher Methodik und heterogener Studienpopulationen kritisch interpretiert werden. Lediglich eine Studie konnte eine Überlegenheit der mechanischen Thrombektomie gegenüber einer konservativen Therapie bei extrakranieller Dissektion hinsichtlich des funktionellen Ergebnisses belegen. Ausgehend von der zugrunde liegenden Ursache des Gefäßverschlusses konnte ein vergleichbares funktionelles Ergebnis zwischen Patient:innen mit und ohne extrakranielle Dissektion festgestellt werden.1 In einer gepoolten Analyse des „Treatment In The Antithrombotic Network“(TITAN)- und des „Etude Territoriale de l’Infarctus Stratégique“(ETIS)-Registers wurde eine häufigere erfolgreiche Reperfusion nach Stenting in der Akutphase bei Tandemokklusionen bei extrakranieller Dissektion festgestellt, jedoch ohne Besserung des funktionellen Outcomes.8 Die Studienergebnisse waren damit diskrepant zu anderen Kohortenstudien, bei denen trotz vorliegender höherer Interventionskomplexität eine Überlegenheit der EVT mit Stenting gegenüber dem konservativen Management in Hinblick auf das funktionelle Outcome gezeigt werden konnte.5
Sekundärprophylaxe
Zur antithrombotischen Sekundärprävention kann entweder eine Thrombozytenaggregationshemmung oder die Antikoagulation gewählt werden. In einer Metaanalyse der Studien CADISS („Cervical Artery Dissection In Stroke Study“) und TREAT-CAD („Trial on Antithrombotic Treatment in Cervical Artery Dissection“) wurde diesbezüglich kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Behandlungsansätzen in Bezug auf das Auftreten von ischämischen Schlaganfällen innerhalb von 90 Tagen festgestellt.9–11 In STOP-CAD („Study To Optimize the Prevention of Stroke in Cervical Artery Dissection“) wurden neben Vitamin-K-Antagonisten, therapeutischem oder niedermolekularem Heparin auch DOAK angewendet, wobei aufgrund der geringen Fallzahl keine eindeutige Schlussfolgerung gezogen werden konnte. Es konnte nachgewiesen werden, dass die Antikoagulation im Vergleich zur Thrombozytenaggregationshemmung mit einem geringeren Infarktrisiko verbunden ist, jedoch gleichzeitig ein erhöhtes Blutungsrisiko besteht. Sie soll deshalb vor allem bei Patient:innen mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko im Rahmen der Dissektion in Betracht gezogen werden, beispielsweise bei vorliegender höhergradiger Stenosierung des Lumens oder einem okklusiven, intraluminalen Thrombus. Aufgrund des erhöhten Blutungsrisikos sollte bei der Wahl einer antikoagulatorischen Therapie nach etwa 30 Tagen eine Umstellung auf eine Plättchenhemmung in Erwägung gezogen werden.4
Die Therapiedauer beträgt in der Regel mindestens drei Monate und richtet sich primär nach dem Gefäßstatus und dem Vorliegen ischämischer Parenchymveränderungen, wobei innerhalb von 6 Monaten von einem Abschluss des Gefäßwandumbaus ausgegangen wird. Eine Gefäßrekanalisation im Verlauf ist möglich, weshalb die Therapiereevaluation in Abhängigkeit von einer Bildgebung erfolgen soll.1
Fazit
Aufgrund fehlender randomisiert-kontrollierter Studien zur Akutbehandlung bei Dissektion und einhergehendem Schlaganfall müssen insbesondere bei intrakraniellen Dissektionen individualisierte Therapieentscheidungen getroffen werden. Die Thrombolyse erwies sich als sicher und effektiv bei Schlaganfallpatient:innen mit zervikaler Dissektion. Die endovaskuläre Therapie zeigte vor allem bei Tandemokklusionen mit extrakranieller Dissektion eine bessere Evidenzlage mit einem positiven funktionellen Ergebnis.5
Literatur:
1 Debette S et al.: ESO guideline for the management of extracranial and intracranial artery dissection. Eur Stroke J 2021; 6(3): XXXIX-LXXXVIII 2 Béjot Y et al.: Incidence and outcome of cerebrovascular events related to cervical artery dissection: the Dijon Stroke Registry. Int J Stroke 2014; 9(7): 879-82 3 Yaghi S et al.: Anticoagulation versus antiplatelets in spontaneous cervical artery dissection: a systematic review and meta-analysis. Stroke 2024; 55(7): 1776-86 4 Yaghi S et al.: Antithrombotic treatment for stroke prevention in cervical artery dissection: the STOP-CAD study. Stroke 2024; 55(4): 908-18 5 Mayer-Suess L et al.: Disparities between guideline statements on acute and post-acute management of cervical artery dissection. Rev Cardiovasc Med 2022; 23(1): 9 6 Ahmed N et al.: Implementation and outcome of thrombolysis with alteplase 3-4.5 h after an acute stroke: an updated analysis from SITS-ISTR. Lancet Neurol 2010; 9(9): 866-74 7 Zinkstok SM et al.: Safety and functional outcome of thrombolysis in dissection-related ischemic stroke: a meta-analysis of individual patient data. Stroke 2011; 42(9): 2515-20 8 Marnat G et al.: Safety and outcome of carotid dissection stenting during the treatment of tandem occlusions: a pooled analysis of TITAN and ETIS. Stroke 2020; 51(12): 3713-8 9 Engelter ST et al.: Aspirin versus anticoagulation in cervical artery dissection (TREAT-CAD): an open-label, randomised, non-inferiority trial. Lancet Neurol 2021; 20(5): 341-50 10 Kaufmann JE et al.: Antithrombotic treatment for cervical artery dissection: a systematic review and individual patient data meta-analysis. JAMA Neurol 2024; 81(6): 630-7 11 Markus HS et al.: Antiplatelet treatment compared with anticoagulation treatment for cervical artery dissection (CADISS): a randomised trial. Lancet Neurol 2015; 14(4): 361-7
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