
Vericiguat bei fortgeschrittener Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Robert Zweiker
Abteilung für Kardiologie
Medizinische Universität Graz
E-Mail: robert.zweiker@medunigraz.at
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Trotz deutlicher Verbesserungen in der Therapie der Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) ist die Rate an (Re)Hospitalisierungen bei diesem Krankheitsbild beträchtlich. Zusätzliche nebenwirkungsarme Therapieoptionen mit bewiesener Evidenz sind daher hochwillkommen. Eine dieser Optionen stellt eine Therapieerweiterung mit Vericiguat dar.
Keypoints
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Die Herzinsuffizienz stellt weiterhin eine die Lebensqualität und die Lebenserwartung massiv beeinträchtigende Erkrankung dar.
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Die optimale medikamentöse Therapie besteht in der Kombination von RAAS-Inhibitoren bzw. ARNIs, Betablockern, Mineralkortikoidrezeptorblockern und neuerdings SGLT2-Inhibitoren.
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Vericiguat basiert auf einem neuen Wirkmechanismus (Stimulator der intrazellulären löslichen Guanylat-Cyclase) und stellt eine gut verträgliche weitere Therapieoption bei fortgeschrittenen Stadien der Herzinsuffizienz vor allem bei St. p. rezidivierender Hospitalisierung dar.
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Die Evidenz für Vericiguat wurde in einer kürzlich im „New England Journal of Medicine“ publizierten randomisierten, kontrollierten Studie belegt; aufgrund dessen erfolgte die Zulassung durch die EMA sowie die Integration in die 2021-ESC-Herzinsuffizienz-Richtlinien.
Einleitung
Vericiguat stellt eine neue Therapieoption in der Behandlung der Herzinsuffizienz mit reduzierter EF (HFrEF) dar. Rezent publizierte Studiendaten (VICTORIA-Studie) und die Integration in die ESC-Herzinsuffizienz-Richtlinien1 machen eine Anwendung auch für österreichische Patienten möglich, wenngleich derzeit nur mit einer Einzelfallgenehmigung.
Wirkprinzip
Die medikamentöse Herzinsuffizienztherapie besteht derzeit vor allem aus einer Beeinflussung der neurohumoralen Aktivierung (Renin-Angiotensin-Aldosteron-System mit RAAS-Inhibitoren bzw. Sacubitril-Valsartan sowie sympathisches Nervensystem mit Betablockern) sowie neuerdings durch die Hemmung des SGLT2-Rezeptors (Empagliflozin, Dapagliflozin).
Im Gegensatz zu diesen derzeit etablierten Wirkprinzipien stellt Vericiguat als neuer Wirkmechanismus einen Stimulator der löslichen Guanylat-Cyclase („soluble guanylate cyclase“ = sGC) dar.2 Als erster im klinischen Einsatz befindlicher Vertreter dieser Substanzklasse ist das Riociguat bekannt, das in verschiedenen Formen der pulmonalen Hypertonie seine Anwendung findet.
Die sGC greift in die NO-vermittelte Vasodilatation (wird vor allem bei Scherkräften und/oder oxidativem Stress wirksam) ein, ohne allerdings selbst NO-abhängig zu sein. Diese Eigenschaft stellt einen wesentlichen Unterschied zu den Nitraten dar. sGC bewirkt einen Anstieg von cyclo-GMP, dadurch werden Proteinkinasen aktiviert, die in mehreren Organen Auswirkungen haben.
Die Stimulation der sGC durch Vericiguat bewirkt im Herz einen erhöhten koronaren Blutfluss, aber auch antiinflammatorische, antihypertrophe und antifibrotische Effekte. Im Gefäßsystem werden ein erhöhter Blutfluss, Antiproliferation und Antiinflammation durch Einwirkung auf die glatten Gefäßmuskelzellen hervorgerufen. An der Niere entstehen nephroprotektive Effekte durch einen erhöhten Blutfluss sowie durch die antifibrotische Wirkung und auch am Adipozyten werden eine erhöhte Lipidaufnahme sowie eine Differenzierung zu braunem Fettgewebe postuliert, wodurch eine gegen die Fettleibigkeit gerichtete Auswirkung hervorgerufen werden könnte (Abb. 1).
Abb. 1: Biologische Wirkungen von Vericiguat als Stimulator der löslichen Guanylat-Cyclase (sGC) in verschiedenen Geweben. Oberer Anteil: Darstellung des Gefäßendothels mit NO-Mechanismus. Mittlerer Bildanteil: Kardiomyozyt, glatte Gefäßmuskelzelle und Fibroblast mit grafischer Aufbereitung der Wirkung der sGC-Stimulation. Unterer Bildanteil: postulierte Auswirkungen auf die betreffenden Organsysteme (nach Breitenstein S et al. 2016)10
VICTORIA-Studie
Die der Zulassung zugrunde liegende Studie ist die VICTORIA-Studie,3 die im Mai 2020 im renommierten „New England Journal of Medicine“ publiziert wurde. Die Studie wurde placebokontrolliert, randomisiert und doppelblind durchgeführt und hat 5050 Patienten mit HFrEF und NYHA II–IV in 616 Zentren eingeschlossen.
Einschlusskriterien
Als Besonderheit ist zu erwähnen, dass die Herzinsuffizienz einen schweren Verlauf mit kürzlich zurückliegenden (<6 Monate) Spitalsaufenthalten (84% der Patienten erfüllten dieses Kriterium) oder einen iv. Diuretika-Bedarf innerhalb der letzten 3 Monate (16% der Patienten waren betroffen) aufweisen musste. Weiters musste ein NT-proBNP-Wert von ≥1000pg/ml (bei Vorhofflimmern ≥1600pg/ml) vorliegen. Eine möglichst optimierte Herzinsuffizienz-Standardtherapie musste ebenfalls etabliert sein. Eine begleitende Niereninsuffizienz war kein Ausschlusskriterium, die GFR musste lediglich ≥15ml/min/m2 liegen, wobei ein Limit von 15% der Patienten mit einer GFR <30 eingezogen war.
Wesentliche Ausschlusskriterien waren ein niedriger Blutdruck (<100mmHg) sowie die Einnahme von PDE-Inhibitoren, lang-wirksamen Nitraten oder anderen sGC-Stimulatoren wie Riociguat.
Als Standardtherapie erhielten 60% der Patienten eine Tripeltherapie bestehend aus Betablockern, RAAS-Inhibitoren und Mineralokortikoid-Rezeptor-Antagonisten. Wahrscheinlich bedingt durch den bereits länger zurückliegenden Studienzeitraum (2016–2018) erhielten nur 15% Sacubitril-Valsartan, 32% hatten ein implantiertes Gerät (ICD und/oder CRT).
Das Studienprotokoll sah eine Auftitrierung von Vericiguat 2,5mg bis auf 10mg oder Placebo vor. Abhängig vom Blutdruck und von klinischen Symptomen wurde die Dosierung von Vericiguat verblindet zunächst auf 5mg und schließlich auf die Zieldosis von 10mg einmal täglich erhöht. Die Patienten wurden in Woche 2 und 4 evaluiert und danach alle 4 Monate bis zum Ende der Studie.
Als primärer Endpunkt war das kombinierte Auftreten von kardiovaskulären Todesfällen und/oder eine Rehospitalisierung wegen Herzinsuffizienz definiert. Die Ereignisrate war wegen der gravierenderen Herzinsuffizienz-Anamnese hoch (37,8 Ereignisse/100 Patientenjahre), sodass lediglich ein Follow-up von im Median 10,8 Monaten notwendig war, um eine statistisch belastbare Aussage treffen zu können.
Ergebnisse
Der primäre Endpunkt trat in der mit Vericiguat behandelten Patientengruppe im Vergleich zu Placebo signifikant seltener auf (33,6 vs. 37,8 Ereignisse/100 Patientenjahre, p=0,02, absolute Risikoreduktion 4,2%; „number needed to treat“: 24). Hauptverantwortlich für die niedrigere Ereignisrate war die Gesamtanzahl der Hospitalisierungen für Herzinsuffizienz, womit vor allem auch eine Verbesserung der Lebensqualität einhergeht (Abb. 2). Die kardiovaskuläre und die Gesamtmortalität waren tendenziell, statistisch allerdings nicht signifikant reduziert.
In den Subgruppenanalysen war auffällig, dass bei Patienten mit besonders hohen NT-proBNP-Werten (4. Quartile) ein tendenzieller Nachteil für mit Vericiguat behandelte Patienten bestand, während Patienten mit NT-proBNP-Werten in den Quartilen 1–3 signifikant von der Verumbehandlung profitierten. In einer tiefer gehenden Analyse, in der NT-proBNP als kontinuierliche Variable analysiert wurde, zeigte sich ein Benefit von Vericiguat bis zu einem Spiegel von ca. 8000pg/ml.4 Über die Ursache für den nachlassenden Effekt von Vericiguat bei besonders hohen NT-proBNP-Spiegeln kann derzeit nur spekuliert werden. Möglicherweise waren diese Patienten bereits zu schwer erkrankt bzw. zu dekompensiert, um noch profitieren zu können.
In nachfolgenden rezenten Publikationen wurde gezeigt, dass Patienten mit besonders kurz zurückliegenden Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz und danach folgender neuerlicher Aufnahme ein besonders hohes Risiko aufwiesen. Der Behandlungseffekt von Vericiguat war allerdings unabhängig von diesem Parameter.5 Ein Vorteil für die Anwendung von Vericiguat stellt die Unabhängigkeit von der Ausgangsnierenfunktion dar. Es kann ab einer GFR von 15ml/min/m2 angewandt werden. Eine Verschlechterung der Nierenfunktion war mit einem negativen Einfluss auf die Prognose assoziiert. Vericiguat war vorteilhaft unabhängig von einer etwaigen Verschlechterung der Nierenfunktion.6
Mögliche Nebenwirkungen der Vericiguat-Therapie stellen eine Neigung zu Hypotension7 und ein geringer Abfall des Hämoglobinspiegels8 dar. Das Vorliegen einer Anämie verschlechterte die Prognose der in VICTORIA eingeschlossenen Patienten, wobei Vericiguat zu einer geringfügigen Abnahme der Hämoglobinspiegel führte – dies hatte jedoch keinen signifikanten Einfluss auf die vorteilhaften Effekte der Substanz auf harte Endpunkte.
Eine weitere Subanalyse evaluierte die Patienten mit und ohne Vorhofflimmern in der VICTORIA-Studie. Vorhofflimmern war ein Prädiktor für ein schlechteres Outcome. Vericiguat hatte in den Gruppen mit und ohne Vorhofflimmern einen vorteilhaften Effekt. Die Rate an neu aufgetretenem Vorhofflimmern wurde durch Vericiguat nicht beeinflusst.9
Vergleich mit anderen rezenten Herzinsuffizienzstudien
Im Vergleich zu anderen rezenten Herzinsuffizienzstudien wie PARADIGM, DAPA-HF, EMPEROR-Reduced wurden in VICTORIA Patienten mit deutlich weiter fortgeschrittenen Stadien der Herzinsuffizienz eingeschlossen. Bei fast allen Patienten (84%) lag eine rezente Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz innerhalb der letzten 6 Monate vor. Das Ereignisrisiko der Patienten im Kontrollarm dieser Studien stellt im Allgemeinen einen wertvollen Hinweis auf das eingeschlossene Kollektiv dar. Die Rate an Ereignissen pro 100 Patientenjahre lag in VICTORIA bei 37,8. In den oben zitierten aktuellen Studien lag diese Rate bei lediglich zwischen 13 und 21. Die Reduktion des absoluten Risikos war in der Vericiguat-Studie vergleichbar mit den Effekten von Sacubitril/Valsartan und den SGLT2-Hemmern (kardiovaskulärer Tod: –1% vs. –1,5% vs. –1,4%; Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz: –3,2% vs. –1,6% vs. –2,9%).
EMA-Zulassung und ESC-Guidelines-Empfehlungen
Am 20. Mai 2021 erfolgte die Zulassung von Vericiguat durch die European Medicines Agency (EMA) für die Behandlung von Patienten mit HFrEF und symptomatischer chronischer Herzinsuffizienz.
In den rezent publizierten Guidelines der Europäischen Herzgesellschaft für die Behandlung von Patienten mit HFrEF liegt eine IIb-Empfehlung mit folgendem Text vor: Vericiguat kann erwogen werden bei Patienten mit NYHA II–IV bei einer Verschlechterung der Herzinsuffizienz trotz Behandlung mit einem ACE-H (oder ARNI), einem Betablocker und einem MRA, um das Risiko für die kardiovaskuläre Mortalität oder für Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz zu senken.1
Zusammenfassung und Ausblick
Vericiguat stellt einen neuen innovativen oral angewandten Therapieansatz in der Behandlung von Patienten mit HFrEF dar, insbesondere wenn bereits ein schwerer Verlauf mit rezenten herzinsuffizienz-bedingten Hospitalisierungen vorliegt. Der Therapieeffekt wurde erfolgreich durch eine groß angelegte und hochrangig publizierte Studie placebokontrolliert belegt. Die Verträglichkeit der Substanz ist gut, wobei ein wichtiges Augenmerk auf den Blutdruck (symptomatische Hypotension, Synkope) gelegt werden sollte, der potenziell durch die Therapie gesenkt wird, auch wenn in den Studien diesbezüglich kein signifikanter Effekt nachweisbar war. Weiters dürfen die Patienten nicht gleichzeitig ein lang-wirksames Nitrat oder einen PDE-5-Hemmer einnehmen. Eine gewisse Beachtung sollte dem Blutbild insbesondere bei Anämie geschenkt werden (auch wenn der Hämoglobineffekt in den Studien nicht signifikant war). Hervorzuheben ist, dass Vericiguat auch bei einer Einschränkung der Nierenfunktion bis zu einer GFR von 15ml/min/m2 sicher angewandt werden kann. In Österreich ist derzeit eine Verschreibung auf der Basis von Einzelfallgenehmigungen möglich.
Literatur:
1 McDonagh TA et al.; ESC Scientific Document Group: 2021 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure. Eur Heart J 2021; 21; 42(36): 3599-26 2 Coats AJS, Tolppanen H: Drug treatment of heart failure with reduced ejection fraction: defining the role of vericiguat. Drugs 2021; 81(14): 1599-1604 3 Armstrong PW et al.; VICTORIA Study Group: Vericiguat in patients with heart failure and reduced ejection fraction. N Engl J Med 2020; 382(20): 1883-93 4 Ezekowitz JA et al.: N-terminal pro-B-type natriuretic peptide and clinical outcomes: vericiguat heart failure with reduced ejection fraction study. JACC Heart Fail 2020; 8(11): 931-39 5 Lam CSP et al.; VICTORIA Study Group: Clinical outcomes and response to vericiguat according to index heart failure event: insights from the VICTORIA trial. JAMA Cardiol 2021; 6(6): 706-12 6 Voors AA et al.; VICTORIA Study Group: Renal function and the effects of vericiguat in patients with worsening heart failure with reduced ejection fraction: insights from the VICTORIA (vericiguat global study in subjects with HFrEF) trial. Eur J Heart Fail 2021; 23(8): 1313-21 7 Lam CSP et al.; VICTORIA Study Group: Blood pressure and safety events with vericiguat in the VICTORIA trial. J Am Heart Assoc 2021; 10(22): e021094 8 Ezekowitz JA et al.: Hemoglobin and clinical outcomes in the vericiguat global study in patients with heart failure and reduced ejection fraction (VICTORIA). Circulation 2021; 144(18): 1489-99 9 Ponikowski P et al.; VICTORIA Study Group: Vericiguat in patients with atrial fibrillation and heart failure with reduced ejection fraction: insights from the VICTORIA trial. Eur J Heart Fail 2021; 23(8): 1300-12 10 Breitenstein S et al.: Novel sGC stimulators and sGC activators for the treatment of heart failure. In: Bauersachs J, Butler J, Sandner P, editors: Heart failure handbook of experimental pharmacology. 2016; 243: 225-47
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