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Chronisches Koronarsyndrom (CCS)

Welche Revaskularisationsmethode für welche Patient*innen?

Die Frage, wann überhaupt eine Revaskularisation gerechtfertigt bzw. indiziert ist, wird derzeit im Licht von rezenten Studien diskutiert. Es darf eingangs erwähnt werden, dass wir in diesem Artikel auf Patient*innen mit chronischem Koronarsyndrom (CCS – ehemals bekannt als stabile koronare Herzerkrankung) fokussieren wollen.

Keypoints

  • Revaskularisationsentscheidung sollten wenn möglich im „Heart Team“ individuell für jeden Patienten/jede Patient*in getroffen werden.

  • Bei Risikogleichgewicht müssen das Operationsrisiko, die technischen Faktoren bzgl. der koronaren Situation (SYNTAX, SYNTAX II) und auch die Begleiterkrankungen bewertet werden.

  • Bei der Entscheidung zwischen operativer oder interventioneller Revaskularisation ist oft die Patientenpräferenz der entscheidende Faktor.

Wann und warum bei CCS revaskularisieren?

Das zentrale Ziel einer sinnvollen Revaskularistation ist eine Verbesserung der klinischen Symptomatik – also eine Reduktion der Angina pectoris (AP) oder eines AP-Äquivalents und damit eine Verbesserung der Lebensqualität.1–4 Dass eine erfolgreich wiederhergestellte epikardiale Koronarperfusion zu einer klaren Verbesserung der klinischen Symptomatik führt, ist mittlerweile unbestritten und wurde wiederholt in großen Studien belegt.

Ein weiteres Ziel ist es, zukünftige akute koronare Ereignisse wie Myokardinfarkt oder einen dringend notwendig werdenden Herzkathetereingriff zu verhindern, wodurch es zu eine Verringerung der kardiovaskulären Mortalität kommen sollte.

Die Vorhersage eines akuten Events gestaltet sich aber immer noch schwierig, und obwohl viel über die Beschaffenheit der atherosklerotischen Läsionen und deren Entwicklung bekannt ist, gelingt eine genaue Prognose, welcher Plaque ein Event triggern wird, noch nicht.5

Bei Betrachtung der Studiendaten konnte noch nicht gezeigt werden, dass eine frühe koronare Intervention zu einer Verringerung der Sterblichkeit führt. Allerdings fanden sich eine höhere Rate an dringlichen Herzkatheterinterventionen und eine höhere Rate an Myokardinfarkten im Beobachtungszeitraum bei der initial konservativ behandelten Gruppe. Ebenfalls muss erwähnt werden, dass bei all diesen Studien Patient*innen mit einer linken Hauptstammstenose nicht eingeschlossen worden sind, weil hier ein klarer Mortalitätsbenefit auf der Hand liegt und bereits bewiesen worden ist.6,7

Welche Methode für welche Patient*innen?

Die aortokoronare Bypassoperation (ACBP), entwickelt im Jahr 1967 von einem Team um den Herzchirurgen Dr. R. Favaloro, stellt die erste erfolgreiche Revaskularisationsmöglichkeit dar. Circa 10 Jahre später begann der Siegeszug der perkutanen Koronarintervention (PCI)von Dr. A.Grüntzig, sodass diese beiden Verfahren seit dieser Zeit im permanenten Wettlauf stehen. Seither gibt es immer wieder vergleichende Untersuchungen, welche Methode für welchen Patient geeigneter ist oder welche Kombination die beste Strategie ist. Für den Vergleich beider Revaskularisationsmethoden (ACBP vs. PCI) stellt sich die Frage, welche Outcome-Parameterdie Methoden vergleichbar machen, da sie für das Ergebnis entscheidend sind. Insbesondere das Zeitintervall, an welchem man das Outcome misst, ist aufgrund der massiven Unterschiede in der Invasivität dieser beiden Methoden essenziell. Wissenschaftlich betrachtet ist der härteste Outcome-Parameter die Überlebensrate. Diese ist zu bestimmen, indem man 2 Gruppen mit unterschiedlichen Interventionen oder Therapien vergleicht und dann feststellt, wieviele Patient*innen in der jeweiligen Gruppe zum Zeitpunkt X noch am Leben sind. Allerdings sind die Lebensqualität (die wir bei unseren Interventionen und Therapien oft als wichtiges Entscheidungskriterium anwenden) und die Beschwerlichkeit des Weges bis zum 1-Jahres-Endpunkt kein Faktor in einer Mortalitätsanalyse. Surrogatparameter für kardiovaskuläre Endpunkte gibt es viele. Ein Myokardinfarkt oder eine Hospitalisation aufgrund einesHerzinsuffizienzereignissesergeben beispielsweise einen Nachteil für eine gewisse Therapie. Für die Entscheidung zwischen den zur Verfügung stehenden Revaskularisationsmaßnahmen ist es daher von großer Wichtigkeit, Patient*innen gesamthaft zu betrachten. Vom kleinen Ausschnitt der koronaren Situation (komplexe Dreigefäßerkrankung vs. simple Typ-A-Stenose in einem Gefäß) bis hin zur linksventrikulären Funktion, zur Nierenfunktion, zu Komorbiditäten,zum klinischen Aspekt und zum Wunsch des Patienten sollten die Optionen abgewogen werden. Ob die Patientenpräferenz bei einem Ungleichgewicht ausschlaggebend sein darf, ist eine ethisch komplexe Frage, die an dieser Stelle nicht beantwortet werden kann – etwa, wenn der Patient*innenwunsch der Anwendung einer mehr oder weniger unterlegenen Methode entspricht. Das Überleben nach X Jahren ist aus unserer Sicht sicherlich nicht der einzig entscheidende Faktor, da die Schwere des Eingriffs, die potenziellen Komplikationen und die Dauer der Rekonvaleszenz berücksichtigt werden sollten.

Koronare Eingefäßerkrankung

Die aktuellen Leitlinien sind sehr kompakt, was die Empfehlung bei der koronaren Eingefäßerkrankung anbelangt. Hier wird für beide Revaskularisationsmethoden eine I-A-Empfehlung ausgesprochen, wenn die proximale LAD betroffen ist,sonst wird der PCI der Vorzug gegeben wird (I-C vs. IIb-C), wobei hier aber ein niedriger Evidenzgrad besteht und auch nicht zu erwarten ist, dass dieser noch gesteigert wird.1 In der klinischen Routine wird hier auch nur bei ausgesprochen komplexen proximalen langstreckigen LAD-Stenosen eine Bypassoperation beschlossen.

Koronare Zweigefäßerkrankung

Auch hier ist die Mitbeteiligung der proximalen LAD ausschlaggebend. Wenn diese nicht betroffen ist, besteht ebenso eine IIb-Empfehlung für eine ACBP-OP und eine prinzipielle Klasse-I-Empfehlung für die PCI. Mit proximaler LAD-Stenose ist beides mit Klasse I empfohlen und die klinische Entscheidung wird wie oben beschrieben getroffen.1

Koronare Dreigefäßerkrankung

Bei signifikanten Stenosen in allen 3 Koronargefäßen wird die Entscheidungsfindung etwas komplexer. Hier sollte dann der aus den SYNTAX-Studien entwickelte und letztlich zum SYNTAX-II verfeinerte Score laut Leitlinien zur Strategiefindung herangezogen werden. Für Patienten mit Diabetes mellitus ist aufgrund der vorliegenden Daten eine operative Revaskularisation zu bevorzugen.8,9 Bei geringer Komplexität der Läsionen hat die PCI noch eine IIb-Empfehlung, aber bei höherer Komplexität eine Klasse-III-Empfehlung. Allerdings wird angemerkt, dass eine PCI in Betracht gezogen werden soll, wenn das „Heart Team“ das Operationsrisiko als erhöht erachtet, was unbedingt zu beachten ist. Der Vergleich wurde in klinischen Studien immer nur für Patient*innen mit niedrigem OP-Risiko durchgeführt. Diese Studienpatient*innen entsprechen aber nicht immer denen der klinischen Realität. Viele Patient*innen, die laut den Leitlinien vielleicht besser mit einer ACBP hätten versorgt werden sollen, werden in klinischer Routine einer PCI zugeführt, weil das operative Risiko zu hoch ist.

Linke Hauptstammstenose

Das emotional sicherlich am stärksten aufgeladene Thema, wenn es um unterschiedliche Revaskularisationsstrategien geht, ist die wirksame Stenosierung des linken Koronarhauptstamms („left main stem“; LM). Diese Diskussion ist der Wichtigkeit dieses Gefäßabschnittes für die koronare Versorgung geschuldet und nicht der Häufigkeit, da der Anteil an LM-Stenosen im Vergleich zu den restlichen Lokalisationen relativ gering ist.

Möglichkeiten bei Revaskularisierung der LM

Eingangs ist zu erwähnen, dass ca. 80% der LM-Stenosen im distalen LM angesiedelt sind,daher auch eine Beeinträchtigung der proximalen LAD und der proximalen ACX bedingen können und damit per Definition eine komplexe Läsion darstellen. Selbst falls es eine isolierte distale LM-Stenose ist, wird eine interventionelle Lösung oft eine der beiden Tochterarterien mitbetreffen müssen.

Es gibt einige große randomisierte Studien, die bei prinizpieller Möglichkeit beider Maßnahmen die PCI mit der ACBP verglichen haben. Zuletzt wurde das Langzeitergebnis der EXCEL-Studie publiziert, in der die ACBP in der langfristigen Nachbeobachtung einen Vorteil im Gesamtüberleben zeigte. Die Diskussion um die Ergebnisse dieser Studie wurde hochemotional geführt. Dennoch ergaben sich in beiden Gruppen nach Intervention und Operation am LM eine sehr gute Langzeitprognose und relativ geringe Komplikationsraten. Interessanterweise sind die Ergebnisse in unterschiedlichen Regionen bzw. Ländern deutlich unterschiedlich – so hat sich z.B. für das europäische Kollektiv kein Unterschied in der Mortalität zwischen den beiden Methoden gezeigt.10,11

Bei der LM-Stenose wird also auch in den europäischen Leitlinien prinzipiell der ACBP der Vorzug gegeben.1 Jedoch ist festzuhalten, dass nach Besprechung im „Heart Team“, insbesondere mit den Patient*innen, aufgrund der derzeit wissenschaftlichen Daten ebenso eine PCI durchgeführt werden kann. Was jedoch die Beschaffenheit der Läsion betrifft, sollte die Situation jedoch für ein interventionelles Verfahren perfekt lösbar sein sowie eine gewisse Routine in der LM-Intervention bei dendie Intervention durchführenden Personen bestehen.

Fazit

Die Revaskularisationsentscheidung soll wenn möglich im „Heart Team“ individuell für jeden Patienten/jede Patient*in getroffen werden. Dabei müssen das Operationsrisiko, die technischen Faktoren bezüglich der koronaren Situation (SYNTAX, SYNTAX II) und auch die Begleiterkrankungen bewertet werden. Bei einem – in der Praxis häufigen –Gleichgewicht des Risikos einer operativen oder einer interventionellen Revaskularisation ist die Patientenpräferenz der entscheidende Faktor.

1 Knuuti J et al.: 2019 ESC Guidelines for the diagnosis and management of chronic coronary syndromes. European Heart J 2020; 100: 106-71 2 Neumann FJ et al.: ESC/EACTS Guidelines on myocardial revascularization. European Heart J 2019; 40(2): 87-165 3 Xaplanteris P et al.: Five-year outcomes with PCI guided by fractional flow reserve. N Engl J Med 2018; 379(3): 250-9 4 Tonino PAL et al.: Fractional flow reserve versus angiography for guiding percutaneous coronary intervention. N Engl J Med 2009; 360(3): 213-24 5 Gaba P et al.: Evolving concepts of the vulnerable atherosclerotic plaque and the vulnerable patient: implications for patient care and future research. Nat Rev Cardiol 2022: 1-16 6 Maron DJ et al.: Initial invasive or conservative strategy for stable coronary disease. New Engl J Med 2020; 382: 1395-407 7 Al-Lamee R et al.: Percutaneous coronary intervention in stable angina (ORBITA): A double-blind, randomised controlled trial. Lancet 2018; 391(10115); 31-40 8 Thujis DJFM et al.: Percutaneous coronary intervention versus coronary artery bypass grafting in patients with three-vessel or left main coronary artery disease: 10-year follow-up of the multicentre randomised controlled SYNTAX trial. Lancet 2019; 394(10206): 1-10 9 Serruys PW et al.: Percutaneous coronary intervention vs. coronary-artery bypass grafting for severe coronary artery disease. N Engl J Med 2009; 360(10): 961-72 10 Stone GW et al.: Everolimus-eluting stents or bypass surgery for left main coronary artery disease. New Engl J Med 2016; 375(23): 2223-35 11 Stone GW et al.: Five-year outcomes after PCI or CABG for left main coronary sisease. New Engl J Med 2019; 381(19): 1820-30

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